Stimmt genau! Und in meinem Fall, um zu veranschaulichen, um nichts sonst, also auch nicht, um in der Realität Lohngleichheit einzuführen, (genauso wenig, wie man mit Lichtgeschwindigkeit reisen wollte). Der Zweck meines Experiment ist, zu veranschaulichen, dass auch ohne den Anreiz eines viel höheren Gehalts die angenehmeren, zufriedenstellenderen, anspruchsvolleren Jobs ausgesucht werden und die schmutzigen, harten eben nur unter einem Existenzdruck angenommen werden.
Mein Schwiegersohn arbeitet im Garten- und Landschaftsbau. Harte körperliche Arbeit draußen bei Wind und Wetter. Man könnte meinen, das macht man nur unter Exiszenzdruck des Geldes wegen. Er könnte auch für etwas weniger Gehalt einen bequemen Job im Lager eines produzierenden Unternehmens bekommen.
Will er nicht. Er will draussen körperlich arbeiten.
Kurios, oder?
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Ich kann diesen Gedankengang auf den ersten Blick durchaus nachvollziehen. Ich gehöre wohl zu denjenigen, die ihren Job vor allem machen, weil er ihnen Spaß macht – hätte ihn also vielleicht auch bei weniger Bezahlung gewählt. Und gleichzeitig ist es absolut richtig, dass es jede Menge schlecht bezahlte jobs gibt, die man nur macht, weil man keine andere Wahl hat. Allerdings ist das ein unvollständiges Bild. Die letzten Zahlen, die ich kenne sind, dass ein Mindestlohn von 12€ etwa die unteren 15% der Beschäftigungsverhältnisse betreffen würde. Das ist nicht wenig, aber immerhin fünf von sechs Arbeitnehmern verdienen also mehr. Wir müssen uns also (wie so oft in diesem Thread) auch die „mittleren 80%“ angucken.
Ich habe eigentlich seit meinem 14. Lebensjahr durchgängig irgendwelche jobs nebenbei gemacht (natürlich selten Vollzeit) und hatte dabei Gelegenheit im Endeffekt in ziemlich viele Branchen über Fließband, Landwirtschaft, Metallverarbeitung, Einzelhandel, Gastronomie, Hotellerie, Logistik und schließlich akademische Aufgaben mal hinein zu schnuppern – natürlich begrenzt repräsentativ. Geht wahrscheinlich vielen so. Bei mir allerdings immer aus der komfortablen Situation heraus, dass ich nicht verhungern würde, wenn ich mal keinen Bock mehr darauf hätte.
Da gibt es eine ganze Menge Dinge, die ich unabhängig vom Gehalt heute nicht mehr gerne machen würde. Z.T. würden sie mir zwar weiter Spaß machen, sie wären körperlich bis ins hohe Alter aber gesundheitlich kritisch. Zum Teil würde ich schlicht geistig daran zugrunde gehen. Bei mindestens zwei dieser nicht besonders hoch bezahlten jobs hätte ich auch heute noch Spaß daran, sie zu machen. Da fällt mir z.B. mein Zivi in der Jugendherberge ein oder mein Job als studentische Hilfskraft.
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Gedankenexperiment on: Gehalt ist überall gleich. Jetzt kommt es darauf an, was für ein Typ man ist. Sehe ich meinen Job nur als Mittel zum Zweck, dann wäre vielleicht der Job in der / dieser speziellen Jugendherberge das, was ich gerne weiter machen würde. Geistig ist das sehr entspannt. Körperlich manchmal herausfordernd, aber meist auch entspannt. Man lernt täglich neue Leute kennen. Mir persönlich würde es vmtl. trotzdem irgendwann langweilig.
Ich würde mich vmtl. für den job als studentische Hilfskraft entscheiden. Der große Vorteil gegenüber einem besser bezahlten job in der Industrie leitet sich nämlich genau aus dieser schlechteren Bezahlung ab. Im Industriejob wird erwartet, dass jede Stunde, die du arbeitest auch die entsprechende Wertschöpfung erfährt, mit der sie vergütet wird. Abgesehen von der damit verbundenen Verantwortung für Entscheidungen schränkt das stark ein. Nicht notwendigerweise die Kreativität (denn die kann zum Glück sehr wertschöpfend sein), aber all das, was über die gegebene Aufgabe hinausgeht. Beim job als studentische Hilfskraft war das anders, denn weil man nicht viel gekostet hat, durfte man erstmal machen. Dabei war es nicht tragisch, wenn man sich mal verrannt hat, den halben Tag vertrödelt hat o.ä., solange man am Ende (irgendwann) abgeliefert hat.
Am Ende des Gedankenexperimentes komme ich dann doch zu dem Schluss (und das vor allem auf der subjektiven Basis der unterschiedlichsten Charaktere die ich so kenne), dass kaum jemand den job machen würde, den er aktuell macht, wenn Geld keine Rolle spielen würde.
Interessant dabei, dass sich (in meinem Fall) vor allem der profitorientierte Anteil bei der Arbeit als negativ herausstellt. Dürfte vielleicht häufig so sein. In manchen Fällen dürfte genau das zusätzlich anspornen. Ich würde daraus allerdings keinen Fehler im System ableiten – zumindest nicht im Allgemeinen. Am Ende muss immer der Spagat gelingen zwischen dem notwendigen Mehrwert, der persönlichen Erfüllung und der flächendeckenden Versorgung, die ein job gewährleisten muss. Ideal ist natürlich, wenn der job an sich so viel Spaß macht, dass man automatisch den notwendigen Mehrwert generiert. Das kann auch ein Ziel sein, dessen flächendeckende Erreichung aber vmtl. illusorisch ist.
Wäre doch interessant, ob ein Herr Blume lieber mit Blumen arbeiten würde, wenn er dafür bei gleicher Arbeitszeit das gleiche wie jetzt verdienen würde.
Also von meinen Büro-Kollegen behaupte ich mal, dass sie nicht in die Produktion gehen würden, auch wenn es den gleichen Lohn bedeuten würde. Und ich selbst habe das als Überbrückung gemacht und konnte das auch nur, weil ich wusste, dass es nach sechs Monaten vorbei sein würde.
Ok, wie sähe denn so ein System aus, dass diese Anreize setzt?
Man könnte sich z.B. das Prinzip der Mehrwertsteuer abschauen. So wie dort Lebensmittel und gewisse andere Produkte des täglichen Bedarfs mit einem niedrigeren Steuersatz belegt werden, könnte man das auch mit als besonders förderwürdig angesehenen, tendenziell eher schlecht bezahlten Berufen bei der Lohnsteuer machen.
Problem natürlich: Die resultierenden Steuerausfälle müssten dann wohl durch entsprechende Erhöhungen anderswo ausgeglichen werden, und daran wird’s politisch in nullkommanix scheitern, denn die die profitieren würden sind exakt diejenigen, deren Interessen in unserer Gesellschaft am wenigsten zählen und umgekehrt.
Dar ist mir ehrlich gesagt egal.
Ich dachte nur, dass es hier ein Problem gibt.
Wie man dieses behebt ist Sache der Politiker, dafür wurden sie gewählt.
Das grundsätzliche Problem ist ja hier glaube ich gar nicht so umstritten. Das für sich genommen sagt aber noch nicht, dass wir uns radikal in eine andere Richtung bewegen müssen.
Wir haben ja z.B. auch offensichtlich Probleme effektiv Entscheidung für Klimaschutz zu treffen, die auf unsere Demokratie zurück gehen. Trotzdem wäre ich vorsichtig deswegen unsere Demokratie radikal zu reformieren.
Wenn wir hier wirklich konstruktiv diskutieren wollen, müssen wir schon halbwegs konkrete Alternativen vergleichen können.
Schlecht bezahlte Berufe weniger zu besteuern ist ja bereits durch unser Einkommenssteuer System implementiert. Natürlich kann man die Steuersätze überdenken, aber hier würde ich Fratzscher folgend eher Potential bei Vermögen oder Erbschaften sehen.
Bei förderwürdigen Berufen stellt sich die Frage wer diese festlegt und nach welchen Kriterien. Falls diese Förderung das bisherige System aus Angebot und Nachfrage ergänzt hielte ich es je nach Ausgestaltung auch für denkbar.
Das halte ich im besten Fall für banal: „wenn der Rest gleich ist, macht man das bequeme“. Eigentlich halte ich es aber für falsch. Du übersiehst, dass die Wahl des Jobs neben Interessen und Entlohnung auch vor allem durch erreichte (oder erreichbare) Qualifikation entschieden wird.
Es wird also der eine oder andere gelangweilte oder gestresste Buchhalter oder Programmierer im Rahmen der Gleichbezahlung sich dazu entscheiden, in einem Café hinter der Theke zu stehen und Kuchen zu verkaufen oder sein Hobby zum Beruf zu machen und künftig als Gartenhelfer an der frischen Luft zu arbeiten.
Es wird aber keinen einziger Kellner oder Gartenhelfer einen gemütlichen Job als Programmierer oder Buchhalter ergreifen können, denn dazu fehlt ihnen weiterhin die Qualifikation. (Wenn sie es doch tun, dann können sie es auch jetzt schon. Dann verdienen sie auch mehr.)
Also Glückwunsch, in deinem Gedankenexperiment sind mehr geringqualifizierte arbeitslos und mehr hochqualifizierte gehen ihrer Leidenschaft nach.
Geringe Einkommen werden jetzt schon relativ niedrig besteuert. Beim Mindestlohn (2080€ in Vollzeit) werden 138€ Lohnsteuer fällig, knapp 7%.
Es geht nicht um „geringe Einkommen“ generell, sondern um was für eine Tätigkeit. Also bspw. die Steuerlast für Pflegekräfte, Kindergärtner, Reinigungspersonal, Einzelhandel im Vergleich zu anderen Tätigkeiten mit gleichem Bruttogehalt zu senken. Bspw. indem man den Freibetrag drastisch erhöht.
Nach welcher Logik würdest du diese Berufsgruppen festlegen und rechtfertigen, dass sie pauschal ein höheres Gehalt verdienen?
Das wäre eine politische Frage. Genauso wie ob Tierfutter, Restaurantbesuche, Hygieneartikel oder Bier nun dem regulären oder ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen.
Grundsätzlich: Berufe, die wir für gesellschaftlich notwendig halten, wo das Gehalt aber nicht ausreicht um sie ausreichend attraktiv zu machen oder angemessen davon zu leben, und „der Markt“ es eben alleine offensichtlich nicht regelt.
Wie gesagt, vielleicht sollte man erstmal an einem Ende anfangen und die Gehälter im unteren Segment auf ein lebenswürdiges Mass als untere Grenze anheben. Ob der aktuelle Mindestlohn schon dieses Maß ist, bezweifle ich.
Wie man das fürs Leben notwendige Mindestgehalt festlegt, ist allerdings nicht so einfach, weil es da neben der Qualifikation auch regionale Unterschiede gibt (in München ist der Lebensunterhalt teurer als in Arnsberg/Westfalen.)
Aber man muss nach einen Arbeitstag mehr in der Tasche haben als jemand der nicht arbeitet (aus welchen Gründen auch immer).
Wie man die oberen Gehaktsgruppen reguliert, scheint tatsächlich von Markt abzuhängen
Das Problem bei geringen Einkommen sind weiterhin die Sozialabgaben. Und das Problem werden wir nicht lösen, so lange wir Beitragsbemessungsgrenzen und ein zweigliedriges Krankenversicherungssystem haben. Hier sind tatsächlich die wesentlich wichtigeren Stellschrauben als in der Lohnsteuer, wenn es darum geht, Geringverdiener zu entlasten und Vielverdiener stärker zu belasten.
Leider wird dort wenig passieren befürchte ich. Es gibt zu viele Abgeordnete, die dich dort schlechter stellen würden. Auch von den Wirtschaftsweisen kommt da nichts vernünftiges.
Stattdessen werden die Abgaben schon wieder nächstes Jahr erhöht ohne die Ursachen zu bekämpfen. Ich weiß ich klinge seit einiger Zeit sehr pessimistisch, aber es gibt auch keinen Grund für mich es anders zu sehen.
Ok, dann ist dieser Job für ihn unter dem Strich „angenehmer“. Aber ich schalte hier mein Gedankenexperiment mal ab, hat nicht gezündet.
Wer verdient denn wenig und hat das deiner Ansicht nach auch verdient?
Ich habe vorgerechnet, weil die Anpassung der Einkommenssteuer hier vorgeschlagen wurde und ich mir wünschen würde, dass man erstmal ein wenig recherchiert, bevor solche pauschalen Forderungen gestellt werden.