Atomkraftwerke und Energiewende

Ja, sorry.
Ich reagiere da etwas emotional, weil genau die Leute, die mir immer erklärt haben, warum regenerative Energien nicht die Zukunft sein können und warum Klimaschutz keiner wollen kann, der Deutschland nicht in die Steinzeit katapultieren möchte, jetzt mit Atomkraft die Welt retten wollen.

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Nachdem die finnischen Grünen bereits zwei mal eine Regierung über Nuklearfragen verlassen haben, haben die Grünen nun einem Nachhaltigkeitsstempel für die Atomkraft zugestimmt und werden auch in der EU eine Einordnung als nachhaltige Energiequelle zustimmen.
Zugegeben - bei den Finnen sieht die Situation ja besser aus als in Deutschland. Die haben ein Endlager und auch die Urangewinnung (als erstes und einziges EU-Land) genehmigt.

Vor allem Dingen haben sie demnächst eine sehr junge Kraftwerksflotte: einen gerade in Betrieb gehenden EPR-Reaktor und einen russischer Bauart, der Ende des Jahrzehnts ans Netz gehen soll. Damit können sie ihre um das Jahr 1980 in Betrieb genommenen Reaktoren ersetzen.

Damit dürften sie das einzige europäische Land sein, das seine Kernkraftwerksflotte erneuert hat. Wer sich jetzt gegen diese Technologie ausspricht, verlangt somit nagelneue bzw. im Bau befindliche Reaktoren stillzulegen. Das ist keine mehrheitsfähige Position, nehme ich an.

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Das ist so nicht korrekt.
Slowakei bringt 2021 und 2023 jeweils einen neuen Reaktor mit jeweils 471MW ans Netz.
Frankreich bringt 2023 einen neuen Reaktor mit 1650MW ans Netz.
Dazu noch der angesprochene Reaktor in Finnland 2022 mit 1720MW.

Da kommt doch einiges zusammen. Fraglich ist, ob dies politisch reicht, um in Brüssel eine Mehrheit für das politische ESG-Label für Atomkraftwerke zu bekommen.

Na, dann fehlen nur noch so ca. 40 weitere Reaktoren, um die alternde französische Kraftwerksfotte zu erneuern :slight_smile:

Finnland wird dagegen zum Ende des Jahrzehnts tatsächlich die Leistung seiner ersten Kraftwerksgeneration komplett durch die zwei Neubauten ersetzt haben.

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Die hat Macron ja bereits angekündigt - ob er das ganze nach seiner Wahl auch umsetzen darf ist fragwürdig. Kritisch sehe ich eher den durchsichtigen Versuch, Wählerstimmen durch den Zuschuss zu den Gaskosten zu kaufen. Wenn den Franzosen egal ist, wie viel Gas sie verbrauchen, da ja eh der Staat zahlt, ist das definitiv keine nachhaltige Politik.

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Korrekt. Dazu muss das Netz aber zwingend digitalisiert werden und da kommen wir derzeit eher mühsam voran. Weiterhin ist ein neues Marktdesign notwendig das alle Akteure einbindet, heute sind die Verbraucher kaum beteiligt. Verbraucher werden immer mehr auch zu Erzeugern („Prosumer“) da sie bspw. Solardächer haben. Das muss alles sauber integriert werden und dann in Echtzeit gesteuert werden. Da sind wir noch weit weg davon. Wir haben dazu vor einiger Zeit ein Papier veröffentlicht (bei Interesse hier lesen: Details)

[quote=„Schlossermeister, post:74, topic:7694, full:true“]

Das sind doch Science Fiction Erzählungen. Ob und wann das mal realisierbar ist weiß keiner.

Das ist sicherlich noch weit weg. Allerdings fangen wir ja an genau das zu machen mit den Interkonnektoren, zumindest auf Europäischer Ebene. Offshore werden eigenen Netze geplant damit man die ganzen Windkraftwerke dort zusammenschalten kann und den erzeugten Strom flexibel in verschiedene Länder transportieren kann. Darüber hinaus können damit natürlich auch Strommengen über Ländergrenzen transportiert werden um Erzeugung und Verbrauch europaweit auszugleichen. Wenn man das nun weiterdenkt ist es mehr oder weniger eine ökonomische Betrachtung inwieweit man dieses ausdehnt auf Asien oder Afrika. Natürlich ist es auch eine geopolitische Angelegenheit wie immer bei Energie…
Es ist jedenfalls aus technischer Sicht keine Science-Fiction.

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Prof. Quaschning ist m.E. kein Populist aber er macht es sich sehr einfach. Er ist am Ende nicht für die Stabilität des Stromnetzes verantwortlich da ist es leicht Theorien aufzustellen. Die Realität ist leider deutlich komplexer. Trotzdem ist die Aufgabe das Energiesystem zu decarbonisieren und deswegen ist es richtig jeden Stein umzudrehen.

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Das ist jetzt ein schlechtes Beispiel weil er in dem Fall ja gerade sagt, dass es schwierig bis unmöglich in kurzer Zeit einfach mal große Mengen Wasserstoff nach Europa zu bringen. Dass es trivial wäre die Stromnetze stabil zu halten behauptet sicher niemand. Wenn du da arbeitest gebührt dir und deinen Kollegen auch großes Lob. Das führt natürlich dazu anzunehmen, dass ihr das auch in der Zukunft perfekt macht. Und wenn die Politik euch mal lässt, dann gibt es vielleicht auch irgendwann das nötige Strommarktdesign.

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Moin, das ist nur die Pressemitteilung/Absichtserklärung ohne nennenswerte Details.
Das entsprechende „weiße Papier“ ist von mir über eine Googlesuche nicht aufzufinden.

Ist am Ende der Pressemitteilung verlinkt: https://www.eliagroup.eu/-/media/project/elia/shared/documents/elia-group/publications/studies-and-reports/20210618_ELIA_CCMD-white-paper_EN.pdf

Macht aber rein optisch eher den Eindruck einer Werbebroschüre.

Ja? Das fände ich schade. Woran machst Du das fest?

Das sieht man doch ganz deutlich, dass da vor allem Marketing Leute dran gearbeitet haben.

Ob das schade ist oder nicht, das kommt doch ganz darauf an, wie dieses Dokument bei der Zielgruppe ankommt. Ich gehöre vermutlich nicht dazu.

Bei mir kommt an: Netzbetreiber/Stromversorger will einen Teil seiner Zuständigkeiten an die Stromkunden abwälzen, die dann die „Opportunity“ haben, zwischen einer Unzahl an „Providern“ und Tarifstrukturen zu „wählen“.

Ergebnis: massive Informationsasymmetrie → grenzenlose Möglichkeiten zur Abzocke der Endverbraucher

Interessant ist das nur für „Consumer“, deren Stromrechnung hoch genug ist, als dass sie eine Kraft mit ein paar Stunden die Woche abstellen können, die sich um Informationsbeschaffung und darauf aufbauend optimierte Nutzung dieser „Opportunities“ kümmert. Aber da gibt’s das doch heute schon fast alles in gewissem Rahmen, oder?

Für den Rest ist der volkswirtschaftliche Nutzen am höchsten, wenn der Strom und alle dahinterstehenden Operationen, einfach aus der Steckdose kommen und sie nix damit zu tun haben. Mehr als die Hälfte der Haushalte hat ja noch nie den Stromversorger gewechselt. Ein Gutteil sitzt sogar noch in der Grundversorgung. Und die sollen nun mit diversen Parteien auf Augenhöhe Verträge für alles mögliche abschließen? Absurd!

Aber das führt weit weg vom eigentlichen Thema dieses Diskussionsstrangs.

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Danke, das hatte ich auch gesehen.
Was ist aber eine Information wert,

  • die so versteckt ist, dass sie bei einer Googlesuche nicht zu finden ist? Wen will sie (versteckt) erreichen?
  • die keine Quellennachweise anführt?
  • von der man nicht weiß welchen Stand sie hat (Erstellungsdatum)?

Ich gebe dir recht dass sich das weiße Papier wie eine Werbebroschüre liest (auch wenn mein englisch nicht so berauschend ist).

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Also wenn man mal in den IPCC-Report reinschaut, Kapitel 7 Energy Systems, dann steht auf S. 538-540:

The ranges of harmonized lifecycle greenhouse gas emissions reported in the literature are 18-180 gCO2eq/kWh for PV (Kim et al., 2012; Hsu et al., 2012), 9-63 gCO2eq/kWh for CSP (Burkhardt et al., 2012), and 4-110 gCO2eq/kWh for nuclear power (Warner and Heath, 2012).

Die Einschätzung kommt also nicht vom IPCC sondern gibt das Ergebnis dieser Metastudie von Heath und Warner, die ein Jahrzehnt alt ist, wieder: „Life Cycle Greenhouse Gas Emissions of Nuclear Electricity Generation“

Es gab glaube ich in der Zwischenzeit einige weitere Erkenntnisse zum CO2-Ausstoß des Uranbergbaus. Die Unsicherheit der Bewertung durch die Frage der Uranerzqualität wird schon in der Arbeit angesprochen:

The impacts of uranium ore grade on life cycle GHG emissions, as examined in this study, have largely been unaddressed in the literature, even in projection-based LCAs. There could be significant effects on the future GHG emissions mitigation potential of nuclear power as uranium ore grade is significantly reduced through increased consumption.

Was für ein Szenario des gesteigerten Anteils von Kernenergie entscheidend ist.

Die Arbeit ist außerdem von 2012. Das ist zwar bereits nach dem Unfall von Fukushima 1, aber der Großteil der eingeflossenen Literatur ist aus der Zeit davor. Durch den Unfall sind die Anforderungen an den Anlagenbau nochmal erhöht worden, die für diese Phase wohl auch mit höheren CO2-Emissionen verbunden ist.

Hier ist eine neuere Arbeit aus dem letzten Jahr: The greenhouse gas emissions of nuclear energy – Life cycle assessment of a European pressurised reactor - ScienceDirect Sie rechnet für eine neuen Reaktor in Europa, das LCA (life cycle assessment) durch. Gegenüber dem Median von 12 gCO2eq/kWh nach Heath und Warner, werden methodenabhängige Mittelwerte von ca. 17, 25 and 28 gCO2eq/kWh gefunden. Zu diesem Vergleich aus der Zusammenfassung:

These are either well above or at the upper end of the range of possibilities (5 to 22 gCO2e/kWh) stated in a report for the UK’s Committee on Climate Change, and significantly higher than the median value of 12 gCO2e/kWh presented by the Intergovernmental Panel on Climate Change. They are also higher than the values acknowledged by the nuclear industry.

Der letzte Punkt ist ebenfalls wichtig. Ein Großteil der Arbeiten, auf denen die Metastudie basiert, kommt vermutlich aus der Industrie oder ist mit dieser assoziiert. Gruppen, die der Kernenergie kritisch gegenüber stehen, kommen eher auf das Fünffache des Median von 12 gCO2eq/kWh. Die obige Arbeit von 2021 kommt aus der Nachhaltigkeitsforschung. In dieser Frage muss man auch Tendenzen der Forschung im Blick haben.

Für den Vergleich mit anderer Brennstoff-basierter Energieerzeugung fallen diese Unterschiede zwar nicht ins Gewicht. Da ist auch das Maximum in der CO2-Bilanz schon noch besser und ich denke die Vorhersage der Metastudie ist zutreffend:

[…], additional consequential LCAs are unlikely to fundamentally change the comparison of nuclear power to fossil fuel-based electricity generation sources.

Angesichts der hohen Kosten für Kernenergie ist ein Faktor 2-5 bei den CO2-Emissionen allerdings gewichtig. Eine mögliche Verschlechterung der Bilanz durch die unter Ausweitung des Verbrauchs noch verfügbare Qualität bei den Uranverkommen ist vielleicht noch gewichtiger. Insofern ist es schon denkbar, dass Kernenergie allein auf die Frage der CO2-Bilanz bezogen am Ende nur eine mittelmäßige Verbesserung mit sich bringt.

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Danke - sehr spannend!

Mal ganz blöd gefragt: Heißt das für eine Technologie mit statistisch einer der niedrigsten Todesfälle/GW kamen durch die Ängste vor der Energieform so harte Auflagen dazu, dass man jetzt sagen kann diese Technologie lohne sich nicht weil man ja durch diese Auflagen so extremen Materialverbrauch hat dass die CO2 Bilanz kippt?

Ich frage mich außerdem wie viel von den hier oft zitierten Verzögerungen und Verteuerungen der Anlagen auf das Konto solcher Regularien gehen. Wenn es derselbe Wahnsinn wie beim Windkraftausbau ist oder sogar noch schlimmer mit neuen Regulierungen und spontanen Verschärfugen nach Lust und Laune dann könnte man darüber ganz anders reden.

Es macht sicherlich keinen Unterschied für Deutschland aber ist ein großer Unterschied für die Welt (ist die Physik, Wirtschaft oder Politik das eigentliche Problem).

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Das ist ein völlig untauglicher Maßstab.

Im Laufe der nächsten Jahrzehnte werden mehr Solarteure vom Dach und mehr Mechaniker vom Windrad fallen, als bei sämtlichen Nuklearunfällen zusammen gestorben sind.

Was aber ganz sicher nicht passieren wird: dass durch PV und Windkraft zehntausende oder gar hunderttausende Menschen plötzlich evakuiert werden müssen.

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Die Diskussion hatten wir schon und sie führt zu nichts. Da Menschen schlecht darin sind Risiken abzuschätzen wäre ein statistischer Ansatz zwar hilfreich aber natürlich kann man sich gern auf das Bauchgefühl verlassen und diese Entscheidung dann verteidigen. Schließlich haben wir mit Technologien aus den 50er Jahren bereits dutzende Male hunderttausende Menschen in Deutschland evakuieren müssen und die Anlagen werden ja mit besserer Technologie bekanntermaßen immer gefährlicher.

Unabhängig von der Kernenergie: Was die Argumentation mit heruntergefallenen Mechaniker angeht finde ich das grenzwertig zynisch: Das ist es nicht was die Statistik der Todesfälle treibt. Es sind eher die Arbeitsbedingungen in Minen und Produktionsbetrieben, was natürlich bei Solartechnik deutlich mehr ins Gewicht fällt als bei WKA’s. Das alles passiert bloß größtenteils nicht in Deutschland, daher hat es in der Diskussion ein anderes Gewicht. Für mich ist das eine zynische Verlagerung des Risikos auf Andere. Und zum Abschluss ein fetter disclaimer - das alles ließe sich mit genügend politischem Willen lösen und ist kein Kriterium das gegen den massiven Ausbau von PV spricht.

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