BSW - Alternative oder Gefahr?

Aktuell wird - zu recht - viel über die Gefahr von Rechts, speziell der AfD gesprochen.

Jetzt gibt es auf der eher linken (?) Seite das BSW, das Bündnis Sahra Wagenknecht.

Rhetorisch sicher und geschliffen, aber nicht wirklich faktenaffin, vertritt Sahra Wagenknecht vordergründig eine gewisse „Friedenspoliitik“ ohne konkrete Lösungen, aber viel Populismus.
Hintergründig vertritt sie recht offen bis subtil aber stark die russischen Narrative.
Was teils ins Skurrile abgleitet wie zuletzt bei Maybrit Illner, wo sie sinngemäß behauptet (am Beispiel des Angriffs auf das Kinderkrankenhaus), das nicht die russischen Raketen die Menschen töten, sondern Trümmer von ukrainischen Luftabwehrraketen.

Ich halte eine Frau Wagenknecht als quasi deutsche Sprecherin für Wladimir Putin nicht für weniger gefährlich als eine AfD.

Wie seht ihr das?

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Ich tue mir sehr schwer mit der Einordnung des BSW als „links“. Kern linker Politik ist die Solidarität der Starken mit den Schwachen und das kann ich beim BSW nicht wirklich erkennen.

Ich sehe das BSW und Wagenknecht persönlich extrem kritisch weil ich sowohl Person als auch Partei als eine rein populistische Akteure ohne jeden konstruktiven Beitrag zur Lösung von realen Problemen einordne. Aber die AfD spielt in einer komplett anderen Liga, vor allem weil dort sehr aktiv und offen für die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen geworben wird und absurde rassistische Gewaltphantasien breitgetreten werden. Zudem gibt es insbesondere vom völkischen Flügel der AfD ganz klare Bestrebung der Abschaffung der verfassungsmäßigen Ordnung in Deutschland.

Würde das BSW morgen eine Mehrheit im Bundestag und Bundesrat erlangen, dann wäre das ein erheblicher politischer Bruch, aber ich würde den Rechtsstaat als solchen alleine deshalb nicht grundsätzlich in Gefahr sehen.

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Daher mein (?).

Wo steht die BSW? Links, rechts, da wo es grade passt?

Das die AfD rein stimmenmässig und ob ihres rechtsextremen Programms die größere Gefahr darstellt , ist unbestritten.
Aber die BSW hat noch kein wirkliches Programm, könnte aber bei der Wahl im Osten ggf das Zünglein an der Waage sein. Falls sie sich dort etabliert.

Aber sie spricht offenbar Teile der Bevölkerung mit ihrer „Friedensrhetorik“ an.

Ich ziehe hier noch am ehesten die Parallelen zur „Fünf-Sterne-Bewegung“ in Italien. Eine Partei abseits des klassischen Links/Rechts-Schemas, die in einigen Punkten klar linke Positionen vertritt, in anderen aber klar Rechte. Beide Parteien sind zudem extrem Russlandfreundlich.

Die Frage ist immer: Wie viel Abweichung muss Demokratie aushalten? Vor allem, wenn die Abweichung hin zu autoritären Systemen wie Russland geht. Ich denke, hier herrscht Einigkeit, dass ein Verbot keine Option ist, weil wir uns sonst auf das gleiche Niveau wie Russland begeben würden („Alles, was nicht unserer Auffassung entspricht, wie ein Staat regiert werden sollte, wird verboten“). Aber die Frage bleibt halt: Wie reagiert eine Demokratie am besten, wenn tatsächlich die Mehrheit des Volkes irgendwann eine autoritäre Regierung wählt (oder im Falle von BSW eine Regierung, die eine Annäherung an autoritäre Systeme wie Russland will)?

Ich stimme definitiv zu, dass es brandgefährlich ist, dass wir mit AfD und BSW zwei russlandfreundliche Parteien haben, die jeweils zumindest in Teilen andere Wählerschichten ansprechen. Aber russische Narrative zu verbreiten kann halt nicht verboten werden - wieder: Weil wir uns sonst auf das Niveau Russlands begeben würden, wo strafrechtlich auf’s Härteste gegen jeden vorgegangen wird, der die Narrative des Feindes verbreitet (oder auch nur die Narrative der eigenen Seite angreift). Das wollen wir sicherlich nicht.

Ich denke, was das BSW angeht, müssen wir abwarten, wie es sich entwickelt. Wird es, wie die 5-Sterne-Bewegung in Italien, nach einem anfänglichen Höhenflug einen großen Crash geben - oder schafft BSW es, sich dauerhaft zu etablieren? Der aktuelle Erfolg liegt eben am „Prinzip Hoffnung“, dass „die neue Partei“ es besser macht als „die alten“. Das kann z.B. über eine Regierungsbeteiligung in Ostdeutschland ganz schnell - wie in Italien - entzaubert werden.

Wenn das BSW langfristig Bestand hat wird es interessant sein zu sehen, wie es sich entwickelt. Mehr nach Rechts? Mehr nach Links? Alles ist letztlich möglich und vieles hängt vermutlich auch davon ab, wer sich als erstes - z.B. in Ostdeutschland - bereit erklärt, mit dem BSW zusammen zu arbeiten. Im Idealfall entwickelt sich das BSW zu einer gesellschaftspolitisch etwas konservativeren Linken, die koalitionsfähig mit SPD und Grünen ist (und damit konservativere Wähler für ein Rot-Grünen Bündnis gewinnen kann), im schlimmsten Fall entwickelt sich das BSW zu einer „AfD mit sozialpolitischem Gewissen“, also einer im Kern ebenso verdorbenen Partei wie die AfD, die mit Sozialpolitik noch mehr Wähler aus der von Armut betroffenen Bevölkerung für ein rechtsextremes Bündnis gewinnen könnte.

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Ich denke, autoritäre Entwicklungen sind immer problematisch, weil sie die Wahlfreiheit der folgenden Generationen in unzulässiger Weise einschränken. Selbst wenn die aktuell Wahlberechtigten mehrheitlich alle Macht in einer Hand sehen wollen und ihre Wahlfreiheit gerne und freiwillig aufgeben, haben sie nicht das Recht, dieselbe Entscheidung auch für die kommenden Wahlberechtigten zu treffen.

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In politischen Analysen zum Egoprojekt von Sahra Wagenknecht namens BSW taucht immer wieder der Begriff Querfront auf.

Eine meines Erachtens recht gute Analyse findet man hier:

https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/bsw-sahra-wagenknecht-finale-form-querfront-und-klasse-008211.html

Was sich hinter der euphemistischen Selbsteinordnung „linkskonservativ“ verbirgt, ist regressiv, nämlich der Gegensatz von progressiv.

Antihumanitär in der Minderheiten- und Geflüchteten-Politik, unterwürfig gegenüber der russischen Diktatur und ihrer imperialistischen Aggression, rückschrittlich in gesellschafts- und klimapolitischer Hinsicht und irrational, was das Medizinische (Stichwort: Corona-Impfung) angeht.

Und das Ganze wird dann noch als „Vernunft“ im Sinne eines angeblich gesunden Menschenverstandes, von dem Albert Einstein einmal sagte, er sei eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben habe, verkauft.

Was das BSW meiner Einschätzung nach so gefährlich macht, ist, dass es noch dreister an Veränderungsunwilligkeit appelliert als andere als konservativ gelabelte Parteien. Solche populistische Realitätsverweigerung zementiert die Denkfaulheit in einem Teil der Bevölkerung.

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Das BSW vertritt klassische populistische Positionen, indem es Probleme als externe Zumutungen für das unschuldige Individuum charakterisiert - die bösen Unternehmen oder direkt Kapitalisten (mit Anlehnung an Antisemitismus), die bösen USA, die bösen Ausländer, die bösen etablierten Parteien. Es verbindet linke Wirtschaftspolitik mit rechter Sozialpolitik in dem Sinne, dass Forderungen aufgestellt werden die dem (weißen deutschen) Individuum als passives Opfer zustehen um eine heile Welt (wieder)herzustellen. In der rhetorisch ebenso nationalistischen wie sozialistischen Positionierung ist es programmatisch offen für weit rechte Parteien, allerdings ohne dass die Wählerschaft bislang Gefahr läuft selber als Nazis tituliert zu werden.

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Das sehe ich ganz genau so! Die Frau ist ebenfalls eine Populistin erster Güte und sollte genauso gesehen werden wie die AFD-Spitze. Vielleicht kann man am linken Rand noch verhindern, was am rechten nicht gelungen ist. Dabei ist es mir egal, ob man sie „links“ nennen kann oder nicht. Sie ist ein gefährlicher Spaltpilz!

Was müsste denn getan werden, um das zu verhindern? Wie @Daniel_K ja geschrieben hat, wäre ein Verbot und allein schon ein Gedanke daran hochgradig problematisch.

Ist Denkfaulheit der Grund, warum die BSW eine Alternative für 10% der Bevölkerung (je nach Umfrage) ist? Mir erscheint das zu einfach. Wenn ich dem folgen würde, kann ich 35% bis 40% der Bevölkerung abschreiben (AfD+BSW-Wähler).
Welche Positionen sind es bei Sahra Wagenknecht, die sie attraktiv macht? Offensichtlich scheint sie ja die Mehrzahl der Linkenwähler mitgenommen zu haben (s. Europawahl). Anders gefragt: Was treibt die Wähler, die vorher die Linke gewählt haben, zu BSW und die Linke in die politische Bedeutungslosigkeit? Das ist doch eigentlich die Frage, oder?

Nun ja, so wirklich viele Positionen hat sie ja noch nicht.
Inhaltlich punktet sie aktuell mit ihren Forderungen nach Frieden in der Ukraine. Verständlich, da die Menschen da offene Ohren haben. Dazu die Forderung wieder billig russisches Gas zu kaufen, womit sie auch Teile der Wähler anspricht, sowohl die eher „russlandfreundlichen“ als auch diejenigen denen die Energiepreise zu hoch sind und die ihren Wohlstand gefährdet sehen (und denen teils auch die Ukraine da auch schlichtweg egal ist).

Zudem zieht die Person Wagenknecht durch ihre eloquente, aber schlichte Rhetorik viele Sympathisanten an.

Vermute ich. Das reicht für 5-8%

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Warum? Ich finde es sehr offensichtlich, dass ein großer Teil der Bevölkerung von den vielen Veränderungen (Klimawandel, Corona, Ukraine-Krieg, Immigration, Technologie, Gesellschaft (offene Homo- und Transsexualität), etc.) überfordert und verunsichert ist. Viele dieser Veränderungen stellen als natürlich empfundene Privilegien in Frage oder scheinen an der wirtschaftlichen Sicherheit (die Rückblicken oft verklärt wird) zu rütteln.

Die „großen“ Parteien haben es nie geschafft, diesen Menschen eine schlüssige und optimistische Vision zu vermitteln, wie diese Veränderungen umgesetzt werden sollen. Die Ausnahme sind zum Teil die Grünen, die das zumindest versucht haben, aber durch gezielte und Interessensgetriebene Kampagnen als Volksfeinde dargestellt werden (und nebenbei keine besonders talentierte Kommunikation betreiben).

Die BSW und Wagenknecht machen diesen Menschen ein politisches Angebot: Kopf in den Sand! Alles bleibt wie es war, entweder ignorieren wir politische und weltliche Veränderungen komplett (z.B. russische Aggression, Klimawandel) und wo das nicht möglich ist, interveniert der Staat damit die Bürger damit nicht in Berührung kommt (Kontrolle der Migration durch Abschottung und Ausgrenzung).

Das ist populistisch, dumm und zum Scheitern verurteilt. Aber es spricht vielleicht jene an, die (wie viele LINKE-Wähler) mit dem offen zur Schau gestellten völkischen und ausländerfeindlichen Klimmbimm der AfD nichts anfangen können.

Ja und Nein. Ich glaube dass man diese 35-40% durchaus mitnehmen könnte, aber man muss ihnen überzeugende politische Angebote machen. Aktuell bieten ihnen AfD und BSW unterschiedliche Formen von „du musst dich nicht verändern, die anderen sind Schuld (Deutschland den Deutschen!)“.

Die CDSU sagt: „Wir finden vor allem die Regierung doof und mit den Ausländern hat die AfD schon irgendwie recht, aber wählt doch uns anstelle der Nazis“. Die SPD weiß selber nicht was sie sagen will, der FDP haben diese Leute nicht genug Porsches vor der Haustür und die Grünen versuchen ihre Ideen – in den paar Momenten in denen sie nicht von den anderen Parteien und der BILD niedergebrüllt werden – in einer Fremdsprache rüberzubringen.

Es gibt meiner Ansicht nach ein unglaubliches Potenzial für zum Beispiel CDSU oder SPD eine optimistische Vision der Zukunft zu entwerfen und dadurch den Menschen zu vermitteln „alles wird gut“. Aber dazu sind diese Parteien nicht Willens (CDSU) oder in der Lage (SPD).

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Ich war in einer Kleinpartei aktiv und habe genau dafür geworben. Ich habe immer gesagt: „wenn ich am Wahlkampfstand stehe, dann muss ich den Leuten doch sagen können, was genau für sie besser wird mit uns.“
Es ist aber eben viel leichter anzuprangern, was die anderen falsch machen.
Man ist so von seinen Konzept überzeugt, dass man gar nicht versteht, wie das Teile der Bevölkerung nicht verstehen - und beschließt, sie wollen es eben nicht verstehen.
Ein positives Konzept zu entwerfen, bedeutet, sich zusammen zu setzen und Dinge zu planen, die, sollte man tatsächlich mal regieren, durch den Fleischwolf der Koalitionsverhandlungen gedreht werden.
Je konkreter das Konzept, desto angreifbarer macht man sich. Denn jedes Konzept hat natürlich irgendwo Schwachpunkte, auf die die Gegner sich genüsslich stürzen werden.
Wir sind leider ein unglaublich destruktives Volk.
Ideen werden nicht weitergedacht sondern zerredet.

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Ist Denkfaulheit der Grund, warum die BSW eine Alternative für 10% der Bevölkerung (je nach Umfrage) ist? Mir erscheint das zu einfach. Wenn ich dem folgen würde, kann ich 35% bis 40% der Bevölkerung abschreiben (AfD+BSW-Wähler).

Wie kommst du auf bis zu 40 % der Wählenden (gar der Bevölkerung)?

Bei der Europawahl bekam die AfD 15,9 % der Stimmen, das BSW 6,2 %. Das sind dann zusammengenommen 22,1 %.

In der Politischen Vierteljahresschrift wurden Befragungsdaten zur Bundestagswahl 2021 ausgewertet (Huber et al. 2022). Hier findest du die Populismus-Affinität nach Parteivotum:

Die Flächen im Bereich > 0 zeigen die Anteile mit populistischen Einstellungen.

Bei den Wählenden der Grünen war der Anteil besonders niedrig, bei Wählenden der Linken (damals noch mit Wagenknecht) und der AfD erwartungsgemäß besonders hoch.

Beim Grad politischer Unzufriedenheit kamen jedoch die Wählenden der Grünen nach denen von AfD und Die Linke auf Platz 3:

Dieser Positionswechsel zeigt schon an, dass Unzufriedenheit alleine - auch wenn das von den Studienautoren anders interpretiert wird - nicht der wesentliche Treiber für Populismus sein kann.

Die 2022/23 durchgeführte Rechtsextremismus-Studie von Zick et al. stellt fest, dass unter Grünen-Wählenden die Zustimmung zu Rechtsextremismus-Dimensionen am geringsten sei, wohingegen sie unter Linke-Wählenden, als Wagenknecht noch nicht ausgestiegen war, in einigen Dimensionen (Verharmlosung des Nationalsozialismus, Antisemitismus und erstaunlicherweise auch Sozialdarwinismus) höher war als bei CDU/CSU- und SPD-Wählenden, bei der Dimension Fremdenfeindlichkeit war das bei Wählenden der Linken gegenüber denen der SPD der Fall. (Vgl. S. 75)

Dort gibt es ein ganz interessantes Kapitel unter dem Titel „Mittendrin: In der »Querfront«“ (S. 137).

Die letzte Leipziger Autoritarismus-Studie von Decker et al. 2022 bestätigt diese Tendenz innerhalb der Wählenden der Linken, wobei insbesondere deutlich erhöhte Antisemitismus-Werte und stark erhöhte Werte bei Chauvinismus (hiermit ist Nationalchauvinismus gemeint) und Ausländerfeindlichkeit hervorstechen (vgl. S. 59).

Die Partei Die Linke wurde bei der Bundestagswahl prozentual fast drei Mal so häufig im Osten gewählt:


Bei Kategorien wie „autoritäre Unterwürfigkeit“ u. dgl. findet die Leipziger Studie signifikante Ost-West-Unterschiede (vgl. S. 80).

Solche Einstellungsdifferenzen spielten sicher auch bei den damaligen Wählenden der Linken (inkl. Wagenknecht) eine Rolle und pausten sich gewissermaßen stärker durch.

Dass nach Wagenknechts Weggang nicht die Linksliberalen gegangen sind, sollte klar sein.

Bei der Europawahl sind neben vielen vorherigen Linke-Wählenden auch erstaunlich viele SPD- und mindestens dem ökonomisch rechten Spektrum zuzuordnenden Partei-Wählende zum BSW gewechselt:

Von CDU/CSU, FDP und AfD kamen insgesamt ca. 650.000 Stimmen, von der SPS 580.000 und von Die Linke 470.000, von den Grünen 150.000.

Man kann wohl davon ausgehen, dass das jene Wählenden waren, die auch schon früher populistischen Einstellungen zuneigten (vgl. Abb. 1).

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Ich glaube, man macht es sich zu einfach, Linkewählern diktatorische Tendenzen zu unterstellen und dies dann vor allem im Osten zu verorten.
Die Hemmschwelle eine linke Partei zu wählen ist im Westen einfach deshalb schon wesentlich höher weil bis zu meiner Generation wir noch aufgewachsen sind mit dem Wissen, dass das der Klassenfeind ist.
In Bayern scheiterte die Linke regelmäßig an der 5%-Hürde und das nicht, weil die Bayern nicht zu „autoritärer Unterwürfigkeit“ neigen würden.
Im Gegenteil: es gibt sogar einen Verein, der sich für die Rückkehr der Monarchie einsetzt.

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Ich denke, wer sich politisch am Rand (rechts oder links) verortet, ist meist ja grundlegend mit unserem politischen System unzufrieden, oder zumindest mit unserer Form der Demokratie.
Das Paradoxe ist ja, das diese Menschen einerseits ihren Status Quo behalten wollen, aber doch grundlegende Systemveränderungen gutheißen oder fordern.

Dazwischen (also zwischen Rand und Mitte des politischen Spektrums) tummeln sich viele unentschlossene Wähler, die sich aus dem politischen/ populistischen „Angeboten“ die für sie attraktiven Aspekte raussuchen und den Rest ignorieren.
Bei denen kann man sicher argumentativ ansetzen….wen man will.

Alle Daten aus empirischen Erhebungen weisen immer wieder die gleichen Befunde auf. Das kannst du nicht durch Glauben vom Tisch wischen.

Die gleichen Forschenden aus Leipzig, die schon jahrelang den Autoritarismus in Gesamtdeutschland erheben, kommen in einer Studie, die auf den Osten fokussiert, zu folgenden Ergebnissen:

„Hier ist damit das Potential für extrem-rechte und neonazistische Parteien, Wähler zu finden, besonders hoch. Jeder zweite wünscht sich eine ‘starke Partei‘, die die ‚Volksgemeinschaft‘ insgesamt verkörpert. Statt pluralistischer Interessensvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht“, erläuterte Brähler. Decker fügt hinzu: „Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit.“

Das kann man ja doof finden, aber man muss sich zumindest mit der Forschungslage, die übrigens auch von Zick et al. 2023 (s. o.) bestätigt wird, auseinandersetzen.

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Leider wird hier mal wieder oberflächlich das Klischee des eher rechts wählenden Ostdeutschen bedient.

Dabei wird in der Studie, die du oben anführst (Link zu der Leipziger Studie) und zitierst, sehr wohl auf die wichtigen Hintergrund-Faktoren eingegangen, leider erst ab Seite 161ff. :

In zurückliegenden Veröffentlichungen haben wir neben der spezifischen ostdeutschen Transformationserfahrung und der jüngeren Geschichte Ostdeutschlands immer wieder auf Strukturfaktoren hingewiesen, die augenfällige Ost-West-Unterschiede erklären könnten.
Darunter zählen die Alters- und Bildungsstruktur, das Geschlechterverhältnis, Arbeitslosigkeitserfahrungen sowie die wirtschaftliche Strukturschwäche gerade im Osten und viele weitere Faktoren. Solche Umgebungs- oder Kontextfaktoren können bei der Herausbildung von Einstellungen eine Rolle spielen, werden bei der Analyse aber meist nur implizit oder im Nachhinein als mögliche Erklärungen berücksichtigt.

Das ist genau das Problem solcher oberflächlicher Statistiken. Es wird zu selten geschaut, welchen Bildungshintergrund und welches sozio-ökononische Umfeld die Befragten haben :

In den letzten Jahren stellten Untersuchungen entsprechend fest, dass die AfD in solchen Wahlkreisen und Regionen häufiger gewählt wird, die durch Alterung, Abwanderung und wirtschaftliche Benachteiligung geprägt sind, da in diesen Regionen auch eine geringere Zufriedenheit mit der Demokratie vorzufinden ist (Franz et al., 2018; Meisner, 2019; Brachert et al., 2020)

Zu behaupten autoritäre Parteien wie AfD oder BSW wären ein rein ostdeutsches Problem ist also eine Fehlannahme, die bei zunehmender Ungleichverteilung von Wohlstand in der Gesellschaft, durchaus problematisch werden könnte.

Auch die Aussage von @der_Matti zum Thema Bayern wird durch die Quelle von @Schnackerio bekräftigt:

Neben dem Ost-West-Unterschied sind aber auch andere regionale Unterschiede relevant. Bereits in unseren Untersuchungen von 2008 (Decker & Brähler, 2008) und 2014 (Decker et al., 2015), in denen auf Grundlage kumulierter, d. h. zusammengeführter
Stichproben der Jahre 2002–2008 bzw. 2002–2014 ein Bundesländervergleich möglich war, zeigte sich, dass offenbar auch ein Nord-Süd-Gefälle bei der Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen besteht. Vor allem für den Freistaat Bayern zeigten sich dabei sehr hohe Werte.

Was man dagegen tun kann? Sicher nicht einfach. Ich frage mich immer, wieso es so leicht sein kann/darf, überall öffentlich Lügen, demagogische Parolen, Rassismus u. ä. zu verbreiten und immer wieder zu wiederholen, bis es sich in den Köpfen als Wahrheit einnistet. Im privaten Bereich ist dem nur schwer beizukommen, aber z. B. in den Medien (z. B. Talkshows) wünsche ich mir oftmals eine Art Video-Schiedsrichter, der sofort auf objektive Unwahrheiten, Täuschungen etc. reagiert und Falsches richtigstellt, vielleicht KI-unterstützt. Es gibt das Recht auf freie Meinungsäußerung, aber kein Recht auf die Wahrheit!? Das wäre mal eine sinnvolle Anwendung für KI und würde die Wagenknechts, Weidels, Trumps und wie sie alle heißen schnell entlarven, natürlich auch alle anderen, die sich gern mal die Wahrheit etwas zurecht biegen.
Ja, ich sehe die Frage „was ist die Wahrheit, wessen Wahrheit ist die richtige?“ Vielleicht kann man bei den plumpsten Lügen, die wissenschaftlich zu widerlegen sind, anfangen und sich weiter vorarbeiten…

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Dass „autoritäre Parteien wie AfD oder BSW […] ein rein ostdeutsches Problem“ wären, habe ich an keiner Stelle behauptet, sondern lediglich festgestellt, dass es eine hohe Plausibilität dafür gibt, dass es autoritär gesinnte Personen eher zum BSW zieht, weil es unter den vormals Linken-Wählenden immer schon vermehrt rechte Einstellungen gegeben hat und selbige nicht nur im Osten häufiger sind, sondern auch Wählende der Partei Die Linke. Das überlappt sich also.

Dass der „Bildungshintergrund“ bei der Affinität zum Autoritarismus eine wesentliche Rolle spielt (im Übrigen auch das Geschlecht), ist ja rund um den Globus in Studien immer wieder bestätigt worden.

Eftedal et al. 2020 haben in einer interessanten Zwillingsstudie festgehalten, dass „es [in der Forschung] gut etabliert ist, dass Bildung und Rechtsautoritarismus (RWA) ziemlich stark negativ korreliert sind […].“ Weiter schreiben die Forschenden: „Unsere Ergebnisse stehen im Einklang mit einem kausalen Effekt von Bildung zur Verringerung von RWA. Der soziale Status im Erwachsenenalter hat diesen Effekt nicht bewirkt. Wir stellen fest, dass die negative Korrelation zwischen RWA und Bildung durch störende Einflüsse, vor allem aus dem familiären Umfeld, die teilweise mit dem SES [d. i. der sozioökonomische Status] zusammenhängen, noch verstärkt wird.“ (Übers.)

Und in einem Überblicksartikel von Osborne et al. in Nature Psychology Reviews 2023 heißt es: „Ähnliche Arbeiten zeigen, dass Offenheit für Erfahrungen (eine Eigenschaft, die das Interesse an Neuem und intellektuelle Neugier erfasst) negativ mit Rechtsautoritarismus korreliert.“ (Übers.)

Der ersten von mir angeführten Quelle nach zu urteilen bestätigt die Forschung zwar, dass Bildung positive Effekte gegen Autoritarismus zeitigt, aber der sozioökonomische Status als solcher nicht.

Grundsätzlich sehe ich es ferner so, dass strukturelle Faktoren keine Ausrede für Autoritarismusaffinität sein können - und zwar weder im Osten noch im Westen.

Ein weiterer Forschungsbefund zum sozioökonomischen Status ist noch bemerkenswert:

AfD-Wähler sind unabhängig von sozioökonomischen Faktoren mit ihrer finanziellen Situation und ihrem Leben unzufriedener als die Unterstützer aller anderen Parteien.

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