Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium

Ich halte dieses Argument für höchst suggestiv, unterstellt es doch, dass wesentlich weniger Menschen sterben würden, wenn es im Westen keine Unterstützung für die Ukraine geben würde. Das verkennt aus meiner Sicht erstens dass es diesen Krieg nicht gibt, weil Anton Hofreiter oder Agnes Strack-Zimmermann angeblich so gerne Krieg wollen, sondern weil die Ukraine sich gegen einen Krieg wehrt, den Putin begangen hat. Zweitens verkennt es, dass es nachwievor der Wunsch der weit überwiegenden Mehrheit der Ukrainer und Ukrainerinnen ist, dass die Ukraine sich militärisch gegen Russland zur Wehr setzt. Deshalb ignoriert es auch drittens, dass die Ukraine sich auch ohne westliche Unterstützung weiter gegen den Angriff Russlands zur Wehr setzen würde, was vermutlich zu sehr viel mehr Toten führen würde.

Mal abgesehen von dem antiamerikanischen Grundtenor (als gäbe es auf der Welt keine anderen Staaten, die Interessen haben und vertreten): Was ist das Argument dahiner: Weil es in den anderen Fällen falsch war, ist es jetzt weniger falsch?

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Die Frage ist dann doch, zu wie viel entgegenkommen ist Putin bereit?

Bezüglich der völjerrechtswidrigen Besetzung ukrainischer Gebiete?

Und wenn es da zu einer Kompromisslösung kommt, zuungunsten der Ukraine, wieviel ist unser Völjerrecht dann noch wert?

Ich sehe das sehr ähnlich und würde überhaupt nicht davon ausgehen, dass die russische Agression nach so einem Deal endet - genau deshalb habe ich ihn ja als schmutzig bezeichnet. Allerdings glaube ich auch nicht, dass die Ukraine sich überhaupt auf einen Deal einlässt, bei dem nicht mindestens die Krim entmilitarisiert wird und der durch glaubwürdige Garantien von verbündeten Staaten abgesichert ist.

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Hallo alle zusammen,

ich muss ganz offen zugeben, dass ich es nicht aus Zeitgründen geschafft habe, alles hier im Forum zu lesen und falls sich da jetzt was doppelt durch meinen Beitrag, dann entschuldigt. Ich melde mich, weil ich zunehmend irritiert bin von zwei Grundannahmen, die im Podcast in der Diskussion dieses Themas getroffen scheinen, und dann noch von einem ganz konkreten Widerspruch aus der aktuellen Folge:

Annahme 1 scheint mir zu sein: „Ein vorsichtiger Kanzler ist schlecht.“ Das verstehe ich bei einem so kommplexen Thema mit so hohen Risiken einfach nicht. Niemand von uns kann doch wissen, wie eine Eskalation eines solchen Krieges aussieht, egal was für Planspiele wir im Kopf so anstellen und wer die anstellt, es sind am Ende nur Vermutungen und dann auch noch Vermutungen, die wir alle auf deutlich schlechterer Datenbasis treffen als der Bundeskanzler (hoffe ich), der ja wissen müsste, was hinter den Kulissen international so besprochen wird (und bei diesem Thema kann es ja auch aus taktischen Gründen sehr sinnvoll sein, nicht alles davon auch öffentlich zu machen, so sehr ich sonst für Transparenz in einer Demokratie bin). Hier mit „Angst“ zu argumentieren scheint mir zu kurz gedacht, denn die Lage ist doch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit viel undurchsichtiger und komplexer als wir das beurteilen könnten.

Annahme 2: „Putin wird keine Atomwaffen einsetzen.“ Das soll der Kanzler uns ja erklären. Aber am Ende haben wir es mit Russland mit einem Staat zu tun, der diese Waffen hat und es ist eine Möglichkeit (wie unwahrscheinlich sie uns auch individuell erscheinen mag), dass sie eingesetzt werden. Und wir wissen um das Zerstörungspotenzial dieser Waffen. Ich möchte damit nicht sagen, dass man Russland machen lassen soll was es will, aber ich denke es ist durchaus sinnvoll diese Bedrohung ernst zu nehmen, auch wenn das taktisch die Lage komplizierter macht.

Ich würde zu beiden Punkten die Ausführungen des Stabschefs der Joint Chiefs Mark Millie zur Natur des Kriegs empfehlen, die er im Bezug auf den Krieg in der Ukraine machte, da steckten einige recht differenzierte Gedanken drin.

Und dann gab es noch diesen Widerspruch, dass gegen Ende der Diskussion quasi die Haltung des Bundeskanzlers mit der Haltung der EU gleichgesetzt wurde, obwohl vorher berichtet wurde, dass Macron da deutlich offensiver eingestellt ist. Also Scholz’ Haltung ist ja nicht gleich der Haltung der EU, das sollte man schon trennen.
Ich habe mich dabei auch gefragt, ob wir die Rolle Deutschlands an der Stelle vielleicht auch überschätzen in der Debatte, da mir Mächte wie die USA, China oder auch andere EU-Staaten, die selbst Atomwaffen haben (wie Frankreich), deutlich ausschlaggebender für den Verlauf erscheinen. Aber das ist eher ein persönliches Gefühl, für das ich mich bei weitem zu wenig auskenne, was die Entscheidungsfindungsprozesse im internationalen Geflecht angeht.

Wie dem auch sei, ich würde mich über ein paar Gedanken dazu freuen und bei allem, was ich sonst an der Lage schätze, hier auch über noch differenzierteres Berichten anstatt Argumentieren (auch wenn ich den konstruktiven Ansatz eigentlich sehr mag). Cheers!

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Ich gehe davon aus, dass die Ukraine ihre Gebiete nicht vollständig zurückerlangen wird.

Gute Frage. Es ist allerdings nicht das erste mal, dass das Völkerrecht ausgehöhlt wird.

„Das Völkerrecht entfaltet seine Wirkung vor Allem darüber, dass man es selbst vorbildlich und konsequent einhält, denn im gegenteiligen Fall liefert man Rechtfertigungsgründe für die Missachtung der Regeln durch alle anderen, und im Zweifelsfall auch für kriegerische Gewalt“

Die Aussage eines ehemaligen Professors der Friedens- und Konfliktforschung von mir in diesem Artikel: Krieg in der Ukraine: Friedens- und Konfliktforscher schätzt die Situation ein

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Man müsste dann, wenn man ehrlich ist, zugeben, das ein Völkerrecht, dan das sich dann nicht jeder hält bzw es so offen und mit Erfolg brechen kann, relativ wertlos ist. Letztlich gilt dann wieder das Recht des Stärkeren.

Eine wirkliche Weiterentwicklung der Menschheit wäre das sicher nicht

Realistisch betrachtet geht vermutlich angesichts der momentanen Lage auch in der Ukraine niemand davon aus, dass die territoriale Integrität der Ukraine in den nächsten Jahren wiederhergestellt wird. Aber da es sich eben nicht nur um einen frommen Wunsch einer Partei in einem Konflikt handelt, sondern um den Standpunkt des internationalen Rechts, halte ich es unabhängig von etwaigen zukünftigen Verhandlungsergebnissen für angemessen, daran zu erinnern, dass dies der Zustand ist, der angestrebt werden sollte.

Es ist jetzt kein riesengroßes Fass, als Reaktion auf die Forderung nach Verhandlungen und einem Enfrieren des Konflikts darauf zu verweisen, zu welchen Ergebnissen genau das in den letzten zehn Jahren geführt hat. Ganz abgesehen davon glaube ich nicht, dass es möglich ist, den Angriff Russlands oder die vorherrschende Haltung in der ukrainischen Bevölkerung dazu zu verstehen ohne die Geschichte des Verhältnisses beider Länder zu berücksichtigen.

Da würde ich Dir absolut zustimmen und kritisiere deshalb auch das Auseinanderklaffen von Rhetorik und Handeln was die Unterstützung der Ukraine betrifft. Das heißt allerdings nicht, dass diese Unterstützung deswegen falsch oder unwichtig wäre.

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Ich fürchte hier würde Putinrussland widersprechen. Fakt ist, dass der Minsker Frieden nie eingehalten wurde und somit durchaus eine Bedrohung als russisch angesehener Volksgruppen bestand.

Heißt im Grunde dann, Bedrohung wird immer subjektiv empfunden und lässt sich so quasi immer als Kriegsgrund konstruieren?
Jetzt nicht zynisch gemeint.
Aber aus der eigenen isolierten Sicht betrachtet lässt sich vieles so begründen.

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Dem stimme ich zu. Der Westen hat aber halt maßgeblich zu der Aushöhlung des Völkerrechts beigetragen, weswegen ich hier die ganze Zeit sage, dass es heuchlerisch ist, dass westliche Mächte nun so tun, als würde jetzt erst durch Russland die Friedensordnung ins Wanken geraten. Die moralische Überhöhung und die damit in Verbindung stehende Ableitung, man verkörpere einzig und allein die Deutungshoheit über das rechtmäßige Ende dieses Konflikts ist, angesichts der eigenen Leichen im Keller, einfach völlig unglaubwürdig.

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Da würde ich nichtmal widersprechen.

Würde in Konsequenz heißen, wir können uns, sehr zynisch gesprochen, den ganzen moralischen Quatsch mit Völkerrecht, Menschenrechten und den zivilisatorischen Kram sparen. Wer stärker ist bestimmt, der Schwächere fügt sich, so wäre faktisch „Frieden“.

Spricht jetzt tatsächlich nicht dafür, das wir in den letzten 3000 Jahren signifikant dazugelernt hätten.

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Schön gesagt, ganz deiner Meinung. Aus Neugier die Probefrage: Gilt das auch auf der anderen Seite für die ukrainischen Soldaten und deren Regierung?

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Das ist jetzt die düsterste aller Deutungen :smiley:
Was ich damit sagen wollte ist eher, dass der Westen kein Recht darauf hat, auf seine Deutung zu pochen und deswegen nicht in der Position ist von Putin zu erwarten, sich ans Völkerrecht zu halten, während man es selber nicht tut. Man hat genügend Präzedenzfälle geschaffen um jetzt nicht darauf beharren zu können, dass das einzig mögliche Ende des Krieges die völkerrechtlich anerkannten Grenzen sein dürfen. Dass Putin das Feld nicht überlassen wurde ist ja ebenfalls klar.
Klar ist auch, dass das traurige Opfer davon gerade die Ukraine ist. Angesichts der Tatsache, dass der Westen weder genug Waffen liefert, damit die Ukraine ihre Ziele erreicht, noch für Verhandlungen wirbt, zeigt ja, dass auch dem Westen geopolitische Interessen bis zu einem gewissen Grad wichtiger sind als die Menschenleben.

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Darf ich fragen, worauf genau du dich hier beziehst?

Erwähnte ich glaube weiter oben auch so.

So gesehen war meine Deutung gar nicht so düster… :face_with_monocle:

Aber was bedeutet das jetzt konkret für die Ukraine? Das der „Westen“ aufgrund sehr fleckiger weißer Weste kein „moralisches“ Recht hat, sich in diesem Konflikt überhaupt einzumischen?

Messen wir der Verletzung des weitgehend anerkannten Völkerrechts noch soviel Bedeutung zu, das wir die Ukraine als angegriffenes Land beistehen dürfen, oder ignorieren wir dabei die Deutungshoheit Russlands als stärkerem Akteur?

Wenn das derart unklar ist, verstehe ich sogar Olaf Scholz‘ Zôgern.

Natürlich hätte es spätestens 2008 eine entsprechende Reaktion geben müssen. Dass niemand auf die Idee gekommen wäre, stimmt einfach nicht. Gerade aus Polen, der Ukraine und den balischen Staaten gab es sehr starke Unterstützung für Georgien, und die USA wollten das Lande (ebenso wie die Ukraine) genau deshalb 2008 in die NATO aufnehmen. Starker Widerstand dagegen kam unter anderem aus Deutschland.

In Berg-Karabach wurden ja keine Grenzen verschoben - hier ist die Situation völkerrechtlich betrachtet sehr viel komplizierter. „Auch eingreifen“ impliziert zudem, das „wir“ das in der Ukraine tun würden, was ja nicht der Fall ist. Deutschland unterstützt die Ukraine, das ist schon ein Unterschied. Und ja, ich bin erschrocken, wie egal es zu sein scheint, dass Aserbaidschan hier eine glasklare ethnische Säuberung durchgeführt wird. Irgendwelche negativen Folgen für das Regime in Baku scheint das jenfalls nicht zu haben - im Gegenteil. DIktator Alijew darf nicht so weiter „sein“ Gas nach Europa exportieren, sondern auch noch den Weltklimagpifel(!) im November hosten.

Natürlich haben auch westliche Staaten Interessen und handeln auch dementsprechend - wie alle anderen Staaten auch. Aber ebensowenig wie es „den Westen“ gibt, gibt es überall übereinstimmende Interessen. Und abgesehen davon macht das ja die Forderung, dem internationalen Recht und den Menschenrechten zur Durchsetzung zu verhelfen, nicht weniger richtig oder wichtig, oder?

Entscheidend ist nicht, ob Putin in naher Zukunft vor hat, das gesamte Territorium der Ukraine militärisch zu erobern. Entscheidend ist, dass er prinzipiell die Existenz einer von Russland unabhängigen Ukraine ablehnt und dafür bereit ist, Krieg zu führen und das Leben von Hunderttausenden Menschen zu zerstören oder gar zu beenden.

Die Formulierung „absoluter Beweis“ deute ich mal als Polemik - dir dürfte selber klar sein, dass es so etwas für Ereignisse in der Zukunft nicht geben kann. Auch hier ist aber nicht die entscheidende Frage, welche Gebiete Putin genau plant anzugreifen oder zu erobern, sondern dass er bei einem politischen (und damit militärischen) Erfolg in der Ukraine auf jeden Fall besser in der Lage und deutlich motivierter ist, solche Angriffe weiter durchzuführen, seinen hyriden Krieg gegen die EU weiter fortzuführen und diese weiter zu destabilisieren.

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Bleibt nur die Frage, was diese Putinsche Sichtweise mit der Realität zu tun hat. Russland bzw. die von Russland unterstützten Truppen haben das Minsker Abkommen schon gebrochen, bevor die Tinte der Unterschriften darauf getrocknet war. Und auch bei Verstößen gegen dieses Abkommen haben ukrainische Truppen stets nur auf ukrainischem Staatsgebiet gekämpft.
Und nochmal zum mitschreiben: Wenn Russland die Staatsbürger eines benachbarten Staates als „Russen“ ansieht und der Meinung ist, diese hätten als solche nicht genügend Rechte, legitimiert dies in keinster Weise ein militärisches Eingreifen in diesem Staat.

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Dass der Westen Putin auf Augenhöhe begegnen muss und man bei einer Suche nach der Lösung des Konflikts nicht von ihm erwarten kann, dass er sich an ein Völkerrecht hält, an welches man sich selbst nicht hält.

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Erst mal würde ich zustimmen, dass wir auf gesellschaftlicher Ebene gerade eine Militarisierung erleben. Und ich kann verstehen, warum du diese gruselig findet. „Absurd“ wäre sie aus meiner Sicht allerdings nur, wenn man davon ausgeht, dass die Bundesrepublik kein Militär braucht oder nur eins, bei dem es egal ist, wie einsatzfähig es ist. Das ist eine Position, die ich Anfang der 1990er Jahre auch vehement vertreten habe, von der ich aber inzwischen nicht mehr überzeugt bin. Daher halte ich auch nichts von der These, dass es in der Gesellschaft eine „jahr[z]ehntelang friedliche Orientierung“ gab. Vielmehr hat sich kaum jemand dafür interessiert, was das Militär macht und alle haben sich darauf verlassen, dass uns im Falle eines Falles eh die USA zur Seite stehen. Daher hätte ich für diese Position zumindest gerne Argumente, die über die Beschreibung eines Idealzustands von Gesellschaft(en) hinausgeht und auch darauf eingeht, wie Deutschland ohne Militär mit Staaten umgehen soll, die selbstverständlich Krieg als Mittel einsetzen um ihre Interessen durchzusetzen.

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Prof Mearsheimer hat dem Deutschlandfunk vor kurzem ein einstündiges Interview gegeben.

Er ist ein Vertreter des „Realismus“ und erklärt die Entstehung des Ukraine Kriegs schlüssig

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