Inklusion an deutschen Schulen – die ungeliebten "Förderkinder"

Etwa 5% aller Schulkinder haben ein sogenanntes „Fördergutachten“, sind also Teil der Debatte rund um „Inklusion“ an deutschen Schulen. Während die Inklusion von rein körperlich behinderten Kindern inzwischen glücklicherweise weitgehend unstrittig ist (was nicht immer so war), sorgt die Inklusion von Kindern mit geistiger Behinderung oder emotional-sozialem Förderbedarf immer noch für erheblichen (und teils wütenden) Widerstand bei Lehrern und den Eltern „normaler“ Kinder.

Um meine Karten auf den Tisch zu legen: Ich bin Vater eines geistig schwerbehinderten Sohns, der in der 2. Klasse unserer Dorfgrundschule (250 Schüler, ziemlich progressives Schulkonzept) inklusiv beschult wird. Die weiterführenden Schulen in der Umgebung sind gegenüber Inklusion aber kritisch – für meinen Sohn wird das vermutlich im entsprechenden Alter den Wechsel an eine Förderschule bedeuten, wodurch er zwangsläufig aus der Gemeinschaft seiner Gleichaltrigen ausgeschlossen wird. Die Folgen sind erheblich: Im Förderschulsystem aufgewachsene Behinderte haben eine erheblich schlechtere Integration in den Arbeitsmarkt und sind deutlich weniger selbstständig in ihrer Lebensgestaltung.

Inklusion ist ein Menschenrecht, Deutschland hat sich in internationalen Verträgen dazu verpflichtet, behinderten Menschen die Wahrnehmung dieses Rechts zu ermöglichen. Dennoch ist der Anteil der Schüler, die Förderschulen besuchen seit Jahren praktisch unverändert, echte Inklusion ist in der deutschen Bildungslandschaft die absolute Ausnahme. In anderen Ländern (Italien, skandinavische Länder, Kanada) klappt das erheblich besser.

Ich kann nicht genug betonen, wie stark der Widerstand gegen Inklusion sowohl aus der Lehrerschaft, als auch der Elternschaft an vielen Schulen ist. Hier herrscht die Angst vor, dass durch Inklusion die Arbeitsbelastung steigt bzw. die „normalen“ Schüler leiden – was beides nicht zwangsläufig stimmt, in jedem Fall wird die Einschränkung der Rechte von behinderten Kindern aber als akzeptabler Preis für die Abwehr dieser Folgen angesehen.

Ein erhebliches Problem bei der Umsetzung von Inklusion ist in Deutschland das geteilte Schulsystem in der weiterführenden Schule. Aber die Probleme sind auch in der Grundschule schon da.

Ich würde mich sehr freuen, wenn die LdN sich dem Thema mal widmen würde. Das Hauptproblem ist nämlich eine gesellschaftliche Grundstimmung, die behinderte und förderbedürftige Menschen – auch Kinder – grundsätzlich als Problem betrachtet, dessen Lösung Bitteschön jemand anders leisten soll. Die Rechte der betroffenen Menschen und die Tatsache, dass Inklusion auch unglaublich viele Chancen für alle Kinder bietet, wird dabei völlig aus dem Blick gelassen. Und dem kann man eigentlich nur durch mediale Aufarbeitung entgegenwirken.

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Du schreibst selbst „was beides nicht zwangsläufig stimmt“. Und hier ist das Problem. Nicht das es grundsätzlich ein Problem damit gibt in der Gesellschaft. Wenn in einer Klasse 25-30 Schüler sind, dann ist hier Inklusion für eine Lehrkraft nicht machbar und ich kann verstehen wieso hier dann Lehrer und Eltern nicht begeistert sind. Und da beide keine weiteren Lehrkräfte oder Betreuer einstellen können, du als Vater aber rel. „leicht“ dein Kind auf eine Förderschule bringen kannst, ist hier für alle ausser dich und dein Kind ein leichterer Aussweg. Das liegt aber nicht daran das die Leute etwas gegen Inklusion haben. Niemand würde sich bei Klassenstärken von 10-15 Schülern mit 2 Lehrkräften/Betreuungskräften beschweren. Das du, als persönlich Betroffener, hier emotional bist kann ich vollkommen verstehen. Eltern vorzuwerfen sie hätten was gegen behinderte Kinder, wenn Sie nur das beste für Ihre eigenen Kinder in der aktuellen Lage und im Rahmen Ihrer Möglichkeiten wollen ist…neija.

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Das gleiche könntest du bei Kindern mit ADHS, Kindern, die gerne den Unterricht stören, schüchternen Kindern und anderen Kindern schreiben.
Jeder Schüler, der den standisierten Unterricht in irgendeiner Weise behindert, wird als Störfaktor empfunden.
Es ist Aufgabe der Schulen, ihre Schüler darauf vorzubereiten, dass es solche Störfaktoren gibt - in der Schule, in der Freizeit und später im Berufsleben.
Und dass diese Störfaktoren Menschen sind, die am besten gestärkt werden, wenn sie merken, dass ihre Schwächen akzeptiert sind und die Gesellschaft (in dem Fall die Klasse) bereit ist, sie dabei zu unterstützen.
Und das kann die Gesellschaft nur lernen, wenn sie damit konfrontiert wird.
Noch besser wäre die Bundesländer würden Lernhelfer zur Seite stellen. Leider ist das wieder ein Feld, wo man gerne den Rotstift ansetzt. Außerdem braucht man die Leute ja jetzt in den KiTas, Kindergärten und der Ganztagsbetreuung.

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Das ist ein sehr beliebtes Argument gegen Inklusion und es ist rundheraus falsch. Und zwar aus einfachen Gründen:

Erstens hat jedes Kind mit Fördergutachten automatisch Anspruch auf Begleitung durch eine I-Kraft (wobei die Zahl der Begleitungsstunden vom Förderbedarf abhängt). Per Definition ist ein Lehrer also nicht „allein“ mit I-Kindern.

Zweitens müssen die Kinder mit Fördergutachten ja auch auf den Förderschulen betreut und gefördert werden. Die nötigen Ressourcen sind also längst vorhanden und budgetiert. Sie werden aber wegen der Weigerung vieler Regelschulen, Inklusion umzusetzen, dort nicht abgerufen oder eingefordert.

Drittens geht diese Argumentation davon aus, dass Inklusion immer mit erheblichen Mehraufwand/Störungen einhergeht. Rechnerisch kommen auf eine Klasse mit 25 Kindern aber nur 1,3 Inklusionskinder. Ein erheblicher Teil der Inklusionskinder ist nur körperlich beeinträchtigt oder im Schulalltag völlig unauffällig. Und dann wird es immer Kinder geben, die lieber auf spezialisierte Schulen (z.B. Blindenschule) gehen. Selbst bei einer maximalen Inklusionsquote würde es also in der durchschnittlichen deutschen Klasse deutlich weniger als 1 betreuungsintensives Förderkind geben.

Ich kann dir garantieren, dass nichts am Leben einer Familie mit einem stark geistig behinderten Kind ein „leichter Ausweg“ ist. Schon gar nicht die Auseinandersetzung mit einem Schulsystem, dass auf Absonderung des eigenen Kindes abgestimmt ist und bei dem erfolgreiche Inklusion erheblichen Aufwand von Seiten der betroffenen Eltern bedeutet. Es gibt glaube ich keine anderen Eltern, die an unserer Schule ähnlich viel im Schulalltag involviert sind wie die Eltern der Inklusionskinder.

Ich werfe anderen Eltern nicht vor, dass sie etwas „gegen behinderte Kinder“ haben, sondern dass sie – ohne konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema – die Einschränkung von Rechten von behinderten Kindern als akzeptablen Preis für die Wahrung der Interessen ihrer eigenen Kinder ansehen.

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Ergänzung: Ich will damit nicht sagen, dass für Schule im Allgemein oder Inklusion im Besonderen nicht deutlich mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden sollten. Insbesondere die Zahl der Lehrkräfte sollte deutlich erhöht werden, da die Personalschlüssel aktuell z.B. Ausfall durch Schwangerschaften oder Krankentage nicht/nur unzureichend berücksichtigen.

Nach unserer Erfahrung an unserer Grundschule ist erfolgreiche Inklusion aber in erster Linie eine Frage der Bereitschaft, Schule an die Bedürfnisse von Inklusion anzupassen – was nicht bedeutet, dass Schule darum „schlechter“ wird.

Zum Beispiel ist es tatsächlich sehr herausfordernd, Inklusion im klassischen starren Klassenverband (1 Klassenlehrer steht vor der Klasse und spricht) umzusetzen. Dieses Lehrmodell geht davon aus, dass alle Kinder des selben Alters mehr oder weniger gleich behandelt werden können, was völlig unabhängig vom Förderstatus des Kindes natürlich nicht stimmt, aber insbesondere für viele Kinder mit Fördergutachten nicht funktioniert. Solche Situationen empfinden dann auch Lehrer regelmäßig als extrem belastend.

Entsprechend lebt erfolgreiche Inklusion eben auch von der Bereitschaft von Lehrern und Eltern, Schule inklusionsgerecht (aber nicht „schlechter“) zu gestalten und nicht darauf zu bestehen, dass Inklusion sich in ein Schulsystem einfügt, das dafür nicht gemacht wurde. An unserer Grundschule beispielsweise machen die Lehrer (und Schüler) gute Erfahrungen mit jahrgangsübergreifenden „Klassenteams“ mit je ca. 60 Schülern, aus denen dann je nach Fach und Kompetenzniveau unterschiedliche kleinere Lerngruppen gebildet werden.

Davon wiederum profitieren auch viele, viele andere Kinder, die kein Fördergutachten haben, die aber aus unterschiedlichen Gründen nicht in das klassische „Raster Schule“ reinpassen.

Und noch eine Ergänzung: Schüler anderer Länder mit erheblich besseren und erfolgreicheren Inklusionskonzepten (z.B. Italien, Kanada) schneiden bei beim PISA-Test regelmäßig ähnlich oder besser wie deutsche Schüler ab. Dafür, dass Inklusion sich negativ auf die Lernergebnisse von Schülern auswirkt sehe ich entsprechend auch aufgrund von internationalen Vergleichen keinen Beleg. Auch nicht für das Gegenteil (das Inklusion alle Schüler zwangsläufig besser werden lässt), es gibt da einfach keinen statistischen Zusammenhang.

Ich habe mehrfach versucht mir hier eine Meinung zu bilden und bin oftmals durch Mangel an Informationen gescheitert, zumindest wenn es um die Inklusion von Schülern mit geistigen Einschränkungen geht.

Ich habe in meinem Umfeld insgesamt 5 Kinder mit schweren geistigen Beeinträchtigungen (4x Down-Syndrom und einmal Epilepsie) aufwachsen sehen und 3 davon wurden in einem Förderzentrum beschult wo eine gezielte Förderung erfolgt ist. in zwei der 3 Fällen konnte ich teils Aufgaben sehen die diese Kinder als Hausaufgabe hatten oder habe auch mal eine Hausaufgabe gemeinsam mit denen gemacht. Diese Aufgaben waren ja sehr daran orientiert diese Kinder bestmöglich für ein möglichst selbstständiges Absolvieren ihres Alltags fit zu machen. Bei einem wurden laut Erklärung auch Aufgaben gemacht bei denen bestimmte Areale des Hirns gefordert werden sollen um eine möglichst positive Entwicklung zu Unterstützen.

Eine solch gezielte Förderung kann aber ja in einer Regelschule nicht in dem Ausmaß erfolgen.

Reden wir aber überhaupt über solche schwere Fälle wo eine gezielte Förderung wichtig ist oder reden wir über Menschen mit weit weniger Einschränkungen?

Wo soll ein Kind nach der Grundschule inklusiv beschult werden? Wäre dann die Mittelschule der passende Ort, weil dort der Stoff weniger komplex ist oder gibt es andere Sichtweisen?
Für mich erschließt sich mit meiner Vorstellung erstmal der Sinn nicht einen Schüler der schon das Grundschulwissen nicht beherrscht auf einem Gymnasium zu beschulen. Das wäre ja dann in den meisten Fächern einfach nur eine Anwesenheit. Oder gibt es Gründe dafür die ich nicht auf dem Schirm habe.

Ich bin relativ sicher, dass ein inklusives Ganztagsschulsystem, eine Schule für alle mit einer großen Zahl an Lehrkräften, Sozialarbeitern, Lernbegleitern, übergreifende Klassen etc. das Beste für die Schüler:innen und für unsere Gesellschaft wären. Growth Mindset. Lernen macht Spaß. Verantwortung auch für andere, Diversität ganz "normal ", Autonomie, Wertschätzung, Beziehungsarbeit L-S, Lehrer:innen als Lernbegleiter etc.

Die Unterfinanzierung des Bildungssystems, der Möchtegern-Förderalismus der Länder und der Lobbyismus für das Gymnasium werden diesen Fortschritt zu verhindern wissen.

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Ich möchte verweisen auf

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Vorab: ich kann hier nichts aus eigener Erfahrung beitragen, sondern nur aus meiner Sichtweise als Lehrerkind.

Das Recht auf Inklusion ist zwar schön und gut, aber von staatlicher Seite werden nicht einmal ansatzweise ausreichend Resourcen zur Verfügung gestellt. Im Ergebnis müssen dann Lehrer, dene je nach Alter vielleicht eine solche spezielle Bedeutung während des Studiums gar nicht untergekommen ist, eine Zusatzbetreuung leisten, die mit viel zu wenigen Stunden von Inklusionshelfern unterstützt werden. Wenn die denn kommen, und außerhalb der zugewiesenen Unterstützung brauchen die I-Kinder dann keine Extrabetreuung? Wohl kaum.

Dazu kommen dann, auch je nach Schultyp unterschiedlich häufig, noch Problemfälle die nicht offiziell Inklusionsbedarf haben, aber trotzdem ein Übermaß an ohnehin schon knapper Aufmerksamkeit und Zeit der Lehrer binden.

Ich möchte das nicht als Ablehnung von Inklusion verstanden wissen, aber bevor es hier vorangehen kann muss sich ganz klar der Staat bewegen und massiv Personal aufstocken, denn viele Lehrer sind jetzt schon an der Grenze ihrer Leidens- und Leistungsfähigkeit oder sogar darüber hinaus.

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Empfehlung: Raul Krauthausen

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Für Alle? Also wirklich für ausnahmslos alle?

Ich frage mich in Anbetracht der Tatsache, dass ich eben mitbekommen habe, dass die Eltern der Kinder die in einem speziellen Förderzentrum beschult wurden sehr zufrieden waren. Eine solche Förderung durch Fachkräfte wäre ja dezentral gar nicht machbar. Denn die entsprechenden Fachkräfte sind ja auch in ihrer Zahl begrenzt.

Was nützt es, wenn sich ein Jugendlicher mit schwerer geistiger Behinderung dann in einer Stunde sitzt in der der Versailler Vertrag durchgenommen wird. Oder würde eine Förderkraft dann einfach einen parallelen Unterricht machen?

Oder reden wir eben doch nicht über Alle sondern eher über Fälle die einem Unterricht weitestgehend Folgen können, auch wenn sie vielleicht nicht in der Lage sind das alles auch wieder zu reproduzieren?

Edit: Tatsächlich ist diese Differenzierung bereits ein Punkt in dem ich mir schwer tun mir eine Meinung zu bilden. Kanada wird als Vorbild genannt, aber auch dort gibt es ja spezielle Förderzentren.

Sowohl als auch. Aktuell werden nur extrem wenige Kinder mit Fördergutachten Inklusiv beschult, das betrifft auch solche mit nur geringen geistigen Einschränkungen.

Das ist falsch, bzw. trifft nur auf Regelschulen zu, die darauf bestehen, dass Inklusion bedeutet „wir machen alles so wie sonst auch, aber es sitzt eben noch ein Kind mit Fördergutachten im Klassenraum“. Regelschulen müssen sich natürlich verändern, um Inklusion gut machen zu können. Das fängt bei der Einstellung des Lehrpersonals an und schließt Lehrmethoden, Unterrichtsgestaltung und Lehrmittel ein. Das für Kinder mit Fördergutachten spezifische Förderpläne erstellt werden, ist (sollte) jetzt ohnehin schon Standard auch an Regelschulen sein, genauso wie die Ausarbeitung und Begleitung dieser Förderpläne durch Förderlehrer.

Das Problem ist, dass auch „normale“ Kinder in der Schule viele Dinge nicht als Aufgabe im Unterricht erlernen, sondern sich durch ihre Einbindung in ein soziales Gefüge „nebenbei“ aneignen. Dieser Effekt entfällt auf einer Förderschule praktisch völlig, denn dort bewegen sich die Kinder ja in einem sehr explizit gestalteten „Sonder“-Kontext, praktisch ohne Kontakt zu „normalen“ Gleichaltrigen.

Um es mal drastisch auszudrücken: In den USA wurde auch lange behauptet, dass die Absonderung schwarzer Kinder in ein separates Schulsystem „separate but equal“ sei. Das ist natürlich quatsch. „Gleichwertig“ kann nur eine Schulbildung sein, die zusammen stattfindet.

Das schließt natürlich nicht aus, dass Kinder auch auf Förderschulen glücklich sein können und soll nicht in Frage stellen, dass das dortige Personal nicht auch motiviert und kompetent ist. Aber eine „normale“ soziale Umgebung können sie nicht simulieren.

Grundsätzlich ist das „geteilte“ Schulsystem pädagogisch ziemlich überholt, viele Länder mit gemeinsamer Beschulung bis zur 10. Klasse schneiden bei Pisa deutlich besser ab als Deutschland. Wenn man das Gymnasium aber unbedingt erhalten möchte, wären auf Inklusion ausgerichtete Gesamtschulen sicherlich die zweitbeste Lösung.

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„Das Recht auf die Adoption von Kindern durch Homosexuelle ist zwar schön und gut, aber von staatlicher Stelle werden nicht einmal ansatzweise ausreichend Ressourcen für die Versorgung von Kindern heterosexueller Paare bereitgestellt.“ → ein Recht ist ein Recht, da sollte man behinderte und gesunde Kinder nicht gegeneinander ausspielen.

Wir verlangen auch von anderen Berufstätigen „mit der Zeit“ zu gehen. Wie ich schon oben beschrieben habe sehe auch ich den Bedarf an erheblich mehr Ressourcen für Schulen, einschließlich Lehrer. Aber an unserer Grundschule wird sehr gut deutlich, dass man sehr viel schon mit den heutigen Ressourcen (für alle Schüler) verbessern könnte, wenn man bereit ist, ein paar „alte Gewissheiten“ über Bord zu werfen und sich mehr auf die individuellen Bedürfnisse aller Schüler einzulassen.

Das ist wirklich kein guter Grund, Kindern mit Behinderung ein Grundrecht zu verweigern. Hier sehe ich übrigens bei konsequenter Ermöglichung von Inklusion auch große Chancen: indem wir von der Vorstellung eines „normalen“ Kindes im Schulalltag weg kommen, machen wir den (gedanklichen) Raum frei für die Wahrnehmung von Kindern als Individuen, die alle auf unterschiedliche Weise förderbedürftig sind. Das wir Kinder in Kategorien einteilen ist eine politisch-gesellschaftliche Entscheidung, kein Naturgesetz. Gerade bei der Einbindung „schwieriger“ Kinder ohne formales Fördergutachten steht die Erwartung, dass „normale“ Kinder sich „normal“ entwickeln sollten einer frühen Erkennung und Bearbeitung der Herausforderungen durch Lehrer und Eltern oft im Weg.

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Diese Auffassung habe ich auch, aber dieses System haben wir nunmal und in einigen Bundesländern ist es utopisch, dass sich daran etwas kurz- bis mittelfristig ändert, z.B. in Bayern.

Das verstehe ich. Da teile ich auch die Kritik, dass viel zu wenig gemacht wird.

Aber wie sieht das im speziellen aus? In dem Beispiel das ich sehr gut kenne waren viele Aufgaben z.B. zwar an ein Fach gebunden, aber da hat dann halt ein 15-jähriger Ausgeschnittene Bilder in ein Kästchen geklebt. Ich habe die Mutter gefragt warum hier Aufgaben aus dem Kindergarten gemacht werden und die Erklärung erhalten, dass die vielen Einklebeaufgaben Teil des Trainings der motorischen Fähigkeiten sind. Da genau dies unheimlich wichtig ist auch um im Alltag möglichst viel machen zu können.

Wir reden hier natürlich über einen ausgeprägten Fall der auch als Erwachsener nicht mal im Ansatz Lesen oder gar Schreiben kann, der nicht Rechnen kann und mit dem nur extrem einfache Unterhaltungen möglich sind.

Außerhalb der Schule war der mit seinem Bruder und den Eltern in verschiedenen Sportvereinen fester Bestandteil der Gesellschaft. Es mangelte also nicht an Kontakt zur restlichen Welt, sowohl zu gleichaltrigen als auch zu älteren und jüngeren. Da kenne ich tatsächlich Fälle wo das nicht so war.

Als nicht selbst betroffener stelle ich mir halt die Frage ob Kinder und Jugendliche bei denen wirklich Basisfähigkeiten (z.B. selbstständig Essen mit Besteck) erst im Rahmen einer gezielten Förderung im Jugendalter erlernt werden konnten auf einer Regelschule mit Förderkraft besser aufgehoben wären.

Wäre nicht z.B. eine Förderschule die in Gemeinschaft mit einer Regelschule aufgebaut ist und bei der gezielt bestimmte Stunden gemeinsam gemacht werden (z.B. Kunst und Sport) und auch sonst Aktivitäten zusammen erfolgen nicht ein sinnvoller Schritt um verschiedene Aspekte zu kombinieren?

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Das ist in fast allen Ländern weltweit die Normalität: Gesamtschule bis zur 10. Klasse. Deutschland geht da einen ziemlichen Sonderweg.

Genauso wie es auch viele Eltern gibt, die an Regelschulen sehr zufrieden sind. Und zwar unabhängig davon, ob es sich um behinderte oder gesunde Kinder handelt. De Facto wird aber nur den Eltern von behinderten Kindern im Moment die Wahlmöglichkeit abgesprochen, eine freie Entscheidung über die Beschulung ihrer Kinder zu treffen, denn die Regelschulen sind oft einfach nicht bereit Inklusion zu betreiben.

Das stimmt nicht, siehe oben. Mal davon abgesehen, dass es andere Länder (mit insgesamt besseren Schulsystemen) gibt, die das Konzept der „Förderschule“ so gar nicht kennen. Die schaffen das ja auch irgendwie.

Doch wir reden über alle, auch den geistig schwerbehinderten, nonverbalen Jungen mit starker Entwicklungsverzögerung wie meinen Sohn. Auch der sollte die Möglichkeit haben, mit den Kindern aus seiner Nachbarschaft auf die selbe Schule zu gehen und nicht mit Erreichen irgendeines arbiträren Alters (ab dem sich keine Bildungseinrichtung mehr findet, die ihn haben möchte) in ein separates, von der allgemeinen Bevölkerung segregiertes System abgeschoben werden.

Darum wäre es ja so wichtig, wenn sich Medien wie die LdN mit solchen Themen eingehend befassen.

Um das mal an unserem Fall konkret zu machen: wir setzen uns regelmäßig mit der für meinen Sohn (und diverse andere Kinder in mehreren Klassen) zuständigen Förderlehrerin und I-Kraft zusammen und reden über die bisherigen Lernfortschritte (z.B. kann mein Sohn jetzt Zahlen im Raum 1-10 erkennen) und welche Lernziele gesetzt werden sollen (z.B. die Zuordnung dieser Zahlen zu Mengen im realen Leben bzw. Augen auf dem Würfel usw.).

Dazu erarbeitet dann die Förderlehrerin entsprechende Lernmaterialien (bei meinem Sohn sowohl praktisch, als auch digital) und bespricht die mit den Lehrkräften und der I-Kraft. Die begleiten meinen Sohn dann bei der Umsetzung, genauso wie sie das mit den anderen („normalen“ und Fördergutachten-) Kindern tun, die auch alle mehr oder weniger individuelle Lernziele haben.

Das ist alles kein Hexenwerk, verlangt aber natürlich ein anderes Maß an Kooperation und Koordination zwischen Lehrern, als das an vielen Schulen „Tradition“ ist.

Das finde ich super, aber das ändert doch nichts daran, dass die Schule ein elementarer sozialer Raum im Leben eines Kindes ist. Zumal Kinder immer mehr Zeit in der Schule verbringen und spätestens im Ganztag auch ein erheblicher Teil der Freizeitgestaltung dort stattfindet.

Erstmal sind das die Ausnahmen unter den Ausnahmen. Und dann ist diese Art der Förderung selbst in den meisten „Extremfällen“ ohne Probleme durch nicht besonders geschultes Personal durchführbar. An der (inklusiven) Kita die mein Sohn besucht hat haben diese Dinge (außerhalb der spezifischen Therpiestunden) durchaus auch FSJler gemacht.

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Ich rede nicht von der überall vorhandenen Förderschule, sondern von speziellen Förderzentren. Ich habe hier natürlich auch nicht viel internationalen Einblick, kann aber zumindest für Kanada sagen, dass es solche dort vor 15 Jahren auch gab, weil die Frau eines Bekannten in einem solchen gearbeitet hat.

Bei der normalen Förderschule habe ich auch den Eindruck, dass dort einfach nur schwierige Fälle verschiedener Ausprägung (von Lernschwäche bis schwere geistige Behinderung) gesammelt werden und eine individuelle Förderung findet kaum statt. Einziger Vorteil sind weniger Schüler pro Lehrer.

Abschieben klingt hart und trifft es in meinen Augen in der Abwägung zumindest bei den mir bekannten Fällen auch nicht, wenn es sicher auch Fälle gibt wo der Begriff angebracht ist. Im Falle des mir persönlich sehr engen Bekannten war es so, dass es von Seiten der Ärzte hieß die Förderung im Jugendalter wäre entscheidend darüber ob es über kurz oder lang möglich wäre in einer betreuten Wohngruppe zu wohnen oder ob es, wenn er irgendwann nicht mehr bei den Eltern wohnen kann, auf Pflegeheim hinausläuft.

Und da bin ich mir einfach sicher, dass speziell geschulte Kräfte in einem Zentrum, welches sich auf solche Kinder und Jugendliche spezialisiert einfach besser ausgebildet sein können als Förderkräfte an Regelschulen die hier einen Blinden unterstützen, dort einen Rollstuhlfahrer und als nächstes dann den Fall des schwer behinderten Epileptikers.

Ich bin ja durchaus dafür offen, dass man mir sagt das mache in der Förderung keinen Unterschied, aber ich kann es mir mit meinem heutigen Wissen nicht vorstellen.

Gleiches Gilt für Blindenschulen. Natürlich kann ein Unterricht der nur auf Menschen mit Sehbehinderung ausgerichtet ist besser vorbereitet sein als der Unterricht bei dem ein Lehrer neben den anderen Schülern eben auch einen sehbehinderten drin hat.
Da muss man halt dann auch abwägen ob man lieber den besseren Unterricht haben will oder die Regelschule. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass es Möglich ist das Niveau für diese Schüler auch auf einer Regelschule auf das Niveau einer spezialisierten Schule zu heben.

Diese können ja gar nicht in der Breite angeboten werden. Und meinen Sohn jeden Tag drei Stunden mit dem Bus durch die Gegend zu gondeln ist sowohl von den Kosten, als auch der verlorenen Lebensqualität her völlig unangemessen (auch wenn es sicherlich seltene Einzelfälle gibt, in deren Fall eine Beschulung an einem extrem spezialisierten Förderzentrum sinnvoll sein kann).

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Das beschreibt meinen Sohn sehr gut und bei dem fühlen wir uns an der Regelschule sehr gut betreut und er hat extrem viel Spaß.

Im übrigen ist an Förderschulen- und Zentren dann das Spektrum der dort vorhandenen Behinderungen und Förderbarfe notwendigerweise extrem. Bei allem Vertrauen in das Engagement und die Kompetenz des Personals dort, wird es auch denen nicht leicht fallen, allen Kindern gerecht zu werden.

Würden Förderkinder stattdessen gleichmäßig über die Regelschulen verteilt werden, wären das eine Handvoll Schüler pro Schule (ca. 1,3 pro Klasse bei 100% Inklusionsquote), viele davon mit verhältnismäßig niedrigem Förderbedarf oder rein körperlichen Einschränkungen. Warum sollte es nicht möglich sein, für diese Schüler mit den heute an Förderschulen eingesetzten Ressourcen jeweils individuelle Förderpläne auszuarbeiten und umzusetzen? Bei uns an der Grundschule wird z.B. Logopädie und Ergotherapie durch selbständige Therapeuten während der (Ganztags-)Schulzeit im Schulgebäude angeboten und das nehmen auch viele Kinder ohne Fördergutachten in Anspruch.

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