E Auto - Zeit für Systemkritik?

Mit dem E-Auto in die Sackgasse - Zeit für Systemkritik?
Die Moderation des Forums hat gerade den Titel des Threats von „Zeit für eine kritische Auseinandersetzung“ auf „Zeit für Systemkritik?“ geändert. Das irritiert mich leicht, weil es mir gerade um eine „kritische Auseinandersetzung“ um konkrete Aspekte rund um das Thema E-Auto geht, als praktikabler Ansatz für Veränderung und Diskurs - anders als eine rein theoretische, oder sehr allgemein gehaltene Systemkritik. :thinking:

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Wir können nicht von heute auf morgen den Bedarf an individueller Mobilität entfernen. Warum habe ich oben bereits geschildert. Auch habe ich argumentativ teilweise ausgelegt, warum ich das Elektroauto in Schutz nehme. Ich werde es hier nochmals ganz einfach herunterbrechen:

  1. Wirkungsgrad doppelt so hoch wie bei Verbrennern = weniger Energiebedarf für die gleiche „Arbeit“.
  2. Möglichkeit dazu auch alternative Energieformen zu „tanken“.
  3. Ausgleich von Energieknappheit ist nur über Speichertechnologien möglich, aktuell unterstützt das E-Auto den Trend dazu.

Das macht es ja. Siehe oben. Ich würde auch gerne in einer geilen Öko-Solarpunk Welt leben, das ist aber halt heute noch nicht machbar, sondern es braucht Jahrzehnte der gesellschaftlichen Entwicklung dafür. Wollen Sie lieber die nächsten 30 -100 Jahre Erdöl verfeuern?

Das stimmt doch ganz einfach nicht. Elektroautos wurden entwickelt, weil das eigentlich der sinnvolle Schritt ist und sie viele Vorteile haben. Die Geschichte des Elektoautos ist etwa 170 Jahre älter als Elon Musks Tesla-Übernahme und wurde vor Allem wegen des billigen Öls und der fehlenden Akkutechnik überhaupt interessant. Wir wären heute vielleicht gar nicht in der gleichen Situation, wenn wir nicht damals aufs Öl gesetzt hätten.

Was ist denn die Alternative? Wenn Ihnen eine prozentuale Einsparung nicht genug ist, was ist denn das kurz- bis mittelfristig erreichbares Ziel (sagen wir mal 25 Jahre)? Ich würde es sehr gerne verstehen. Wollen wir bis dahin lieber nicht einsparen was geht?

Im Moment decken wir die erhöhte Nachfrage an Energie, indem wir Milliarden Liter Gas, Öl und Kohle abfackeln. Natürlich müssen wir das zu Strom verändern. Wie oben erläutert ist das Elektroauto sogar eine Schlüsseltechnologie um Stromschwankungen besser auszugleichen.

Eine Erhöhung des Wirkungsgrades um 100%, Reduktion der benötigten Energie, Verminderung von Abhängigkeit gegenüber autoritären Regimen und Batterie-Nutzungskonzepte, die beinahe an Kreislaufwirtschaft erinnern sind unbefriedigend marginal besser?

Sorry, ich bin einfach in diesem Fall ganz anderer Meinung. Ihre bessere Alternative würde mich sehr interessieren, wenn sie nicht daraus besteht, dass alle Menschen einfach direkt am Bahnhof wohnen sollen.

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Da hier mitunter ein Konflikt E-Auto/Ausbau des ÖPNV anklingt: Wenn man konsequent weiterdenkt, dann ist auch der ÖPNV selbst mitunter ein Verkehrswendehindernis. Vermutlich trifft das vor allem in Städten mit reinem Busverkehr zu und bei schienengebundenen Systemen ist die Lage ein wenig anders, aber hier sind ein paar Beispiele aus meiner Stadt (Großstadt; keine U-Bahn oder Tram):

  1. Busverkehr ist an unseren NO2-Problemstelle laut Gutachten für ca. 30% der NO2-Emissionen verantwortlich. Alle PKWs zusammen kommen auf 30-40% (der Rest zu den 100% sind andere Quellen, wie etwa Gebäude). Beim Feinstaub sieht es ähnlich aus. Würde man PKWs abschaffen und stattdessen doppelt so viele Busse fahren lassen, wäre an diesem Punkt nichts gewonnen.
  2. Busse sind verdammt laut und gerade für RadfahrerInnen ziemlich tödlich.
  3. Der Wunsch unserer Stadt den Busverkehr auszubauen ist in den Diskussionen um Radwege oft das größte Hindernis. Das Todschlagargument: „Wir können die Busspur nicht für Räder freigeben, weil dann die Busse nicht mehr schnell fahren können“ taucht ständig auf.
  4. Unser lokaler Verkehrsbetrieb hat sich klar positioniert, dass weiträumiges Tempo 30 im Innenstadtbereich ihren Service verschlechtern würden. Also hat die Politik davon Abstand genommen.
  5. Busse machen sich selbst per Funk eine Grüne Welle. Das Nachsehen haben in der Regel FußgängerInnen, die dann minutenlang an einer roten Ampel stehen (oft genau die FußgängerInnen, die eigentlich die Straße überqueren und deswegen ebendiesen Bus verpassen).
  6. Busse erfordern Investitionen in teure, wartungsintensive autogerechte Infrastruktur. Klar sind derartige dual-use-Investitionen gut gemeint, aber letztendlich wird auch die autogerechte Stadt so weiter zementiert.
  7. Busse als „Zugpferd der Energiewende“ im Ort konkurrieren direkt mit dem Auto - ein Vergleich, den sie nur verlieren können. Ein Bekannter hat einmal gesagt, Busfahren sei wie Autofahren, nur mache es weniger Spaß. Im Gegensatz dazu ist beim Radfahren und zu Fuß Gehen das Erlebnis per se fundamental anders.
  8. Busverkehr verleitet dazu, in den alten, autogeprägten Handlungsmustern zu verweilen, statt Dinge, wie lokale Supermärkte und Läden zu unterstützen. Eine wichtige Stellschraube an der Verkehrswende wird aber auch sein, unser künftiges Mobilitätsbedürfnis anzupassen.

Ich will hier nun nicht den ÖPNV verteufeln. Irgendwo ist er auch unverzichtbar und eine ganz feste Meinung habe ich mir auch nicht gebildet, aber ich halte den ÖPNV für den problematischsten der drei Umweltverband-Fortbewegungsmitten (Fuß, Rad und ÖPNV).

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Kannst du mal die hegemoniellen Machtinteressen hinter dem E-Auto genauer erläutern. Mir ist nicht klar, was du meinst.

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Das ist so nicht, bzw. nur teilweise korrekt.

Reifenabrieb ist ein Thema, aber auch das trifft schwere Verbrenner und Autos mit viel Leistung genau so. Man könnte auch argumentieren, dass ein normal gefahrenes E-Fahrzeug weniger Reifenabrieb hat, da die Beschleunigungen ruckelfeier und gleichmäßiger sind, was die Reifen weniger belastet. Nur mal so als Gedankenexperiment.

Bremsenabrieb gibt es bei Elektroautos quasi gar keinen. Die E-Antriebe werden beim verzögern auf „Generatorbetrieb umgeschaltet“ (der Fachbegriff ist hier „Rekuperation“) und die Bremswirkung wird rein durch den E-Motor erzeugt.
Dabei wird erstens bis zu 80% der bei der Beschleunigung verwendeten Energie zurückgewonnen (was das Gewicht der Fahrzeuge im Punkt Energieverbrauch deutlich relativiert) und zweitens das Fahrzeug teils sogar bis in den Stand verzögert. Die mechanische Bremse wird nicht verwendet.

Je mehr Leistung die Antriebe im Fahrzeug haben, desto mehr kann auch rekuperiert und damit verzögert werden.

Ich kann hier aus der Praxis mit einem Tesla Model 3 berichten. Dort verwende ich die mechanische Bremse etwa 1-2 mal im Monat. Im Alltag kann man quasi komplett ohne diese fahren. Porsche fordert Taycan Besitzer alle 20.000km zum Check der Bremsen zu kommen, einfach weil die eher verrosten als abgenutzt sind, weil sie so wenig benutzt werden.

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Wir factchecken uns empor :slight_smile:

Ich habe eine Quelle gesucht (gerne andere Vorschläge): Emissionen , Verursacher von Feinstaub

Von den drei Verursachern von PM10-Feinstaubemissionen (ja, das ist nur ein Teil des Feinstaubs) Reifenabrieb, Aufwirbelungen und Bremsvorgänge machen demnach bayernweit Aufwirbelungen aus dem Straßenverkehr mit 19% den größten Teil aus. Reifenabrieb scheint, wenn ich die Statistiken richtig lese, für 19% x 24% = 5% der Emissionen verantwortlich zu sein, Bremsabrieb für 8% x 24% = 2%. Abgase aller Fahrzeuge tragen wohl 73% x 24% = 18% bei.

Das ist nun bayernweit gemessen, die Daten sind deutlich über 10 Jahre alt und an Hotspots wird die Verteilung eine andere sein, aber grob ergibt sich folgendes Bild: Verkehrsbedingter Feinstaub besteht, zumindest im PM10-Bereich aus

  • 4 Teilen Aufwirbelungen
  • 3-4 Teilen Abgase,
  • 1 Teilen Reifenabrieb
  • 1/2 Teil Bremsenabrieb.

Nimmt man tatsächlich an, dass E-Autos feinstaubfrei bremsen (was ich zu glauben bereit bin), dann bleiben immer noch 55% des Feinstaubs, auch nach einer Antriebswende. Die WHO hat ihre Empfehlungen für Luftschadstoffwerte (dem Stand der Wissenschaft entsprechend) erst letzten Herbst drastisch verschärft und wir würden auch mit einer zu 100% elektrifizierten Flotte daran nach jetzigem Stand daran krachend scheitern.

Das Problem beim E-Auto ist nicht das „E“, sondern das, was danach kommt :upside_down_face:

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Vielleicht dazu:
Allerdings - darauf verweist das Umweltbundesamt - spielt bei dieser Rechnung auch die Partikelgröße des gemessenen Feinstaubs eine Rolle. Den Messdaten in München lag die Messlatte PM 10 zu Grunde: Partikel mit einem Durchmesser von 10 Mikrometer. Dazu zählen beispielsweise auch Blütenpollen und Sand aus der Sahara. China und Indien beispielsweise legen teils schon den Maßstab PM 2,5 an. Hier werden kleinere, aus den Verbrennungsprozessen entstehenden Partikel gemessen: Der Anteil der Abgase steigt dann in der Feinstaub-Rechnung. PM10 kann beim Menschen in die Nasenhöhle, PM2,5 bis in die Bronchien und Lungenbläschen und ultrafeine Partikel bis in das Lungengewebe und sogar in den Blutkreislauf eindringen.Feinstaub? Abgase sind nicht das Hauptproblem | BR24
→ Wäre jetzt interessant welchen Anteil die auch mit E-Autos unvermeidbaren Aufwirbelungen bei den PM 2,5 haben.
Bzw. welche Werte PM 10 und PM 2,5 wir jetzt haben und welche mit E-Autos möglich wären. PM 10 sinkt ja anscheinend um die Hälfte ca.


Grenzwerte für Luftverschmutzung: WHO verschärft Empfehlungen massiv | tagesschau.de

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Philosophische Debatten als Ersatz für E-Autos? Diese Vorschläge stehen doch in gar keinem Konkurrenzverhältnis zur E-Mobilität.
Eine kritische Analyse und der Mut, Realitäten anzuerkennen, sind in jedem Fall sinnvoll, könnten aber auch dazu führen, dass die Gesellschaft zu einem anderen Schluss kommst, als du denkst. Dafür, dass Städte „nicht lebenswert“ sind, wollen überraschend viele Menschen dort wohnen. Und dass Kinder nicht alleine zur Schule fahren könnten, ist mir auch neu. (Ich will damit nicht leugnen, dass es meiner Meinung nach (!) auch viele Probleme in den Städten gibt. Die implizite Gleichsetzung von gesellschaftlicher Diskurs = meine Meinung setzt sich durch halte ich aber für falsch.)

Wenn du die „globale Zukunftsfähigkeit“ von Mobilitätsformen so gut kennst, würde ich dir empfehlen, in entsprechende Aktien zu investieren.
Aber im Ernst: Es gibt diverse (konkurrierende, symbiotische und parallele) Ideen, wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte und sollte. Natürlich muss es das Ziel sein, diese so sozial und nachhaltig wie möglich zu gestalten und eine grundlegende Verkehrswende gehört auf jeden Fall dazu. Ich störe mich aber irgendwie etwas an der Implikation, es wäre absolut eindeutig geklärt, was der eine soziale/richtige/nachhaltige Weg ist, und alles andere sind „hegemoniale Kräfte“ der „Systeme des Status Quo“.

Ich bin auch für eine grundlegende Mobilitätswende und für grünere, sozial verträglichere Städte. Mit dieser simplifizierenden Rhetorik ist aber nicht viel geholfen, glaube ich.

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Gerne.
Ich verstehe dabei Hegemonie nach Gramsci:

Mit Hegemonie wird im Anschluss an Gramsci „ein Typus von Herrschaft benannt, der im Wesentlichen auf der Fähigkeit basiert, eigene Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen zu definieren und durchzusetzen“ aus Wikipedia.

Deutschland versteht sich selbst als Auto-Nation. Inklusive Zulieferern ist die Automobilbranche Deutschlands größter Industriezweig.

(Deutsche) Automobilkonzerne haben ein großes Eigeninteresse daran, dass die Struktur der gesellschaftlichen Mobilität gleich bleibt - weltweit sollen Menschen weiter deutsche Autos kaufen, gerne mit steigender Stückzahl pro Haushalt. Aber auch Parteien, wie die CDU/CSU, die den Konzernen und Zulieferunternehmen nahestehen, haben daran ein Interesse. Und sogar sowas wie der Typus „weißer Mann“ hat tendenziell ein Interesse daran, dass ein Mobilitätsideal des 20. Jahrhunderts von Autonomie, Geschwindigkeit, Abenteuer, „einzelnes Auto rauscht durch beeindruckende Natur“ aufrechterhalten wird, weil es die Vormachtstellung einer bestimmten Idee von der gesellschaftlichen Norm „Mensch“ verfestigt. Ja, auch die Angestellten haben ein Interesse daran, weiter ihr Leben finanzieren zu können - vielleicht auch weiter einen Prestigeträchtigen Job zu haben.

Jetzt zeigt sich allerdings immer deutlicher: „Das Auto“ ist eine ziemlich schädliche oder unzureichende Form der Mobilität für einen Großteil der Menschheit global gesehen, und für den Planeten im ganzen sowieso. (Wobei mir wichtig ist, eben auch die Punkte abseits von CO2 miteinzubeziehen: Erdöl-Unglücke, Lithiumminen, Verkehrstote, Umweltzerstörung, Klimawandel…)

Meine These: auch in Deutschland würde eine Mehrheit der Bevölkerung von einer anderen Mobilität profitieren. Aber anstatt wirklich Neues zu entwickeln, manifestiert die Antriebswende die gesellschaftlichen Machtverhältnisse - und die Mehrheit der Bevölkerung begrüßt das. Weil konservative Parteien, Auto-Konzerne mit großem Werbebudget, wichtige Akteure der Öffentlichkeit, die Popkultur etc. erfolgreich ihre persönlichen Interessen als Norm, Ideal und Allgemeininteresse verkaufen → hegemoniale Macht.

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:face_with_monocle: Mein Vorschlag ist nicht Nachdenken statt Mobilität, sondern bei der Entwicklung zukünftiger Mobilität zumindest in der Analyse anfangen mit Nachdenken und Debattieren über die grundlegende gesellschaftliche Ausgangssituation.

Von welcher gesellschaftlich angestrebten Lösung gehen Sie aus? Wird die in Einklang stehen mit - sagen wir dem 1,5 Grad Ziel als ein messbares Ziel? Wenn nicht - glauben Sie nicht auch, dass es lohnt sich trotzdem dafür zu engagieren?

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Ich denke mal die Digitalisierung wird uns in gewissen Bereichen einen Teil der Mobilitätswende abnehmen. Wenn man eben nicht mal mehr schnell von Hamburg nach München zum Meeting muss, oder quer durch Europa in wenigen Stunden um eine Konferenz abzuhalten.

Das ist dann auch ein weiterer Punkt an dem man ansetzen sollte: Entschleunigen des Reisens.

Machen wir uns nichts vor, wenn es hipp wird mit dem Zug durch Europa zu reisen und 2-3 Tage dafür Zeit zu haben brauchen wir weniger Flieger die ja auch nur stetig mehr werden um in ein paar Stunden das zu leisten wo man vor nicht mal Hundert Jahren Tage wenn nicht Wochen gebraucht hat.

Man stelle sich mal vor wieviel Energie man sparen könnte wenn man die Interkontinentalflüge auf langsamere Zeppeline umstellen würde.

Problem dann natürlich: der Shopping Tripp nach New York übers Wochenende ist dann History.

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Da stimme ich zu.
Im Sinne einer konstruktiven Debatte, die natürlich auch Systemkritik beinhalten kann, wäre es dann mMn sinnvoll, zwischen policy (inhaltliche Positionen und Ziele) und polity (Durchsetzungsformen, Dialog, Konflikt) zu differenzieren.
Die Förderung des E-Autos und anderer Mobilitätsformen ist policy, die von dir angesprochenen gesellschaftlichen Analysen sind polity. Das bedeutet nicht, dass das eine weniger wichtig wäre als das andere, man sollte in der Diskussion nur im Kopf behalten, worüber man gerade eigentlich redet und dass es verschiedene Ebenen der Politik betrift.

Die Hegemonie von Automobilität zum Beispiel, von der du sprichst, ist ein gesellschaftlicher Fakt. Wie gehen wir also damit um? Die meisten Menschen möchten nicht auf Individualverkehr im Allgemeinen und Autos im Speziellen verzichten - völlig unabhängig ob aus sich selbst heraus, oder durch manipulative Kommunikation von Politik & Konzernen. Wie kann eine fundamentale Verkehrs- & Mobilitätswende also so kommuniziert und im gesellschaftlichen Dialog angepasst werden, dass eine Mehrheit der Bevölkerung dahintersteht (polity) und was genau muss diese Wende beinhalten (policy)? Das sollte, meine ich, das Ziel einer konstruktiven Debatte zu dem Thema sein.

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Um diese doch recht spannende Diskussion etwas wiederzubeleben stürze ich mich mal als Landbewohner auf diese Aussage :slight_smile:

Was ich in der Diskussion um die Mobilitätswende immer schwierig finde ist das ich das Gefühl habe das hier immer versucht wird ein urban richtigen Lösungsansatz auf das Umland zu übertragen ohne zu hinterfragen ob er ökologisch sinnvoll ist.

Was ich damit meine: Der ÖPNV ist nicht aus sich heraus ökologisch gut. Busse und Bahnen erzeugen durch ihren Antrieb und Verschleiß ebenso ökologische Schäden wie PKW. Nur durch die Fähigkeit mehr Passagiere mitzunehmen wird der ökologische Schaden verringert (oder auf mehr Fahrgäste verteilt).

Bei abnehmender Bevölkerungsdichte sinkt dieser Effekt deutlich bis er sich im schlimmsten Fall ins Gegenteil verkehrt. Dies kann zwar durch den Einsatz kleinerer Fahrzeuge kompensiert werden aber auch das kommt an seine ökologisch sinnvollen Grenzen. Selbst das selbstfahrende Taxi wäre ökologisch schlechter wenn es zu einer Person fährt um sie abzuholen und diese dann zu ihrem Zielort zu fahren als wenn diese selber fährt.

Viele der vollkommen richtig beschriebenen Probleme (Lärm, Versiegelung, Parkplatzprobleme etc.) sind auf dem Land nicht so offensichtlich das die Leute eine Einschränkung ihrer Mobilität dafür hergeben werden.

Statt immer wieder von der großen Mobilitätswende zu philosophieren finde ich es sinnvoller über konkrete Maßnahmen zu diskutieren. Insbesondere darüber wie man die Fahrzeuge aus den Städten bekommt oder wie man einen einen sinnvollen Übergang von Individualverkehr auf dem Land zu ÖPNV in der Stadt organisiert.

Zum Beispiel Park&Ride: Das wäre eine gute Möglichkeit um das Pendeln in die Städte zu reduzieren. Oft ist das Park&Ride jedoch in den Städten angesiedelt und bringt damit für das tägliche Pendeln der Menschen wenig.
Was ich mir hier gut vorstellen könnte: Das Park&Ride auf die Pendlerparkplätze im Umland der Ballungszentren erweitern und diese dann mit Bussen mit den Städten verbinden.

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Das ist der große Knackpunkt.

Der Individualverkehr, daher die Möglichkeit des Einzelnen, ein eigenes Kraftfahrzeug zu führen, war eine der größten Torheiten der Moderne - und diesen Geist bekommen wir so schnell nicht wieder in seine Flasche.

Man stelle sich vor, es hätte nie einen Individualverkehr gegeben, sondern von Anfang an nur ÖPNV und für Notfälle Taxen. Selbst im entlegensten Dorf würden die Busse im Minutentakt in die umliegenden Dörfer fahren - schlicht, weil es notwendig wäre.

Das Problem ist, dass durch den Individualverkehr jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich aus der Solidargemeinschaft der ÖPNV-Nutzer zu entfernen. Dadurch schrumpft diese Solidargemeinschaft und folglich auch das Volumen an Leistungen, dass sie erbringen kann. Dadurch haben wir die Situation, dass auf dem Bus nach 7 Uhr kein Bus mehr fährt und in der Großstadt die Straßenbahnen teilweise nur im 20-Minuten-Takt, statt im 3-Minuten-Takt.

Dieses Problem werden wir leider unmöglich beheben können. Lotte hat hier mit ihrem Eingangs-Beitrag durchaus Recht - der Wechsel von Individual-Verbrenner-Verkehr auf Individual-Elektro-Verkehr ist nur ein winziger Tropfen auf einen sehr großen, sehr heißen Stein. Aber halt ein halbwegs vermittelbarer - zumindest dem Großteil der Bevölkerung kann man ein E-Auto halbwegs schmackhaft machen, eine völlige Abschaffung des Individualverkehrs mit massivem Ausbau des ÖPNV hingegen nicht…

Um deine Frage daher zu beantworten:

Eine wirklich fundamentale Wende wird man der Bevölkerung leider nicht verkaufen können. Es wird realistisch betrachtet nur in kleinen Schritten gehen. Erst wird der Verbrenner gegen das E-Auto getauscht, dann die Fahrrad-Infrastruktur und der ÖPNV ausgebaut - und damit wird der Anteil der ÖPNV-Nutzer und Auto-Verzichter vielleicht über die nächsten 20 Jahre groß genug wachsen, um von dort die nächsten Schritte zu gehen.

Im Hinblick auf effektiven Umweltschutz wird das natürlich zu spät sein. Aber bis der Mensch - vor allem der Deutsche - auf sein Auto verzichtet müsste die Natur schon sicht- und spürbar vor dem vollständigen Kollaps stehen. Und selbst dann würde mancher vermutlich lieber mit dem Auto in den Untergang fahren, statt auf das Auto zu verzichten…

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Dein Beispiel mit dem ÖPNV (1 Bus für 1 Fahrgast) hat natürlich Berechtigung. Ökologisch sinnvolle Mobilität beginnt aber doch ganz wo anders. Man kann auch auf dem Land sein Auto stehen lassen und zu Fuß zum Bäcker laufen.

Dieser Beobachtung stimme ich uneingeschränkt zu. Ich engagiere mich seit ca. 5 Jahren in einer Kleinstadt für eine „kleine Verkehrswende“ und kann bestätigen: Auto fahren ist wohl ein „Menschenrecht“. Und weil man CO2 nicht sehen oder riechen kann, interessiert es keinen Menschen.

Auch hier volle Zustimmung. Aber: So wie jedes gespartes kg CO2 gegen den Klimawandel hilft, so hilft eben auch jeder nicht gefahrene Kilometer Auto.
Es gibt also viele gute Gründe für den Landbewohner Auto zu fahren, genauso wie es viele gibt, es stehen zu lassen, oder auf umweltfreundlichere Verkehrsträger umzusteigen.

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Das ist eine sehr akademische Betrachtung. Hat dann doch mit diskutieren statt mit handeln zu tun. Würde mich auch interessieren, mit wem ihr das diskutieren wollt, wenn als Grundvoraussetzung die Kenntnisse der Unterscheidung von polity und policy notwendig wären (übrigens laut dieser Quelle ganz anders erklärt: propaedpowi - Politikwissenschaftliche Trias: Policy, Politics, Polity
Die aus meiner Sicht für die Energiewende nötigen Hebel sind

  • die Technik (alles vorhanden und bekannt und bis auf Nuancen Konsens der Wissenschaft.
  • das Wissen darüber (ist leider grauenvoll, siehe Kommentare zu E-Autos)
  • Geld (ist im Überfluss vorhanden)
  • den Menschen dazu zu bringen „mit zu spielen“ durch
  • entweder über den Geldbeutel (l Sprit 10 Euro) oder
  • Verbote (Benutzung des Autos für Strecken unter 5 km führt zur Stillegung des Fahrzeugs über die nächsten 2 Wochen).

Die Gefahr ist hier, dass dann einfach alternative Treibstoffe getankt werden. Das war damals schon ein Ding, den Diesel mit Rapsöl oder gar Heizöl zu betanken… ist natürlich Steuerhinterziehung (daher ist Heizöl in Deutschland auch gefärbt), aber wenn der Liter Benzin 10 Euro kostet wird derartiges eine neue Hochkonjunktur haben. Genau so wie kanisterweise Benzin im Ausland zu kaufen, wenn es dort deutlich billiger ist. Auch verboten (Stichwort Gefahrengut), aber die Leute werden halt erfinderisch, wenn’s an’s Geld geht.

Vielleicht sollten wir es erst einmal mit 2,00€ bis 2,50€ versuchen, das würde schon die Rechnung deutlich zum Vorteil der eKFZ bewegen. Aber so lange Mieter in Wohngebieten keine Lademöglichkeit vor der Haustür haben wird auch ein Benzinpreis von über 3€ vermutlich nicht reichen, das eKFZ attraktiver als den Verbrenner zu machen.

Ernsthaft, wo ich wohne - in einem urbanen Wohngebiet in einer deutschen Großstadt im Ruhrgebiet - ist die nächste Ladestation knapp 2 km von meiner Wohnungstür entfernt. Wie viele Menschen sind bereit, 2 km von der eigenen Wohnungstür entfern zu parken - und dann entweder ne Stunde dort zu warten, bis das Auto voll ist, oder nach drei Stunden nochmal dort vorbei zu gehen, um das Auto wieder abzuholen? Richtig, keiner. Die Infrastruktur ist das A und O bei der Durchsetzung der Elektromobilität, nicht der Benzinpreis.

Leider in nahezu keinem Fall beweisbar, daher wäre das ein weiterer Fall einer Vorschrift, die zwar gut gemeint ist, aber nie umgesetzt wird. (siehe §30 I StVO, der nur in absoluten Ausnahmefällen mal angewandt wird, weil ein Verstoß fast nie beweisbar ist, wenn man nicht gerade vor den Augen der Polizei mehrere Minuten im Kreisverkehr fährt…)

War auch nicht ernst gemeint :hugs: nur die Richtung. Kleine Anekdote am Rande: Bei uns im Ort wurde tatsächlich mal einer angezeigt, der täglich am Feierabend eine „Lustfahrt“ unternommen hat.

Das klingt Popcorn-verdächtig. Wieso wurde die Person angezeigt, also was stand auf der Anzeige, und was hat die Polizei damit gemacht?

Genaueres ist mir dazu leider nicht bekannt. Fand das damals ziemlich schräg. Andererseits täte so ein Paragraph vielleicht Not.