Ich bin langzeitarbeitslos. Ask Me Anything

Grüße an alle!

Wie die meisten anderen habe ich mich hier angemeldet um Feedback zu geben (nörgeln :wink: ) aber beim Stöbern kam mir die Idee, etwas anderes zu machen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass das Thema Arbeitslosigkeit für manche hier im Forum wie eben für die beiden Podcaster nur theoretisch ist. Das ist kein Vorwurf, sondern ich meine damit nur, dass Wissen Perspektive nicht ersetzen kann. Ich glaube, es bringt allen mehr, wenn ich mit einem AMA zum Verständnis beitragen kann als einfach nur an an bestimmten Segmenten zu kritteln.

Ich habe in meinem jahrelangen kafkaesken Behördenalptraum so viel erlebt und schlucken müssen, gewissermaßen der komplette Gegenentwurf zur CumEx Folge. Zwischendurch war es teilweise echt so absurd, dass ich dachte, ich könnte darüber ein Buch schreiben. Jetzt sind aber so viele Themen dazu hier geöffnet worden und ich las von manchen, dass sie sich kaum so ein Leben am Existenzminimum vorstellen können etc. Nun, dafür wäre so ein AMA genau richtig. Ich bin froh, dass diese Themen gerade auf den Tisch kommen und möchte meinen Beitrag dazu leisten, Bewusstsein zu schaffen. Und ich muss kein Buch schreiben, hab’ dazu keine Lust.

Kurzer Abriss:
Ich bin 2022 arbeitslos geworden, nachdem ich jahrelang mit Psychokram zu kämpfen hatte. Ich wollte seit 2014/2015 die Branche komplett wechseln, weil der alte Job so dröge und unbefriedigend war, aber wir hatten die Anträge auf Finanzierung oder Hilfen für einer Umschulung nicht durchbekommen und die Krankenkasse war auch nicht hilfreich, to say the least.

Hatte es dann mit Teilzeit probiert, war aber leider ähnlich unbefriedigend, nur aushaltbarer. Weil ich nicht so viel verdiene, bin ich zurück auf Vollzeit, habe 2-3 Jahre Geld beiseite gelegt, um eine Ausbildung anfangen zu können, musste aber mit meiner abnehmenden psychischen Verfassung von dem Bullshitjob klarkommen und musste die selbstfinanzierte Ausbildung (Alter 30+ Jahre) direkt nach Beginn 2022 abbrechen, weil ich nicht mehr konnte.

Der Jobwechsel in die Ausbildung war einfach der Todesstoß. Hat auch dazu geführt, dass ich erstmal bis Dezember nur Krankengeld bekam, basierend auf den 60% des Azubigehaltes (effektiv ca. 500€ pro Monat) und keine Aufstockung mit Hartz IV. Denn ich hatte ja knapp 15K angespart. Überm Schonvermögen. Und das schlimmste am Ende: Da nun sowohl Ansprüche auf ALG1, ALG2 & Krankengeld gleichzeitig enstanden und vom Diagnosen bzw. Krankschreibungen abhingen, hat sich der Fall so verkompliziert, dass ich zwischendurch monatelang ohne Einkommen da stand. Da kommt kein Cent vorab auf Vertrauensbasis, no no no. Dafür sind die Kassen alle zu knapp :clown_face:

Irgendwann habe ich es aufgegeben und nur noch darauf hingarbeitet, einen Rechtsbeistand vom Amtsgericht zu bekommen. Ich habe nun eine Betreuerin für solche Sachen und muss mich selber nicht mehr kümmern, aber dafür - und das ist scary - habe ich einen Teil meiner rechtlichen Autonomie abgeben müssen.

Fragen dürft und sollt ihr alles. ich werde aber nicht alles antworten. Vorab sage ich, so unglaublich manche Dinge klingen werden: Ich bin absolut kein Einzelfall, eher die Norm. Und: Die obigen Daten gingen nicht anders wegen der Bürgelgeld-Reform und dem Schonvermögen, aber beim Rest werde ich zur Anonymisierung alle Daten, Namen etc. ändern und verschleiern.

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Hi noergler

Erstmal danke, dass du bereit bist, deine Perspektive zu teilen. Tatsächlich ein paar Verständnisfragen:

  • In welchem Job /welcher Branche hast du vorher gearbeitet und wohin wolltest du wechseln?
  • Wann hast du denn deine Ausbildung / Qualifikation für den alten Job gemacht bzw. wie lange hast du gearbeitet, bis du gemerkt hast, dass der Job nichts für dich ist?
  • Warum war der Jobwechsel in die Ausbildung dann „der Todesstoß“?
  • Vielleicht ein bisschen umfassender, aber wie hättest du dir denn die behördliche Hilfe vorgestellt?

Es kommen später sicher noch Anschlussfragen dazu, aber das wäre erstmal hilfreich :slight_smile:

  • Ich war in der Privatwirtschaft als Buchhalter tätig, grob. Ich wollte in die IT.

  • Ein paar Jahre zuvor, nicht allzu lang, 2-3 Jahre. Nach der Ausbildung habe ich wegen eines Stipendiums auch eine Weiterbildung in der Abendschule gemacht, weil ich Schulabbrecher war.

  • Weil es eine große Umstellung war, weil da einfach keine Energie mehr in meinem System übrig war.

  • Existent. Es ist für uns „Kunden“ des Jobcenters klar, dass wir dem Staatsapparat als Last erscheinen und derart behandelt werden. Das ist die Sprache, die diese Struktur zu uns spricht. Ein parmanenter metaphorischer Stinkefinger.

Hochachtung für den Mut, die eigene Situation hier zu teilen. Kleiner Hinweis: Eine rechtliche Betreuerin ist eine Hilfe und soll dir keine Autonomie wegnehmen. Aber ich verstehe, warum es sich so anfühlt.

Wer sich für ähnliche Probleme und Situationen interessiert, möge Helena Steinhaus von Sanktionsfrei folgen. Es gibt unendlich viele Geschichten, wie sehr Bürgergeldempfänger oder Aufstocker in Bedrängnis geraten oder drangsaliert werden, sodass mittlerweile Scham, Angst und Verzweiflung vorherrschen. Interview:

Edit: Nur ein Beispiel: Jemand pflegt einen Angehörigen und wird unter Sanktionsandrohung aufgefordert, doch bitte eine Arbeit anzunehmen.
Care-Arbeit ist bereits Arbeit, nur leider weder anerkannt noch bezahlt.

Und besonders absurd: In der Regierung beschwert/e man sich über gestiegene Wohngeldausgaben, was zu den menschenverachtenden Vorschlägen eines Pauschbetrages für Miete geführt hat. Sehr, sehr beängstigend für Leistungsempfänger, weil es keine passende bezahlbare Wohnung gibt, was die Regierung selbst zu verantworten hat.
Bereits jetzt nehmen Menschen oft schon einen Teil ihres Regelsatzes für Miete/Stromkosten, weil diese zu hoch sind.
Wie menschenfeindlich kann eine Gesellschaft ihre schwächsten Mitglieder behandeln und dann noch weiter medial auf ihnen als Sündenböcke herumhacken…

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Da ich aus dem Nahen Umfeld eine ähnliche Geschichte kenne, inkl. Körperlicher Einschränkung, …interessieren mich die Unterschiede:

  • welche (psychologische) Hilfe bekommst du, um dich soweit zu stabilisieren, dass du wieder arbeitsfähig wärst?

  • was hindert dich derzeit an einer Arbeitsaufnahme (Buchhaltung, IT oder auch Kellner, Assistenzkraft, Gebäudemanagement, Bau, … Wo man nicht zwingend eine Ausbildung benötigt)?

  • was funktioniert an dem gedachten System der Sozialhilfe und was nicht aus deiner Sicht?

  • du schreibst, dass du erstmal keine staatliche Hilfe bekommen hast, da deine Ersparnisse über dem Freibetrag lagen. Ist die staatliche Hilfe dann gekommen, als deine Ersparnisse unter den Freibetrag gerutscht sind?

  • lernt man andere in ähnlicher Situation kennen? wie solidarisiert bzw. unterstützt man sich gegenseitig oder kämpft da jeder für sich gegen das Amt?

Da schließe ich mich gerne an. Anschlussfrage:

Was müsste aus deiner Sicht passieren, damit du dich erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren könntest? Oder, falls der Zug abgefahren ist, was hätte passieren sollen? Behördenseitig gemeint.

  • Gegenfrage: Warum denkst du, dass es mein Ziel ist, arbeitsfähig zu werden? Warum sollte das überhaupt das Ziel psychiatrischer Intervention an sich sein? Wenn das Ziel dieser Maßnahmen Arbeitsfähigkeit ist, sind diese Instituationen dann überhaupt in meinem Dienst oder im Dienste der Nutznießenden von Arbeitskraft?

  • Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich nicht arbeitsfähig, ich struggle mit Alltagsproblemen und habe es auch nicht einmal geschafft, zur Reha zu fahren. Wäre ich arbeitsfähig, dann muss ich dir direkt sagen, Bock hätte ich keinen. Ich bin Team Waschbär und hab mich mit den paar Pfennigen in Monat arrangiert, und ich geh lieber mit den Landstreichen urban gardening machen als zurück ins Büro. Die können mich alle mal.

  • Das ganze System war schon immer brutal und wird zunehmend dysfunktionaler, aber meine früheren Erfahrungen waren so viel besser auch nicht. Schon 2015 hat mich die Krankenkasse aus dem nichts raus innerhalb von einer Woche für gesund erklärt und das Krankengeld gestrichen, obwohl ich wegen psychischer Sachen nicht arbeiten konnte. Da bist du krank und dann machen die noch Behörenhölle draus. Auf die Schnelle finde ich dazu keinen Artikel, aber hier hat ein Anwalt etwas dazu geschrieben, wie das funktioniert: Einstellung des Krankengeldes nach Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) – Nur, und das muss einfach jedem klar sein, psychische Ausnahmesituationen sind kein Joke. Stell dir mal vor du stürzt mit dem Rad, brichst dir nen Arm und rufst den Notarzt, aber alles was passiert ist, dass sie vorbeikommen und dir noch den zweiten Arm brechen. (Das war aber vor zehn Jahren. Das sind nicht meine akuten Probleme.)

  • Die kamen am 01.01.23 mit Einführung des Bürgergeldes, das das Schonvermögen anhob. Ändert nur nichts daran, dass das Geld dennoch weg ist. Und das war scheiße bitter, hab doch dafür gearbeitet.

  • Ja, auf jeden Fall. In den Kliniken und dann anschließen Kontakt halt online oder mit Selbsthilfegruppen und sowas. Strukturell sind wir durchaus atomisiert und haben schlechte Voraussetzungen für eine politische Stimme. Wie soll ich politisch aktiv werden, wenn ich Tage hab, wo ich mir nichtmal was kochen kann? Viele helfen aber so neuen Mitpatienten, die in das System reinrutschen und sich darin nicht zurechtfinden. Wir geben uns Tipps welche Ärzte für was taugen und welche nur unsere Zeit verschwenden. Es ist zum Beispiel ein großen Risiko, sich auf eine Warteliste für eine Fachperson setzen zu lassen, Monate zu warten und dann ist das ne Pfeife.

Margarete, da du keine Frage gestellt hast: Vielen Dank! Ja, ich komme klar, meine Betreuerin ist super. Das schlimmste ist hinter mir.

Gab es deiner Meinung nach eine Krux an der es sich (zumindest vorerst) mit der Langzeitarbeitslosigkeit entschieden hat?

Hast du konkrete Vorschläge für diese Situation, wie dich der Staat hätte unterstützen sollen, die vlt auch anderen helfen würden?

  • Ich weiß nicht, wann der Zeitpunkt eintrat in dem diesbzgl. keine Hoffnung mehr bestand, weil nach diesem Zeitpunkt noch ein paar Monate oder Jahre der Selbstlüge kamen.

  • Ich habe keine Tipps was den Staat angeht. Wenn ich in meinem Umfeld Leuten helfen will, denen es schlecht geht, dann sage ich ihnen sie sollen um diese ganzen Systeme eine möglichst großen Bogen machen und nur bei Notwendigkeit interagieren. Ich empfehle vorrangig Selbsthilfegruppen.

Ich kann nicht für die anderen sprechen, habe glaube ich den Thread von Anfang an missverstanden. Ich dachte, es geht darum, dass du langzeitarbeitslos bist, psychische Probleme hast und von behördlichen Problemen berichtest bei den Versuchen, wieder arbeitsfähig zu werden.

Den letzten Teil hast du ja aber tatsächlich nicht geschrieben. Es scheint mir eher darum zu gehen, wie arbeitsunfähige Menschen aufgrund psychischer Ursachen behandelt werden. Was ja auch ein wichtiges Thema ist.

Aber verstehe ich das richtig, du möchtest gar nicht mehr wieder arbeiten, wo liegen dann aktuell die Probleme?

  • Verspürst du nicht den Wunsch selbstbestimmt leben zu wollen? Also durch eigene Hände Arbeit deinen Unterhalt verdienen zu wollen?
  • Hast du ein schlechtes Gewissen ggf langfristig dich durch die arbeitende Bevölkerung alimentieren zu lassen?

Ich wünsche dir auf jeden Fall gute Besserung!

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Wenn du in der Vergangenheitsform fragst: Das Problem begann für mich definitiv in der Bildung, also mit der Umstellung von G9 auf G8 und diesen ewig großen und lauten Klassen. Das war vor nun über 20 Jahren und soweit ich das mitbekommen habe ist es nicht besser geworden sondern schlimmer. Ich halte hier auch absolut nichts für reformierbar, weder das Bildungs- noch das Sozialsystem.

Hatte dein „Psychokram“ mit dem du zu kämpfen hattest direkt mit deiner Arbeit in der Buchhaltung zutun?

Hattest du in dem Job Wertschätzung erfahren? Bzw hätte das was geändert?

Was hast du dir ursprünglich vom Wechsel in die IT erhofft?

Danke für deine Antworten:)

  • Ich verspüre den Wunsch, aber sehe die Lösung nicht in Lohnarbeit. Im Gegenteil, ich finde diese gedankliche Verbindung extrem kurios und rate dir, sie zu hinterfragen. Denk mal z.B. an all die, die durch eigener Hände Arbeit ja eben ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können.
  • Das ist eine weitere gedankliche Verbindung, und sogar eine die mir eine Unterstellung macht. Ich lasse mich ja nicht alimentieren, ich habe überhaupt keine andere Wahl. Und diese Erfahrung hier unten ist einfach miserabel, das ist der Punkt.

Hate to say it: Die Gängelung ist strukturell und es für mich klar, dass ich nur leide, damit der Niedriglohnsektor existieren kann. Ich glaube, ich habe nicht einmal gesagt, dass ich Hilfe will vom Staat. ^^ Ich will nur, dass er nach all den Jahren mal aufhört über mich drüberzuwalzen, aber diese Hoffnung habe ich eh schon drangegeben.

  • Nein, vieles auch mit Dingen aus der Kindheit, evtl angeboren. Ich war in der Schulzeit schon in der Jugendpsychiatrie, etc. Darüber möchte ich hier nicht reden, denn da geht’s ins Privatleben und das müssen wir ausklammern. Festhalten möchte ich aber, dass ich zu Beginn des Arbeitslebens definitiv schon nicht regulär 100% belastbar war aber dennoch jahrelang eben diese 100% gearbeitet habe, z.T. mit der Abendschule dazu.

  • Die meiste Zeit nicht, und während ich sie, wenn sie da war, durchaus mochte, so wirklich identifizieren konnte ich mich mit dem Job ohnehin nicht.

  • Ausm Büro raus. Klingt komisch, aber ich hab von Tag 1 gesagt ich will in Außendienst. Ist aber auch mehr mein Pluspunkt gewesen weil ich schon sehr viel unfallfreie Fahrerfahrung habe. IT allgemein liegt mir vom Privatinteresse her.

Alles Gute weiterhin für dich und danke für die Offenheit!

Ich habe auch ein paar Fragen.

In einer idealen Welt - wie sollte es da ausgestaltet sein. Also wie sollte die Unterstützung durch Staat und Gesellschaft aussehen, was für eine Tätigkeit käme in Frage, gibt es sinnvolle Tätigkeiten auf die du Lust hast, wo die Hürden aber zu hoch sind?

Ich möchte mich gerne auch für die Offenheit und die Einblicke bedanken und wünsche dir für deinen weiteren Weg alles Gute!

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Da mein Berufsalltag ja vornehmlich daraus besteht, Menschen mit körperlichen und zunehmend psychischen Erkrankungen wieder „leidensgerecht“in Arbeit zu bringen, kann ich bestätigen, das es zwar ein durchaus umfangreiches Angebot an Maßnahmen und Fördermöglichkeiten gibt, aber es noch erhebliche Lücken in Information und Beratungsangeboten gibt.

Wenn man also nicht weiß das es Hilfsangebote gibt, kann diese auch nicht nicht adäquat in Anspruch nehmen.

Die Folge ist dann zwangsläufig, das viele Menschen mit Hilfebedarf durchs Raster fallen, während wir uns international mit unseren tollen Hilfsangeboten brüsten.

Da ist noch Luft nach oben……

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Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es stark vom Glück oder Pech abhängt welchen Berater man zugewiesen bekommt, ob es eine Weiterbildung gibt oder nicht. In meinem Fall hatte ich auch einfach das Glück, dass es eine Person zu wenig war, damit der Kurs starten konnte. So war ich frisch arbeitslos und gleich in einem der ersten Gespräche wurde mir aktiv eine Umschulung nahe gelegt. Habe dann auch nicht lange gezögert.