Hmm… Also nachdem wir hier sehr hohe Ansprüche an die guten Klima-Nachrichten haben und möglicherweise zu Recht verschiedene Beiträge ausgegliedert haben, habe ich auch mit dieser Nachricht so meine Probleme.
Eine gute Nachricht wäre: Erlangen hat durch Maßnahmen im Verkehrsbereich 20% CO2 eingespart. Was Erlangen hier macht ist zunächst mal ein Pilot-Projekt. Ob und in welchem Umfang es hier zu Verkehrsverlagerungen kommt wissen wir heute noch nicht. Wir haben zu dem Thema hier im Forum ja auch eine entsprechende Diskussion geführt. Selbst wenn CO2 eingespart wird ist fraglich zu welchem Preis, ob es auch deutlich kosteneffizientere Maßnahmen im Verkehr gegeben hätte und vor allem, ob Erlangen den kostenlosen ÖPNV beibehält. Aus meiner Sicht wäre hier genau dasselbe sinnvoll, wie bei der Mercedes-Meldung. Abwarten und bewerten, sobald man Ergebnisse sieht.
Dass eine von vielen für wirksam erachtete Maßnahme in einem Pilotprojekt umgesetzt wird, um eben diese offenen Fragen zu klären ist doch eine gute Nachricht.
In Luxemburg ist der öffentliche Nahverkehr seit 2020 kostenlos. https://de.euronews.com/green/2023/03/25/kostenloser-nahverkehr-in-luxemburg#:~:text=Wie%20funktioniert%20das%20luxemburgische%20System,Einwohner%20und%20Touristen%20gleicherma%C3%9Fen%20kostenlos.
Kostenlos ist er auch in Augsburg, Erlangen , Tallinn/Estland, Hasselt/Belgien, Dünkirchen/Frankreich (seit 2018) und demnächst Malta. Dünkirchen konnte dabei auf jeden Fall Erfolge bei der Reduzierung des Autoverkehrs erzielen. https://www.dw.com/de/nahverkehr-in-europa-null-euro-tickets-auf-dem-vormarsch/a-62021450?mobileApp=true
Der Verkehr muss sich verändern. Statt mit einer Person besetzem PKW hin zu Rad, Fuß und geteiltem Verkehr.
Würde übrigens auch zu Kostensenkung bzgl. Kontrolleure, Gerichtsverfahren und Ersatzfreiheitsstrafen führen und finanziell benachteiligten Bevölkerungsgruppen helfen.
Siehe auch:
Nennen wir den ÖPNV doch einfach solidarisches Verkehrsmittel.
Das Ziel ist gut. Ich bezweifle nur, dass kostenloser ÖPNV dazu der richtige Weg ist.
Denn dieser Weg ist nach meinem Wissensstand weder kosteneffizient noch sozial gerecht.
Der Aspekt der sozialen Gerechtigkeit ist sehr einfach abgehandelt. Warum soll der ÖPNV sowohl für den Millionär als auch für den Bürgergeldempfänger gleichermaßen kostenlos sein? In so ziemlich jedem Interview mit Marcel Fratzscher, in dem es um die Beseitigung sozialer Ungleichheiten geht, hören wir immer dieselbe Message: Entlastungen mit der Gießkanne sind Murks. Sie müssen gezielt sein. Also lieber den ÖPNV weiter was kosten lassen und kleine Einkommen entlasten. Oder meinetwegen kostenloser ÖPNV nur für Geringverdiener. Der kostenlose ÖPNV ist was sozialen Ausgleich angeht ähnlich zielgerichtet, wie der Tankrabatt oder die Gaspreisbremse.
Für das wirtschaftliche Argument kann man sich mal ein paar Expertenmeinungen anhören. So sagen die Autoren der RWI Studie [1], die sich mit den Auswirkungen eines kostenlosen ÖPNV beschäftigt hat:
„Aus ökonomischer Sicht ist ein kostenloser ÖPNV nicht die beste Maßnahme, um die Ziele der Verkehrswende – weniger Staus, Abgase und CO2-Emissionen – zu erreichen. Sinnvoller wäre zum Beispiel die Einführung einer Städte-Maut in Ballungsräumen, die den Autoverkehr reduzieren würde und deren Einnahmen für eine Preissenkung des ÖPNV für einkommensschwache Haushalte genutzt werden könnten.“
Ähnlich äußert sich der Verkehrexperte Oped Cats [2]. Er zeigt am Beispiel von Talinn, dass durch kostenlosen ÖPNV praktisch kein Umstieg von Auto auf ÖPNV stattgefunden hat. Auch er plädiert für eine City Maut und/oder die Verringerung von Parkplätzen, durch deren Einnahmen man den ÖPNV ausbauen kann (Vorbild London oder Stockholm). Interessant ist auch der Hinweis, dass Fahrkartenautomaten und Schaffner ca. 3-5% der Betriebskosten ausmachen - es also gar keinen so großen Benefit durch kostenlosen gegenüber kostengünstigem ÖPNV gibt, wie häufig suggeriert wird.
Dass kostenloser ÖPNV DIE Lösung ist, scheint mir also mindestens umstritten. Wenig umstritten ist aber, dass die Idee unter den Bürgern sehr beliebt ist (siehe z.B. RWI Studie). Klar denn es ist angenehm und umsonst. Das dürfte erklären, warum die Politik so ein Projekt gerne verfolgt.
[1]
[2]
Darum ist es auch egal, dass es auch für Reiche gilt. Die nutzen das eh nicht, weil sie können es sich leisten, es nicht zu tun.
Zwischen reich und arm gibt’s noch ne ganze Menge „mittlere Einkommen“
Die Kritik an der sozialen Wirkung über die Kosten greift hier in meinen Augen zu kurz. Der kostenlose ÖPNV erleichtert bzw ermöglicht dem Bürgergeldempfänger ganz grundsätzlich erstmal die soziale Teilhabe. Dazu kommt die Reduktion des Freiheitsentzugs für Fahren ohne Fahrschein. Da sind mutmaßlich auch keine Millionäre dabei.
Und der Millionär wird nicht wegen des Preises auf Öffis umsteigen, schöpft also den theoretischen Vorteil in der Praxis nicht aus.
Es ist in der Praxis also weit weniger Gießkanne als in der Theorie.
Noch besser als kostenlose Öffis in einer Stadt fände ich aber kostenlose Deutschland-Tickets für Bürgergeldberechtigte. Natürlich nicht als Ersatz für die Verringerung und Verteuerung von Parken und Fahren in Innenstädten sondern zusätzlich.
Dem Autoverkehr müssen parallel Privilegien entzogen werden. Z.B. keine billigen Parkplätze mehr.
Wer behauptet denn, dass das so sein muss. Denn „kostenlos“ ist der ÖPNV ja ohnehin nicht. Ich als Kunde haben nur keine aktuellen Kosten bei jeder einzelnen Nutzung. Die Finanzierung muss ja dann anders geschehen. Ob nun über Schulden, Steuern, einer Abgabe pro Monat, etc. Und die kann man natürlich auch so staffeln, dass Menschen, die reicher sind als andere, mehr zahlen müssen. Aber so etwas wird ja meist ganz woanders verhindert, da kann der ÖPNV nichts dafür.
Damit mehr Leute den ÖPNV statt des Individualverkehrs nutzen gehört natürlich mehr dazu, als nur die Preisstrukturen zu ändern. Das bestreitet auch niemand, der für einen solchen ÖPNV plädiert.
Ich bin natürlich selbst schuld, weil ich den Millionär ins Spiel gebracht habe. Nein, den juckt der kostenlose ÖPNV nicht. Dennoch finanziert diese Flatrate Mittel- bis Gutverdienern zusätzliche Freizeitmobilität (für die diese sich gut ein Ticket leisten könnten), während sie aus z.T. nachvollziehbaren Gründen (schlechte Verbindungen / Taktungen) im Alltag nicht das Auto stehen lassen. Siehe Lehren aus dem 9-Euro Ticket, die sich nach meiner Erfahrung beim 49€ genau so fortsetzen und ja auch gut zu den Erklärungen der o.g. Experten passen.
Das könnten wir uns mal anschauen. I.d.R. ist es politisch aber schwer bis unmöglich solche gigantischen Summen durch höhere Abgaben bei Gutverdienern wieder rein zu holen, was dann bedeutet die Abgabenlast steigt für alle.
Zudem halte ich es bzgl. Anreizen für falsch komplett auf Preissignale zu verzichten (siehe verlinkter Thread).
Mal ganz abgesehen vom o.g. Argument zur Wirtschaftlichkeit
Wie gesagt es geht um die Effizienz der Maßnahme. Natürlich kann ich ÖPNV kostenlos machen UND ihn ausbauen, was dann noch viel teurer ist. Will man soziale Gerechtigkeit und weniger CO2 Ausstoß, dann ist es aber effizienter das Geld statt in kostenlosen ÖPNV direkt in den Ausbau und die Entlastung der armen Haushalte zu stecken.
Ist es nicht.
Eine Steuerfinanzierung des ÖPNV bedeutet, dass die Kostenbeteiligung des Bürgers am ÖPNV sich nach seiner steuerrechtlichen Leistungsfähigkeit richtet. Daher: Wer viele Steuern zahlen muss, zahlt theoretisch einen höheren Anteil am ÖPNV als der Normalarbeiter - und der Sozialhilfeempfänger, der keine Steuern zahlt, zahlt auch nichts. Das ist gerecht.
Eine Steuerfinanzierung ist immer eine Finanzierung nach finanzieller Leistungsfähigkeit und daher immer dann „sozial gerecht“, wenn die durch die Steuer finanzierte Leistung auch für Geringverdiener und Sozialhilfeempfänger nutzbar ist. Eine steuerfinanzierte Eigenheimzulage z.B. ist nicht sozial gerecht - sie ist zwar auch entlang der Leistungsfähigkeit finanziert, aber sie ist faktisch für die Unterschicht (Mindestlohn- und Transferleistungsempfänger) nicht nutzbar. Ein steuerfinanzierter ÖPNV oder ÖRR ist hingegen sozial gerecht, da diese Leistungen sogar schwerpunktmäßig von der Unterschicht genutzt wird, da vor allem die Mittel- und Oberschicht die finanziellen Mittel haben, kostspielige Alternativen zu nutzen.
Das macht einfach keinen Sinn.
Eine Säule der „Finanzierung“ des kostenlosen ÖPNV ist gerade, dass dadurch auch viele Kosten eingespart werden können. Das Betreiben von Automaten, der Ticketverkauf durch Busfahrer, Kontrolleure, Buchhaltung - in diesen Bereichen kann man massive Einsparungen machen, wenn der ÖPNV für alle kostenlos ist. Ticketautomaten z.B. wären dann nur noch an Fernverkehrs-Bahnhöfen und nicht mehr an jeder S-Bahn-Haltestelle nötig. Busse erreichen ihre Ziele schneller, weil keine Tickets kontrolliert und verkauft werden müssen usw.
Hier gilt schon aus Effizienzgesichtspunkten, dass es viel sinnvoller ist, ÖPNV für alle Kostenlos zu machen. Vielverdiener werden ohnehin immer auf Individualmobilität setzen, also davon auszugehen, dass gerade Vielverdiener den kostenlosen ÖPNV nutzen werden, ist schon unrealistisch.
Klar, jede soziale Wirtschaftspolitik ist mindestens umstritten. Wie viele Teufel alleine bei der Einführung des Mindestlohnes an die Wände gemalt wurden… Die Neoliberalen sind immer noch eine der größten Schulen in den Wirtschaftswissenschaften, entsprechend werden sich immer anerkannte Wirtschaftswissenschaftler finden, die alles kritisieren, was nicht ihrer neoliberalen Ideologie entspricht.
Grundsätzlich wäre ein kostenloser ÖPNV erstmal eine Vereinfachung. Keine Fahrkarten mit komplexen Tarifstrukturen mehr. Ob man Sonderleistungen wie 1. Klasse oder Fahrradmitnahme mit Zusatzkosten belegt, ist eine andere Frage.
Zwei Punkte wären, wie beteits erwähnt, sicher da zu klären:
- Finanzierung des ÖPNV.
ob durch Abschmelzen anderer Subventionen oder zusätzliche „Mobilitätsabgaben“ aller Bürger, es gibt da sicher Möglichkeiten. - die „empfundene“ soziale Gerechtigkeit.
einerseits wie genannt, warum sollen „Reiche“ auch umsonst ÖPNV fahren dürfen? wäre so zwischen Neiddebatte und Gerechtigkeitsempfinden.
Andererseits, wenn es eine gesamtgesellschaftliche Finanzierung wäre, stellen sich einige Landbewohner die Frage, warum soll ich ÖPNV mitbezahlen, den ich mangels Infrastruktur nicht nutzen kann, und werde dazu noch für die Nutzung eines Autos mit höheren Kosten bestraft, auf das ich angewiesen bin?
diese Punkte sollte man zumindest diskutieren bzw kommunizieren
Wäre es eigentlich irgendwie möglich, eine Art GEZ für den ÖPNV einzurichten?
Eine Staffelung der Gebühr müsste dann natürlich ebenfalls irgendwie erfolgen:
Meinetwegen wie folgt:
Gestaffelt nach dem Einkommensdezentilen könnten gerechtere Belastungen geschaffen werden.
Das Obere Dezentil (23,3% Anteil am Gesamteinkommen) würde mit 23,3% den kostenlosen ÖPNV bezahlen. Das entspricht die oberen ca. 3,7 Mio. Einkommenssteuerpflichtigen und resutliert in monatlicher ÖPNV-Agabe von 77,3 EUR.
Das untere Dezentil (3,2% Anteil am Gesamteinkommen) würde mit 3,2% den kostenlosen ÖPNV bezahlen. Das entspricht den unteren ca. 3,7 Mio Einkommenssteuerpflichtigen und resultiert in einer monatlichen Abgabe von 10,62 EUR.
Eigene Berechnungen mit Daten von
Einkommensverteilung | Die soziale Situation in Deutschland | bpb.de
und
Einkommensteueranteile | Die soziale Situation in Deutschland | bpb.de
; ausgehend von Kosten iHv 15.Mrd EUR jährlich für den kostenlosen ÖPNV.
Das wird natürlich umso fairer je feingliedriger man diese Aufteilungen macht.
Anstatt einer Aufteilung nach Dezentilen z.B. nach Perzentilen würde schon Gruppengrößen von nur 370.000 Menschen bedeuten.
Die erste Klasse gehört im ÖPNV generell abgeschafft. Im Fernverkehr, meinetwegen. Im Nahverkehr braucht man keine erste Klasse. Auch das ist einfach unwirtschaftlich.
Die Fahrradmitnahme sollte hingegen alleine aus Umweltschutzgründen erfasst sein - wir wollen letztlich die Kombination von ÖPNV+Fahrrad fördern.
Einfachste Lösung: Erste Klasse-Bereiche zu Fahrradbereichen umgestalten
Das ist durchaus ein relevanter Punkt, hier kann man die Menschen im ländlichen Bereich wohl erstmal nur vertrösten. Langfristig muss es auch im ländlichen Bereich einen funktionierenden ÖPNV geben, zu Stoßzeiten lohnt sich das fast überall, in Nebenzeiten dann halt nur auf Anfrage (AST).
Dass es im Übergang zu ungerechten Mehrbelastungen kommt, wird man leider nie ganz vermeiden können. Als Entlastung wäre es z.B. möglich, z.B. die KFZ-Steuer bei besonders ländlichen Wohnorten zu erlassen.
Es muss nur mit bedacht werden, und es muss Alternativlösungen geben.
Mal 15 Jahre abwarten, ob ein ÖPNV Ausbau kommt, ist ja keine Antwort, die Verständnis erzeugt.
Es wird nicht an jeder Milchkanne ÖPNV geben können, keine Frage. Aber ÖPNV sollte nicht ausschliesslich aus städtischer Sicht gedacht werden, und der Rest hat halt Pech, selbst schuld wenn man nicht in der Stadt wohnt. Mit dieser Argumentation wird die Akzeptanz einer Mobilitätswende schwierig.
Ich finde es ohnehin befremdlich, die Nutzung des Automobils durch steigende kosten bestrafen zu wollen, aber im Gegenzug keine Ausweichmöglichkeiten zu bieten. Das erzeugt verständlicherweise Widerstand.
Also das Thema kostenloser ÖPNV muss schon globaler gedacht werden, befürchte ich.
Das kann aber sehr wichtig sein, wenn ältere Leute oder Leute mit körperlichen Einschränkungen den ÖPNV nutzen. Die wissen dann nämlich, dass es immer einen Bereich im Zug gibt, in dem sie zumindest deutlich mehr Platz haben, als in der 2. Klasse, falls die mal wieder total überfüllt ist.
Das ist natürlich alles andere als optimal, zumal man dafür extra zahlen muss, aber in der aktuellen Situation in meinen Augen eine notwendige Alternative.