Gendern verbieten - verfassungsgemäß?

Das wirklich absurde ist daran doch, dass die Konservativen - in den USA ebenso wie in Deutschland - stets klagen, man wolle ihnen vorschreiben, wie sie sich auszudrücken hätten, wenn man eine geschlechtergerechte Sprache auch nur als Option vorschlägt, gleichzeitig eben diese Konservativen nun aber alles daran setzen, genau das zu tun, was sie der Gegenseite vorgeworfen haben: Es wird verboten, sich auf eine bestimmte Art auszudrücken.

Absolut, im Hinblick auf den ÖRR und die Hochschulen wäre es zweifellos ein verfassungswidriger Eingriff, der auch nicht zu rechtfertigen ist. Bei den Schulen und allgemeinen Ämtern hingegen ist es schwierig, herzuleiten, wie diese Dienstanweisungen an weisungsgebundenes Personal (also das ganze Beamtentum und den öffentlichen Dienst) im Hinblick auf die Außenkommunikation verfassungswidrig sein könnte. Das finde ich sehr schade.

Vor allem für die Schüler ist es kompletter Unsinn. In der Schule wird das Gendern verbannt, wenn sie dann in die Uni kommen wird es plötzlich teilweise gefordert, zumindest aber an den meisten Universitäten und Fachhochschulen erwartet. Der Plan der Konservativen - und das macht es natürlich auch zum Kulturkampf - ist, dass die Schüler, wenn sie auf die Uni kommen und Gender-Sprache nicht gewohnt sind, sich dagegen wehren werden und die Gendersprache an den Universitäten dann als Eingriff auffassen (was man nicht kennt oder gewohnt ist, wird bekämpft).

Söder und Rhein sind hier einfach nur populistische Kulturkämpfer und ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen ihnen bei der Wahl einen Denkzettel verpassen würden, was leider nicht passieren wird, weil die Mehrheit der Deutschen leider ebenso sprach-konservativ ist und das Gendern ablehnt. Es sind genau diese Dinge, warum Deutschland in jedem Transformationsprozess so träge ist…

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Ist das überhaupt so? Wenn man mal nach konkreten Beispielen fragt, wo das wirklich angeblich vorgeschrieben ist, kommt eigentlich immer nur „da gab’s mal einen Prof an der Uni Kassel, der mit Punktabzug gedroht hat“, und dann war’s das auch schon. Wer sich natürlich irgendwo für Gender Studies einschreibt, muss sich tatsächlich nicht wundern, wenn er mit „Generischem Maskulinum“ eher der Außenseiter ist, und bei Erziehungswissenschaft an der FU Berlin würde ich es auch sofort glauben. Aber werden im Physik-Studium an der TU Dresden oder bei Jura an der Uni Tübingen tatsächlich Gendersternchen erwartet? Don’t think so.

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Also schon als ich damals (2009) meine Diplomarbeit zum Sozialarbeiter geschrieben habe wurde es von einigen Profs erwartet. Okay, das waren natürlich vor allem die Profs, die auch einen Bezug zu Gender Studies oder zumindest Gender Mainstreaming hatten… generell dürfte es im Sozial- und Geisteswissenschaftlichen Bereich wohl eher erwartet werden als in den Naturwissenschaften.

Hier ein paar Beispiele von Universitäten, bei denen es scheinbar zumindest erwartet wird:

Die Universität Leipzig schreibt hier recht klar, dass es „in wissenschaftlichen Texten üblich“ sei, zu gendern, was schon ein recht klarer Wink mit dem Zaunpfahl ist.

https://www.fu-berlin.de/sites/diversity/antidiskriminierung/sprache/gender/gendern-in-hausarbeiten-pruefungen.html

Der Artikel wird eingeführt mit „Wir erwarten, dass alle Mitglieder der Freien Universität Berlin das Ziel teilen, die Universität zu einem diskriminierungsfreien und diversitätsgerechten Ort zu machen.“, was schon eine klare Erwartungshaltung beinhaltet.

Dieser Leitfaden der eines Institutes der LMU wird auch sehr deutlich: „Es entspricht daher nicht mehr den Standards guten wissenschaftlichen Arbeitens, durchgängig die männliche Form von Gruppenbezeichnungen zu gebrauchen“

Klar ist, dass letztlich der zuständige Professor bzw. das zuständige Institut der Universität entscheidet, sodass man kaum allgemeine Aussagen machen kann. Aber wenn man sich so den wissenschaftlichen Output im deutschsprachigen Raum anschaut, kann man schon konstatieren, dass der Anteil nicht-gegenderter Texte immer weiter zurück geht (und das ist gut so!), von daher wird der Trend, dass Professoren zu der Überzeugung kommen, dass Gendern Bestandteil der Standards des wissenschaftlichen Arbeitens ist, wohl eher anhalten. Das gilt natürlich insbesondere für Sozial- und Geisteswissenschaften und nicht zwangsläufig so stark für Naturwissenschaften, wobei auch da vermutlich immer mehr gegendert wird.

… wenn dort nicht ohnehin längst Englisch geschrieben wird :wink:

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Sollte es tatsächlich Genderverbote an Schulen geben, dann wird das dem Gendern entgültig zum Durchbruch verhelfen.
Dadurch werden junge Menschen es erst Recht machen, um sich von den Älteren zu unterscheiden, so wie junge Menschen es schon immer gemacht haben.

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Ein Beitrag wurde in ein neues Thema verschoben: Deutscher Rechtschreibrat: Sinn und Befugnisse

Liebes Forum und liebes Lage-Team,

das Gendern erhitzt ja immer wieder die Gemüter und ist auch bei der Lage Thema. Ich bin neulich auf eine meiner Meinung nach super kluge Bearbeitung des Themas gestoßen, nämlich auf ein Video der Youtuberin Alicia Joe. Ich war beeindruckt vom Tiefegrad mit dem sie das Thema betrachtet und die verschiedenen Aspekte ordnet, sie bringt sehr interessante Argumente und bespricht das Thema sachlich.

Hier ein Link https://youtu.be/aZaBzeVbLnQ?si=Jiaw7eJy73PkcGSH

Das Video ist alleine schon interessant genug und mich würde freuen zu hören was hier dazu gedacht wird. Ich habe mir allerdings auch noch weitere Gedanken dazu gemacht:

Ein Key Aspect ist, dass Genus und Sexus eben zwei verschiedene Dinge sind. Deswegen finde ich, sollten wir das ganze Thema Gendern so angehen, dass wir uns die Trennung zwischen Genus und Sexus im Sprachgebrauch wieder mehr ins Bewusstsein rufen. Wie? Laut Alicia sind die Genera bei deutschen Substantiven relativ gleichverteilt. Bei Berufsbezeichnungen/Tätigkeitsbezeichnungen trifft dies aber vermutlich nicht zu. Wieso machen wir also nicht einfach Folgendes: Wir vergessen sämtliche „-in“-Endungen, um aber die Assoziation von den Standard-Berufsbezeichnungen mit Männlichkeit zu entfernen, Verändern wir den Genus von ein paar ganz zentralen Tätigkeitsbezeichnungen. Wir sagen dann „die Arzt“, „die Polizist“, „die Anwalt“. Schließlich gibt es ja auch „die Wache“, oder? Und um nicht nur männlich-weiblich zu berücksichtigen, wird bei ein paar weiteren zentralen Tätigkeiten das Genus der Neutrum. Das Gast, das Bürgermeister, zum Beispiel. Oder wieso nicht einfach nur noch „das Bürgermeisterin“?

Erstmal komisch und auch da gäbe es zunächst Widerstände bei den Leuten. Aber es setzt sich irgendwann in den Köpfen durch, dass Genus und Sexus 2 Paar Schuhe sind und es deswegen wenig Rolle spielt welches Genus ein Wort hat. Und dann gibts auch kein Argument mehr dagegen :blush:

Wenn wir zum Beispiel nur noch die Arzt und die Rechtsanwalt sagen, hätten wir schon eine eine immense Verschiebung in der Wahrnehmung und einen riesigen Beitrag zur Geschlechtergerichtigkeit. Und man müsste nur zwei (oder ein paar) Artikel ändern. Ich glaube da hätte die Mehrheit der Gesellschaft nach kurzem Überlegen nichts dagegen.

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Im Plural machen wir das doch schon immer so.

An dieser Stelle: Herzlichen Dank für Eure ausschließlich qualifizierten Beiträge!
Aber es sei hier an meine Frage erinnert: kann ich das Gendern in unserer Rechtsordnung, wenn auch in einem öffentlich-rechtlichen Bereich verbieten?
Eingriff in die öffentlich-rechtlichen Medien, Eingriff in die Wissenschafth? Ist das ok?
Ist es in Ordnung, Verbotsgesetze dieser Art mit Mehrheit zu erlassen und durchzusetzen?
Die Durchsetzung würde mich auch mal interessieren. Wie ginge das?

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Das würde mich auch interessieren. In Schulaufsätzen und Schulbüchern kann ich mir noch vorstellen, wie das funktionieren wird.

Im Arbeitsleben fände ich es eher witzig und auch ein wenig subversiv, wenn auf einmal bayerische Arbeitsgererichte damit belastet würden, Orthografiefragen zu verhandeln. Erinnert an das Karl-Valentin-Urteil von 2011, wo ich mir relativ sicher bin, dass der Spruch " Mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut." auch was die Grammatik anbelangt, nicht ganz koscher ist.

Wie gesagt, es geht nicht um Universitäten und Presse, sondern um die Verwaltung. Also zum Beispiel darum, wie das Jobcenter oder das Bürgerbüro die Menschen anspricht.

Die Durchsetzung ist verhältnismäßig simpel:
Es gibt eine klare Dienstanweisung, die das Gendern verbietet, vom zuständigen Ministerium an alle untergeordneten Behörden.
Ein Mitarbeiter, der dann in der Außenkommunikation dennoch gendert, kann das volle Register der Disziplinarstrafen auslösen, in erster Linie wohl Verweise, Beförderungssperren und im schlimmsten Fall die Entfernung aus dem Dienst (das dürfte realistisch wohl nur bei viel, viel, vielfacher Wiederholung drohen…)

Interessanter wird es tatsächlich in der Schule. Die Lehrer sind Empfänger von Dienstanweisungen, die Schüler jedoch nicht. Daher kann der Staat den Lehrern zwar das Gendern verbieten, den Schülern jedoch eher nicht. Wenn die üblichen, vom Duden akzeptierten Gender-Formen verwendet werden und der Lehrer dies dennoch als Fehler markiert, fände ich es sehr interessant, zu sehen, wie die Gerichte das bewerten. Meines Erachtens wäre die Schule hier übergriffig, eben weil die Schüler nicht Empfänger von Dienstanweisungen sind.

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Mein Vorschlag dazu: Wir bitten die deutschen Sprachwissenschaftler, unsexualisierte Bezeichnungen für die drei Genera einzuführen (z.B. maskuliner Genus → singulativer Genus, femininer Genus → abstraktiver Genus, neutraler Genus → kontinuativer Genus; eigener, linguistisch-laienhafter Vorschlag angelehnt an https://www.frauenbeauftragte.uni-muenchen.de/frauenbeauftr/berichte/berichte_veranstalt/handreichung2007.pdf).

Dann kann der Unterschied zwischen Genus und Sexus nicht mehr unabsichtlich oder absichtlich missverstanden werden und ist damit auch nicht mehr Thema der Gender-Debatte.

Übrigens, mein Highlight zur Sinnhaftigkeit der Genera (wobei „die Erbe“ mittelhochdeutsch für „die Erbschaft“ gewesen sein soll, ich konnte dafür aber keinen Nachweis finden):
„Der Erbe macht die Erbe, weiß aber noch nicht genau, worin das Erbe eigentlich besteht.“

Das umfasst allerdings nur Streitgegenstände rund um Formen wie "Direktor/-in" – das ist die Hauptdiskrepanz zwischen dem Rat der deutschen Rechtschreibung und dem Duden. Kritischer wird es wohl bei *, :, _ etc. :wink:

Naja, es wird erwartet bzw. gefordert, dass in einer (nicht-fremdsprachlichen) Klassenarbeit in modernem Standarddeutsch geantwortet wird und nicht etwa in regionalem Dialekt, in Mittelhochdeutsch oder in einer sonstigen Abkehr vom Standarddeutsch. Jegliche Abkehr vom Standarddeutsch muss immer den gleichen unwillkürlichen Einfluss auf die schulische Bewertung haben.

Den Link braucht man eigentlich nicht anzuklicken. Der Grundtenor des Videos ist: Gendern wird sich nicht durchsetzen, weil es zu uneinheitlich ist und man Fälle konstruieren kann, in denen es zu Widersprüchen kommt.

Das solche Argumentationen herangezogen werden, zeigt einfach nur wie unfassbar hilflos alle echten Gegner von Gendern sind. Und natürlich wie diese längst entschiedene Entwicklung von Politiker**innen, Youtuber*innen usw. ausgeschlachtet wird

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Stimmt, aber nur zu Einordnung, es wurden diverse Beiträge zum Gendern in diesen Thread verschoben, daher ist das jetzt hier halt ein Sammelbecken für alle Aspekte dieses Themas.

Und was mich persönlich noch mehr interessieren würde, als das „Wie?“ eines Verbotes, ist die Frage nach dem „Warum?“. Wir glauben in einer liberalen Gesellschaft zu leben, die es aber nicht aushält, wenn Menschen, mit guten Absichten, statt „Polizistinnen und Polizisten“ das schnellere „Polizist*innen“ sagen. Ernsthaft?

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Im Alltag ganz banale Aspekte:

Ich hatte in der Beratung eine junge Frau, die ihren Beruf mit „Zimmermann“ angab.
Meine Frage war dann, wie gender ich das? Zimmerfrau impliziert eine völlig andere Berufssparte.
Die junge Dame sagt, sie habe Zimmermann gelernt, das steht auf dem Gesellembrief, jeder kann damit was anfangen, also will sie als Zimmermann betitelt werden.
Klare Ansage.
Zeigt aber, das die deutsche Sprache ihre Gender-Tücken hat. Und nicht jeder mit Gewalt gegendert werden will. So meine Erfahrung.

Aber wer will überhaupt mit Gewalt gendern…?

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Dazu gibt es einen Text von Stefan Kuzmany im Spiegel, von dem ich hoffe, dass er eine Satire ist:

Generell fällt mir auf, dass der Begriff „Gendern“ von verschiedener Seite recht undifferenziert benutzt wird. Oft bleibt unklar, was damit genau gemeint ist: Geht es a) um eine geschlechtssensible Sprache im Allgemeinen (z. B. „Studierende“ statt „Studenten“ oder „Zuhörerinnen und Zuhörer“ statt „Zuhörer“ oder b) um die Verwendung von Sonderzeichen mitten in Worten („Student_innen“, „Zuhörer*innen“, „Ärzt:innen“)?
Letzteres lässt sich vermutlich für den Behörden, Schulen etc. verbieten, auch mit Verweis auf den Rat für deutsche Rechtschreibung. Aber zu Ersterem fordert der Rat sogar selbst auf.

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Danke erstmal für den Link. :slight_smile:

Zitat aus dem Artikel:

Zur Klärung von Zweifelsfällen kommen Aufnahmegeräte in allen bayerischen Amtsstuben und Klassenzimmern zum Einsatz, deren Aufzeichnungen im mutmaßlichen Genderfall ausgewertet werden.

Klingt für mich klar nach einem Leak aus der bayrischen Staatskanzlei. :wink:

Formal wohl wenige. Ist eher der innere Druck, es korrekt im Gendersinne zu nachen, was einen vor solche Hürden führt