Du setzt voraus, dass die “Empfänger” von Merz’ Aussage alle die ziemlich rassistischen (s.o.) Einschätzungen ausblenden und nur eine neutrale abstrakte Kernbotschaft (“es gibt in Deutschland öffentliche Räume, an denen ich/andere sich unsicher fühlen”) mitnehmen, der sie zustimmen (“Die Empfänger verstehen um was es geht und stimmen zu.”).
Diese Einschätzung halte ich für gewagt und müsste meiner Ansicht nach irgendwie belegt werden.
Ich würde erstmal davon ausgehen, dass die von Merz offensichtlich gepflegten rassistischen Stereotype (Menschen mit ausländisch gelesenem Aussehen/Verhalten sind für mich eine Bedrohung) von vielen anderen Personen geteilt werden. Die Zustimmung, die Merz’ Aussage erfährt gründet sich für mich darum auf zwei Aspekte:
- Ein ehrlich empfundenes Gefühl der Unsicherheit an manchen Orten bzw. die Überzeugung, dass andere Menschen sich an manchen Orten unsicher fühlen.
- Die rassistische und nicht durch Fakten gedeckte Annahme, dass dafür primär/ausschließlich Menschen bestimmter Herkunft und/oder Aufenthaltsstatus verantwortlich sind.
Merz bestätigt mit seinen “Stadtbild”-Äußerungen ein rassistisches Stereotyp in vielen Menschen, dass im Grundsatz immer schon in der deutschen (und mit anderer Ausprägung auch in anderen Gesellschaften) vorhanden war und in den letzten Jahren durch eine unnachgiebig verzerrte öffentliche Debatte auf “Flüchtlinge” geprägt wurde.
Dieser Stereotyp ist auch deshalb so wirksam, weil es tatsächlich öffentliche Räume gibt, in dem sich Menschen unsicher fühlen. Man kann seinen unterbewussten Rassismus also wunderbar objektivieren, weil “das ja die Realität ist”. Und man findet natürlich immer wieder schöne Einzelbeispiele, in denen von einem Flüchtling tatsächlich eine Gefahr ausgegangen ist.
Rassistische Stereotype zu haben ist bis zu einem gewissen Punkt “normal”. Selbst hoch sensibilisierte Menschen (zu denen ich mich zählen würde) können sich dem nicht immer entziehen.
Merz ist aber nun kein älterer Herr, der bei einer Familienfeier einen etwas problematischen Satz von sich gibt. Er ist der Bundeskanzler und hat einen Eid geschoren, die Menschenwürde unter allen Umständen zu verteidigen. “(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” sollte er ja mal gelesen haben.
Mit solchen Äußerungen (und vorher dem “Zahnarzt-Termin” Geschwätz) spricht er eben nicht aus “was alle denken und was war ist”, sondern bestärkt bewusst oder unbewusst rassistische Stereotype.
Ich glaube niemand hätte sich aufgeregt, wenn Merz gesagt hätte: “wir müssen dafür sorgen, dass sich alle Menschen in öffentlichen Räumen zu jeder Zeit sicher fühlen können.” Den verallgemeinernden und auf Menschengruppen bezogenen Blödsinn kann er sich einfach sparen, ist dazu aber scheinbar intellektuell nicht in der Lage (oder schlimmer: macht das gezielt).
