Gewerkschaften, Mobilitätswende, Streik

Als ich gestern Abend zum xten Mal wegen der Unzuverlässigkeit der Bahn doch nicht in die Sporthalle fahren konnte, und dabei mir zusätzlich zu den „Zugverkehr ist derzeit unterbrochen“ Ansagen auch die „wir streiken bald wieder“ Ansagen anhören musste, hab ich mich gefragt… es muss doch nen besseren Weg geben als Streiks, oder?

Wir wissen ja, um die Klimaziele zu erreichen, müssen nicht nur Verbrenner gegen E-Autos getauscht werden, sondern dass weniger Auto überhaupt gefahren werden muss. Das heißt, dass Bahnfahren attraktiver werden muss, punkt. Aber für Mobilitätsoptionen ist Planbarkeit das A und O, und die Unzuverlässigkeit der Bahn, zu der die Streiks auch beitragen, macht die Öffis auch so unattraktiv dass man sich Alternativen zu Alternativen suchen muss. Eine persönliche Anekdote: nach zwei Jahren in San Francisco hab ich mein Auto abgegeben, weil ich es nicht mehr brauchte, und war 6 Jahre mit dieser Entscheidung sehr glücklich. Nach zwei Jahren in Berlin, überleg ich mir ein Fahrzeug zu kaufen, um mit der Unzuverlässigkeit der Öffis umzugehen. Wie kann es denn sein, dass eine Stadt in ausgerechnet den USA es einfacher macht, ohne Auto zu leben, als Berlin?

Und wenn in der nahen Zukunft es viel mehr Personen wie ich geben soll, die keine andere Mobilitätsoptionen haben als die Bahn… Wenn zB Pflegekraft wegen einen Bahnstreiks nicht ins Krankenhaus fahren kann… da könnte ich mir vorstellen, dass die Bahnstreiks einfach verboten werden würden. Solche Diskussionen finden ja heute schon statt.

Streiks funktionieren indem sie eine asymmetrische Macht ans Führungspersonal des Unternehmens ausüben. Solche alternativen Konzepte wie „Fahrkarten werden nicht mehr kontrolliert“ gibt es ja, aber die haben auch ihre Probleme. Es muss doch andere Wege geben, die den Mitarbeiter:innen eines Unternehmens solch eine kollektive Macht geben könnten, ohne dass sie die breite Gesellschaft mit in den Stillstand ziehen.

Ein Beispiel wäre, den Gewerkschaften die Macht zu geben, das ganze Unternehmen (und damit auch das Führungspersonal) zu zwingen, auf ihre Gehälter usw zu verzichten, bis die Verhandlungen erfolgreich durch sind. Also, Streikkassen wären immer noch notwendig, und würden weiterhin den maximalen Zeitraum eines „Streiks“ bestimmen, aber die Führungskraft bei der Bahn bekäme keine Gehalte, keine Stock Options, keine Boni, kein gar nix, bis die Verhandlungen durch sind. Was für andere kreative Lösungen könnte es in diesem Bereich geben?

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Weil die USA ein sehr diverses Land sind und Kalifornien auf der Skala das progressivste Bundesland und San Francisco in Kalifornien vermutlich die progressivste Großstadt ist :wink:

Das Streikrecht kann generell eingeschränkt werden, wenn durch einen Streik die Daseinsvorsorge gefährdet ist. Das wird aktuell bei Bahnstreiks nicht angenommen, aber es gibt gute Argumente, das anders zu bewerten und die Bahn bzw. die Gewerkschaften zu verpflichten, im Streikfall einen Grundbetrieb (z.B. mit reduzierter Taktung) sicherzustellen.

Die ganze Diskussion dazu wurde auch in juristischen Fachmedien mehrfach durchgekaut, z.B. in diesem Artikel der LTO.

Tatsächlich ist es ein Problem, dass gerade längere Bahnstreiks (aber auch die ständigen Warnstreiks) den ÖPNV gegenüber dem Auto deutlich unattraktiver machen, vor allem, weil arbeitsrechtlich ein Streik Problem des Arbeitnehmers ist, daher: Die Arbeitgeber können sagen: „Mir doch egal, wie du zur Arbeit kommst, aber du bist verpflichtet, zu kommen!“. Diese Situation ist definitiv kontraproduktiv für die Mobilitätswende.

Das Problem ist, dass das dann kein Streik mehr wäre. Ein Streik zeichnet sich ja eigentlich dadurch aus, dass der Staat sich aus der Sache weitestgehend raushält - die Arbeitnehmer enthalten dem Arbeitgeber kollektiv ihre Arbeitskraft vor, sodass sie dadurch Druck auf den Arbeitgeber ausüben. Der Staat und die Rechtsprechung setzen nur bestimmte Grenzen.

Was du nun forderst, wäre, dass die Streikenden sich des Staates als Instrument nutzbar machen, indem der Staat auf Zuruf der Arbeitnehmer den Arbeitgeber zwingt, ein bestimmtes aktives Verhalten an der Tag zu legen (dh. z.B. bestimmte Löhne nicht auszuzahlen). Das wäre halt ein ganz anderes System als das, was wir gemeinhin als „Streik“ bezeichnen würden, es wäre eher vergleichbar mit einer Klage der Arbeitnehmer auf höhere Löhne.

Ich sage nicht, dass derartige Systeme undenkbar wären - vielleicht wäre genau so ein Systemwechsel nötig. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir damit eindeutig nicht mehr über Streiks im engeren Sinne sprechen, sondern über klare staatliche Intervention zum Vorteil der Arbeitnehmer.

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Es gibt eine einfache Alternative zu Streiks. Bezahlt eure Angestellten anständig. Wenn Arbeitgeber wie die Bahn Ihren Angestellten beleidigende Angebote machen, bleibt nur der Streik. Vor allem wenn parallel die Vorstände sich richtig krasse und ungerechtfertigte Gehalts- und Bonierhöhungen gönne, obwohl kein einziges Ziel erreicht wurde.

Wir müssen endlich davon weg kommen, die Arbeitnehmer zu verteufeln. Das Problem in Deutschland sind die Arbeitgeber, die immer noch denken, man muss dankbar sein für sie arbeiten zu dürfen.

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Ich hätte eine gute Idee Streiks zu verhindern. Die Löhne müssen mit der Inflation steigen, also Index-Löhne. Oder die Löhne müssen zwingend im selben Maß steigen wie Gehalts- und Bonisteigerungen in den Führungsetagen. Dann bräuchte es definitiv weniger häufig einen Streik um seinen ursprünglichen Reallohn (um mehr geht es meistens nie) zu erhalten.

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Ehrlichgesagt führen uns Schuldzuweisungen hier nicht wirklich weiter. Das Problem ist, dass ein längerer Streik oder häufigere Warnstreiks den ÖPNV unzweifelhaft unattraktiver machen - statt nun zu fragen, welche Seite daran Schuld ist, sollten wir eher Lösungen für dieses Problem suchen.

Indexlöhne als Alternative zu Lohnverhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sind natürlich eine Option, wobei es wohl einen Grund gibt, warum weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber sich aktuell wirklich dafür einsetzen. Die Gewerkschaften befürchten vermutlich, massiven Einfluss zu verlieren, wenn die Lohnentwicklung durch Indexlöhne weitestgehend vorbestimmt ist, während die Arbeitgeber natürlich generell gegen automatisch steigende Löhne sind…

Hier ist die Frage, ob der Staat gegen den Willen beider Parteien (also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) eine Regelung treffen sollte - und inwiefern dadurch tatsächlich der Fortbestand der Gewerkschaften gefährdet ist. Kurzum: Auch das ist ein weit komplexeres Thema, als man meinen sollte.

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Es ist keine Schuldzuweisung, sondern lediglich eine Benennung eines eindeutiges Grundes für die Vielzahl an Streiks. Der Streik ist doch kein Naturgesetz bei Tarifverhandlungen, sondern nur die einzige Möglichkeit sich gegen die Arbeitgeber zu wehren.

Das ist natürlich gefährlich, da Parteien wie die Union und FDP dann schnell dabei wären, auch Arbeitnehmerrechte weiter gehend zu beschneiden zum Wohle der Wirtschaft. So richtig ernst gemeint war das auch nicht. Indexlöhne sind auch ein Problem, wenn es auch mal darum geht mehr Reallohn zu kriegen. Außerdem werden ja nicht nur Löhne verhandelt.

Weißt du zufällig ob wann die Angebote der Bahn irgendwo nachlesen kann ?
Bzw. Falls die nicht öffentlich sind wie kommst du darauf das sie beleidigend sind?

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Der Titel meines Vorschlages mag wie Clickbait wirken hat aber einen ernsten Hintergrund. Ihr hattet ja in einer Folge bei der Streiks Thema waren schon einmal angesprochen, dass es in Deutschland ein Verbot von Generalstreiks und sog. wilden Streiks gibt. Was ihr nicht erwähnt habt war, woher diese Verbote kommen. Dies beruht nämlich nicht auf einem von gewählten Politikern beschlossenen Gesetzt, sondern auf recht alter Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichtes. Bohrt man dann etwas tiefer stößt man im Zusammenhang mit solchen Urteilen, die bis heute nachwirken immer wieder auf einen Namen: Hans Carl Nipperdey, erster Präsident des Bundesarbeitsgerichtes. Der war bereits unter dem Hakenkreuz mit dieser Materie betraut und fiel schon damals durch sehr Arbeitgeberfreundliche Rechtsauffassungen auf. Vielleicht gibt es bei dem Thema ja auch wieder einen interessanten Gast, wie zuletzt Ronen Steinke. Ich will mich hier gar nicht weiter dazu einlassen, da ich nur juristischer Laie bin, finde es aber gelinde gesagt seltsam. dass die Rechtssprechung eines Altnazis noch bis heute nachwirkt.

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Zu dem Thema Nipperdey / Arbeitsrecht hat der DLF vor zwei Wochen erst einen 43-minütigen Hintergrundbeitrag als Podcast gebracht. Wer sich hier für mehr Deatils interessiert kann den Podcast hier nachhören.

Tatsächlich ist das Streikrecht in Deutschland schon verhältnismäßig stark eingeschränkt (im Vergleich zu z.B. Frankreich), andererseits ist es auch deutlich funktionaler als z.B. in den USA. Aber es stimmt schon, dass man bestimmte Altlasten aus der Zeit Nipperdeys (z.B. die Treuepflichten gegenüber dem Arbeitgeber) schon auf den Prüfstand stellen sollte.

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Im Falle des ÖPNV und im speziellen bei der Bahn ist der Arbeitgeber die öffentliche Hand. Wer keine Bahnstreiks will, sollte seine Wut an den Bundesverkehrsminister richten. Schließlich ist der Bund weiterhin Eigentümer.

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Das ist auch noch ein guter Punkt.

Der nächste Punkt wäre, dass es im Rahmen der Verkehrswende auch kontraproduktiv ist, wenn die Löhne im Bereich ÖPNV (also für Zugführer, Zugbegleiter, Busfahrer und co.) zu stark steigen, weil dadurch natürlich auch die Ticketpreise steigen und der ÖPNV wieder an Attraktivität gegenüber dem Auto verliert.

Es ist jetzt ja auch nicht so, dass die Bahn bekannt dafür wäre, besonders schlecht zu zahlen. In diesem Sinne ist die Sache bei weitem nicht so einseitig wie in der freien Wirtschaft, wo es wirklich um Profit/Rendite vs. gerechte Bezahlung geht, also darum, ob das, was das Unternehmen erwirtschaftet, in den Taschen derer landet, die die Wertschöpfung vorantreiben oder in den Taschen derer, die „nur“ die Finanzmittel als Aktionäre bieten.

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Ich finde das eine seltsame Geschichte. Das geht nur wenn man nur in SF-Stadt sein muss, wenn man arbeitslos ist oder bei einer der Techkonzerne arbeitet und deren Bus zur Arbeit nimmt. So bald man irgendwas erledigen muss ist auch in SF ein Auto unverzichtbar.

Das hat einen wahren Kern, doch ist das bei der Bahn komplizierter. Es gibt zwei Gewerkschaften, die gegen einander kämpfen. Sieht man auch daran, dass der entstandene Schaden deutlich höher ist als die Gehaltsgewinne. Dadurch wird das auch ziemlich paradox.

Grundsätzlich bin ich wie @dachsbauer der Meinung, dass es bessere Methoden geben muss. Das Streikrecht soll nach wie vor bleiben und auch nicht eingeschränkt werden. Doch gesamtgesellschaftlich gesehen sind die Kolateralschaden unnötig und schädlich. Bei Bahnstreiks ist dieser Schaden auch noch größer als der tatsächliche Schaden, der dem Unternehmen zugefügt wird. Auch der Schaden der dem Unternehmen entsteht ist von außen betrachtet negativ für die Gesellschaft (reduziert das Bruttosozialprodukt). Von daher fände ich es sehr gut, wenn hier über Alternativen nachgedacht würde.

Der Staat gibt die Grenzen vor. Demnach könnte er doch auch vorgeben, dass bei einem Streik normal gearbeitet wird. Es wird der angerichtete Schaden für das Unternehmen durch die Arbeitsniederlegung berechnet und diese Summe muss das Unternehmen auf ein Konto überweisen. Ja, die Ermittlung des Schadens ist nicht einfach, aber im Prinzip würde sich für das Unternehmen finanziell nichts ändern, aber statt einem gesellschaftlichem Schaden, hätten wir ein Konto mit Geld, das für sinnvolle Dinge verwendet werden könnte. Harz IV z. B.

Was ist für dich die Definition eines Streiks und wie passt die zu gleichzeitiger „normaler Arbeit“?

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Hi,

Von einem Freund hörte ich etwas was für mich wie eine gute Idee klang, aber weil ich kein Fachmann bin, dachte ich ich Stelle sie einfach Mal vor und schaue mir das Feedback an.

Angeblich sei das in Japan so…

Die Bahn streikt nicht mit nicht fahren der Züge, sondern (z.b. die GDL) macht öffentlich das sie für jene Tage keine Tickets kontrolliert. Auch für Cargo würden sie sich weigern Geld für den Transport anzunehmen.

Das würde für fehlende Einnahmen, höhere Kosten und mehr Akzeptanz in der Bevölkerung führen.

Vielleicht habe ich was grundsätzlich nicht verstanden, aber für mich klingt das erstmal nach einer guten Idee.

Warum wäre das nicht möglich und oder schlechter als die aktuelle Art zu streiken ?

Danke :grin: <3

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U.a. weil die GDL hauptsächlich Lockführer in ihrer Gewerkschaft hat,. Diese kontrollieren bekanntermassen keine Tickets und treiben auch sonst kein Geld ein.

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Die Ticketkontrolle kann die Bahn doch von nahezu jedem erledigen lassen. Zur Not outsourcen und gut ist’s.

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In Deutschland ist, insbesondere im Nahverkehr, die überwiegende Mehrzahl der Menschen mit Monats- oder Jahreskarten unterwegs, hierdurch entstünden also kaum Mindereinnahmen. Zusätzlich wird ein Großteil des ÖPNV im Rahmen des Auftrages von Verkehrsverbünden durchgeführt - hier erfolgt die Bezahlung der Leistung unabhängig von den verkauften Tickets, deren Einnahmen meist an die Verkehrsbünde abgeführt werden.
Das ist meines Wissens in Japan anders. Dementsprechend ist die Bahn dort viel direkter vom offenen Aufruf zum Schwarzfahren betroffen.

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Der Gesetzgeber könnte natürlich Regelungen schaffen, wenn er wollte.
Problem bei Streiks in KiTa oder Bahn ist ja dass der Arbeitgeber nur ein wenig und Dritte (Eltern, Reisende) stark getroffen werden.
Der Gesetzgeber könnte Schadenersatzpflicht durch den AG für die Betroffenen regeln. Oder stattdessen einen Weg finden, dass der Schaden nicht an der falschen Stelle ensteht.
Z.B. Lokführer beschließen einen Streik. Sie fahren aber. AG muss dafür aber Geld an die Streikkasse und evtl. den Staat abführen. Am Ende müssen die finanziellen Anreize so sein, dass es der Streikkasse und den Streikenden und dem Unternehmen schadet, so dass eine Einigung für alle erstrebenswert ist … ohne dass notwendigerweise Dritte allzusehr leiden.
Die Idee mit dem Nichtkontrollieren ist ja schon ziemlich gut, weil sie kreativ das selbe Ziel ganz ohne staatliche Regelung schafft. Aber das ist halt ein Spezialfall, der wohl leider nicht immer funktioniert.

Etwas Skurril ist das Timing.

Da führt man ein einfach zu verstehendes Deutschlandticket zum günstigen Einstiegspreis ein, um den Menschen den ÖPNV schmackhaft zu machen und Autofahrer zum Umstieg zu bewegen, und dann legt man das eh schon eher unzuverlässige Bahnnetz mit Streiks teils komplett still.
Zwar voneinander unabhängige Aspekte, aber marketingtechnisch für das 49€ Ticket ein Schuss ins Knie.

Manchmal frage ich mich, ob wir als Deutschland, das ja im Ausland als effizient und gründlich gilt (galt?), einen funktionierenden ÖPNV können? Oder wollen als Autofahrernation?

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