Haltungen und Strategien zu Russland/Ukrainekrieg

Hier mal die Sammlung und Fortführung der Thematik aus dem BSW Thread.

(Offtopic, bei Bedarf auslagern?)

Es sollte zum einen um eine europäische Sicherheitsordnung und zum anderen um ein Abbremsen der Eskalationsspirale im russich-ukrainischen Krieg bzw. Russland-NATO-Konflikt gehen. Ein Frieden zwischen Russland und der Ukraine ist dabei nur ein Teilaspekt.

Mir ist kein ernsthafter Friedensplan bekannt, weder vom BSW noch von AfD noch von irgendeinem anderen nationalen oder internationalen Akteur.

Warum sollte er? Ist nicht seit Sommer 2022 klar, dass für Russland Friedensverhandlungen frühstens nach der US-Wahl 2024 oder Bundestagswahl 2025 (jeweils potentieller Rückgang im Machtzentrum der beiden stärksten Unterstützer der Ukraine) Sinn ergeben werden?

Zur Einordnung und Anbindung an den Thread: In sicherheitspolitischen Fragen sehe ich mich der SPD (und insbesondere Rolf Mützenich) am nächsten. Die Forderung des BSW, keine Waffen zu liefern, lehne ich ab. Allerdings empfinde ich die ungezügelte Kriegsrhetorik von Teilen der Grünen, FDP und CDU nur als marginal weniger problematisch. Dadurch dass sich das BSW diesen Stimmen ähnlich lautstark entgegenstellt, können die gemäßigteren Kräfte (insbesondere die SPD) im Stillen ein nachhaltige Lösung sondieren.

Ergänzung: Ich sehe in der innerdeutschen Ukraine-Debatte drei Lager

  1. Russland muss verlieren (Grüne, FDP, CDU)
  2. Die Ukraine soll nicht verlieren (SPD)
  3. Deutschland soll sich heraushalten (AfD, BSW)

Die beiden extremen Positionen (1 und 3) dominieren und polarisieren den Debattenraum. Insbesondere sehen beide die gemäßigtere Position 2 als Debattengegner und versuchen diese Position zu diskreditieren.

Hier im Lageforum scheint Position 1 zu dominieren und in dieser Echokammer wird sich regelmäßig beigepflichtet, dass Position 3 schlecht ist (wie ja auch dieser Thread-Titel vorwegnimmt). Ich würde mir eine ähnlich kritische Auseinandersetzung mit Position 1 wünschen, habe aber nach 3,5 Jahren TdN-Erfahrung meine Erwartungen heruntergeschraubt. :wink:

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Wir sind uns da inhaltlich weitgehend einig.

Die empfundene Polemik gegenüber der BSW resultiert aber wohl schon aus der Rhetorik des BSW zum Thema Frieden, aber ohne wirklich einen Plan oder Vorschlag zu haben.

Mir ist eine Verhandlungslösung wie wohl allen hier auch am liebsten.

Allerdings hab ich aktuell keine Vorstellung wie das mit Russland gehen soll.

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Zentral ist hier aus meiner Sicht der Unterschied zwischen dem was sein sollte - nämlich Überlegungen zu einer nachhaltigen Sicherheitsarchitektur in Europa - und dem was tatsächlich ist - nämlich dem Geraune über „Frieden“ seitens BSW und AfD. In diesem Zusammenhang finde ich auch den Begriff „Eskalationsspirale“ völlig fehl am Platz, weil er suggeriert, dass es eine Gewaltdynamik gibt, die sich entweder unabhängig von den konkreten Akteuren vollzieht oder in der die verschiedenen Akteure (hier Russland, die Ukraine und die NATO bzw. ihre Mitgliedsstaaten) gleiche Anteile haben. Der Begriff passt m. E. besser in das von @Mike beschriebene Argumentationsmuster, das von der Eindeutigkeit des russischen Angriffs nichts wissen will.

Mir auch nicht. In einer solchen Situation durch Parolen und Wahlplakate zu suggeriern, man selbst stehe für „Frieden“, andere aber für „Krieg“, ist dann aber purer Populismus. An diesem Punkt gab es beim Europawahlkampf nur sehr minimale Unterschiede zwischen AfD, BSW und SPD.

Nur würde ich sagen, dass der Mützenich-Flügel der SPD eben nicht für Frieden im Sinne einer nachhaltigen Sicherheitsarchitektur steht (die auch die revisionistische Politik Russlands miteinbeziehen und adäquat auf diese reagieren müsste), sondern mit seinem Vorhaben, den Konflikt „einzufrieren“, eher für eine Wiederherstellung des status quo antes vor 2022 abzielt. Gerade aus diesen Kreisen der SPD habe ich bisher verdammt wenig (Selbst-)Kritik am bis dato praktizierten Appeasement gegenüber Russland gehört.

Magst du konkretisieren, was du mit „ungezügelter Kriegsrhetorik“ meinst? So klingt es für mich etwas wie in dem Post von @ARG

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Magst du nochmal erläutern, warum du die Position, dass der Angriff Russlands nicht erfolgreich sein soll (1) genauso kritikwürdig findest wie die Forderung, die Ukraine gegen diesen Angriff nicht mehr militärisch zu unterstützen (3)? Oder habe ich da deine Kategorisierung als „extreme Positionen“ überinterpretiert?

Und ich wäre auch ehrlich interessiert zu erfahren, was deine Interpretation von „Die Ukraine soll nicht verlieren“ ist. Das kann ja alles Mögliche heißen - angefangen von „die vollständige Verwirklichung der russischen Kriegsziele vom Februar 2022 muss verhindert werden“ über „es soll weiterhin einen formal unabhängigen Staat Ukraine geben“ über „die territoriale Integrität der Ukraine muss wiederhergestellt werden“ bis zu „alle Nachteile die die Ukraine aufgrund des Krieges erlitten hatt, müssen kompensiert werden (sofern das überhaupt geht)“.

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Ich würde auch nicht sagen, dass die Akteure gleiche Anteile haben, aber wenn Macron sich die Option offen halten will NATO-Truppen in die Ukraine zu schicken stellt das sehr wohl ein Eskalationspotential dar, genauso wie das Einsetzen von westlichen Waffen gegen Ziele auf russischem Boden oder die Stationierung von Langstreckenraketen in Deutschland. Und ich bin nicht der Meinung, dass es für eine „Eskalationsspirale“ notwendig ist, dass alle Akteure in gleichem Maße eskalieren. Wobei ich NATO-Truppen, die aktiv gegen russische Truppen kämpfen tatsächlich eine relativ krasse Eskalation fände, die wahrscheinlich wieder mit der nächsten und in dem Fall auch letzten Eskalation beantwortet werden würde: Atomschlag.

Deswegen bin ich auch vollkommen dafür die Ukraine weiterhin dabei zu Unterstützen sich gegen Russland zu verteidigen, aber bitte nicht mit NATO-Einsatz in der Ukraine selbst.

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Ahja, „das Völkerrecht soll gelten“ als Extremposition…

Kannst du mir dafür Beispiele geben?

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Unter Eskalationsspirale verstehe ich ein wechselseitiges, abwechselndes Reagieren auf die andere Seite, falls diese eine „rote Linie“ überschreitet (siehe Eskalationsdominanz, wo sie Eskalationsleiter genannt wird). Mit jeder „roten Linie“, die überschritten wird, kommen wir einer Ausweitung des Konflikt oder dem Einsatz von Kernwaffen näher. Ich gehe davon aus, dass die Diplomaten bzw. Militärs beider Seiten sich gegenseitig über die wirklichen roten Linien (nicht die veröffentlichten) sowie die nächsten Eskalationsoptionen informieren und beide Seiten versuchen, diese Eskalation möglichst langsam zu halten.

Ich beziehe mich insbesondere auf Aussagen aus 2022, ich habe sie allerdings nicht festgehalten und eine Revision wäre recht aufwändig. Beispielsweise denke man an die Aussagen von Frau Strack-Zimmermann und Herrn Roderich nach der Nord-Stream-Sabotage, oder dass Frau Baerbock bei der Karnevalrede Witze über Leopard-Panzer-Lieferungen gemacht hat, oder der Versuch andere Stimmen pauschal als „Friedensschwurbler“ oder „Putinversteher“ zu diskreditieren. Baerbocks Positionierung: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“, war sicherlich auch kein Versehen.

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Ist es nicht auch sehr polemisch von Sahra Wagenknecht zu sagen, wir müssen die Unterstützung der Ukraine sofort beenden, damit sie zu Verhandlungen mit Russland gezwungen wird, was einer Kapitulation gleich kommt?

Ich glaube auch nicht das ein dauerhaftes Nachschieben von Waffen einen nachhaltigen Frieden ermöglicht.
Doch welche Optionen gibt es tatsächlich?

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„dass der Angriff Russlands nicht erfolgreich sein soll“ verstehe ich als Position 2. Unter Position 1 verstehe ich die alternativlose Strategie mit rein militärischen Mitteln (+ Sanktionen etc., aber ohne Diplomatie) mindestens den Status quo vor 2022 wiederherzustellen (eventuell auch ausgeweitet auf die Krim sowie Reparationszahlungen etc.). Befürworter dieser Strategie haben entweder keinen Plan, was passiert, wenn der Ukraine irgendwann die Soldaten ausgehen oder sie sehen dann den aktiven Eintritt der NATO in den Krieg vor.

Die absolute Mindestanforderungen wäre, dass die Ukraine mit einem substanziellen Staatsgebiet weiter bestehen wird. Auch sollte eine Vassalenschaft unter Russland vermieden werden.

Die Frage wäre ja erstmal, ob sich Russland damit mittelfristig zufrieden gibt. Putin hat sich ja klar zum Existenzrecht der Ukraine geäußert, es gibt keine Anzeichen das er davon abweicht.
Was auch das BSW völlig ausblendet

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Ich denke, Russland gibt sich langfristig nur mit einer neuen europäischen bzw. globalen Sicherheitsordnung zufrieden (gemeinsam ausgehandelt mit der NATO bzw. EU bzw. UNO im Sinne des Wiener Kongresses).

Ich denke, Russlands einzige unverhandelbaren Bedingungen sind ein Beitritt der Ukraine in die EU oder NATO sowie die Krim (außer Russland wird selbst Teil der EU oder der NATO).

Ein „Einfrieren“ ist allerdings gerade keine solche Wiederherstellung, sondern bedeutet einen erheblichen territorialen Verlust für die Ukraine und umgekehrt einen militärischen Erfolg für Russland, der das Vorgehen mindestens honoriert und vermutlich einen neuen Ausgangspunkt definiert, von dem aus neue Versuche gestartet werden können. Der „Friedenspolitiker“ Mützenich belohnt militärische Aggression im Sinne von „was du dir schnell genug greifen kannst darfst du behalten“.

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In Putins Vorstellung würde dies ein Europa mit Russland als bestimmender Ordnungsmacht bedeuten.

Zudem kann sich eine „besetzte“ Ukraine ohne Sicherheitsgarantien (die Russland niemals zulassen wird) keiner friedlichen Zukunft sicher sein.

All das gibt dem Wort „Friedensverhandlungen“ immer eine negative Note

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Spekulation. Die wirtschaftlichen und demographischen Zahlen sprechen dagegen. Da wäre die Rolle als Partner auf Augenhöhe der EU schon ein realistischerer Wunsch.

Die Neutralität Belgiens aus dem Londoner Protokoll 1839 könnte als Beispiel dienen, die bis 1914 gehalten hat (und auch „nur“ deswegen gebrochen wurde, weil deutsche Truppen durchmarschieren wollten, nicht primär um Belgien selbst zu unterwerfen).

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Da spielt viel Hoffnung und Spekulation mit.

Hoffnung ist ja gut, aber kann die Ukraine (und Europa) darauf setzen?

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Ich verstehe den Maßstab nicht so ganz. Völkerrechtlich ist ja keiner der drei Punkte problematisch. De facto bedeutes das dann, dass man Russland rote Linien definieren lässt und deren Überschreitung dann als „Eskalationspotenzial“ ansieht. Es mag ja sein, dass es entsprechende Befürchtungen gibt. Aber die Erfahrungen zeigen ja, dass entsprechende Drohungen von Seiten Russlands nach einer ganz anderen Logik funktionieren als die tatsächlichen Reaktionen Russlands, wenn diese roten Linien dann tatsächlich überschritten werden. Im Februar 2022 hat Putin noch gewarnt, dass jegliche Unterstützung für die Ukraine fatale Folgen haben würde. So ging es dann weiter, bei fast jedem neuen Waffensystem, über dessen Lieferung ewig lang diskutiert wurde. Und als es der Ukraine im Sommer nach wochenlanger Bombardierung Charkiws endlich gestattet wurde, diese Angriffe auch jenseits der Grenze zu unterbinden, war das Ergebnis keine Eskalation, sondern weniger Angriffe.

Ich finde solch ein Szenario weder realistisch, noch wünschenswert, aber die Einschätzung, dass ein Atomkrieg dann „wahrscheinlich“ wäre, teile ich ebenfalls nicht. Was würde Russland denn dadurch gewinnen?

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Wirtschaftlich ist Russland ungefähr auf Augenhöhe mit den BeNeLux-Staaten, nicht mit der EU.

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Das hat aber mit der Position der SPD und insbesondere Mützenichs nichts zu tun, wie @Eule richtig anmerkt. Die hat ja schon den Angriff Russlands 2014 positiv sanktioniert, etwa durch die enorme politische Unterstützung für die NordStream-Pipelines. Und die territorialen Verluste der Ukraine, die immense Zerstörung durch russische Angriffe, die unzähligen Toten, Verwundeten und Traumatisierten, die Lähmung der ukrainischen Wirtschaft etc. pp. - all das sind doch aus russischer Sicht enorme Erfolge. Oder definierst du „Erfolg“ nur als Erreichung des Maximalziels des Kreml?

Ich tue mich schwer damit, „verlieren“ nicht relativ, sondern absolut zu verstehen. Wenn ein Land ohne eigenes Verschulden so hohe Verluste erleidet (siehe oben), kann man doch nicht davon sprechen, es habe „nicht verloren“.

Die Position, die Russland Ende 2021 kommunizierte, war: Verhandlungen nur mit den USA (Europa spielt keine Rolle, die UN sowieso nicht), komplette Rückabwicklung der NATO-Osterweiterung, de facto Aufteilung von Einflusspären in Europa zwischen Russland und den USA. Da finde ich den Begriff „Sicherheitsordnung“ etwas euphemistisch. Und ich sehe kein Anzeichen dafür, dass Russland inzwischen eine moderatere Haltung vertritt - ganz im Gegenteil. Im russischen Staatsfernsehen ist regelmäßig von Atomraktenangriffen auf Berlin, Paris und London die Rede. Auch der Stand der Friedensverhandlungen im Frühjahr 2022 (siehe hier spricht eine völlig andere Sprache.

Und das ist einfach none of their business. Russland hat kein Vetorecht bei der Mitgliedschaft in EU oder NATO. Das hat im Übrigen selbst Putin mal explizit bestätigt. Und die Krim ist ukrainisches Staatsgebiet, auch das hat Russland mehrfach anerkannt und sich sogar vertraglich verpflichtet, diesen Zustand abzusichern.

Nein, das sind von Russland klar kommunizierte Ziele, s. o. Spekulation ist aus meiner Sicht eher der Wunsch Putins nach „Augenhöhe“ mit der EU. Wenn überhaupt, sucht er Augenhöhe mit den USA.

Eben: Die „Neutralität“ der Ukraine würde genau solange bestehen, wie es Russland gelegen kommt. Denn Sicherheitsgarantien ist es nicht bereit zuzulassen, wie die Verhandlungen von 2022 gezeigt haben.

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Genau. Und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen, demographischen, geographischen, militärischen, etc. Aspekte ist damit vielleicht noch „auf Augenhöhe“ als „Wunsch“ drin. Vor einer „bestimmenden Ordnungsmacht“ müssen wir also nicht ausgehen.