BSW - Alternative oder Gefahr?

Ich glaube, viele der teilweise wunderlichen Einstellungen, die wir aktuell im Politbetrieb in Deutschland beobachten können, lassen sich auf zwei Eigenschaften zurückführen, die in meiner Wahrnehmung in Deutschland weit verbreitet sind:

  • Wir neigen dazu, die Risiken des Wandels zu überschätzen.
  • Wir neigen dazu, die Risiken des Stillstands zu unterschätzen.

Daher die starken Beharrungskräfte in Bereichen wie Klimaschutz, Digitalisierung, Wirtschaftswandel, Bargeld und so weiter und so fort.

Das führt dazu, dass Parteien, die …

  • … Änderungen anstreben, es besonders schwer haben. Parade-Beispiel: Die Grünen.
  • … Wahlen gewinnen wollen, sich kaum trauen, über Änderungen zu sprechen. Parade-Beispiel: CDU.
  • … sich als Hüterinnen einer idealisierten Vergangenheit inszenieren, zumindest teilweise leichtes Spiel haben. Parade-Beispiele: AfD & BSW.

Mein kühnes Gedankenspiel aus dem Schnellkochtopf der Küchenpsychologie: Die deutsche Gesellschaft leidet an einem historischen Trauma aus der Zeit, in der die Nazis die Macht ergriffen haben. Innerhalb weniger Monate wurden viele, zum Teil massive Änderungen durchgeführt, die Deutschland in die Katastrophe geführt haben. Daher die Abneigung gegen Änderungen und der Wunsch nach Beständigkeit. Dass die Parteien, die sich heute als Hüterinnen der Beständigkeit geben, den umsturzartigen Handlungen, die das Trauma erst ausgelöst haben, besonders nahe stehen, ist Teil der bitteren Ironie. Aber funktionieren Traumata nicht genau so? Dass Traumatisierte unbewusst eine Wiederholung des Traumas anstreben, um es zu verarbeiten?

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Man könnte hier argumentieren, dass die Nazis nicht Auslöser sondern bereits erste Reaktion auf ein Veränderungstrauma waren. Der Einschnitt der Nachkriegszeit mit dem neuen Staatsmodell einer Republik, die sich wirtschaftlichen Katastrophen nicht hinreichend gewachsen zeigte, hatte weitreichendere Auswirkungen auf das Alltagsleben als viele Einschnitte der Nazis. Bis heute taucht ja auch der Geist der Inflationsangst gerade in Deutschland immer wieder auf.

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  • Wir neigen dazu, die Risiken des Wandels zu überschätzen.
  • Wir neigen dazu, die Risiken des Stillstands zu unterschätzen.

Das ist nichts anderes als eine Variante der Verlustaversion:

In einem Buchkapitel von Lauriola/Weller über Aspekte der Risikopsychologie von 2018 ist zudem nachzulesen:

Wir haben Studien untersucht, die die Risikobereitschaft mit Persönlichkeitsmerkmalen in Verbindung bringen. […] Von den Big Five waren Extraversion und Offenheit für Erfahrungen mit Risikobereitschaft assoziiert, während Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit eher mit Risikoaversion in Verbindung standen. Neurotizismus-Facetten wie Angst und Sorge standen in einem negativen Verhältnis zur Risikobereitschaft […]. Negative Emotionalitätsmerkmale führen zu einer erhöhten Gefahrenwahrnehmung und motivieren in erster Linie die Risikovermeidung. (Übers.)

Der schon zitierte Review-Artikel hält fest:

Die Veranlagung zur sozialen Konformität führt dazu, dass sich Menschen mit der bestehenden sozialen Ordnung identifizieren und sich auf Bedrohungen des Status quo konzentrieren. Zusätzlich zu den indirekten Auswirkungen, die diese Persönlichkeitsmerkmale durch eine erhöhte Bedrohungssensitivtät auf den Rechtsautoritarismus haben, wirken sich Merkmale, die die soziale Konformität fördern, direkt auf den Rechtsautoritarismus aus, indem sie die Menschen dazu veranlassen, Ordnung, Struktur, Stabilität und Sicherheit zu bevorzugen. (Übers.)

McFarland fasst den Forschungsstand in seiner Masterarbeit von 2020 so zusammen:

Frühere Untersuchungen zeigen einen starken Zusammenhang zwischen dem Gefühl der Bedrohung und dem rechtsgerichteten Autoritarismus (RWA). (Übers.)

Bedrohungssensitivität, Rechtsautoritarismus und Risikoaversion hängen also miteinander zusammen.

Auf Wählende von AfD und BSW dürfte das zutreffen.

Eine erhöhte Bedrohungssensitivität bedeutet übrigens nicht, dass eine Bedrohung real ist, sondern lediglich, dass etwas - unabhängig von seiner tatsächlichen Bedrohlichkeit - als Bedrohung wahrgenommen wird. Deshalb spricht man im Englischen auch von „perceived threat“.

In der englischen Wikipedia heißt es dazu:

Die Integrated Threat Theory (ITT), auch bekannt als Intergruppen-Bedrohungstheorie, ist eine Theorie der Psychologie und Soziologie, die versucht, die Komponenten der wahrgenommenen Bedrohung zu beschreiben, die zu Vorurteilen zwischen sozialen Gruppen führen. […] Die wahrgenommene Bedrohung umfasst alle Bedrohungen, von denen die Mitglieder einer Gruppe glauben, dass sie ihnen ausgesetzt sind, unabhängig davon, ob diese Bedrohungen tatsächlich existieren. (Übers.)

Und somit wären wir dann wieder beim Wahrheitsproblem (s. o.).

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Ich glaube, das stimmt vor allem für die Menschen, die damals gelebt haben. Für die heute lebenden Menschen, die mit geerbten Verhaltensweisen und Denkmustern an die Wahlurnen gehen, wiegt – so würde ich vermuten – nichts so schwer wie die Machtergreifung der Nazis selbst und das, was daraus folgte. Allein die Masse an Filmen, die dem dritten Reich gewidmet sind, sticht alles aus, was davor war. Damit will ich nicht sagen, dass das Davor nicht relevant wäre. Es zeigt meines Erachtens nur, dass das Davor als weniger ausschlaggebend wahrgenommen wird.

Da wir gerade so schön die deutsche Seele zerlegen, wollte ich noch einmal versuchen, den Bogen zur Ausgangsfrage zurückzuschlagen:

Ich glaube, das BSW kann sich als hilfreich erweisen, wenn es das Stillstandslager in kleinere Grüppchen zerlegt, und kann gefährlich werden, wenn es das Stillstandslager insgesamt attraktiver macht oder deutlich vergrößert.

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Sehr interessante Analysen in den einzelnen Kategorien, vielen Dank für den sehr detaillierten Beitrag!

Ich nehme hier nicht die Wahlergebnisse als Basis, sondern die aktuellen Potentiale, die ich wie folgt aufschlüsseln würde:

  • AfD: Hatte vor dem „Remigrationstreffen“ und Krahs krasser Zurschaustellung von peinlicher Unfähigkeit ein Potential von 20% in den Umfragen. Nur durch eine massive Auseinandersetzung konnte das aktuelle Ergebnis auf 15,9% gedrückt werden, und das ist angesichts der aufgekommenen Fakten erstaunlich wenig Verlust. 20% ist aber locker das Potential das AfD (Gesamt Ost und West).
  • BSW: Hier gibt es interessante neue Zahlen (siehe Link): Das Wählerpotential ist im Osten bei 27% und im Westen bei 13% angegeben, also Menschen, die BSW attraktiv finden. Macht um die 16% bis 20% gesamt, je nach Gewichtung.
    Analyse zum Wählerpotenzial der BSW: Jeder vierte Ostdeutsche findet Wagenknecht gut

Aus diesem Potential beziehe ich die 35% bis 40%. angenommen, es gibt keine Überschneidung/„Kannibalisierung“ zwischen AfD und BSW.

Das ist natürlich nicht komplett wissenschaftlich, aber ich gehe davon aus, dass in „guten Zeiten“ Menschen tendenziell auch Mittelparteien wählen, aber in (wahrgenommenen oder erlebten) Krisenzeiten eben die Tendenz haben, stärker autoritär/nationalbezogen zu wählen, insofern erscheint mir das plausibel. Die Wahlen in den drei neuen Bundesländern werden zeigen, ob meine Hypothesen Wert haben :slight_smile:

Sehr interessant - das heißt: 60% der Linkenwähler, 50% der FDP, SPD und CDU-Wähler sind also zu unterschiedlichen Graden anfällig für populistische Positionen und können, abhängig von der ökonomischen Situation und der richtigen Umstände, abgeholt werden? Oder bin ich da zu pessimistisch?

Das würde ich eher als schwierig betrachten, das so aufaddieren zu wollen. Hier mal ein gegriffenes Beispiel von 2011:

Die Wählerpotenziale der fünf Parteien summieren sich zu 141 % auf.

Der von dir verlinkte Tagesspiegel-Artikel verweist auf folgende Publikation:

Es handelt sich um eine Erwerbspersonenbefragung:

Als Grundgesamtheit sind die deutschsprachigen Erwerbspersonen in Deutschland ab 16 Jahren definiert, die über einen Online-Zugang verfügen.

Es fallen also schon mal einige Personen mit höherer Bildung am unteren Ende raus. Die meisten Menschen, die das Abitur anstreben oder noch studieren. Höhere Bildung ist aber ein Gegenmittel gegen Autoritarismus (s. o.), was sich auch in Nachwahlauswertungen betreffs der AfD-Ergebnisse bestätigt. So wählten z. B. bei der Europawahl in diesem Jahr Menschen mit hoher Bildung nur halb so oft AfD, was einem Unterschied von 100 % entspricht.

Eine Auswertung der letzten Bundestagswahl ergab ferner, dass unter den Berufstätigen fast ein Fünftel mehr AfD gewählt wurde als im Durchschnitt (vgl. „Stimmabgabe nach Beruf und Konfession (Zweitstimme)“).

Bei der Europawahl wurde überdurchschnittlich in der Altersspanne zwischen 25 und 59 Jahre AfD gewählt:


Also im Erwerbsalter.

Jene ca. 27 % der Wahlberechtigten, die schon 65 Jahre oder älter sind und somit in den allermeisten Fällen schon aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, finden in der Erwerbspersonenbefragung ebenfalls keine Berücksichtigung.

Das Wählerpotenzial wird also durch diese Erwerbspersonenbefragung in mehrfacher Hinsicht verzerrt, einmal durch den Ausschluss höher gebildeter junger Menschen - die Studienanfängerquote als Anteil der Studienanfänger an der Bevölkerung des entsprechenden Geburtsjahres lag 2022 bei 56,4 % - und zum anderen durch den Ausschluss von Menschen im Rentenalter, die ebenfalls deutlich unterdurchschnittlich autoritär gewählt haben. Obwohl der Anteil der jungen Menschen, die noch zur Schule gehen oder studieren, demografiebedingt nicht so groß ist, kommt man zusammen mit den aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen sicher auf ungefähr 30 %, die bei der Erwerbspersonenbefragung außen vor bleiben. Das ist dann angesichts der abweichenden Wahlpräferenzen schon erheblich.

Lange Rede, kurzer Sinn: Vom BSW-Wählerpotenzial der WSI-Befragung muss man wohl - bezogen auf die Gesamtbevölkerung - gewaltig abschichten. Und danach hat man immer noch das verbleibende Problem der Überlappung.

Dies nur, um deinem Pessimismus etwas entgegenzuwirken.

Die Wahlen in den drei neuen Bundesländern werden zeigen, ob meine Hypothesen Wert haben :slight_smile:

Daraus würde ich nicht allzu viel ableiten, zumal diese Bundesländer nicht sonderlich repräsentativ für Deutschland sind. Vom kumulierten AfD-BSW-Ergebnis von 22,1 % wichen diese Bundesländer bei der Europawahl in Prozentpunkten wie folgt ab:

Sachsen: + 22,1
Thüringen: + 23,6
Brandenburg: + 19,2

Im Schnitt also betrug die Abweichung ca. 100 %.

Zusammengenommen stellen diese drei Bundesländer ungefähr 11,4 % der Wahlberechtigten.

Hier zudem noch die Gegenüberstellung für die AfD-Ergebnisse in den drei Bundesländern der jeweils letzten Landtagswahlen von 2019 zum derzeitigen Erhebungsstand (n. Dawum):

Sachsen:
27,6 % → 31 % (+ 3,4)

Thüringen:
23,4 % → 28,6 % (+ 5,2)

Brandenburg:
23,5 % → 23,6 % (+ 0,1)

Sooo groß sind die Unterschiede überwiegend gar nicht. In Brandenburg kann man sogar von einem Stagnieren sprechen.

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Ich begrüße die differenzierte Formulierung bzgl. „autoritäre Regierung“ und BSW. Nichtsdestotrotz lässt die Fragestellung offen, warum eine spezielle Nennung des BSW hier relevant ist:
Auf was zielt die Frage: autoritäre Systeme im Allgemeinen oder speziell Russland? Gibt es eine Partei im Bundestag, die nicht „im Verdacht“ steht „die Nähe zu autoritären Systemen zu suchen“ (man denke an die regelmäßige Hofierung diverser Bundesregierungen in beispielsweise Saudi-Arabien oder Katar)? Und was ist mit Annäherung gemeint: das binäre Gegenteil von (gezielter) Entfremdung oder eine klar proaktive Bevorzugung eines Landes gegenüber einer Neutralität bzw. Gleichbehandlung?

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Statt BSW hätte ich auch AfD sagen können, aber das Problem ist: Das würde vom Thema ablenken, da es so viele andere, legitime Gründe gibt, warum die AfD eine Gefahr für die Demokratie ist, sodass die Tatsache, dass sie Russland hofiert, das geringste Problem ist :wink: Beim BSW ist die teilweise völlig unreflektierte Übernahme russischer Propaganda hingegen eines der, wenn nicht das, größte Problem der Partei.

Dass auch die Union und die SPD z.B. im Hinblick auf Saudi-Arabien gerne wegschauen ist korrekt, aber ich glaube, es ist fair zu sagen, dass Saudi-Arabien und Katar keine Vorbilder für die politische Gestaltung sind, während Russland als ein Block einer bi- oder gar multipolaren Welt definitiv ein solches Vorbild ist. Also bei Katar und Saudi-Arabien wird aus wirtschaftlichen Erwägungen darüber hinweg geschaut, dass diese Staaten keine Demokratien sind (ähnlich wie beim „lupenreinen Demokraten“ Putin früher…), aber in der aktuellen Situation mit Russlands imperialistischen Ambitionen ist eine Annäherung gerade an dieses Land doch noch etwas anderes…

Die Frage im Rahmen der Demokratie bleibt halt wirklich: Wenn eine Mehrheit des Volkes irgendwann tatsächlich BSW und AfD wählen würde (oder andere Parteien, die sich eher nach Osten als Westen orientieren wollen), wäre das für uns im Rahmen des Grundgesetzes in Ordnung? Oder wäre das schon etwas, wo wir sagen würden, dass wir das im Zweifel mit einem Parteiverbot verhindern müssten, weil die Ost-Orientierung mit tragenden Grundsätzen unserer Verfassung nicht vereinbar wäre (z.B. das Rechtstaatsprinzip)?

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Die AfD hatte ich nicht gemeint (die sehe ich eher direkt bei „möchte autoritärer Regierung“), sondern SPD, Union und Grüne – zumindest bzgl. „autoritäre Systeme“.

Ich stimme zu, dass Russland für unsere Politik wesentlich relevanter ist als Saudi-Arabien oder Katar. Aber das gilt unabhängig davon, ob dort autoritäre Systeme herrschen. Zielt die Frage nicht eher darauf, wie unsere Demokratie damit zurecht kommen würde, falls die Mehrheit des Volkes die aktuelle Positionierung Deutschlands in der multipolaren Weltordnung ändern möchte?

Ich kann nicht nachvollziehen, welche Indizien für eine Kollision des BSWs mit dem Grundgesetz sprechen sollen oder geht um die Befürchtung, dass das BSW eine AfD-Regierung und deren Grundgesetz-Verstöße tolerieren könnte?

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Ich befürchte, wenn diese Neupositionierung hiesse, sich eher dem russischen Einfluss zuzuwenden statt dem amerikanischem, das wir dann wohl über kurz oder lang nicht mehr über eine Demokratie sprechen. Zumindest nehme ich Putin als aktuellem Staatsführer Russlands nicht als Verfechter demokratischer Werte wahr.

Was wiederum für das BSW bedeutet, das sich recht offensichtlich eher zu Russland statt zu den USA positioniert, zumindest einem Wechsel weg von der Demokratie nicht aktiv im Wegecstehen würde, sondern das ggf auch begrüßen würde
So meine Wahrnehmung.

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Die Forderung nach einer weniger starken strategischen Abhängigkeit Europas von den USA impliziert nicht den Wunsch nach Abhängigkeit von Russland.

Frankreich (bzw. Macron) wirbt für ein autonomeres Europa. Das heißt ein Europa, dass weder Juniorpartner in einer US-amerikanischen, russichen oder chinesischen Einflusssphäre ist, sondern die Außenbeziehungen zu allen Großmächten souverän mitgestalten kann.

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Da reden wir von zwei verschiedenen Dingen.
Das wir unabhängiger von den USA werden müssen und als Europa selbstständiger ist das eine, da bin ich auch bei Dir.

Aber Parteien wie BSW oder AfD implizieren doch eher eine stärkere Hinwendung zu Russland, das sehe ich kritisch.
Mir fällt tatsächlich kein Staat ein im direkten Einflussbereich Russlands, der sich zu einer prosperierenden und freien Demokratie entwickelt hätte. In der Regel erst wenn man diesen Einflussbereich klar verlassen hat.

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Ist das wirklich so ein Bringer, der die meisten Menschen bewegt? Dann könnten die ja auch die Linke wählen, die sich gar nicht so anders positioniert hat.

Ich habe mal irgendwo gelesen, „BSW = Linke - Woke und Open Border“. Das erschien mir pluasibler, auch nach den Wahlergebnissen von BSW und Linke bei der Europawahl.

Ich finde es spannend, dass immer wieder wie du schreibst, das Ukraine-Argument kommt, aber mir begegnet dieses Thema im Alltag kaum. Ist es nicht nur ein Erklärungsansatz, weil hier im Forum halt viel Fokus auf dem Thema ist? Ist es außerhalb der Bubble hier wirklich relevant? Ernst gemeinte Frage, ich bin da echt irritiert.

Wählerpotentiale sind natürlich so definiert, dass bestimmte Wählergruppen ein bestimmtes „Präferenzenset“ hat und situativ aus diesem Präferenzenset wählt. Wenn man die addiert, hat man natürlich über 100%.
Darum geht es in meinem Argument aber gar nicht. Ich sage ja, dass ca. 35 - 40% der Wähler die AfD oder die BSW in ihrem Präferenzenset hat. Ob diese Option sich realisiert, hängt bei den Wahlen von den Umständen und Themen ab. Beispielsweise haben sich einige Wähler, die im Januar noch AfD erwogen haben, sich durch die Berichterstattung bis zur Europawahl umentschieden. Dennoch gehe ich davon aus, dass sie dennoch bei einer anderen Wahl, bei entsprechenden Umständen und Themen, die AfD erwägen und die AfD nicht gänzlich aus ihrem „Portfolio“ herausgenommen haben.

Die interessante Frage ist, wie viel du entsprechend „abschichten“ wollen würdest. Nehmen wir die höhere Bildung, also Abiturienten, die wählen dürfen, so sehen wir eine breite Streuung bei den Europawahlergebnissen, in der Tat. Aber wie du so schön geschrieben hast: „Bedrohungssensitivität, Rechtsautoritarismus und Risikoaversion hängen also miteinander zusammen.“ Insofern sehe ich schon eine Trendumkehr in dieser Gruppe verglichen mit den Zahlen von 2021. So ist „Jobsicherheit“ plötzlich wieder eine höhere Präferenz, und andauernde Unsicherheit wird das weiter befördern.

Daher würde mich interessieren, wie groß der Anteil ist, den du real von der Erhebung herunternehmen wolltest.

Und da du ja sehr tief in der Materie drin bist: Wie gültig sind Zahlen von 2021? Immerhin haben sich die Präferenzen der Erstwähler von der letzten Europawahl zur diesjährigen doch erheblich geändert.

Das ist sicher nicht der zentrale Punkt, zieht in der aktuellen Situation aber schon.
Zudem steckt da ein anderes Verständnis von Frieden dahinter.

Was nehmen viele Menschen vereinfacht durch Medien wahr?
Es fließen Milliarden Euro an Hilfe an die Ukraine, davon viel in Form von Waffenlieferungen.
Trotzdem scheint es keinen Effekt auf dem Schlachtfeld zu haben, Russland scheint trotzdem vorzurücken. Das bedient Wagenknechts Narrativ von „gegen Russland kann man eh nicht gewinnen.“
Daneben nehmen die Menschen wahr, das wir knappe Kassen haben, alles (!) teurer wird und es an vielen Ecken knirscht im System Deutschland und wir laut Politik und Medien ein Migrationsproblem haben.
In dieser Wahrnehmung kümmert sich unsere Regierung um die Ukraine und um Flüchtlinge, aber nicht um die Gefühlten Sorgen und Nöte der Menschen in Deutschland.
Da kommt eine Wagenknecht mit „Friedensforderungen“ (kein Geld und keine Waffen mehr für die Ukraine), dabei dann wieder gute Beziehungen zu Russland (billiges Gas und Öl = billige Energiekosten und Lebenshaltungskosten in Deutschland) sowie mit der Abschottung nach außen (keine Migration bzw deutliche Begrenzung = die Deutschen haben wieder Vorrang)

Ich vermute da schon eine komplexere Gemengelage, aber unter der Überschrift Frieden.

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Dazu würde ich nur festhalten wollen, dass sich ein politisches Einstellungsmuster ja zumeist, wenn es sich einmal gebildet hat, nicht so einfach wieder großartig ändert - zum Guten wie zum Schlechten.

Erstwählende mit Erstwählenden bei den darauffolgenden Wahlen zu vergleichen ergibt daher wenig Sinn.

Hätte man Alterskohorten, die von der Spanne den Legislaturperioden glichen, wäre das schon mal besser, wenn auch immer noch ungenau.

Was man bei der Europawahl 2024 im Vergleich zu 2019 jedenfalls feststellen kann, ist, dass z. B. 2019 die Grünen die höchsten Prozentwerte in der jüngsten Altersgruppe (damals 18-24 Jahre) erreicht hatten, bei der Europawahl in diesem Jahr erreichten sie ihren Bestwert unter den Altersgruppen in der nächstälteren Kohorte (25-34 Jahre). Trotz der starken Schrumpfung der Prozentwerte der Grünen über alle Altersgruppen hinweg, ist also dieser Effekt quasi erhalten geblieben. 2019 war es natürlich auch megatrendy, die Grünen zu wählen. Bei solchen temporären Sogwirkungen spielen natürlich auch noch andere Faktoren eine Rolle (z. B. der Bandwagon-Effekt).

Eine phasenweise „Themenhegemonie“ suggeriert oft mehr Volatilität, als tatsächlich vorhanden ist, das sieht man z. B. an den Ergebnissen von der SPD bei relativ jungen Wählenden:

18- bis 24-Jährige:

2019: 8 %

25- bis 34-Jährige:

2024: 9 %

25- bis 34-Jährige:

2019: 10 %

35- bis 44-Jährige:

2024: 10 %

In diesen Fall ist sozusagen beim Wählendenanteil nichts passiert.

Um wieder zu BSW & Co. zu kommen, ich würde den Anteil der Autoritaristen an der Bevölkerung schon auf bis zu einem Drittel schätzen. Ich beziehe mich dabei auf einen acht Jahre alten Survey für EU-Staaten, wobei ich das mobilisierbare Potenzial hierzulande (auch aufgrund eines gewissen Maßes an historischer und politischer Bildung) für etwas geringer halte als im damaligen EU-Durchschnitt:

Das ist jedoch keineswegs gleichzusetzen mit für AfD und BSW realisierbaren Wahlergebnissen. Denn faktisch gibt es im und jenseits des etablierten deutschen Parteienspektrums ja mehr Parteien, die autoritäre Gelüste bedienen, dazu zähle ich hier v. a. die CDU/CSU. Aber auch die FDP macht fleißig mit bei der Fremdenfeindlichkeit gegenüber Hilfsbedürftigen. Darüber hinaus verbleibt ein nicht unerheblicher Teil von Rechtsautoritaristen - trotz weitgehender Abschöpfung durch die AfD - im Nichtwählenden-Pool (vgl. Zick et al. 2023, s. dort insb. die hohe Zustimmung zu Nationalchauvinismus und Fremdenfeindlichkeit). Mutmaßlich ist jedoch in vielen dieser Fälle keine Überwindung der Wahlenthaltsamkeit zu erwarten, ansonsten wären diese Leute schon längst auf den Rechtsextremismus-Zug aufgesprungen. Und dann gibt’s natürlich auch noch einen Teil der Klein- und Kleinstparteien, die obskure Einstellungen bedienen, aber niemals in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde kämen. Erstaunlich ist z. B., dass es schätzungsweise über zwei Millionen Evangelikale in Deutschland gibt, aber das „Bündnis C“, sozusagen der parteipolitische Arm christlicher Fundamentalisten, bei der Europawahl nur gut 75.000 Stimmen erhielt. Diese Leute würde ich z. B. auch zu den Autoritaristen zählen. Sie glänzen aber anscheinend entweder durch Wahlabstinenz oder sind schon im AfD-Ergebnis enthalten.

Damit du mich nicht falsch verstehst, mir liegt es fern, etwas beschönigen zu wollen. Insbesondere die Daten der letzten Mitte-Studie sind alarmierend. Fremdenfeindlichkeit ist zwar nach wie vor in der Minderheit, aber einschließlich Graubereich hat sich ein Niveausprung ergeben, eine klare Ablehnung des Nationalchauvinismus ist sogar zuletzt in der Minderheit gewesen.

Nur lassen sich gruppenbezogene Ressentiments eben auch - aus verschiedenen psychologisch erklärbaren Gründen - besonders leicht mobilisieren.

Die Instrumentalisierung von Xenophobie durch AfD, BSW, CDU/CSU u. dgl. trägt erheblich zur gesellschaftlichen „Normalisierung“ bei.

Nur dass es zur Machübernahme durch faschistische Autoritaristen kommt, erscheint mir - bislang jedenfalls - äußerst unwahrscheinlich.

Ein Rollback, den ich keineswegs ausschließe, ist aber schon schlimm genug. Und das BSW wie auch die ins Reaktionäre zurückgewendete CDU tragen erheblich dazu bei.

Anbei:

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Tun sie das oder argumentieren sie nicht eher dafür, die zunehmende Abwendungen von Russland zu bremsen?

Und falls sie tatsächlich aktiv für eine Hinwendung zu Russland werben (z.B. durch stärkeren diplomatischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Austausch), werben sie dann für einen Wechsel in die russische Einflusssphäre oder eher zu einer Rückkehr zu einem Beziehungsstand von 2021, 2007, 1991 oder wenigstens 1962?

Um diese Einordnungen zu klären, wären Zitaten aus dem Parteiprogramm oder sonstigen Veranstaltungen hilfreich.

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Darauf können wir uns einigen. Den von dir angesprochenen Rollback sehe ich schon jetzt insgesamt gesellschaftspolitisch, nicht nur im Bereich Migrationspolitik.

Da ist mein Eindruck, dass Wissenschafts- und Medienbereich tatsächlich sehr unterschiedlich zum Rest der Bevölkerung im Bereich Werte, Normen und Zielvorstellungen unterwegs sind. Wir werden sehen…

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Hat die BSW schon Parteiprogramm?

Und ist oft nicht auch interessant was nicht drinsteht?

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Was braucht es für Zitate? Aufschlussreicher ist in meinen Augen was sie nicht sagen, bzw. nicht kritisieren.

Fakt ist doch, dass Russland auf verschiedene Wege Einfluss nimmt, seien es die Gelder Richtung AfD, die Troll Armeen, Hackerangriffe, Fake-News, etc.

Und es ist ganz klar zu beobachten, dass nichts davon von der BSW kritisiert wird, ganz im Gegenteil, es wird eher relativiert. Wer in Anbetracht dieser Rahmenbedingungen fordert zu einem Umgang mit Russland wie zu Zeiten als dies nicht der Fall war zurückzukehren unterstützt in meinen Augen ganz klar den russischen Einfluss auf Deutschland.

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