Nein. Ganz und garnicht. Zu einem Gedankenexperiment gehört, dass man die Konsequenzen der Änderungen durchdenkt. Deine Annahme, dass jeder einfach den selben Job wählt wie jetzt, halte ich für unbegründet, da ich glaube dass es die meisten Jobs gar nicht gäbe.
Meine Aussage bezog sich hauptsächlich auf diesen Teil hier
Ich stimme zu, dass es nicht die Qualifikation allein sein sollte. Stattdessen plädiere ich im Beitrag vor allem für eine Bezahlung nach Angebot und Nachfrage.
Leider stellt sich das faire Gleichgewicht hier oft nicht einfach ein. Denn es gibt ein Machtgefälle zwischen AG und AN. Um dieses aufzubrechen, benötigt es organisierte Mitarbeiter, bspw. In Gewerkschaften oder Betriebsräten.
Daher spreche ich mich dafür aus, statt sich über die Ungerechtigkeit der Welt zu beschweren und neue Regeln zu fordern.
Dadurch werden Jobs mit niedriger Qualifikation automatisch schlechter bezahlt, die Frage nach der individuellen Gerechtigkeit wird von Angebot und Nachfrage gerade nicht beantwortet, da „einen begehrten Beruf“ erlernt zu haben eigentlich gerade nicht automatisch zu einem höheren Lohn führen sollte, vor allem dann nicht, wenn die nicht so begehrten Jobs gesellschaftlich ähnlich wichtig und notwendig sind.
Anders gesagt: Nur weil sich immer jemand findet, der für noch einen Euro weniger die Klos putzt, macht das einen niedrigen Lohn für diesen unangenehmen Job nicht gerecht.
Fakt ist und bleibt, dass gerade die akademischen Berufe ein besonderes Maß an Selbstverwirklichung ermöglichen. Arzt, Jurist oder Ingenieur wird man, weil man es will und weil man in diesen Berufen nicht nur viel verdient, sondern auch ein hohes gesellschaftliches Ansehen genießt. Vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus ist es daher abwegig, dass ausgerechnet diese Jobs, die ein großes Maß an Selbstverwirklichung ermöglichen, auch am besten bezahlt werden, während Jobs, die niemand freiwillig macht, sondern die einzig gemacht werden, weil es irgendwer machen muss und man das Geld braucht, oft nur den Mindestlohn bekommen. Das ist die zentrale Gerechtigkeitsfrage, die mit „Angebot und Nachfrage“ nicht beantwortet wird.
Das braucht aber dann auch neue Regelungen.
Im Moment kann der Arbeitgeber den Betriebsrat immer einhegen mit der Drohung aus dem Tarifmodell auszusteigen.
Die Waffen sind ungleich verteilt.
Und die Gewerkschaften haben das gleiche Problem wie die Parteien. Wer sich da nach oben kämpft ist vor allem egoistischer Netzwerker. Es gibt in den Führungspositionen keine Idealisten. Die bräuchte es aber um alte Strukturen aufzubrechen und faire Bezahlungen in den unteren Regionen zu schaffen.
Dann werden wir doch mal konkret: wenn es nicht die Verteilung nach Angebot und Nachfrage (unter der Berücksichtigung fairer Wettbewerbsbedingungen, wie z.B. von @pitus vorgeschlagen) sind - wie werden dann Löhne verteilt, die einerseits gerecht sind und andererseits sicherstellen, dass wir genügend Arbeitskräfte in den Branchen haben, in denen wir sie aktuell benötigen?
In einem GEDANKENEXPERIMENT geht es um die genaue Betrachtung der eigenen, typischwerweise bis dahin wenig reflektierten Sichtweise auf einen Sachverhalt. Es geht nicht um reale (politische) Veränderungen, also auch nicht um Konsequenzen daraus. Als Folge kann die ggf. korrigierte Sichtweise zum Handeln führen, dazu muss man die Konsequenzen allerdings bedenken. Dazu ja mein zweiter Absatz in meinem Beitrag.
Das geht wohl nicht ohne wesentliche Änderungen der bestehenden Systeme.
Ein mögliches Modell wären verpflichtende Tarifverträge für alle Bereiche der Wirtschaft mit entsprechender Berücksichtigung von Erschwerniszulagen. Damit wäre eine Abgrenzung nach Unten erreicht.
Arbeitgeber könnten dann Zulagen zu den Tariflöhnen zahlen (das wäre ein Element von Angebot und Nachfrage), für die jedoch eine Zusatzsteuer anfällt (dh. der Arbeitgeber muss die gleiche Höhe der Zulage als Steuer abführen). Damit wäre eine Abgrenzung nach Oben erreicht.
Diese Einnahmen könnten wiederum genutzt werden, um die Gehälter im öffentlichen Dienst und von Geringverdienern aufzustocken. So könnten die massiven Gehalts-Gaps zwischen begehrten und nicht-begehrten Arbeitskräften sowie zwischen Öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft zumindest deutlich reduziert werden.
Das wäre jetzt nur ein denkbares Modell. Das aktuelle Modell („Der Markt regelt es schon“; mit all seinen offensichtlichen Fehlern) ist jedenfalls nicht alternativlos.
War es nie, die Frage ist wie groß da der Gestaltungswille ist? Ich befürchte ein Großteil der politischen Elite aller Parteien zählt zu den Gewinnern dieses Systems. Hinzu kommt, dass meistens jene , die von einer Änderung profitieren würden, keine wirkliche Lobby oder Zugriff auf die Politiker haben.
Wie wäre es mit einem Mindestgrundgehalt für Erwerbstätige, das ein auskömmliches Leben ermöglicht?
Wer sich höher qualifiziert oder höhere Verantwortung trägt, bekommt mehr.
Aber man fällt nie unter das Mindestgehalt.
Soll das nicht längst der Mindestlohn leisten?
Auch das ist jetzt doch so. Leider gibt es nur keine Chancengleichheit.
Ging mir eher um die Untergrenze. Mindestlohn ist mir etwas zu losgelöst vom realen Leben.
Das finde ich zunächst mal einen sehr schön konkreten Vorschlag.
Wenn ich den Vorschlag richtig verstehe, wäre es gar kein so gravierender Eingriff. Zumindest nicht für diejenigen Firmen die bereits nach Tarifvertrag bezahlen, was immerhin knapp die Hälfte ist.
Die meisten Firmen in meiner Branche zahlen z.B. nach IG Metall und zwar (fast) für alle Mitarbeiter, die keine Führungskräfte sind. Im Wesentlichen wäre die Änderung also, dass auch Managergehälter in den Tarifvertrag mit aufgenommen werden müssten. Statt AT-Gehältern würde man also alle nach Tarif bezahlen.
Die gibt es ja im Ansatz auch schon – z.B. für Schichtarbeit. Kein Tabubruch also, diese auszuweiten.
Das würde z.B. die Explosion von Manager-Gehältern etwas bremsen. Grundsätzlich denkbar. Es würde allerdings auch dazu führen, dass sich in den unteren Gehaltsklassen besonderes Engagement kaum lohnt, weil der Arbeitgeber es nicht besonders effektiv vergüten könnte. Ob dieser Effekt sinnvoll ist wäre also streitbar. Andererseits gibt es solche Zulagen ja in vielen Firmen mit Tariflohn auch jetzt schon kaum.
Insofern also alles in allem kein abwegiger Vorschlag. Die Frage wäre nur, warum er jetzt mehr Gerechtigkeit schafft?
Eine notwendige Abgrenzung nach unten und oben war glaube ich weitgehend Konsens. Der strittige Kritikpunkt war ja:
Wenn wir uns den IG Metall Tarifvertrag oder auch alle anderen mir bekannten Tarifverträge anschauen, dann erfolgt die Eingruppierung ja nach Qualifikation. Die Qualifikation muss man irgendwie nachweisen, also landen wir am Ende automatisch bei genau der unerwünschten Struktur, dass der Akademiker grundsätzlich mehr verdient als der Nicht-Akademiker. Und die teuren Abweichungen vom Tarifvertrag zementieren diese Regel noch zusätzlich.
Natürlich könnte man über andere Kriterien nachdenken. Nur welche sollten das sein, die man so allgemeingültig festlegen kann und die nicht Tür und Tor für Manipulation öffnen?
Eigentlich sind die Eingruppierungen an der Tätigkeit und der Verantwortung ausgerichtet.
Leider wird das nur oft nicht konsequent umgesetzt.
Von der IGMetall-Webseite:
Eingruppierung
Mit der Einstellung erfolgt die Zuweisung einer Arbeitsaufgabe bzw. einer Tätigkeit. Damit verbunden ist die Eingruppierung in eine Entgeltgruppe auf Basis des Entgeltrahmentarifvertrages (ERA). Grundlage für diese Einstufung sind die beschriebenen Arbeitsaufgaben.
Die Kriterien sind eigentlich ziemlich eindeutig [1].
Beispiel Entgeltgruppe ERA 10 in Bayern:
„Mehr als 4-jähriges Regel-Studium (UNI)“
oder
„Einschlägige mind. 3-jährige Berufsausbildung + besonders umfangreiche fachspezifische Zusatzqualifikation“
oder
„Bis zu 4-jähriges Studium + fachspezifische Erfahrung.“
[1]
Das sind die üblichen Voraussetzungen. Wenn du den Job auch ohne Studium ausübst, dürfen sie dir nicht weniger geben.
Grundsätzlich erfolgt die Eingruppierung nach dem Entgeltrahmen-Tarifvertrags (ERA-TV) auf Grundlage der Anforderungen, die an die zu erledigende Arbeitsaufgabe gestellt werden. D. h., die Eingruppierung, und damit die Bezahlung, hängt von der Arbeit ab, die man ausübt, und nicht unbedingt von der vorhandenen Qualifikation (Studienabschluss, Techniker, Meister etc.). Es folgen die Entgeltgruppen Beschreibungen der verschiedenen Tarifgebiete.
OK fairer Einwand, aber wenn ich die Gehälter danach staffle, welche Qualifikation ich für die Tätigkeit üblicherweise brauche ist der Effekt in der Praxis derselbe (den wir auch beobachten). Wenn ich den ein oder anderen Überflieger habe, der ein Raketentriebwerk auslegen kann, ohne dafür studiert zu haben, sei ihm das höhere Gehalt gegönnt.
Euer Kritikpunkt war doch gerade, dass Tätigkeiten, für die man keine intensive Ausbeildung braucht, ggf. ähnlich wichtig sind und damit auch ähnlich gut bezahlt werden sollten wie solche, für die man ein Studium braucht.
Gewerkschaften stehen glaube ich nicht unter dem Verdacht der Ausbeutung. Danke für die Erläuterungen.
BTW, es wird immer nur von schweren oder schmutzigen Arbeiten gesprochen. Die Heerscharen im Einzelhandel sind glaube ich nicht weniger betroffen und es sind gefühlt viel mehr.
Diesen Gedankengang von Dir kann ich nicht nachvollziehen. Ich kann in einem System mit x Komponenten nicht einfach eine nehme, radikal ändern ohne die Auswirkungen auf den Rest zu beachten.
Wikipdia sagt zu Gedankenexperiment übrigens: Ein Gedankenexperiment (auch Gedankenversuch) ist ein Hilfsmittel, um bestimmte Theorien zu untermauern, zu widerlegen, zu veranschaulichen oder weiterzudenken. Es wird dabei in der Vorstellung eine Situation konstruiert, die real so nicht oder nur sehr schwer herzustellen ist (zum Beispiel eine Reise mit annähernd Lichtgeschwindigkeit). Sodann malt man sich im Geiste aus, welche Folgen sich aus dieser Situation ergeben, wenn man die Theorie auf die Situation anwendet. Ein Experiment wird also in Gedanken simuliert.
Das ist richtig. Arbeit sollte nach ihrer Wertigkeit bezahlt werden. Überhaupt sollte nicht der Stundenlohn die Motivation sein, sich für diesen oder jenen Job zu entscheiden, sondern die Fähigkeit. Wir müssen die Anreize für den richtigen Job also völlig neu denken.
Wenn aber nicht mal die tarifgebundenen Unternehmen es hin kriegen, gleiche Arbeit gleich zu bezahlen, obwohl die Voraussetzungen mit den Einstufungen gegeben wären (wenn ich ohne Abschluss bin, die gleiche Tätigkeit wie der Master-Absolvent ausübe, und mitbekomme, dass er höher eingestuft ist, kann ich das sogar rechtlich einfordern), dann zeigt sich doch, dass das Problem existent ist und viel größer als gedacht.
Wenn im gleichen Betrieb zwei das gleiche tun, das Unternehmen deren Wert aber unterschiedlich gewichtet, dann hat der Markt hier versagt.
Solche Fälle existieren tatsächlich. Meine Schätzung/Erfahrung: Das betrifft einen von 10.000. und in diesen Fällen bekamen die Betroffenen früher das „richtige“ Gehalt. Leider wurde das mit ERA abgeschafft, dass nach Erfahrung und Fähigkeiten eingestuft wird. Statt dessen steht die formelle Qualifikation im Vordergrund