BSW - Alternative oder Gefahr?

Ganz interessant ist noch der Bundestalk-Podcast zum BSW:

Ich denke neue Parteien greifen auf, dass sie mit der aktuellen Politik nicht zufrieden sind. Ihre Probleme werden nicht angegangen / gelöst.

Und genau dafür ist die Demokratie gut: „Herrschaft des Volkes“. Wenn das Volk mit der aktuellen Regierung nicht einverstanden ist, dann kann diese abgewählt werden.

Die Einwände „das sind nicht demokratische Parteien“ finde ich unklug.
Alle Parteien, die zur einer Wahl zur Auswahl stehen, müssen im Vorfeld bestimmte Kriterien erfüllen um zur Wahl zugelassen zu werden - und alle Parteien, die alle Parteien, die auf den Wahlzettel stehen erfüllen also die notwendigen Voraussetzungen.

Es mag ja sein, dass einem die Meinung der einen oder anderen Partei nicht gefällt, aber das ist ja das schöne an Demokratie: Wenn die Mehrheit eine Partei nicht möchte / nicht wählt, dann wird sie auch nicht an die Macht kommen.
Der Wählerwille entscheidet - gut so !

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Das ist nicht ganz korrekt. In der BRD hat bei einer Bundestagswahl nur ein einziges Mal eine Partei die absolute Mehrheit erlangt (CDU/CSU 1957). Bis auf diese Ausnahme waren also immer Parteien an der Gesetzgebung beteiligt, die typischerweise von über 85% der Wähler nicht gewählt wurden. (Fun Fact: Selbst 1957 bestand die Regierung aus einer Koalition.)

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Diesem Ansatz folgend würde es aber eben auch bedeuten, dass das Volk das Recht hätte, die Demokratie als Solche abzuwählen, wie es das 1933 mit der Wahl Hitlers getan hat (oder möglicherweise 2024 mit der Wahl Trumps tun wird…). Und das ist eben die große Frage: Soll das in einer Demokratie möglich sein - oder wollen wir eine „wehrhafte Demokratie“, was letztlich bedeutet, dass das System „Demokratie“ auch gegen den Mehrheitswillen des Volkes erhalten bleibt.

Dabei muss man bedenken, dass wenn eine Demokratie erst einmal abgewählt wird und ein autokratischer Herrscher die Möglichkeit bekommt, das System nachhaltig zu ändern, eine Rückkehr zur Demokratie auf demokratischem Weg in der Regel nicht mehr möglich sein wird (Hitler konnte z.B. gewählt werden, hat aber dafür gesorgt, dass er nicht mehr abgewählt werden kann, ebenso lassen Putin und co. sich zwar noch regelmäßig wählen, aber es ist völlig klar, dass eine Niederlage unmöglich ist…). Das bedeutet: Selbst wenn wir sagen, dass die heutige Generation das Recht hätte, die Demokratie abzuwählen, müsste man bedenken, dass diese Entscheidung auch für alle zukünftigen Generationen gelten würde, da sie nicht auf demokratischem Wege rückgängig gemacht werden kann. Und das spricht wiederum ganz klar für eine „wehrhafte Demokratie“, wie sie unser Grundgesetz auch vorsieht.

Daher würde ich dir hier widersprechen:
Nur, weil ein Volk bereit ist, eine antidemokratische Partei mit einer Mehrheit auszustatten, bedeutet das noch nicht, dass eine Demokratie das akzeptieren muss. Und genau dafür gibt es im Zweifel Verbotsverfahren, über die das BVerfG zu entscheiden hat. Und das ist auch gut so!

Wie gesagt, bestimmte Dinge werden in unserer Rechtsordnung bewusst dem Wählerwillen entzogen, z.B. die Abkehr von fundamentalen Prinzipien des Grundgesetzes. Ebenso ist es wichtig, Minderheiten gezielt vor der Mehrheit zu schützen - also auch hier den Wählerwillen mitunter zu ignorieren, wenn dieser sich gegen eine Minderheit richtet. Sonst landen wir eben ganz schnell in einer Diktatur der Mehrheit über die Minderheit - und das ist nicht die Form der Demokratie, die wir wollen (hoffe ich doch sehr).

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Würde mich mal interessieren, wie die in Sachsen und Thüringen das finden würden, wenn die Mehrheit der Deutschen der Meinung wäre, dass das mit der Mauer gar nicht so schlecht war und zumindest Sachsen und Thüringen als eigener Staat besser dran wären.
Wenn die Mehrheit das so möchte, müssten die das ja gut finden, wenn das dann auch so käme und viele Probleme wären gelöst.

An dieser Stelle meine Lieblingsumfrage: 9 von 10 Befragten haben ausgesagt, dass Mobbing ein überbewertetes Problem sei und in ihrer Umgebung nicht vorkomme. Die 10. war das Opfer.

Im nachfolgend verlinkten Essay schreibt der ostdeutsche Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk:

Im Osten überwiegen Staatsvorstellungen, die an autoritäre Modelle erinnern, an einen starken Staat. Das ist ein grundsätzliches Problem – zumal sich solche Vorstellungen wie ein Virus auch im Westen Europas verbreiten.

Und genau an dieser Stelle setzen AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an. Das eine oder andere mag beide Parteien voneinander unterscheiden, aber in einem zentralen Punkt sind sie sich einig: Sie erstreben einen starken, autoritären Staat, der die Gesellschaft einhegt, bevormundet und homogenisiert. Das sprechen die Führungsfiguren beider Strömungen aus. Die AfD weitaus offener als das BSW, aber auch hier benötigt man nur Grundkenntnisse politologischer Theorien, um das dekodieren zu können. Und daher ist auch ihre Nähe zu Russland oder China kein Zufall. AfD wie BSW streben das „Durchgreifen“ an, einen Staat, der sich an seinen eigenen Bedürfnissen orientiert und nicht an denen der Gesellschaft. […]

Im Osten […] vereinen AfD und BSW mittlerweile etwa 50 Prozent der Menschen hinter sich mit ihrer Feindideologie – die lässt keine Kompromisse zu und strebt die völlige Neuordnung an. Das erinnert ebenfalls an die DDR und den Kreml. Dagegen kann nur helfen, dass die Demokraten gemeinsam gegen die potenziellen Mehrheitsdiktatoren zusammenstehen und koalitionsfähig bleiben.

Landtagswahlen im Osten: Diktatur der Mehrheit - taz.de

Somit wäre auch das BSW eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

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Manchmal fragt man sich, warum anscheinend so viele Leute den Schulunterricht, in dem Verfassung, Demokratie und politisches System sowie das Ende der Weimarer Republik erklärt wurde, so konsequent geschwänzt haben.

Ja genau.:wink: Deswegen haben sich die Ostdeutschen 1989 auch gegen ihren autoritären Staat erhoben.

Ich hatte letztens einen Podcast (muss noch mal schauen wo), da war die Begründung eher dahingehend, das in den „neuen Bundesländern“ erst knapp 35 Jahre Erfahrung mit Demokratie bestehen, im Westen über 70, also gut 1-2 Generationen mehr.
Und in der jungen Bundesrepublik gab es anfangs auch reichlich eher autokratisch ausgerichtete Kräfte, die der Nazi-Zeit auch nicht allzu kritisch gegenüber standen. Die Zeiten lassen sich natürlich nicht vergleichen, aber sowas wie ein positives Gefühl für Demokratie muss wachsen und gepflegt werden. Von den politischen Parteien sicherlich, aber auch von uns allen.

Ich befürchte es ist weniger das Ost-West-Problem, eher ein generelles Problem von Gleichgültigkeit, Desinteresse bis Resignation und wachsender Ich-Bezogenheit, die es unserer Demokratie grad so schwer macht.
Grad dieser Egoismus (auch versteckt in Begriffen wie individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung) wird von eher populistischen Parteien wie BSW und AfD gern aufgegriffen.
Demokratie braucht Gemeinschaft. Wer das Gemeinschaftsgefühl angreift, hat einen starken Hebel gegen die Demokratie in der Hand.

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Schöner Mythos. Zähl aber lieber nochmal nach, wie viel Prozent der DDR-Bürger tatsächlich auf den Demos waren, als der autoritäre Staat noch eine reale Gefahr war, wie viele doch lieber „rübergemacht“ haben und wie viele erst „wir sind das Volk“ geschrien haben, als Kohl & Co. schon auf ostdeutschen Marktplätzen standen und das Blaue vom Himmel versprochen haben.

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Die Ostdeutschen haben sich gegen niemanden erhoben, genauso wenig wie die Westdeutschen rund um 1968 rebelliert haben.

Es war in beiden Fällen immer nur ein kleiner Teil.

Und eine Protestteilnahme schließt auch keineswegs aus, dass man autoritär ist oder wird, wie etliche ehemalige Bürgerrechtlerinnen und -rechtler, die heute offen mit der rechtsextremen AfD sympathisieren, belegen. Quellen gibt’s dazu reichlich.

Zumindest für die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben Forschende Folgendes ermittelt:

„Hier ist […] das Potential für extrem-rechte und neonazistische Parteien, Wähler zu finden, besonders hoch. Jeder zweite wünscht sich eine ‘starke Partei‘, die die ‚Volksgemeinschaft‘ insgesamt verkörpert. Statt pluralistischer Interessensvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht“, erläuterte Brähler. Decker fügt hinzu: „Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit.“

Somit ist diese Aussage von Kowalczuk auch empirisch belegt.

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Forschende wie die der Mitte-Studien haben autoritäre und andere extrem rechte Einstellungen schon vor mehr als 18 Jahren ausgemacht. Auch diesbezügliche Ost-West-Unterschiede existieren in der Quantität schon so lange.

„Gemeinschaft“ gab es doch in der DDR reichlich. Oder täusche ich mich da?

Die Frage ist nach meinem Dafürhalten eher, welche Art zivilgesellschaftlicher Gemeinschaften eine Gesellschaft braucht.

Die Wählenden von AfD und BSW bilden ja auch Gemeinschaften - vereint im Dagegensein, in der Ablehnung von Fortschritt, Diversität usw.

Da hast du einen Punkt, da war ich zu unpräzise.

Demokratie funktioniert halt nur wenn alle im Sinne einer demokratischen Gesellschaft beteiligen und mitspielen.

Wenn man eine „völkische Gemeinschaft“ propagiert, ist es natürlich nicht im Sinne der Demokratie

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Wenn du die Formulierung „erhoben“ nur am Widerstand gegen einen gewaltbereiten Saat festmachst, meinetwegen.
Aber es sind nun mal im Herbst '89 Hunderttausende gegen das DDR-Regime auf die Straße gegangen, das kannst du nicht weg diskutieren. Das dürften, auf die Gesamtbevölkerung gerechnet, mehr gewesen sein, als die westdeutschen Teilnehmer der Demos gegen den Nato-Doppelbeschluss, auf die man heute auch (zu Recht) mit einem gewissen Stolz zurück blickt.

Stimmt. Aber deswegen wäre ich trotzdem vorsichtig das politische Statement von Hunderttausenden nicht ernst zu nehmen.

Ich kenne aus meinem persönlichen Umfeld (als jmd der in den 80ern in der DDR geboren wurde) natürlich viele ältere Ostdeutsche, die der AfD ablehnend gegenüberstehen. Und nur Wenige von denen waren Ende der 80er in den Demokratiebewegungen (z.B. Neues Forum) aktiv.

Um welches Statement handelt es sich denn? „Wir wollen keinen Fortschritt“? „Diversität lehnen wir ab“?

Oder wie soll man das Wählen von AfD und BSW sonst interpretieren?

Mir fällt da, ehrlich gesagt, nichts ein.

An dieser Stelle die Bitte weiterhin sachlich und konstruktiv zu bleiben. Sind letztlich Meinungen.

Ich habe von den Demonstrationen gegen das DDR-Regime als politisches Statement gegen einen autoritären Staat gesprochen.

Dass Meinungen des Öfteren leider gerade nicht sachlich und konstruktiv sind, führen Vertreter/-innen vom BSW und der AfD immer wieder vor.

Mir ist ja schon daran gelegen, die Leute, die diese Parteien wählen, zu verstehen. Allerdings fällt mir da - angesichts der empirischen Evidenzen - nichts wirklich Schmeichelhaftes ein.

Okay, mein Missverständnis.

Aber auch da stellt sich natürlich die Frage, worin denn dieses politische Statement, du schriebst in der Einzahl, genau bestanden haben soll. Wollten alle, die da mitgelaufen sind, auch das, was die Redner/-innen kundtaten, und wollten diese wiederum alle das Gleiche?

Und was hat das mit dem BSW zu tun?

Es könnte ja auch so sein, im Sinne einer Hypothesenprüfung sollte man ja immer eine Alternativhypothese am Start haben, dass diejenigen, die heute das BSW wählen, ganz überwiegend nicht diejenigen waren, die damals protestiert haben.

Und es bleibt natürlich dabei, dass „Hunderttausende“ nicht mit der Mehrheitsmeinung von 16,4 Millionen DDR-Bürger/-innen übereinstimmen müssen.

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Deswegen heißt es Meinung. :wink::grin:
Im Gegensatz zu Fakten und Beweisen. :wink: