Afd Wähler in Brandenburg nur kleinerer Anteil rechts?

Liebes Lage der Nation Team,

ich fand Eure Analyse zur Situation in Brandenburg in Folge 399 sehr spannend, insbesondere die Idee, dass die etablierten Parteien AfD-Wähler zurückgewinnen könnten, indem sie zeigen, dass diese unter dem AfD-Programm eher leiden würden, und dass linke Parteien ihre Unterstützung für sozial Schwächere besser kommunizieren müssten.

Allerdings frage ich mich, ob diese Strategie die tatsächlichen Wahlmotive der AfD-Wähler ausreichend berücksichtigt. Neben der Nachwahlbefragung, die sicherlich nützliche Einblicke liefert, zeigen verschiedene detaillierte Studien, dass viele AfD-Wähler nicht nur aus wirtschaftlicher Unzufriedenheit wählen, sondern auch stark demokratiefeindliche Einstellungen haben. Studien wie die Mitte-Studie oder die Autoritarismus-Studie deuten auf ein erhebliches Misstrauen gegenüber der Demokratie hin. Marcel Lewandowski hat sich zudem intensiv mit dem Populismus der AfD auseinandergesetzt und beleuchtet, dass der Protest gegen das „System“ für viele Wähler oft schwerwiegender ist als nur soziale Ungerechtigkeiten.

Deshalb würde ich gerne hinterfragen, ob es ausreicht, nur ökonomische Ängste zu adressieren. Wie seht ihr das? Muss die politische Debatte nicht auch verstärkt auf die tiefgreifenden demokratieskeptischen Einstellungen eingehen, die in der AfD-Wählerschaft stark verankert sind?

Vielen Dank für Eure tolle Arbeit und herzliche Grüße,
Sebastian

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Ich halte das ganze für einen massiven Rattenschwanz von sich gegenseitig bedingenden komplexen Problemstellungen, die ich gerne etwas näher skizzieren möchte.

→ Meine These 1: Menschen nehmen eine reelle Verschlechterung direkt vor Ort wahr.
Öffentliche Bäder schliessen, Schulen, die Bahn etc. werden in ihrer Serviceleistung immer schlechter, die Brücken bröckeln. Ämter sind überfordert, langsam und ineffektiv, von Effizienz brauchen wir ohnehin nicht zu sprechen. Wir kennen diese Themen ja bereits aus der LdN und aus den Baustellen der Nation. Diese Themen sind für den Bürger unmittelbar vor Ort spürbar und sorgen für Frust.

→ Meine These 2: „Alles wird teurer“
Ich halte die starke Schere zwischen Reallohn und Lebenshaltungskosten für ein gravierendes Problem. Alles wird teurer, von der Miete über die Produkte des täglichen Bedarfs. Auch oben genannte Infrastruktur, welche ja real eine häufig schlechtere „Leistung“ hat, wird teurer. Die Menschen haben also weniger in der Tasche, wenn der Monat vorbei ist.

→ Meine These 3: Einfache Antworten auf komplexe Probleme
Eine grosse Anzahl von Menschen in Deutschland sind nicht so tief in die politischen Vorgehensweisen eingegraben, wie wir hier in „unserer“ Bubble. Sie möchten gerne einfache Lösungen haben und versprechen sich von Populisten, die solche Lösungen ja propagieren, eine entsprechende Lösungskompetenz. Das wird natürlich aus diversen Gründen (juristischer oder realpolitischer Natur) nicht umsetzen lassen. Statt über wirklich notwendige Themen wie beispielsweise Rentenreform zu sprechen, nimmt man Gruppen von Menschen, die augenscheinlich „faul“ sind oder „nicht hierher gehören“ und erklärt diese zum Problem, obwohl das nicht oder - wenn überhaupt - nur in kleinen Teilen der Wahrheit entspricht.

→ Meine These 4: Fehlende Wut auf Grossfirmen und Konzernstrukturen, sowie Wirtschaftsverantwortliche

Second, average markups for the biggest firms […] have risen sharply over the period 1995 - 2022, while the average markups of smaller companies have barely changed. Other research has found similar patterns. For example,[…] found average markups rising from around 10-20 percent over costs in 1980, to approximately 40 percent in Asia, 60 percent in Europe, and 80 percent in the United States.

Quelle

Wir haben aus meiner Sicht durch diese Strukturen, die immernoch ungelösten Steuerschlupflöcher und fehlende internationale Zusammenarbeit eine Welt geschaffen, die mit System die „Arbeiterklasse“ ausbeutet. Diese wird aber gegen diejenigen aufgehetzt, die noch weniger haben, während solche Konzernstrukturen häufig nicht kritisiert werden.

Hinzu kommt, dass die Gelder aus diesen Firmen eben häufig an ausländische Investoren fliessen → die Gewinne sind damit dahin. Quatar hat beispielsweise 17% Stimmrecht an der Volkswagen AG und wir wundern uns, warum die keine günstigen Elektroautos bauen? Hinzu kommt, dass es mich kaum bis nicht wundert, dass BlackRock und die Norge Bank als grosse Shareholder von Vonovia kein Interesse an günstigem Wohnraum in Deutschland haben, sondern daran, ihre eigenen Kunden und Vorstände mit guten Zahlen glücklich zu machen.

image Quelle Grafik

→ Persönliches Fazit:
Das Leben für die Menschen wird zunehmend schwieriger und geschätzte Leistungen werden abgebaut, zahlreiche Themen wurden von der Politik über Jahrzehnte nicht angepackt oder konnten jedenfalls nicht gelöst werden und es fehlt eine gemeinsame Vision auf einen Struktur- und Wirtschaftswandel, der die Zukunft unseres Landes massgeblich beeinflussen wird. Das hat das Vertrauen in den Staat stark beschädigt. Gleichzeitig spielt man die „Armen“ gegeneinander aus und lässt damit weiterhin Konzerne gewähren, während diese ganz gezielt Steuervermeidung betreiben. Anscheinend ist das für eine grosse Zahl der Wähler komplett normal und irgendwie sogar begrüssenswert, während die Mitarbeitenden hier stark unterverhältnismässig profitieren. Das zieht sich durch die gesamte deutsche Wirtschaft und weckt Begehrlichkeiten bei den Arbeitern, welche dann auf „die Ausländer“ und „die Arbeitslosen“ umgelenkt wird.

Noch zu dieser Kernfrage: ich glaube, dass der Eindruck dieser Demokratiefeindlichkeit durchaus durch diese „Pseudo-Neiddebatte“ Arm gegen Arm entsteht, daher ist die ökonomische Partizipation der „Arbeiterklasse“ meines Erachtens ein zentrales Thema, welches Demokratie stärkt.

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Vielen Dank für deine ausführliche Antwort und deinen Einblick, der viele wichtige Punkte anspricht. Besonders der Aspekt der steigenden Lebenshaltungskosten und der wahrgenommenen Verschlechterung der öffentlichen Infrastruktur ist nachvollziehbar und spielt sicher eine Rolle in der Frustration vieler Bürger. Diese ökonomische Unsicherheit wird von Populisten, wie du richtig sagst, oft mit einfachen Antworten und Feindbildern instrumentalisiert.

Was mich jedoch weiterhin beschäftigt, ist der Anteil der AfD-Wählerschaft, der neben den ökonomischen Sorgen auch stark von autoritären oder demokratiefeindlichen Einstellungen geprägt ist. Hier wäre mein Punkt, dass es nicht allein reicht, bessere wirtschaftliche Angebote zu machen, sondern dass tieferliegende Überzeugungen, die sich über Jahre verfestigt haben, auch adressiert werden müssen. Studien wie die Mitte- oder Leipziger Autoritarismus-Studie zeigen, dass ein erheblicher Teil der AfD-Wähler ein geschlossen rechtsextremes Weltbild hat und Misstrauen gegenüber der Demokratie und Migranten hegt. Diese demokratieskeptischen Einstellungen haben ihren Ursprung nicht nur in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern auch in kulturellen und ideologischen Konflikten.

Ich denke, es wäre interessant, wenn wir uns darüber austauschen könnten, wie man auf diese beiden Ebenen – ökonomisch und ideologisch – gleichzeitig eingehen könnte, um der AfD das Wasser abzugraben. Der Protest gegen das „System“ scheint mir nämlich oft gewichtiger als der Protest gegen soziale Ungleichheiten.

Dazu müsste man einfach nur die Demokratie wieder funktional gestalten.

Man darf nicht vergessen, dass ein nicht unerheblicher Teil im Osten noch in der DDR sozialisiert wurde respektive durch ihre so sozialisierten Eltern beeinflusst wurden/werden.

Ich kann zwar nur für mich sprechen, aber ich empfand es nach der Wende so, als ob ich vergessen wurde.
Meine Eltern hatten eigene Probleme sich um neuen System zurecht zu finden, alle meine Freizeitaktivitäten waren nicht mehr u.s.w.

Heißt also in meiner Erinnerung hat die DDR bis zu ihrem Untergang im Erleben funktioniert.

Dann kam die Demokratie und es hat gedauert bis da wieder was funktionierendes entstanden ist. In der letzten Zeit hat man aber das Gefühl, das es immer dysfunktionaler wird und das bisschen was noch an Gesetzen nach endlosen Diskussionen aus dem Parlament fällt wird nicht mehr zwingend als Verbesserung wahr genommen.

Medien, soziale Medien (deren Algorithmen) und AfD tragen jetzt auch nicht unbedingt dazu bei diese Wahrnehmung zu verändern (merke nir eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht)

Da kann man schon in Versuchung kommen, das "Experiment Demokratie " zu beenden und wieder in eine (aus Erinnerung bzw. Erzählungen) funktionierende Diktatur zu wechseln.

Man spart sich zumindest das Gezanke in den Parlamenten.

Heißt also die demokratischen Parteien müssen die Leute überzeugen, dass nach all den endlosen Diskussionen es für sie auch wieder besser geht.
Dazu gehören Planbarkeit und dazu auch, dass man sich an geschlossene Kompromisse hält und sie nicht via das nächste Mikrophon gleich wieder in Frage stellt, weil man seine Vorstellungen nicht zu 100% umsetzen konnte.

Auch die diversen Hinterzimmerdeals (du stimmst dem zu, dafür bekommst du das) sollten öffentlich gemacht werden.

Damit wird die Demokratie wieder als funktional wahr genommen und das Ergebnis als Verbesserung der eigenen Lebensumstände.

Ist aber viel verlangt von der aktuellen Riege der Politiker.

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Die Studien, die du anführst, zeigen nicht nur demokratiefeindliche, sondern auch rassistische und rechtsextreme Einstellungen, die unter AfD-Wählenden mit weitem Abstand von allen Wählendengruppen am verbreitetsten sind.

Die im Podcast angeführte Studie stützt sich auf Daten einer anderen Studie, die solche Einstellungsdimensionen gar nicht abgefragt hat. Hier habe ich das näher ausgeführt und auf die Bezugsstudie verlinkt:

Wären sozioökonomisch linke Positionen der „Stein der Weisen“ gegen die rechtsextreme AfD, hätten frühere AfD-Wählende in Scharen zum BSW überlaufen müssen. Die Wählerwanderungen zeigen das jedoch nicht. Auch in Österreich ist mit einer wieder sehr viel linkeren SPÖ und der KPÖ als klassenkämpferischer Alternative nichts dergleichen passiert. Daher deckt sich die Empirie nicht mit linken Wunschträumen, dass es eigentlich um sozioökonomische Konfliktlagen ginge.

Du kannst mir glauben, dass mir etwas anderes als die wenig schmeichelhafte empirische Realität auch lieber wäre.

Im Übrigen hat der ostdeutsche Soziologe Steffen Mau - gestützt auf empirische Daten - im LdN-Interview betont, dass die persönliche Lebenszufriedenheit im Osten hoch und ferner annähernd so hoch wie im Westen sei.

Somit bleiben als empirisch gestützte Erklärung für einen deutlich höheren AfD-Wählendenanteil nur die in Mitte- und Autoritarismus-Studien ermittelten Einstellungsmuster übrig.

taz: Die Ideologien wabern im Netz und die gesellschaftliche Mitte begreift es nicht?

Strick: Genau, man möchte immer noch überrascht sein, dass es große rassistische und rechtsextreme Potenziale in Deutschland gibt. Im Netz zeigen sich diese alltäglich, mal strategisch provoziert von Rechtsextremen, mal spontan von NutzerInnen artikuliert, die sich über irgendwas aufregen. Im Netz arbeiten sie zusammen, um ein rechtsgerichtetes autoritäres Programm in Alltagsdiskurse und Feindbilder zu übersetzen. Rechte Ideologie wird heute nicht mehr vom Führer persönlich verkündet, es ist Schwarmtätigkeit.

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Hallo Sebastian,

Zu der von dir erwähnten Autoritarismus-Studie erst mal ein Hinweis: Dort wird nämlich im Anhang auch erwähnt, dass z.B. Arbeitslosigkeit oder Strukturschwäche in den neuen Bundesländern auch eine Ursache sein könnten, aber in der Studie nur implizit beachtet werden. Näheres dazu hier:

Das bedeutet, dass mindestens eine der Studien, auf die du dich beziehst, die sozioökonomischen Faktoren vernachlässigt, wenn nicht gar ignoriert.

Damit will ich die rechtsextremen und rassistischen Ansichten bei Teilen der AfD Wähler in Brandenburg nicht leugnen oder verharmlosen. Aber dadurch, dass die erwähnte Studien wichtige Einflussfaktoren auf die politische Einstellung unbeachtet lässt, kann man mMn auch nicht wirklich sagen, welche Faktoren (autoritaristische Prägung, Rechtsextremismus, wirt. Situation) in welchem Umfang die Wahlentscheidungen beeinflussen.

Und mal generell zum Thema Autoritarismus in der Bevölkerung:

Autoritatismus kann man in dem Kontext, den wir hier diskutieren, ja vereinfacht als den Wunsch nach einem starken Staat bzw. einem starken „Mann“ an der Spitze des Staates interpretieren.

Wenn dem so sein sollte, wieso ist dann zum Beispiel der geleakte Entwurf der GEG-Novelle („Habecks Heizungsgesetz“), der ja u.a. als sehr „bevormundend“ wahrgenommen wurde, von den vermeintlichen Autoritarismus-Befürwortern nicht positiver aufgenommen worden?

Die hätten doch eigentlich sinngemäß sagen müssen:
„Mensch, der Habeck, das ist einer, der die Dinge anpackt, der fackelt nicht lange sondern sorgt für klare Verhältnisse“.
Das ist aber irgendwie nicht passiert, oder?

Natürlich ist der Grund dafür relativ klar. Denn der ursprüngliche Entwurf war ein sehr ambitioniertes Gesetz, das viele Wähler aus finanziellen Gründen schlicht nicht wollten. (Natürlich auch in Brandenburg wo es etliche wenig vermögende Hausbesitzer gibt.)

Und dann ist die liberale Demokratie mit Meinungsfreiheit auch plötzlich wieder eine super Sache, weil man öffentlich widersprechen kann, weil es Medien gibt, die überhaupt über Gesetze berichten, bevor sie beschlossen sind und weil der öffentliche Gegenwind am Ende dazu geführt hat, dass die Novelle des GEG deutlich weniger ambitioniert ausfiel, als ursprünglich geplant.

Sobald aber die AfD in den Menschen das Gefühl weckt, dass es eine „schweigende Mehrheit“ für Massen-Abschiebungen gibt, ist soll das doch bitte sofort, ohne großes Diskutieren, umgesetzt werden.

Daher würde ich hier sagen, dass der oft gehörte Wunsch nach einem autoritärerem Staat, nach einem starken Mann, vielfach eigentlich nur der Wunsch nach einem Staat ist, der das macht, was man selbst will und das ist, mMn, in erster Linie eine Form von Egoismus.

Weil aber Egoismus generell eine schlechte Eigenschaft ist und im Kontext von staatlichem Handeln sogar naiv bis trotzig wirkt, geben das viele Menschen nicht gerne zu, wenn sie gefragt werden sondern reden stattdessen davon, dass die Demokratie nicht funktioniert, zu langsam ist, zu viel diskutiert wird usw. usf.

Und das wirkt am Ende natürlich wie Autoritarismus.

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Und da liegt aus meiner Sicht die Lösung:
Der Staat muss funktionieren. Das tut er jetzt nicht und es muss jemand Schuld sein - die Politiker (vorweg die Grünen), der Ausländer und dann der andere Arme.
Der Reiche ist es nicht, der hat es aufgrund seiner Leistung geschafft die Armut hinter sich zu lassen.

In einem anderen Chat habe ich schon geschrieben, was nötig wäre aus meiner Sicht (Schule, staatlicher Wohnungsbau, Infrastruktur,…)

Was jedoch dafür fehlt ist Geld. Und dieses werden wir nicht realisieren können ohne Reform der Schuldenbremse ist Steuererhöhungen (Erbschaft, Vermögen). Also werden wir weiter an Symptomen orientiert so tun als ob wir Probleme lösen.

Ich habe keine Hoffnung dass es sich unter einer anderen Regierung bessert.

Und rechte Parteien gibt es auch im die 30% in anderen Ländern ohne Ampel. Vielleicht ist das das neue Normal.

Vielen Dank für deinen Beitrag! Ich denke, du sprichst ein wichtiges Thema an – das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Ich stimme dir zu, dass es viele Menschen gibt, die das Gefühl haben, dass der Staat zunehmend dysfunktional agiert, und soziale Medien verstärken oft den Eindruck, dass alles schiefläuft. Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass viele der demokratischen Mechanismen in Deutschland tatsächlich sehr gut funktionieren – das Land gehört zu den stabilsten Demokratien weltweit.

Gerade die Komplexität der Demokratie führt oft zu langen Debatten und schwierigen Kompromissen, aber das ist ein Zeichen der Stärke, nicht der Schwäche des Systems. Natürlich gibt es Verbesserungspotenzial, z.B. in der Transparenz und der Planbarkeit politischer Entscheidungen, wie du auch erwähnt hast.

Was die Rolle der sozialen Medien angeht, stimme ich dir zu, dass die Algorithmen oft negative Nachrichten bevorzugen. Das verstärkt das Gefühl von Chaos und Unordnung, selbst wenn viele dieser Probleme nicht so dramatisch sind, wie es scheint. Es wäre spannend, über Lösungen zu sprechen, wie man diesem Trend entgegenwirken kann – etwa durch bessere Aufklärung oder die Bekämpfung von Desinformation.

Zuletzt denke ich, dass die Nostalgie zur DDR verständlich ist, gerade für Menschen, die in dieser Zeit aufgewachsen sind. Doch es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass auch dieses System gravierende Mängel hatte. Vielleicht können wir über konkrete Ideen diskutieren, wie die Demokratie in Deutschland so reformiert werden kann, dass sie wieder als handlungsfähig und gerecht wahrgenommen wird?

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„Der Staat“ funktioniert durchaus, wir haben ja die Möglichkeit wählen zu gehen und unser Land in die „richtige“ Richtung zu lenken, es werden aber halt mehrheitlich Parteien gewählt, für die Schule und Infrastruktur offenbar nicht die grosse Priorität sind. Zudem haben junge Menschen und Familien halt nicht die gleiche Lobby wie Rentner/innen, worüber ja auch häufig berichtet wird.

Mich würde die Leistung der Quandt-Erben oder der Piech/Porsche Fraktion interessieren. Reich wird man selten nur aufgrund seiner Leistung. Wir werden ja dummerweise nicht alle in arme Familien geboren, da könnte man das wunderbar vergleichen, wer wie „leistungsfähig“ ist. Ich halte die vielzitierte Alleinerziehende mit Minijob hinsichtlich Leistung für performanter als das gelegentliche Teilnehmen bei einer Verwaltungsratssitzung, aber das ist nur meine unwichtige Meinung.

Da sind wir uns absolut einig. Eine sinnvolle Erbschaftssteuer und eine angepasste Vermögenssteuer dürften einen wesentlichen Teil dazu beitragen. Ich möchte allerdings an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, dass die finanzielle Belastung von Privatpersonen aus meiner Sicht nicht die 1. Baustelle sein sollte.

Laut Spiegel wurden 2018 durch Unternehmen 21 Milliarden Euro Steuern jährlich nicht gezahlt, weil die Gewinne ins Ausland verschoben wurden. Da kriege ich richtig Lust Brücken und Schulen zu reparieren.

Hier noch ein spannendes Zitat aus dem Artikel:

Die Summe entspricht 29 Prozent des gesamten deutschen Unternehmenssteueraufkommens, wie die Ökonomen Gabriel Zucman, Thomas Tørsløv und Ludvig Wier in ihrem »Missing Profits«-Forschungsprojekt untersucht haben.

(Steuerflucht: Deutschem Fiskus entgingen 2018 rund 21 Milliarden Euro - DER SPIEGEL)

Und es stimmt halt einfach faktisch nicht, dass es keine Partei in DE gibt, die das nicht beheben möchte.

Das ist leider ebenfalls meine Einschätzung, weil offenbar eine Mehrheit der Deutschen zu einer anderen Einschätzung kommt. Und das ist ja im Grunde auch das „Schöne“ an der Demokratie und an einem funktionierenden Staat.

Vermutlich müssen wir damit leben.

Hier sehe ich das Hauptproblem, was nach meiner Einschätzung ursächlich ausgelöst wird von dem Gefühl, dass diese Menschen nicht mehr „vom System“ profitieren können, siehe dazu auch meinen ersten Beitrag in diesem Thread.

Meine Vermutung ist, dass autoritäre Parteien eben genau diese vermeintliche „einfache Lösung“ anbieten. Dann kommt die Chefin Wagenknecht oder alternativ Weidel und haut mal richtig auf den Tisch und wir haben keine Sorgen mehr - genau das wird aber eben nicht passieren, weil komplexe Probleme sich nicht mit einfachen Antworten lösen lassen.

Das möchte ich über meine Beiträge gerne noch ergänzen. Dass viele Menschen rechts, vielleicht rechtsextrem und rassistisch sind und aus diesem Grund AfD wählen, möchte ich mit meinen Thesen oben gar nicht bestreiten, ich habe nur die Hoffnung, dass wir die 10-20% der Menschen wieder zurückgewinnen können für die Demokratie.

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Hallo,

vielen Dank nochmal für deine Antwort. Du hast recht, dass viele Menschen in der aktuellen Debatte das Gefühl haben, es werde zu viel „geredet“ und zu wenig „gehandelt“. Aber ich möchte noch tiefer auf das Thema Populismus eingehen, weil ich denke, dass das der Kern des Problems ist.

Populismus ist letztlich gezielte Manipulation – eine Form von Propaganda, die einfache Antworten auf komplexe Fragen gibt und dabei die Wahrheit oft verzerrt. Dein Beispiel mit dem Heizungsgesetz („Habecks Heizungsgesetz“) ist dafür ein perfekter Beweis. In den Medien und vor allem in den sozialen Medien wurde die Thematik oft stark vereinfacht dargestellt. Viele Fake News kursierten, die behaupteten, es sei eine rein ideologisch motivierte Maßnahme von Habeck gewesen, die viele Hausbesitzer ruiniert hätte. Aber die Wahrheit ist, dass dieses Gesetz demokratisch beschlossen wurde, und nicht, weil Habeck das „wollte“, sondern weil er und andere verantwortliche Politiker handeln mussten. Der Hintergrund ist der Klimaschutz – und es ist nachweislich so, dass alternative Heizsysteme im Gesamtkontext auf lange Sicht oft teurer und weniger effizient sind.

Hier sehen wir, wie Populisten diese Missverständnisse nutzen: Sie spielen mit Ängsten und verbreiten Halbwahrheiten, um Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Dabei wird das Vertrauen in demokratische Prozesse untergraben. Es wird suggeriert, dass die Demokratie ineffizient sei und dass schnelle, autoritäre Entscheidungen besser wären – was aber letztlich nur der eigenen Machtagenda dient.

Was du als „Wunsch nach einem starken Mann“ beschreibst, sehe ich also als ein Resultat dieser gezielten Manipulation. Populistische Parteien, wie die AfD, wecken bewusst den Eindruck, dass sie die einfachen Lösungen haben, die andere Parteien „nicht liefern wollen“. Doch diese vermeintlich einfachen Lösungen sind oft nicht umsetzbar oder sogar gefährlich für die Demokratie.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Forderungen der AfD nach Massenabschiebungen oder anderen drastischen Maßnahmen. Diese klingen „einfach“, sind aber in der Realität rechtlich und praktisch kaum durchführbar. Trotzdem wird dieser Wunsch von populistischen Kräften geschürt, um den Frust in der Bevölkerung zu verstärken und das Gefühl zu vermitteln, dass nur sie allein die „wahren“ Lösungen haben.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Ja, es gibt viele Faktoren, die zur Frustration der Menschen führen, insbesondere wirtschaftliche Unsicherheit und strukturelle Probleme. Aber die große Gefahr liegt darin, wie Populisten diese Ängste instrumentalisieren, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu untergraben und ihre eigene Macht zu stärken. Es ist daher wichtig, dass wir diesem Populismus entgegentreten, indem wir Fakten und Zusammenhänge klar kommunizieren und zeigen, dass komplexe Probleme keine einfachen Lösungen haben.

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Bin uneingeschränkt deiner Meinung. Mein Kommentar über Reiche war zynisch gedacht, habe ich nicht rüber gebracht.

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