Bundesverfassungsgericht erklärt Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig

Hallo. Nur eine kleine Korrektur. Die FDP hängt nicht an der schwarzen Null. Sie klammert sich mit religiösem Eifer „nur“ an die Schuldenbremse. Wäre es die „Schwarze Null“ von Schäuble, die im übrigen auch ein gewisser Olaf Scholz als Finanzminister mal als erstrebenswert ansah (oder ansieht?), wäre deutlich weniger Geld zu Verfügung als mit der Schuldenbremse. Wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, wären das 80 Mrd.

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Die Anti-Politik hat gesiegt. Als 2009 Peer Steinbrück für die Schuldenbremse gekämpft hat und sie ins GG gebracht hat, nahm das Drama seinen Lauf. Wenn Politik aus einer ökonomischem Frage eine rechtliche macht, dann stimmt etwas nicht. Wenn Politik sich selbst Daumenschrauben anlegt, weil sie sich weigert, Finanz- und Wirtschaftspolitik zu machen, dann haben wir ein Problem. Ich hatte wirklich die Hoffnung, dass das BVG die Regierung rügt für dieses Konstrukt mit dem KTF, eventuell sogar den Ball an die Politik spielt und sagt, es gibt so viele Aufgaben, kümmert euch darum, ob die Schuldenbremse überhaupt ein Instrument ist, um ökonomische Fragen zu beantworten. Ist vielleicht etwas naiv gedacht gewesen, mehr der Wunsch der Vater des Gedanken. Trotzdem dachte ich tatsächlich, die Krisen dazu noch die Klimakatastrophe mit all den Auswirkungen auf die planetaren Grenzen wären so etwas wie ein höherweriges Gut. Falsch gedacht. Fatal, dass das Konstrukt der Schuldenbremse nun juristisch auch noch festgetackert wird. JuristInnen entscheiden über das, was finanz- und wirtschaftspolitsich geht und was nicht. Man kann es sich nicht ausdenken.

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Und eben die neoliberale Politik in den letzten Jahrzehnten hat uns in die Lage gebracht. Egal ob CDU, SPD oder Grüne mit in der Regierung waren oder sind. Es fehlt bis jetzt in der öffentlichen Debatte nach meiner Wahrnehmung jegliche ideologische Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus. Hier in den bisherigen Kommentaren lese ich auch nichts darüber. Auch in der Lagefolge, so gut Philip und Ulf die Situation auch aufgearbeitet haben, bleiben die gleichen Geschichten mit „Schulden“, Steuerzahlerinnen“, „Geld muss erst erwirtschaftet werden“ usw. stehen. Es wäre an der Zeit, sich tatsächlich mit dem Geldsystem, wie funktioniert ein Staatshaushalt (keine schwäbische Hausfrau), was sind Staatsschulden im Vergleich zu privaten Schulden usw. auseinanderzusetzen. Was gehört eigentlich zu einer Volkswirtschaft. Wer sind die Akteure: Staat, Unternehmen, Privatleute, Ausland.
Wenn Unternehmen in Krisen sparen-tun sie. So viel auf der hohen Kante hatten sie die letzten Jahrzehnte nicht. Wenn Privatleute sparen, weil sie müssen, dann muss der Staat durch staatliches Geld, man kann negativ auch Schulden nennen, investieren. Wenn das nicht passiert, haben wir ein Problem. Houston wird nicht helfen und JuristInnen schon gleich gar nicht.
Es wäre an der Zeit, progressive Stimmen aus der Ökonomie zu hören. Die klassische VWL an den Unis und deren Methoden in Frage zu stellen. Es wäre schon ein guter Anfang, mal Aaron Sahr zu hören, wie modernes Geld funktioniert. Oder auch so Ökonomen wie Patrick Kaczmarczyk. Heiner Flassbeck oder Philippa Sigl-Glöckner in den öffentlichen Diskurs zu bringen? Adam Tooze. Es geht mir nicht um die Namen, sondern um die Argumente und Inhalte. Unabhängig von Personen. Das alles findet nicht statt. Wir sind auf so vielen Ebenen in kollabierenden Systemen. Sei es Demographie, Ungleichheit, Infrastruktur um sozusagen interne anzusprechen. Dazu kommt das was von aussen kommt. Planetare Grenzen wovon 6 von 9 inkl. Klima schon gerissen sind. Und eben die Art des neoliberalen Kapitalismus, wie er sich Jahrzehnten durchgesetzt hat, ist schon am Kollabieren, mindestens aber kurz davor. Wir können uns noch Jahre diese irre Auseinandersetzung „gönnen“, ob die Schuldenbremse Sinn macht oder nicht. Können wir alles machen. Nur die Zeit rennt uns weg. In allen Belangen. Blöd nur, dass die Einschläge der eben genannten kollabierenden Systeme nicht linear sein werden, sondern exponentiell und eruptiv

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Das Urteil an sich ist keine Katastrophe. Die Katastrophe ist, dass die Schuldenbremse überhaupt ins Grundgesetz geschrieben wurde und die Ampel Parteien versucht haben diese mit einem haushalts-politischen Trick zu umgehen. Wir sollten aufpassen das Gericht für solche Urteile zu kritisieren (es gab in der Vergangenheit schon desöfteren Urteile zu ähnlich gelagerten Fällen), sondern schauen dass die Politik nicht immer wieder durch Tricks versucht ihre eigenen Fehler auszubügeln.

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eben: gewesen. Aus der wissenschaftlichen Perspektive ist doch völlig offensichtlich, dass wir uns in einer Notlage befinden. Das Problem auf die Klimakrise zu beschränken ist meiner Meinung nach übrigens sehr gefährlich. Der Klimawandel ist im Prinzip „nur“ ein Symptom - kein Problem. Und neben der Klimaerwärmung gibt es viele weitere ökosystemare Kipppunkte, die wir, wie allseits bekannt, schon zu großen Teilen überschritten haben.
Wenn man die Definition der Notlage an akut auftretende, zeitlich mutmaßlich überschaubare Ereignisse knüpft, ist sie doch völlig ungeeignet, die alleinige Außnahme von der Schuldenbremse zu bilden.

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Stimmt, es ist extrem heuchlerisch zu sagen, dass die Union die Schuldenbremse initiert hat.

Überhaupt ist die Union unschuldig an allem, was zu Zeiten Merkels geschehen ist (oder auch nicht)

Und warum?

Tja weil die Union ja nie allein regiert hat, also sind immer deren Koalitionspartner schuld.

Ich finde das Thema extrem frustrierend. Danke für eure nüchterne, ausführliche Einordnung. Vielleicht bin ich da mittlerweile auch zu zynisch, aber was passiert denn jetzt? Glaubt irgendwer, dass es zu Steuererhöhungen oder Subventionsabbau kommen wird? Glaubt irgendwer, dass die Grünen dem Haushalt nicht zustimmen werden, obwohl diese Fragen nicht konkret geklärt sein werden?

Als nächstes: Die Ampelparteien haben kein Interesse daran, die Ampel platzen zu lassen. Ja, aber was passiert denn in 2 Jahren? Rot-Grün? Bei den aktuellen Trends ist doch quasi nur eine CDU-geführte „GroKo“ vorstellbar? In der Legislatur danach dann Schwarz-Blau?

Dass die Ampelparteien das jetzt durchziehen wollen, klar, aber sie scheinen ja gleichzeitig nicht Willens oder in der Lage das wirklich produktiv zu machen (und vor allem auch so, dass die Leute das mitkriegen), diese Art von einigermaßen progressiver Politik zu stärken.

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So sehr ich auch finde, dass das Geld, so wie es geplant war, viel gutes bewirkt hätte: wir sollten uns jetzt nicht darüber aufregen, dass jemand beim BMVG nachgefragt hat und dieses festgestellt hat, dass das Handeln der Regierung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Regierung hat sich an das Grundgesetz zu halten und zwar immer. Der Bösewicht ist nicht der, der klagt.

Klar kann man fordern, die Schuldengrenze abzuschaffen, das ist aber ein ganz anderes Thema.

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Das Problem, das ich hier sehe, ist, dass eine Schwarz-Gelbe oder Schwarz-Rote Bundesregierung exakt so gehandelt hätte, wie die Ampel gehandelt hat (der Vorschlag kam ja auch von Lindner…). Es geht der CDU hier nicht um Sachpolitik, sondern es geht ihr darum, die Bundesregierung weitestgehend finanziell handlungsunfähig zu machen und damit ihre eigenen Wahlchancen bei der nächsten Bundestagswahl zu erhöhen.

Ich bin mir absolut und 100% sicher, dass wenn wir gegenwärtig eine Schwarz-Gelbe oder Schwarz-Rote Regierung hätten, diese Regierung die Umschreibung versucht hätte… dass das Geld für den Klimaschutz zwingend nötig ist sieht vermutlich selbst die Union mittlerweile.

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Und wie sicher bist Du Dir, dass in den Fällen die Oppositionsparteien nicht geklagt hätten? Das gehört dann ja zum vollen Bild dazu!

Ich wäre mir zu 99,9% sicher, dass dann genauso geklagt worden wäre.

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Der prozentual größte Posten im Haushalt sind ja die Steuergelder, die für die Rente zusätzlich aufgewendet werden müssen. Gäbe es denn keine Möglichkeit, diesen Posten komplett auszulagern?

Für die SPD und FDP hättest du vermutlich Recht - die hätten auch geklagt, wenn sie in der Opposition gewesen wären. Die GRÜNEN und Linken eher nicht, weil die beiden Parteien es ihren Wählern einfach so gar nicht erklären könnten, warum sie „aus Prinzip“ gegen „Geld für den Klimaschutz“ klagen. Andererseits hätte eine CDU-Regierung die 60 Milliarden vielleicht auch für die Bundeswehr verwendet, dann hätten vermutlich auch die Grünen geklagt.

Also ja, ich bestreite nicht, dass die Opposition es ebenso gemacht hätte. Das macht die Sache aber eben nicht besser. Ich würde mir gerade in Zeiten multipler Krisen einfach ein etwas staatstragenderes Verhalten auch von der Opposition wünschen, aber da nicht mal die Regierungsparteien das gebacken bekommen, wäre das wohl zu viel verlangt…

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Aber sie tun es nicht, indem sie notwendige Risiken eingehen, sondern sie versuchen es auf demselben Weg, den auch die Regierung zuvor schon eingeschlagen hat, wann immer es ein bisschen knifflig wurde: man überschüttet einfach jeden, der jammert, mit Geld.

Da hat @Barnabas definitiv einen Punkt. Der Industriestrompreis z.B. bringt allerhöchstens in irgendwelchen Traumvorstellungen eine Transformation voran. In der Realität zementiert er erst mal bestehende Strukturen, und verlässt sich dann darauf, dass andere - nämlich die geförderten Unternehmen - dann bitte bitte so nett sein werden, eine erwünschte Transformation voranzubringen. Aber am wichtigsten (für die Ampel) ist: er eliminiert (scheinbar zumindest) ein Risiko, nämlich dass gewisse Unternehmen damit drohen, abzuwandern.

Man könnte auch sagen „Ich will sehen!“ und entweder den Bluff enttarnen oder halt auf ein paar Unternehmen verzichten und schauen was das dann tatsächlich für Auswirkungen hat - ob wirklich die Welt untergeht, wie gern an die Wand gemalt wird. Aber nein, das wär ja riskant, und Risiken gehen wir in Deutschland nicht mehr ein.

Ähnliches gilt für fast alle anderen Subventionen mit dem Ziel der Modernisierung von irgendwas - Gebäude, Prozesse, whatever - in Richtung EE. Da wäre es fast immer eine Alternative, den CO2-Preis deutlich stärker und früher anzuheben - mach die fossile Altlast teuer, dann lohnt sich der regenerative Umbau von selbst! Traut man sich aber nicht, weil dann sofort der Wutbürger auf dem Plan steht, dessen Sprit und Gas teurer wird, und weil man es verpennt hat, Auszahlungsmöglichkeiten zu schaffen, kann man ihn mit einer teilweisen Auszahlung dieser Gelder als Kopfpauschale nicht so einfach besänftigen. Also besänftigt man mit neuem Geld in Form von Subventionen hier, Subventionen da. Subventionen überall! Hauptsache nicht das Risiko eingehen, irgendwen vor den Kopf zu stoßen. Ein böser Nebeneffekt davon ist, abgesehen von insgesamt höheren Staatsausgaben, dass gewisse Gruppen, die zufällig in guter Position sitzen um besonders viele Subventionen abzugreifen, massive materielle Vorteile zuungunsten der Gesamtgesellschaft für sich sichern - Immobilieneigentümer etwa.

Heute morgen hab ich einen kleinen Lichtblick im Radio gehört: die Gastronomen zahlen ab nächstem Jahr wieder volle 19% Umsatzsteuer, all das Lobbying, die Corona-Ausnahme auf ewig zu perpetuieren, war vergebens. Ich bilde mir nun einfach ein, das ist kein zeitlicher Zufall, dass das gerade jetzt so entschieden wurde, und bin gespannt, welche weiteren in meiner Betrachtungsweise positiven Effekte dieses Urteil noch so haben wird.

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Ja gäbe es, aber das ist ultrakomplex und würde ebenfalls Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.

Ich habe gerade eine Vorlesung gehabt, wie das schwedische Pensionssystem funktioniert.

Ein Teil ist auch Umlage, aber man hat auch einen Meschanismus eingebaut, was passiert, wenn nocht genügend Geld rein kommt, das ist der Teil der in Deutschland fehlt.

Da dieser Mechanismus aber langsameres Wachstum bei den Renten bedeutet, wird sich da auch nicht so wirklich jemand ran trauen, es wird wohl erst richtig krachen müssen bevor da was passiert.

Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.
Was aber klar ist: Das war bereits lange vor dem Verfassungsgerichtsurteil geplant.

Es werden weniger Menschen in Restaurants gehen. Ohne das die Gastronomen das durch Mehreinnahmen ausgleichen ohne Preiserhöhungen. Dann würden noch weniger Menschen kommen.

Ich denke, das ist nicht gut.

Die Sache ist einzig und allein ein Verstoß gegen Gesetze die eine demokratisch gewählte 2/3 Mehrheit mal beschlossen hat. Und da sollten wir so ehrlich und demokratisch sein, dass a) die politische Farbe völlig egal ist und b) ob es für einen guten Zweck war. Da heiligt der Zweck doch nicht die Mittel (Bei „gutem Zweck“ kommen mir immer religiöse Extremisten in den Kopf).

Das staatstragende Verhalten würde ich mir daher hier von allen Parteien wünschen. Die Sinnhaftigkeit sollte alle verstehen und wenn sie wöllten, könnten sie einen Kompromiss finden. Aber ja…… ist halt noch nicht Weihnachten…

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Die Union wird schon noch das Klagelied anstimmen.
Intel sollte nach Magdeburg, TSMC nach Dresden, beide Bundesländer haben Ministerpräsidenten der CDU, in beiden wird die AFD immer stärker.
Tatsächlich scheint es bisher nur Absichtserklärungen zu geben. Ich sehe keinen Grund, warum die Grünen ausgerechnet diesen Projekten nun noch einen Vorzug geben sollten.
Dazu kommt, dass auch die Bundesländer längst die Politik der Schattenhaushalte für sich entdeckt haben. Die werden jetzt alle auf den Prüfstand kommen. Und sollte die Union mal wieder an die Regierung kommen, wird auch dort das Finanzgebahren genauer begutachtet werden.

Ich hätte mir gewünscht, das Bundesverfassungsgericht wäre bei der Parteienfinanzierung ähnlich konsequent vorgegangen.
Da gab es aber nur ein Du-Du-Du und die Bitte, doch bitte die Begründungen nicht mal etwas zu präzisieren. Nach ein paar Monaten wurden große Herausforderungen im Social-Media-Bereich aus dem Hut gezaubert, die nun mit Millionen bewältigt werden müssen (wie machen kleinere Parteien das nur).

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3 Beiträge wurden in ein neues Thema verschoben: BVerfG streicht 60 Mrd. aus dem KTF - was wird aus der Ampel?

Genau darüber zu entscheiden war Aufgabe des BVerfG - und es waren beide Ausgänge juristisch vertretbar. Ziemlich viele Justizreporter waren von der Entscheidung tatsächlich überrascht und waren im Vorfeld von einem gegenteiligen Urteil ausgegangen, auch ein großer Teil der Verfassungsrechtler hat der Bundesregierung gute Chancen eingeräumt, dass das BVerfG die Umwidmung des Sondervermögens abnicken könnte. Die Frage, über die das BVerfG letztlich entschieden hat, ist, wie flexibel mit der Schuldenbremse und etwaigen Sondervermögen umgegangen werden darf.

Du machst nun den Fehler, so zu tun, als sei die jetzige Entscheidung des BVerfG von Anfang an die einzig mögliche gewesen, als sei die Entscheidung vor dem Hintergrund der aktuellen Gesetzeslage prädestiniert gewesen. Das ist aber gerade nicht der Fall. Es waren beide Ausgänge absolut vertretbar, ein Abnicken der Umwidmung wäre kein akzeptieren „eines Verstoßes gegen Gesetz usw.“ gewesen, sondern lediglich eine alternative, zulässige Auslegung der Grenzen und Funktionen von Sondervermögen und Schuldenbremse.

Bei der Auslegung von Recht - sowohl im Bundestag durch die Parteien, aber gerade auch vor dem BVerfG - spielt die Ebene der Staatspolitik immer eine Rolle. Wie gesagt, beide Auslegungen wären möglich gewesen, sowohl die Auslegung, die der Schuldenbremse ein Stück weit die Zähne zieht, als auch die Auslegung, nach der die Schuldenbremse die Handlungsfähigkeit der Politik erheblich einschränkt. Aus staatspolitischen Gründen, um die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung nicht zu stark einzuschränken, hätte ich mir ein anderes Urteil gewünscht. Das hat nichts mit Extremismus zu tun.

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