Ist Deutschland ein Absteigerland/Sanierungsfall?

Am Rande ein weiterer Aspekt zur ungleichen Verteilung von Reichtum. Hörenswert.

Sehnst dich halt doch a bisl zurück?:blush:

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So alt war ich noch nicht ^^

Ich sehe aber die Realitäten beim Umbau in Ostdeutschland.

Und die Berichte aus dem Revier über den „Strukturwandel“ und was der für die Leute dort bedeutet hat.

Da würde man sich schon eine bessere Planung wünschen.

Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein solcher Plan von den Betroffenen eher angenommen wird und für die große Transformation hilfreich wäre, als dass so wie jetzt einfach jeder selber zusehen darf wie er beim Verlust seiner Arbeit bei Ende des Verbrenners mit dem Arsch an die Wand kommt.

Dafür halte ich persönlich einen solchen Eingriff in die unternehmerische Freiheit für gerechtfertigt, der ja einfach nur darin besteht Produktionskapazitäten nicht anzuwenden damit das Personal besser vorbereitet und zuversichtlicher beim Produktionsende ist.

Umd es geht nicht darum dem einzelnen vorzuschreiben, welcher Arbeit er anschließend nachgehen soll, sondern motivieren aus der Bandbreite der Mangelberufe zu wählen und sich umschulen zu lassen.

Heißt, da auch Erzieher gesucht/gebraucht werden eben totaler Spurwechsel vom Fließbandmonteur zum Kindererzieher wenn derjenige das so wünscht.

Ich hab inzwischen aber auch ein bisschen das Gefühl, dass hier falsche Vorstellungen darüber herrschen wie man in der DDR zu seinem Beruf gekommen ist …

Ich denke das war nicht viel anders als hier, wo es manchmal auch von Status und Beziehungen abhängt, im Grossen und Ganzen aber schon Entscheidung des Einzelnen war.
Kenne die DDR der 70er und 80er aber auch nur von besuchen. Paar Türen öffneten sich da auch nur mit der „richtigen“ Einstellung. Heute aber nicht grundlegend anders, da spielt eher der finanzielle Background eine Rolle

Einen Hauch Planwirtschaft haben wir bereits. So entscheidet das Arbeitsamt, welche Umschulung wem angeboten wird. Und das sind natürlich Jobs, von denen das Arbeitsamt sich erhofft, dass genug Mangel herrscht, dass einem Umschüler sich eine Chance auf langfristige Beschäftigung bietet.

Eben, wohingegen hierneinige versichtennden Eindruck zunerwecken, dass ein Beamter loszieht und den Monteuren beim Daimler Umschulungen zuweist, die vorher im Büro beim Amt bestimmt wurden.

In der Beruflichen Rehabilitation, also einer Umschulung aus gesundheitlichen Gründen, gibt es beispielsweise den Paragraphen 8 SGB IXWahl- und Mitspracherecht. Den nimnt speziell die Rentenversicherung schon sehr ernst. Denn letztlich muss der Betreffende die Umschulung durchziehen, ein vorzeitiger Abbruch komnt da schlecht.
Allerdings ist die Arbeitsmarktrelevanz letztlich entscheidend. Man kann Kutschenbauer werden wollen aber mangels nachhaltiger Integrationsperspektive bezahlt das kein Kostenträger. Zu recht.
Sicherlich kommt es trotzdem immer wieder zu seltsamen Entscheidungen.
Letztlich entscheudet sich das schon im gemeinsamen Gespräch.
Problem ist hier oft, das manchen Beratern der reale Bedarf aufcdem Arbeitsmarkt nicht immer klar ist, sich nur auf „klassische“ Mangelberufe konzentriert wird. Die Jobbörse der Agentur für Arbeit wird da meiner Meinung nach überbewertet.
Dadurch geht uns auch potential verloren.
Was in Deutschland ein Punkt zur stärkung der Berufsmotivation und Innovationkraft sein könnte, wäre eine unabhängige zukunftsorientierte Berufsberatung und Eignungsdiagnostik von Schule bis ins höhere Alter, mit entsprechenden Bildungsangeboten. Die Agentur für Arbeit hatcda mit der lebenslangen Berufsberatung schon die richtige Idee.

An dieser Stelle erstmal Danke für die sehr fruchtbare Diskussion, ausgehend von einem doch recht provokantem Zitat.
Mein (Zwischen-?) Fazit an dieser Stelle:
Ein Absteigerland sind wir sicher noch nicht, aber einen gewissen Stillstand haben wir uns in den letzten 20 Jahren schon gegönnt. Daraus ergeben sich viele der hier im Thread genannten Baustellen, die ja Ulf und Philipp im Herbst möglicherweise auch in ihrem Buch behandeln werden (soviel auch zur Relevanz des Themas).
Mir sind besonders folgende Punkte hängengeblieben:

  1. Bildung. Hier sind wir bei der Schule/Erstausbildung als auch bei der beruflichen Erwachsenenbildung noch zu starr und zu wenig zukunftsorientiert. Es gibt Ansätze, hier was zu ändern, aber die Veränderung dauert zu lange.
  2. Veränderungsbereitschaft. Setzt im Grunde nahtlos an. Wir sind offenbar zu träge geworden und auch von Corona und Krieg zu sehr gebeutelt, wer weiss, aber dieses refelexartige Ablehnen von Veränderung in weiten Teilen der Bevölkerung bremst uns weiter aus. Da müssen wir uns alle selbst an die Nase packen und wieder mehr Mut zeigen.
  3. Leistungsbereitschaft. Möglicherweise klafft die Schere zwischen Arm und Reich schon so weit auseinander, das sich das Gefühl breit macht, Leistung lohnt nicht mehr. Da fehlen möglicherweise Anreize oder auch die Eigenmotivation, wieder in die Hände zu spucken. Denn Dienst nach Vorschrift bringt uns grad nicht voran.
  4. Bürokratie. Der Wunsch nach umfassend dokumentierter Perfektion und eine mangelnde Digitalisierung kostet irre Zeit. Das können wir ändern, aber es traut sich keiner so wirklich ran.

Ein Kollege sagte so treffend: wir dürfen nicht auf den grossen Wurf von oben warten, sondern müssen im Kleinen von unten anfangen.
Hat er einen Punkt, finde ich.

Somit würde ich Herrn Oettinger (noch!) widersprechen, aber die Tendenz ist nicht von der Hand zu weisen.

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Beim stellen der Fragen - die wohl süffisant die vermeintliche Unmöglichkeit aufzeigen sollen - fällt dir vielleicht immerhin auf, dass sie damit überhaupt erstmalig der demokratischen Entscheidungsfindung eröffnet wurden.

Der kritische Geist kann sich an dieser Stelle vielleicht einmal fragen, ob das nicht vielleicht noch für einen ganzen Haufen mehr Leute gilt, und wieviele Menschen wohl Kanalarbeiter sind weil sie so gern mit Scheiße hantieren. Am besten direkt danach, ob es nicht dann vielleicht doch etwas gibt, was sie zu dieser Tätigkeit nötigt, und das nicht Ausdruck von Freiheit und Selbstbestimmung ist.

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Ich denke da sollten wir hier alle einig sein, das die Berufswahl zu jeder Zeit nicht ausschliesslich von Neigung und Präferenz abhängt, sondern auch von familiären, finanziellen oder arbeitsmarktpolitischen Faktoren, sowie der Gesundheit.
Denke das ist unstrittig?

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Es gibt Fragen, die keiner demokratischen Entscheidungsfindung bedürfen.
Unmöglich ist ein starkes Wort. Nur wesentlich komplizierter, als die Idee „dann muss jeder ne Schicht weniger schieben und in der Zeit andere Sachen machen, die wir vorgeben, weil wir das besser steuern können“.
Mal davon abgesehen, dass die Problembeschreibung, die Autobauer lasten bis Tag X ihre Verbrenner-Bänder zu 100% aus und am Tag X+1 stehen sie still und die Mitarbeiter werden entlassen und sind das Problem des Arbeitsamtes, komplett an der Realität vorbeigeht. Interner Job-Markt, Auffanggesellschaften, vorzeitiger Ruhestand, usw. usf.

Hier eine bessere Idee: Man verbietet kleine Bäckereien Brot selber zu backen. Thoben und Co können das viel effizienter machen, das spart sogar CO2, da ein großer Ofen weniger Gas/Strom braucht, als viele kleine Öfen.
Die freigewordene Arbeitskräfte werden dann verpflichtet, einen ökologisch sinnvollen Mangelberuf zu ergreifen.
Als nächstes kümmern wir uns dann um Zeitungskioske. Zigaretten gibts am Automaten, Zeitungen und Magazine muss man ab jetzt papiersparend am Tablet lesen.
Dann verbieten wir Haustiere. Furchtbare Umweltbilanz. Die freiwerdenden Tierärzte werden auf Allgemeinmediziner umgeschult. Tierbedarfsläden kann man dann schließen und das Personal muss einen ökologisch sinnvollen Mangelberuf ergreifen.

Ich glaube, man sollte solche (ich meine das nicht als persönliche Beleidigung) Schnapsideen nicht äußern, da sie nur dazu geeignet sind, berechtigte Widerstände zu erzeugen.

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Wie gut das funktioniert kannst du im Osten der Republik studieren, aktuell am Umbau in der Lausitz.

Ich kann dir sagen, dass auch deine Schönfärberei (Zitat) an der erlebbaren Realität vorbei geht.

PS Vorruhestand beim Stellenabbau ist auch z.T. Nötigung und in Zeiten von Fachkräftemangel eigentlich nicht nötig.
Selbst wenn man solche Leute vielleicht nicht mehr bis zur Fachkraft umschulen sollte, kann man sie doch durchaus so einsetzten, dass Fachkräfte entlastet werden um soch Fachkraftaufgaben zu erledigen.

Darüber hinaus könnte man sagen, dass eine Ebene höher die Anteile, in denen die Arbeitsplatzwahl von Präferenzen oder aber von Notwendigkeiten abhängt, wiederum davon abhängt an welcher Stelle der Privilegierungsskala man geboren wurde.

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Kannst du Hintergründe zu den Problemen in der Lausitz liefern? Artikel oder so?

Wie gut Planwirtschaft funktioniert, konnte man übrigens auch gut im Osten der Republik studieren.

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Der Vorschlag lautete ja auch nicht komplett auf Planwirtschaft umzustellen.

Sondern mit staatlichem Zwang (Planwirtschaft) auf die Unternehmen in der Automobilbranche auf den bevorstehenden Strukturwandel und Stellenabbau einzuwirken.

Aber selbst dieser Eingriff wird ja von „markradikalen“ abgelehnt.

Schafft in meinen Augen zusätzlichen Widerstand in den betroffenen Gebieten, weil nichts vorbereitet und geplant wird was mit den vielen tausend Arbeitnehmern passieren wird die beim Verbrenneraus keine Arbeit mehr haben werden.

Ein solcher Eingriff zum Zwecke der Vorbereitung auf das Danach würde Widerstände in der Bevölkerung abbauen und könnte den Wandel durchaus auch beschleunigen.

Ist ja aber wie man hier so schön nachlesen kann nicht gewollt im Kapitalismus.

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Aber genau das ist doch mein Punkt. Klar gibt es Jobs, die sehr wenige wirklich gern machen, und trotzdem werden sie gemacht. Von der Frage mal ganz abgesehen, ob es wirklich gesund für die Gesellschaft ist, so viele Leute zu haben, die ihren Jobs nicht mögen, oder sogar hassen – die persönlichen Entscheidungen, die dazu führen, dass Leute Jobs machen, die denen nicht wirklich so gut gefallen, sind unfassbar komplex. Das ist, in meinen Augen, das Kernproblem: wie kann eine Gesellschaft, in der Leute freiwillig entscheiden dürfen, was für einen Beruf sie ausüben wollen, genug Leute überzeugen, solche unpopuläre aber doch sehr wichtigen Jobs zu machen, damit die Gesellschaft weiterlaufen kann? Ich bin gar nicht überzeugt, dass eine Planwirtschaft der Art, die hier diskutiert wird, dabei tatsächlich hilft.

Meiner Meinung nach sieht es eher andersrum aus: eine Planwirtschaft erhöht die Chancen auf ein relativ gleichmäßiges Angebot von Stellen, was die Verhandlungsmöglichkeiten für sowohl Arbeitgeber:innen als auch Arbeitnehmer:innen verringert. Diese Verhandlungsmöglichkeiten sind ein sehr wichtiges Mittel, wie die beiden Verhandlungsparteien zu einem Kompromiss kommen können, der die Gesellschaft näher an dieses Ziel bringt. Klar gibt es auch Arbeitgeber:innen und sogar ganze Branchen, die nicht bereit sind, solche Kompromisse einzugehen, aber dieses Problem hat viel bessere Lösungen – zB Gewerkschaften – als Planwirtschaft.

Im Grunde stehe ich bei dir. Nur zu ergänzen: dieses Problem liegt an der Gesellschaft im Ganzen, also nicht nur an Individuen, sondern auch an Arbeitgeber:innen. Ich – der schon mit 33 im vierten Beruf arbeitet – kenne Veränderung besser als viele, und hab also irgendeine Art Umschulung schon dreimal hinter mir. Das war aber alles in den USA, und ob das hier in Deutschland überhaupt möglich wäre… Ich hab so meine Zweifel, ob Arbeitgeber:innen in Deutschland einen mit solch einem Lebenslauf wie meinem einstellen würden (außer in ein paar Branchen, zB Software).

Der beschriebene Eingriff wird selbst von links-liberalen Verfechtern der sozialen Marktwirtschaft abgelehnt. Von mir zum Beispiel.

Ich sehe da kein Problem darin, solche Ideen zu äußern, vielmehr ein Problem darin, wenn Denkverbote verteilt werden.
Aus Schnapsideen sind schon ganze Berufszweige entstanden.

Und wenn wir von der Autoindustrie weg zur Kohleindustrie schauen, dann sehen wir wie gesellschaftsschädigend es sein kann, wenn man Betriebe in erster Linie nur deshalb am Leben hält, weil man nicht weiß, welche Alternativen man den Arbeitnehmern sonst bieten könnte. Und das ist genau das Thema, das die Lausitz (und den Ruhrpott) gerade beschäftigt.

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Ich glaube, hier den „bösen Kapitalismus“ zu bashen ist eine falsche Fährte. Vor allem sind es am Ende des Tages Menschen, die diese Entscheidungen treffen, auch bei einem Unternehmen. Aber viel wichtiger: die letztendliche Antwort auf dieses Problem ist, aus einer kapitalistischen Perspektive, ganz einfach: dann gehen die Unternehmen in der Automobilbranche einfach pleite, weil sie im internationalen Markt nicht mehr konkurrenzfähig sind. Aber keiner hier hat das vorgeschlagen, wohl weil es allen klar ist, was für gesellschaftliche Konsequenzen das hätte. Also sind wir schon weit weg von einer reinen kapitalistischen Marktwirtschaft. (side note: Kapitalismus und Marktwirtschaft sind nicht die gleichen. Beide können mit oder ohne den anderen existieren)

Klar, wenn man nur noch darüber diskutieren will, ob die Klimabewegung eine kommunistisch unterwanderte Verbotsbewegung ist, dann sind solche Ideen toll.

Also unser planwirtschaftliches Herumdoktern an der Kohleindustrie das Beste Beispiel dafür, dass wir mehr Planwirtschaft brauchen?