EU-Taxonomie: „Greenwashing“ für Atomenergie und Gas

Also du hast gesagt, dass alleine der Wirkungsgrad entscheidend ist. Aber das Thema ist komplexer: Es spielen viele Synergieeffekte eine Rolle beim Auslegen einer neuen Infrastruktur, darauf wollte ich hinaus. Man kann eine Entscheidung nicht auf einen Zahlenwert reduzieren.

Wenn es um die Wasserstoffpläne der Bundesregierung geht, machen diese sehr viel Sinn. Der Wasserstoff soll in diesem Kontext nicht die Grundversorgung leisten, sondern mit überschüssiger Energie wird ein Elekteolyseur betrieben und in Phasen des hohen Bedarf wird per Brennstoffzelle die Spitzenlast abgefedert. (Man kann eine PEM in beide Richtungen betrieben.) Das alles ist in Entwicklung - unter anderem von Siemens.

Was hier auch in Bezug auf Ur Gasturbine angesprochen wurde ist im Kontext ebenfalls valide, da man die Abwärme von Gasturbinen auch als Fernheizung nutzen kann. Da bei Heiztechnik die Abwärme relevant ist, erzielt die Heizung einen Wirkungsgrad von über 90%. (Wieder die Falle?) Jetzt bezieht sich der Wirkungsgrad auf die nutzbare Wärme und nicht mehr auf die elektrische Systemleistung. Generell sind Fernheizungen ein weitere absolut notwendiger Schritt, um die Bilanz weiter zu verbessern.
Ergo das Thema ist sehr komplex und lässt sich nicht in einer Aussage zusammenfassen. Wir werden definitiv auch in der Zukunft einen „wilden Mix“ brauchen.

Wenn ich von fast 100% regenerativen Netzen spreche, spreche ich konkret immer vom Stromnetz. Die gesamte Primärenergie Stand heute nachhaltig zu gestalten ist noch nicht möglich bzw. ich hab noch nie eine realistische Idee gelesen.

PS ich wollte es nur kurz ausblenden weil ich dir eine Physik Begriffsklärung geben wollte und es sonst zu komplex wird. :wink:

…Guenter… - Sehr schöner und rationaler Beitrag, genau was, was bei fast jedem Gespräch über Atom Energie in Deutschland nicht vorhanden ist.
Energie ist der Grund des Wohlstands der Deutschen und der Humanität.
Es geht keinen Weg an die Atomenergie vorbei, auch wenn das nicht DIE Lösung ist, wenn man
a/ sein Wohlstand nicht zu stark reduzieren will (wird sowieso kommen, nur in welchem Maß?)
b/ Die Klima Erwärmung begrenzen möchte

Dein Vergleich mit dem Alkoholiker ist perfekt: wir sind Energie abhängig und behaupten abstinent werden zu wollen.

Das Spielfilm „Don´t look up“ auf Netflix ist eigentlich kaum übertrieben, was unsere Blindheit anbelangt.

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Vorsicht – wenn ich von einem 100% Erneuerbaren Energiesystem spreche, dann meine ich ALLE energiebedingten Emissionen (Landwirtschaft o.ä. ist da nicht mit drin). Konkret geht es grob um die vier Sektoren Strom, Raumwärme, Verkehr Industrie-/Prozesswärme. Alle drei Studien, die ich verlinkt habe, behandeln so ein System.

Was die Frage angeht, wie realistisch die sind: sie sind mal mindestens extrem ambitioniert. Der Zubau an regenerativen Energien ist gigantisch. Der Stromsektor ist dabei aber noch am einfachsten. Dann kommen Raumwärme und Verkehr, gefolgt von der Industrie. Bei letzterer müsste technologisch noch so einiges passieren.

In den meisten Szenarien müssen wir einen kleinen Teil der Energie weiterhin importieren (z.B. über Wasserstoff o.ä.). Wenn man daran denkt, dass wir heute Öl und Gas en masse importieren macht uns das kaum abhängiger als vorher. Allerdings müssen dann natürlich auch die anderen Nationen mitspielen. Unrealistisch hin und her: die Studien zeigen, wie es rein technisch und halbwegs wirtschaftlich gehen könnte (wenn gewisse angenommene technische Entwicklungen so mitspielen) und das ist ja auch ihr job. Die Frage der politischen Umsetzbarkeit (national und international) ist eine andere.

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Oder wir sind halt eben nicht alle rein rational handelnde Wesen, die nur auf die Rendite schauen. Das es einen, zugegeben noch recht kleinen, wachsenden Teil an „nachhaltigen“ aktiv gemanagten Fonds und ETF gibt zeigt doch, dass dort nicht alle nur auf das beste, schnellste Wachstum aus sind. Und auch staatliche Fonds dürften irgendwann durch öffentlichen Druck Probleme bekommen, wenn sie weiterhin in z.B. fossile Produkte investieren, weil die Gesellschaft weg von diesen Investments will.

Genauso wie es nachhaltige Angebote gibt, die schlechter performen gibt es sogar auch welche, die besser performen. Da einfach mal nur zwei Beispiele zu bringen ist etwas zu kurz gegriffen. Zugegen, eine Gesamtstatistik habe ich auf die schnelle nicht gefunden.

Ode das führt eben dazu, dass so ein staatliches Label als reines Greenwashing angesehen wird und sich jede Investorin doch wieder selber ihre Kriterien basteln muss. Der Wildwuchs würde also weitergehen und nicht zu mehr Transparenz führen.

Exakt. Ich bin deshalb auch kein Freund davon, dass der Staat versucht den Menschen das Denken abzunehmen.
Wer glaubt, dass seine Bürger nur mit vorgegeben Labeln nachhaltig investieren kann nimmt die Intelligenz seiner Bürger nicht ernst genug.

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Ich denke schon dass genug politischer Wille da ist, so einen Wandel innerhalb von 50-100 Jahren zu vollziehen. Wir gehen ja in die richtige Richtung uns sind nur zu langsam. Meiner Meinung nach ist das eigentliche Problem dass wir uns entschieden haben bis 2036 Kohle zu verbrennen, weiter auf Diesel-Fahrzeuge zu setzen etc. und das unser Budget eben so schnell aufbraucht dass wir unsere ambitionierten Pläne nicht in die Tat umsetzen können.

Für mich ist das so alsob Hilfe in etwa einem Monat eintrifft, man sich aber nicht beherrschen kann, sämtliche Notfallrationen in den ersten Tagen futtert und dann am Ende verhungert.

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Teil der Notfallrationen war auch eine Jahrhundertration Fisch, die man aber lieber wegwirft weil man Angst vor Gräten hat und Fisch ohnehin Kokolores ist.

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Das Reizthema wollte ich vermeiden um den Frieden zu wahren aber ja… Ich frage mich halt auch wie wir zu Fisch stehen würden wenn wir wüssten dass wir vielleicht noch fast 100 Jahre aushalten müssen.

28 Jahre sind es noch bis 2050 und das ist dieselbe Zeitspanne wie von den frühen 90ern bis heute. Ich sehe da keine radikale Transformation und ein massives Umdenken in den nächsten Jahren. Wir werden fressen was wir haben und der nächsten Generation nur die Plastikverpackungen überlassen.

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Naja zumindest finanzieren wir unseren Nachbarn ihre Fischzucht, damit diese uns dann Katzenfutter senden können. Aber Fisch wollen wir nicht in unserem Land, nein danke.

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Ich weiß nicht… Am Ende sind wir ja so überzeugt, dass Fischzucht keine Option ist, dass wir anderen EU-Staaten erklären, dass Fischzucht Kokolores ist und sie wie wir stattdessen Wale jagen gehen sollen.

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Aber wir gucken auch beim Katzenfutter natürlich nicht so genau hin…

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Quelle ntv: „Seit dem Abschalten des Atomkraftwerks in Fessenheim 2020 verfügt Frankreich über 56 Reaktoren an 18 Standorten. Sie produzieren knapp 70 Prozent der Energie - mehr als in jedem anderen Land. In den vergangenen Wochen waren allerdings bis zu 17 Reaktoren gleichzeitig abgeschaltet. In den meisten Fällen handelte es sich um geplante Wartungsarbeiten. Wegen der Pandemie hatten sich einige Eingriffe verzögert.“

Nur mal so als Information.

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Klare Zustimmung, dass hier politischer Wille im Spiel ist. Aber was man doch aus Deutscher Sicht auseinander halten muss, sind zwei Tatsachen:

a) Bestehende Atomkraftwerke werden von Frankreich etc. sowieso weiterhin betrieben. Hier könnte das Geld allerdings für „Sicherheitsupgrades“ von Alten, und den Neubau von state-of-the-art Reaktoren genutzt werden. Beides Verbesserungen zum Status Quo (nur alte Reaktoren). Im Wortlauf:

Blockzitat In particular, the Directive calls for significant
safety enhancements in the design of new reactors, including the so-called Generation
III+ reactors, for which the state of the art knowledge and technology should be used
taking into account the latest international safety requirements.

b) Der Fokus auf Endlagerung ist kein neues Problem. Für mich das Hauptargument beim Atommüll, das immer ausgelassen wird: alle Atomkraft betreibenden Länder, auch Deutschland, haben über die Jahrzehnte sowieso schon etliches an Atommüll angehäuft, für all das eine Lösung gefunden werden muss. 2.5 Million Kubikmeter sagt die Heinrich-Böll-Stiftung für Europa in dem „World Nuclear Waste Report – Focus Europe“, eine Studie in 2019.

Die Nutzung als „Transitory“ Energie wird der EU, in Verbindung mit den Sicherheitsupgrades, bis 2050 eine solide Grundlast schaffen. Das Problem Abfall existiert doch sowieso schon, und wird nicht weniger schlimm indem sich Deutschland und Österreich hier verweigern. Stattdessen wird richtigerweise in dem Draft ein Plan für eben diese Endlagerung als Vorraussetzung angesehen, und damit Geld und Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Problem gelenkt.

Ich verstehe ja alle Vorbehalte gegen Atomkraft, aber diese Punkte scheinen mir immer ein wenig ausgeblendet.

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Hallo an Alle,
ich finde die Thematik rund um die Taxonomie und Europas zukünftigen Energiemix spannend und hatte mich deshalb auch unabhängig von der letzten Lage mit dem Thema beschäftigt.
In der letzten Lage wurden Frankreich und Polen als treibende Kraft für die Klassifizierung von Atom bzw Gasenergie als Nachhaltig bezeichnet. Die Rolle Deutschlands wurde lediglich in einem Nebensatz erwähnt. Mir stellt sich jedoch Deutschland als treibende Lobbykraft für die Nutzung von Gas dar. ( https://www.lobbycontrol.de/2021/07/zukunft-gas-wie-ein-pr-lobbyverband-der-gasindustrie-die-deutsche-klimapolitik-verwaessert/)

Jetzt zu meiner Frage, wurde die Lobbyarbeit Deutschlands für die Klassifizierung von Gasenergie als Nachhaltig in der Lage unterschätzt? (Bündnis-Appell zur EU-Taxonomie: Nein zu Atom und Gas – BUND e.V.)

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Ob’s in der Lage unterschätzt wurde, weiß ich nicht, da es ja offensichtlich ist und man es nicht extra ansprechen braucht. In Europa sind sowieso DE und FR die zwei einflussstärksten Nationen und da die EU niemanden verärgern will, kam Gas und Atom in den Entwurf. That‘s it.

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Lieber Mad-Ric, Du sprichst mir aus der Seele! Und Guenter hat wohl den ersten Absatz ausgeblendet, in dem Du deutlich zum Ausdruck bringst, dass sich die Kritik gegen die Einstufung der Kernenergie und der Gasverbrennung als „grün und nachhaltig“ richtet und nicht gegen das, was man als „Brückentechnologie“ gerade noch akzeptieren könnte.
(Wobei ich mich frage, wo/wann beim Neubau von KKWs die „Brücke“ beginnen sollte.)

Ich bin jedenfalls ebenfalls fassungslos, was dieses „Greenwashing“ betrifft, das offensichtlich auf einem Kuhhandel zwischen Frankreich und Deutschland basiert.

Wie Harald Lesch kürzlich in einer Lanz-Sendung sagte, wäre die nachhaltigste Maßnahme zum Klimaschutz ohnehin eine drastische Reduzierung des Energieverbrauchs, aber die ist weit und breit nicht in Sicht.

Viele Grüße von trinitatis

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Etiketten zu verteilen scheint mir hier generell nicht zielführend. Wäre eine Kohlendioxidpreis auf EU ebene nicht das richtige Mittel? Dann kann man den Energiemarkt den effektivsten Weg zur CO₂-Reduktion finden lassen.

Die Frage sollte nicht in einem Vakuum behandelt werden. Um zu illustrieren, was ich meine: bei COVID war die richtige Frage Impfen und erkranken gegen nur erkranken (nicht Impfen oder nicht Impfen). Hier ist die Frage AKW/Gas oder Kohle (in Deutschland/Polen z.b.) nicht AKW/Gas alleine. Auch die neue Infrastruktur, die für Wind, Sonne, und Wasser gebraucht würde, hat Kosten. Genau was der effektivste und sicherste Weg zur „Nachhaltigkeit“ ist, hängt sehr von lokalen Gegebenheiten ab und ist extrem komplex. Darum wahrscheinlich der lasche Kompromiss auf „weg von der Kohle“.

Die Diskussion um Kernenergie alleine sollte hier nicht vermischt werden. Ob wir Kernenergie nutzen oder nicht, beides birgt existenzielle Risiken. Da gibt es natürlich auch technische Mittel, den Risiken vorzubeugen, und politische und ökonomische Gründe, warum diese Mittel nicht wahrgenommen werden. Die Frage ist weniger, ob wir der Technik trauen und eher, ob wir unserer Gesellschaft den Umgang mit dieser Technik zutrauen.

Lustiger Nebengedanke, xkcd hatte eine Grafik, die zeigt, dass wir auch durch Kohleverbrennung strahlungsbelastet sind.

Der Kurzgesagt YouTube Kanal hatte eine exzellente Serie mit Argumenten für und gegen Atomkraft
Omegatau Podcast: moderne Kernkraft (Episode 359) und Endlagerung (Episode 368). Hat auch mehrere Episoden zu Stromnetzen und erneuerbaren Energien.
International Energy Agency: iea.org für eine jährliche, wissenschaftliche Bilanz der Energieträger weltweit

Wenn es rein um die Frage der CO2-Einsparung geht, tendiere ich im Prinzip auch in diese Richtung. Eine Etikettierung kann der Komplexität der Frage, wie wichtig eine bestimmte Technologie für die Einsparung von Emissionen ist, nicht wirklich gerecht werden. Das haben wir u.a. bei der Diskussion um Erdgas gesehen. Die CO2-Bepreisung gibt es ja auf EU-Ebene im Prinzip schon. Mal angenommen, dass sie im Grundsatz funktioniert, gibt es m.E. noch zwei Schwachstellen: zum einen müsste man sicherstellen, dass ALLE relevanten Sektoren abgedeckt werden (z.B. auch Straßenverkehr etc.). Zum anderen müsste das System natürlich idealerweise global sein. Während das sicher vorerst Wunschdenken bleibt, sollte man das EU-System zumindest bestmöglich mit entsprechenden Ansätzen in USA oder China koordinieren.