Gerade wurde die Übertragung des Mainzer Rosenmontagsumzuges im ZDF unterbrochen, um Aktuelles zu einem (vermutlichen) Anschlag in der Mannheimer Innenstadt zu berichten. Mehr Informationen als im zuvor eingeblendeten Rolltext gab es zwar noch nicht, aber immerhin war das Fernsehen schon mal live vor Ort.
Ich frage mich schon seit längerem, ob die Berichterstattung zu der Problematik noch verhältnismäßig ist, ob hier nicht möglicherweise sogar ein Nachahmereffekt heraufbeschworen wird wie er z.B von Suiziden bekannt ist, und ob die Täter es nicht sogar auf die Aufmerksamkeit, die ihnen garantiert zukommt, bewusst absehen.
Ich bestreite nicht, dass die Öffentlichkeit ein Interesse hat, von solchem Taten zu erfahren - das Ausmaß in dem darüber berichtet wird und der Raum, den anschließende Diskussionen darüber einnehmen (ganz besonders wenn die Tat von einer Person, die sich im Rahmen des Asylrechtes in Deutschland aufhält, verübt wurde) nimmt m.E. aber überhand.
Morde an (Ex-) PartnerInnen, tödlich Verunglückte im Straßenverkehr etc. schaffen es höchstens bis in den Lokalteil meiner Zeitung. Aber wenn es um das neueste Aufregerthema geht, nimmt das schon mehrere Spalten ein und die darauf folgenden Diskussionen ebenfalls.
Für den Wahlkampf war das ja auch schon ein dankbares Thema: Es lässt sich gut eingrenzen und man kann schnell (edit Mod. angenommene) Lösungen präsentieren bzw. mit der neuen Bedrohung auf Stimmenfang gehen. Mittlerweile könnte man geradezu meinen, in Deutschland sei die Gefahr größer, bei einem Mordanschlag mit dem Auto das Leben zu verlieren als wenn man beim Überqueren einer Straße einfach nur versehentlich überrollt wird.
Sind derart ausführliche Berichterstattungen, die sich letztlich aber damit begnügen, allenfalls die Oberfläche eines Problems anzukratzen, überhaupt noch für unser Informationsbedürfnis relevant, oder ist das, um es überspitzt zu formulieren, nicht doch vorwiegend Entertainment? - Das Thema ist weit genug von den meisten von uns entfernt, so dass wir nicht das unangenehme Gefühl der eigenen Betroffenheit haben (im Gegensatz z.B. zur Klimakrise oder dem aus den Fugen geratenen Wohnungsmarkt), berührt uns aber dennoch emotional. Es ist leicht konsumierbar. Wir lassen uns mal wieder von den komplexeren, unangenehmeren, drängenderen Problemen unserer Welt erfolgreich ablenken.
Striktere Tempolimits, allerdings insbesondere auf Autobahnen und Landstraßen, würden einige Menschenleben retten.
Ist in Deutschland aber leider nicht machbar. Lieber weisen wir ein paar potentielle Messerstecher und Amokfahrer aus. Dann erkennt wenigstens jeder, dass die Regierung hart durchgreifen kann und nicht bloß die Bevölkerung mit Verboten gängelt.
Der Gedanke war eher auf die Art der Anschläge bezogen.
Nach den Messerangriffen war ein recht konkretes Messerverbot schnell Thema und auch zeitig gesetzlich umgesetzt.
Beim Thema Anschläge mit Autos kam aber noch kein Vorschlag, in Innenstädten mit Fussgängerzonen eine Art Bannmeile für Autos einzurichten. Da wird nicht offen drüber gesprochen.
Find ich nur seltsam
Verstehe deinen Ansatz und es zeigt wie aktionistisch die Maßnahmen sind. Bringt am Ende dann aber auch nichts. Bzw in dem Fall vermutlich sogar mehr, weil es außerhalb von Innenstädten weniger Menschenmengen gibt. Aber wäre genauso aktionistisch.
Merz:„Der Vorfall - wie auch die schrecklichen Taten der vergangenen Monate - mahnt uns eindringlich: Wir müssen alles tun, um solche Taten zu verhindern.“ Deutschland müsse wieder ein sicheres Land werden.
…Deutschland ist eig so sicher wie nie.
Halte den Nachahmungseffekt für logisch. Neben erstarkendem Islamismus (komischerweise zahlen wir den Taliban ja vermutlich Geld, damit sie Straftäter wieder zurück nehmen anstatt sie hier zu verurteilen oder wollen mit ihnen verhandeln, wenn man der Union zuhört. Freiwillig wird’s wohl nicht gehen).
Bei der aktuellen, traurigen Häufigkeit solcher Ereignisse kann ich mir kaum vorstellen, dass man einen Zusammenhang mit der übertrieben medialen Berichterstattung gänzlich ausschließen kann.
Ich würde es auch begrüßen, wenn über solche Ereignisse weniger ausführlich berichtet würde.
Mal ein anderer Gedanke, auch wenn der natürlich stark in Richtung Verschwörungstheorien geht. Klang hier im Forum aber auch schon an.
Als „guter“ Geheimdienstler lernt man ja auch, wie man Staaten von innen heraus destabilisiert.
Da geben sich CIA oder FSB/KGB nicht viel.
Geld oder Druckmittel an den richtigen Stellen, bissl Erpressung, gezielt falsche Informationen streuen, Unsicherheit gegenüber der amtierenden Regierung schüren, gewünschte politische Gruppen pushen und fördern….
In Deutschland funktionieren die Themen Sicherheit und Migration besonders gut. Besonders im Zuge von Wahlen.
Ängste gegenüber Migranten schüren konzentriert das Interesse auf die Innenpolitik, weg von der Außenpolitik. Das durch gezielte Vorfälle schüren, ob Anschläge oder Unfälle, nagt weiter am Vertrauen an das bestehende System. Parteien der Ränder gewinnen an Einfluss, das ganze politische System wird instabiler….
Ich könnte mir durchaus Akteure vorstellen, die sowas als Mittel zur Durchsetzung eigener nationaler Interessen für legitim halten….
Das ist meines Erachtens zweifellos der Fall. Wir haben da auch genug Erfahrung aus anderen Bereichen, siehe z.B. Amokläufe an Schulen, bei denen sich fast immer an „Vorbildern“ orientiert wurde. Das dürfte auch für diese Amokfahrten gelten, für andere bewaffnete Amokläufe ohnehin.
Das Schlimmste ist, dass damit immer der falsche Eindruck erweckt wird, Deutschland sei gefährlicher oder unsicherer geworden. Beispiel Merz aus der FAZ:
Hier deutet Merz an, dass Deutschland kein „sicheres Land“ mehr sei, sondern dies „wieder werden müsse“. Das ist schlicht übelster Populismus, der neben der Berichterstattung zum Unsicherheitsgefühl beiträgt. Genau das will die Union natürlich - denn die Union will natürlich „Mehr Polizei“ und „mehr Befugnisse für Polizei und Ermittlungsbehörden“, das ist die viel beschworene DNA der Union. Weder macht das jedoch die Aussage, Deutschland sei kein sicheres Land mehr, richtiger, noch ändert es etwas daran, dass solche Taten bei allen erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen selbst in einem totalen Polizeistaat noch passieren würden.
Das will aber eben niemand hören: In einem Staat mit fast 85 Mio Einwohnern wird es immer ein paar Zehntausend absolute Psychopathen geben und einige wenige davon werden solche Taten begehen. Klar sollten wir mehr Prävention betreiben, aber das Denken, man könne solche Taten mit mehr Polizei und mehr Überwachung verhindern, ist einfach falsch. Terrorismus gehört zum allgemeinen Lebensrisiko und die Gefahr, durch Terrorismus oder Gewaltverbrechen zu sterben, ist in Deutschland niedriger als in den meisten Teilen der Welt, vor allem deutlich niedriger als in vergleichbaren Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder gar den USA… dazu muss man sich nur mal die Tötungsrate pro 100.000 Einwohner anschauen (Deutschland 0,8; Frankreich 1,1; UK je nach Region 1 bis 1,4; USA 6,4).
Fakt ist und bleibt daher: Es gibt nur wenige Industrieländer, die sicherer sind als Deutschland. In diesem Sinne muss man immer gegenhalten gegen Demagogen wie Merz und co., die Deutschland zu einem unsicheren Land erklären.
Mike, ich glaube, um die Attentäter müssen sich feindliche Geheimdienste gar nicht bemühen, die kommen ganz von selbst. Wenn die Leute auf ganz vielen Plattformen mit Desinformation, Falschmeldungen und realitätsverzerrten Meinungen zugeschüttet werden, dann wird es immer Menschen geben, die diese Ansichten übernehmen und letztlich auch ein paar, die dann den Drang zum handeln verspüren.
Die Sache wird nicht besser dadurch, dass sich auch bekannte Politiker für Lügen und Falschaussagen nicht zu schade sind. Dabei könnten diese Leute hier ganz einfach etwas bewirken, indem sie auf platte Lügen verzichten, sich besser informieren oder einfach den Mund halten, wenn sie sich nicht auskennen. Man braucht dafür nicht einmal ein neues Gesetz.
Ich sehe ein Problem auch darin, dass über die Taten berichtet wird aber nicht mehr, wenn Motive bekannt sind und die Berichterstattung über die Bestrafung man aktiv in den Lokalmedien oder auf Gerichtsportalen suchen muss. Dann also wenn der Rechtsstaat seine Arbeit aufnimmt und seine Handlungsfähigkeit beweist wird es still.
Vermutlich möchte man den Täter nicht den sozialen Netzwerken zum Fraß vorwerfen, aber es würde das Bild eines solchen Attentats weniger verzerren, wenn man zeigt, was der Hintergrund der Tat war und dass der Staat handelt.
Ich finde das Ausmaß absolut überzogen und die Qualität der Berichterstattung und Kommentierung absolut unterirdisch. Selbst beim vorliegenden Fall, der bei allen Unklarheiten mangels nicht-deutscher Herkunft des Täters eindeutig nichts mit Migration zu tun hat, wird (ähnlich wie beim Magdeburg-Täter) zwanghaft Migration mit angeführt. Hier ein Negativbeispiel aus der FAZ.
Natürlich besteht dank der großen medialen Berichterstattung auch eine verstärkte Gefahr der Nachahmung.
Viel schlimmer finde ich aber die ziemlich verlogene Entrüstung einiger Politiker und die kampagnenartige Berichterstattung vieler Medien. Wo ist diese Anteilnahme und Entrüstung eigentlich bei den vielen anderen Verletzten und Toten, die es jedes Jahr in Deutschland gibt?
Gefühlt werden allein in Berlin mehr Radfahrer an Straßenecken von LKWs schwer verletzt oder getötet als Menschen hierzulande bei Attentaten. Wir haben mehr Verletzte und Tote generell im Straßenverkehr. Häusliche Gewalt und Missbrauch bringen soviel mehr Leid in unser Leben. Nirgends sehe ich da entrüstete Politiker oder entfesselte Medien.
Das schlimmste aber ist, dass die nach den Attentaten folgenden Reaktionen von Politikern und vielen Medien ein Angstklima erzeugen. Ich wohne in einem Dorf auf dem Land, welches 3000 Einwohner hat. Ich treffe hier Menschen, die inzwischen selbst hier nachts Angst haben, auf die Straße zu gehen, denn man sei ja nirgends mehr sicher. Auch wenn das manche jetzt aufregen wird, aber ich finde die Folgen der völlig übertriebenen und unsachlichen Reaktionen auf die Attentate weit schlimmer als die Folgen der Tat selbst. Damit will ich nichts schmälern, was dort passiert ist. Aber ein Leid auszunutzen, um zum eigenen Vorteil noch viel mehr Leid zu erzeugen, ist zutiefst niederträchtig.
Also ganz subjektiv habe ich auch das Gefühl, dass Amoktaten / Anschläge jetzt mehr Aufmerksamkeit bekomme, als ich das von der amokfahrt in münster 2018 oder von den schüssen im münchener olypia einkaufszentrum 2016 erinnere. Wobei ich, glaube ich, gar nicht zwingend sagen könnte, dass die ad hoc reaktion damals nicht auch schon medial intensiv war (?), aber jetzt fügt sich scheinbar alles wieder mehr in ein Diskursmuster wie es das früher schon einmal tat (jetzt: „Migrantenanschläge“ bzw. Therorien über ausländische anschlagsteurung. Damals bei bataclan und anderen war die thematische Gruppierung „islamistische Anschläge“.)
Lirum Larum: fühlt sich tatsächlich nach mehr an, ohne dass es früher für mich belegbar deutlich weniger war. Vielleicht liegt es daran, dass sich das jetzt alles in eine laufende (politische) Debatte fügt. Intensiv ist die Medienberichterstattung auf jeden fall, aber das liegt vermutlich auch wieder daran, dass ein entsprechendes Interesse da ist, das zu konsumieren.
(Und ich spreche dem ganzen ja die generelle Relevanz ebensowenig ab wie OP, aber die frage ist wirklich, ob jede Tat gleich nen Programmabbruch und ne Sondersendung braucht)
Man könnte mit einem Autoverbot innerstädtisch anfangen.
Endlich mal ein Ansatz für die Mobilitätswende.
Aber Zynismus beiseite. Soweit ich weiß, gibt es immer Nachahme-Taten. Und das bedeutet, dass die übertriebene Berichterstattung (z.B. „Live“ wenn man noch gar nichts weiß) nur zu mehr Straftaten führt. Ausnahme wäre die Warnung vor Ort, wenn die Gefahrensituation noch nicht entschärft ist.