Manches wurde von Anderen schon erwähnt aber:
Die StIKo vertritt eine absolute Außenseiterposition. Das ist Fakt, auch wenn es dadurch allein nicht illegitim ist, diese Position zu vertreten bzw. gut zu finden. Mit seiner Aussage hat Lauterbach aber vollkommen recht, auch wenn einem der Ruf der StIKo so wichtig sein kann, dass man selbst valide öffentliche Kritik ungern sieht oder für schädlich hält. Die StIKo mag diesen unantastbaren Ruf und großes Vertrauen in der breiten Bevölkerung genießen (und das mag auch gut sein). Dass die StIKo mit ihren Positionen häufiger für Verwunderung gesorgt hat und traditionell extrem zurückhaltend ist, ist in wissenschaftlichen Kreisen aber nichts Neues.
Wichtig ist auch: Die Behauptung, dass die StIKo nur individuelle Kriterien betrachtet bzw. betrachten soll/darf, ist nicht zutreffend. Die Frage nach dem Beitrag zur Herdenimmunität war zum Beispiel ein entscheidendes Kriterium bei der Meningokokkenimpfung. Dass einige Mitglieder der aktuellen StIKo den individuellen Blick bei SARS-CoV-2 so sehr betonen, heißt nicht, dass dies eine festgeschriebene Limitierung der StIKo ist. Genau so übrigens, wie die Art und Weise, nach der Studien ausgewählt werden. In einer Pandemie mit einer Flut an Praxisdaten ohne expliziten Studienrahmen darf man durchaus mit der gebotenen Vorsicht auch die Millionen an Kinderimpfungen z.B. in den USA in seine Bewertung aufnehmen, ohne dass man dabei irgendwie „unwissenschaftlicher“ wird. Die wissenschaftliche Aufgabe beginnt ja danach, in der Auslotung möglicher Verzerrungen und der Gewichtung der Daten.
Viel größer als das Problem, das manche in einer öffentlichen Kritik an der StIKo sehen, finde ich das Verhalten der StIKo selbst, vor allem abseits der reinen Empfehlungsentscheidung. Die wäre ja mit der Öffnungsklausel und verantwortungsbewusster Kommunikation ausreichend, um ein breites Impfangebot an 12+ nach Aufklärung und Wunsch zu unterbreiten.
Was manche Mitglieder der StIKo tun, ist aber alles andere als verantwortungsbewusste Kommunikation. Dass Prof. Mertens sich zu Lanz in die Talkshow gesetzt hat und gesagt hat, dass er seine Enkel nicht impfen lassen würde, fand ich schon schwierig. Er hat sich aber auch versucht, in Bereiche der Politik einzumischen, für die er nicht zuständig ist und sich z.B. gegen das breite Testen von Kindern in Schulen ausgesprochen. Mit einer Argumentation („Müssen wir wirklich jedes symptomlose Kind finden?“), die schon die Frage aufwirft, unter welchem Stein der Mann die letzten 1.5 Jahre verbracht hat. Hat er nicht verstanden, dass asymptomatische Transmission ein Kernproblem dieser Pandemie ist? Die alternative Erklärung wäre ja nur, dass er unentdeckte Transmission in Schulen einfach gut findet. Benefit of the doubt würde für Ersteres sprechen aber das ist für jemanden, der eine wissenschaftliche Bewertung vornehmen soll, ausreichend katastrophal.
Seine Behauptungen zu LongCovid bei Kindern und der betreffenden Studienlage waren ebenfalls gruselig, die Schweizer „CiaoCorona“ Studie, auf die er sich als „einzig gute“ Studie bezogen hatte, war vorher gerade wegen ihrer eklatanten methodischen Mängel im Gespräch. Die Behauptung, sonst gäbe es keine Daten mit Vergleichsgruppe war angesichts der ONS-Daten aus UK faktisch falsch. Auch dass ausschließlich Kinder mit schwersten Vorerkrankungen an Corona versterben, wie von Mertens im Mai behauptete, war bereits nachweislich falsch.
Vorsichtige Aussagen sind nichts, was das Verhalten der StIKo-Mitglieder allgemein prägt, sondern eben nur in eine Richtung. Auf Daten wird z.B. nicht gewartet, wenn es darum geht, die Gefahr einer Infektion oder die epidemiologische Bedeutung von Kindern/Schulen kleinzureden. So haben zwei Mitglieder der StIKo, Reinhard Berner und Fred Zepp, bereits vor langer Zeit fröhlich steile Thesen aufgestellt. So befand Berner vor ca. einem Jahr Kinder seien „eher Bremsklötze der Infektion“, damals schon in Opposition zur wissenschaftlichen Studienlage. Zepp auf der anderen Seite findet schon lange, Kindern könnten doch einfach zur Herdenimmunität beitragen, indem sie sich infizieren. Wer sagt, man wisse noch nicht genug, macht sich wenig glaubwürdig, wenn er diese Zurückhaltung so selektiv anwendet.
Meiner Ansicht nach ist der Schaden am Ruf der StIKo nicht das Ergebnis einer (zutreffenden) Bewertung, wie sie Karl Lauterbach vornimmt. Es ist das Verhalten mancher ihrer Mitglieder und die mangelnde Transparenz ihrer Kommunikation. Diese wird weder dem Ernst der Pandemie noch der berechtigten Frage nach dem Zustandekommen einer Position, die in solchem Kontrast zu fast allen vergleichbaren Gremien steht, gerecht.