Für mehr Differenziertheit bei der Bürokratie-Kritik

Das Thema Bürokratie-Kritik ist ein Dauerbrenner der letzten LdN-Folgen: Ob bei E-Auto-Förderung, Bürgergeld, allgemeinen Investitions-Anreizen für die Wirtschaft, oder Wärmepumpen-Subventionen, der Tenor lautet (verkürzt) immer so: Man müsste einfach mal die Bürokratie runterfahren, im Einzelfall nicht mehr so genau hinschauen, und schon springt die Wirtschaft an, man spart immense Kosten, wir können großzügiger sein, und die Welt sieht besser aus, alle sind glücklicher.

Während es in der deutschen Bürokratie natürlich sehr viel Optimierungspotential gibt (das ausgeschöpft werden sollte), halte ich derartig einfachen “Anti-Bürokratie-Populismus” für gefährlich, weil er der Komplexität der zugrundeliegenden Fragestellungen nicht gerecht wird, einfache Lösungen suggeriert, wo keine existieren, und man im schlimmsten Fall noch den Argumenten der libertären Staatshasser Vorschub leistet.

Konkret: In vielen Beiträgen, in denen die LdN Bürokratieabbau fordert, verschwimmen zwei Aspekte:

1. Operationelle (In-)Effizienz der Bürokratie: Unnötig komplexe Abläufe zur Feststellung der Zielgenauigkeit der Leistung, lange Bearbeitungszeiten, sehr hoher Aufwand zur Missbrauchsprävention fallen in diese Kategorie.
2. Grundsatz der Zielgenauigkeit staatlicher Leistungen/Subventionen: Vor dem Hintergrund limitierter staatlicher Mittel muss sichergestellt werden, dass das Geld in Form von Sozialleistungen bzw. Subventionen da ankommt, wo es tatsächlich gebraucht wird bzw. am meisten bringt. Daher müssen Zugangskriterien für staatliche Leistungen definiert und kontrolliert werden. Die Frage der Zielgenauigkeit ist im ersten Schritt losgelöst von der Umsetzung-Effizienz dieser “Bedarfsprüfung”.

In vielen LdN Beiträgen erfolgt die Argumentation so, dass auf die real-existierende operationelle Ineffizienz vieler bürokratischer Prozesse verwiesen wird, und dann daraus gefolgert wird, dass der Anspruch auf Zielgenauigkeit von Leistungen abgeschafft, bzw. verwässert werden sollte. Mein Problem damit: Die Fragen der Effizienz der Rechtsdurchsetzung und der Grundsatz der Zielgenauigkeit sind getrennte Fragen, die auch separat diskutiert werden sollten. Ja, man kann mit weniger Zielgenauigkeit Bürokratiekosten sparen, aber diese “Ersparnisse” verblassen gegenüber den teilweise vielen hundert Milliarden Extrakosten, die ein Verzicht auf Zielgenauigkeit in vielen Bereichen kosten würde. Natürlich kann unser Staat mehr ausgeben und mehr Schulden machen als aktuell, aber so viel dann doch nicht.

Beispiel Wärmepumpen Subvention: In der Lage wurde mehrmals gefordert, die Wärmepumpenförderung zu „entbürokratisieren“, und (zugespitzt gesagt) einfach (fast) allen den Wärmepumpen-Einbau komplett zu zahlen oder zumindest stark zu subventionieren. Das würde bei 40 Mio. Haushalten und Subventionen von 10.000 Euro pro Wärmepumpe 400 Mrd. Euro kosten. Dabei wären neben dutzenden sinnvoll ausgegebenen Milliarden auch 250+ Mrd. Euro, die einfach Mitnahmeeffekte darstellen würden.

Beispiel E-Auto-Subventionen: Es wurde in der Lage vorgeschlagen, einfach allen unter einer gewissen Einkommensschwelle, ‘unbürokratisch’ einen hoch subventionierten E-Auto-Leasingvertrag anzubieten. Das würde viele tausend Euro pro Auto kosten, und ganz erhebliche Mitnahmeeffekte erzeugen (weil die Subvention nicht mit dem Einkommen ‘abgeschmolzen’ würde), und auch negative Arbeitsanreize schaffen (wenn man knapp über der Gehaltsschwelle wäre, wäre es auf einmal hochprofitabel, weniger zu arbeiten um unter die Gehaltsschwelle zu fallen).

Es gibt in Deutschland derart viele Projekte, bei denen mit wenig Geld (10-100 Mio. Euro) so viel erreicht werden könnte - wie auch häufig in der Lage berichtet wird. In einer solchen Welt können wir es uns nicht leisten, hunderte Milliarden Euro für Mitnahmeeffekte zu verschwenden.

Deshalb mein Appell: Mehr Differenziertheit beim Bürokratie-Bashing wagen.
Die operationelle Ineffizienz der Bürokratie muss angeprangert werden, wo man sie sieht. Die dabei zu erzielenden Einsparungen sind substanziell, aber leider viel zu niedrig, als dass man den Anspruch auf Zielgenauigkeit staatlicher Leistungen in Frage stellen könnte (was nicht heißt, dass die Zielgenauigkeits-Prüfung nicht so verwaltungseffizient wie möglich ablaufen sollte). Ein Nachjustieren der Zielgenauigkeits-Präzisionserfordernisse kann in einigen Politikfeldern sinnvoll sein - ein pauschales Abschaffen der Zielgenauigkeit ist es meistens nicht.

PS: In den USA, das in der Lage häufig als Musterland für unbürokratische, ‘experimentierfreudige’ staatliche Innovationsförderung gelobt wird, gilt dieser Pragmatismus auch nur dann, wenn es darum geht, Geld an die Wirtschaft zu verteilen. Niemand würde in den USA daran denken, dieselbe Bürokratie-Sparsamkeit auch bei der Verteilung von Sozialleistungen an Bedürftige anzuwenden.

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