Bundesverfassungsgericht erklärt Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig

Sehe ich das richtig, dass damit sämtliche Sonderausgaben für die Bekämpfung der Klimakrise aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden muss? Denn eine akute „Krise“ ist sie ja nach Aussage des BFVGs nicht.
Oder muss man sie nur als Krise ausweisen und dann extra dafür ein neues Sondervermögen bereitstellen?
Oder geht es nur noch über den Weg der privatisierten UNetrnehmen, denen man als Staat zusätzlich Geld bereit stellt (klassiches Beispiel: die Bahn, 100% staatlich, kann neue Kredite beim Staat aufnehmen, das fällt dann nicht unter die Schuldenbremse).

Denn, seien wir doch mal ehrlich, die Kosten der Bekämpfung der Klimakatastrophe werden wir so nicht aus dem normalen Haushalt stemmen können.

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Exakt das ist das Problem.

Die Argumentation ist: Die Klimakrise ist kein Notfall, da wir sie seit Jahrzehnten haben kommen sehen und uns entschieden haben, wenig bis nichts zu tun, um sie abzufedern.

Das mag auch stimmen, aber das Problem ist: Das bedeutet auch, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten unter Merkel, Schröder und Kohl jeweils hätten Milliarden in den Klimaschutz investieren müssen, was nicht geschehen ist. Das nun nachzuholen kostet noch mal extra-viel (langfristige Maßnahmen sind i.d.R. günstiger als kurzfristige Maßnahmen). Es ist natürlich und ganz offensichtlich nicht möglich, die Kosten für die Bewältigung des Klimawandels aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren.

Deswegen halte ich die Entscheidung des BVerfG für unklug, weil es mMn die Implikationen seines Urteils nicht hinreichend abgewogen hat.

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Keine normale Familie könnte Wohnung oder Haus bauen/kaufen, ohne Schulden aufzunehmen.
Kein Unternehmen, kein Start-up kann an den Start gehen, sich vergrößern, weiterentwickeln, ohne Schulden aufzunehmen.
Unternehmen müssen oft antizyklisch investieren (wenn sie gerade keine großen Einnahmen haben), um sich weiterzuentwickeln.
Und ausgerechnet der Staat soll nur dann viel investieren, wenn eh schon alles super läuft?
Völlig bizarr das alles.

Aber Frage: Erlaubt die geltende Schuldenbremse nicht zumindest schuldenbasierte Investitionen in die eigene Infrastruktur (also über dem erlaubten Prozentsatz)?

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Nein!

Das ist falsch. Unternehmen investieren, wenn sie Potentiale in Wachstum (Umsatzerhöhung) oder Kostensenkung sehen. Sie betreiben Profit Maximierung. Bei R&D und bei der Erfüllung neuer Gesetze und Verordnungen können ebenfalls Investitionen fällig sein, aber diese sind zum erhalt der Geschäftsfähigkeit nötig. Das hat nichts mit antizyklisch zu tun.

Oft herrscht aber schon ein Wachstumszwang.

Vor allem aber brauchen Firmen Investoren und können nicht alles immer aus ihren Einnahmen bezahlen.

Für den Staat bedeutet es jedenfalls in der aktuellen Situation eine Abwärtsspirale.

Spannend wäre diese Diskussion, wenn eine Umwidmung z.B. für die Verteidigung stattgefunden hätte. Ich vermute mal stark, dass die Positionen dann andere wären und man hätte das Bundesverfassungsgericht gefeiert. Der Zweck heiligt nun mal nicht die Mittel.

Das stimmt.
Die Einhaltung der Rechtsordnung ist natürlich auf der Metaebene das Wichtigste.

Die Einhaltung der Rechtsordnung ist in einem Rechtsstaat tatsächlich das wichtigste. Sonst dürften sich alle auf eine individuelle Auslegung berufen. Das würde aber kein gutes Ende nehmen.

Du musst hier die unterschiedlichen Funktionen der kapitalistischen volkswirtschaftlichen Spieler betrachten. Der Staat hat eine komplett andere Funktion als ein Unternehmen. Dadurch „wirtschaften“ sie auch anders. Darum sind Vergleiche zwischen Unternehmen und Staaten immer falsch, auch wenn Prof. Sinn und Andere uns das immer mit schlechten Beispielen beibringen wollen.

Wenn es so ist, wie du sagst, schlage ich vor, dass der Staat seine Regulierungsmöglichkeit nutzt und die sozial-ökologische Wende so bewerkstelligt.

Ein Gutes hat das Urteil. Es werden fragwürdige Förderungen auf den Prüfstand gestellt, wie die Intelförderung und den quasi Industriestrompreis. Beides sollte so nicht kommen.

Ich frage mich ob bereits genehmigte Förderungen auch betroffen sind, zum Beispiel für E-Autos und die unnötige Wissingförderung. Für mich wäre das Urteil auch ein Anlass nach Bedürftigkeit zu fördern und nicht nach Klientel.

Trotz allem muss versucht werden die Schuldenbremse medial und öffentlich als das zu benennen was sie ist, der größte Fehler unter vielen der Merkelregierungen. Die Schuldenbremse war in dieser Form nie nötig und zeugt von mieserablen Staatsverständnis derer, die sie durchgewunken haben und verteidigen.

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Absolute Zustimmung. D.h. aber in FDP und Unionskreisen Verbotspolitik :slight_smile:

Diese Einschätzung der Schuldenbremse halte ich für zu hart. Wir sollten uns erinnern warum die Schuldenbremse überhaupt beschlossen wurde. In den Jahren zuvor haben vor allem die Länder regelmäßig teure Ausgaben in politische Klientelprojekte beschlossen und als Investitionsausgaben zur Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft geframed um die damals schon geltenden Schuldenregeln zu umgehen.

In meiner damaligen Heimat wurden so beispielsweise neue Brücken in den Stadtpark oder die optische Sanierung der Innenstadt als Investitionen in den Tourismus begründet. Oder auch die Sanierung/Ausbau des kaum besuchten Theaters Der gewünschte Effekt stellte sich natürlich nie ein.

Mit der Schuldenbremse sollte dieser verrückten Ausgabenpolitik ein Riegel vorgeschoben werden und das war auch gerechtfertigt.

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Nachvollziehbare Argumentation, allerdings wäre der bessere Weg, das Ziel zu erreichen, gewesen, klare und verbindliche Vorgaben dafür zu machen, wie Investitionsrechnungen zu betreiben sind, um solche „Alibi-Rechnungen“, die von Anfang an nur auf dem Papier „richtig“ waren, zu verhindern.

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Sehe ich komplett anders. Es hätte nie ins Grundgesetz gedurft, denn dadurch ist es ja eben so unnötig schwer diese Büchse der Pandora wieder zu schließen. Für mich nur Merkelscher Aktionismus mit freundlicher Unterstützung des Seeheimer Kreises.

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Das ist Deine Meinung. Die Regierung hatte eine andere.

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Oder man hätte einfach eine Zweckbindung als Ausnahme reinverhandeln müssen. Investitionen in Infrastruktur usw hätten so von der Schuldenbremse entkoppelt werden können.
Dann müsste man eben bei jeder Investition ab 0,35% des BIPs hinaus prüfen müssen, ob sie notwendig ist.

Ich finde auch energetische Sanierung muss nicht subventioniert werden.
Wenn dann die Energiepreise steigen, müssen halt Mieten sinken. Will wieder gute Mieten erzielen, lohnt sich eine Sanierung von selbst.

Die Staatsgesellschaften mit Zweck finde ich gut!

Nicht alle Wohnungen und Häuser sind vermietet.
Und wenn ich als Staat der Familie ein sechsstelliges vergünstigtes Darlehen gegeben habe, damit sie nicht mehr zu fünft in der überteuerten Dreizimmerwohnung leben muss, macht es durchaus Sinn, ihr auch bei der Heizung noch mal unter die Arme zu greifen, bevor der die Ölheizung in die Ohren fliegt.

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Das sehe ich eher als Fehler in Deiner Argumentation. Aus meiner Sicht lag die jetzige Entscheidung auf Basis der rechtlichen Rahmenbedingungen deutlich näher und ich hatte auch sehr deutlich den Eindruck, dass der weit größere Anteil an Bewertungen / Argumentationen im Vorfeld in diese Richtung ging. Insofern ist es aus meiner Sicht nicht richtig, wenn Du sagst, dass es offen war („50 / 50“).

Das bzw. Deine Meinung dazu meinte ich auch nicht damit. Generell ist eine Argumentation mit „gutem Zweck“ / „richtige Sache“ immer die subjektive Meinung des / des Menschen, die diese Meinung vertreten. Nur die wenigsten werden von sich behaupten, dass ihr handeln nicht dem gutem Zweck dient, egal ob politisch linksaußen, rechtsaußen, irgendwo dazwischen oder auch egal welcher Religion sie angehören.

Das meine ich, die Argumentation ist, dass es doch für den guten Zweck ist. Aber es ist falsch, wenn ein Gericht einen Rechtsverstoß nicht ahndet, weil es für einen guten Zweck ist. Und in dem Fall war mMn mildernde Umstände schwierig zu berücksichtigen.