Das würde ich eher als schwierig betrachten, das so aufaddieren zu wollen. Hier mal ein gegriffenes Beispiel von 2011:
Die Wählerpotenziale der fünf Parteien summieren sich zu 141 % auf.
Der von dir verlinkte Tagesspiegel-Artikel verweist auf folgende Publikation:
Es handelt sich um eine Erwerbspersonenbefragung:
Als Grundgesamtheit sind die deutschsprachigen Erwerbspersonen in Deutschland ab 16 Jahren definiert, die über einen Online-Zugang verfügen.
Es fallen also schon mal einige Personen mit höherer Bildung am unteren Ende raus. Die meisten Menschen, die das Abitur anstreben oder noch studieren. Höhere Bildung ist aber ein Gegenmittel gegen Autoritarismus (s. o.), was sich auch in Nachwahlauswertungen betreffs der AfD-Ergebnisse bestätigt. So wählten z. B. bei der Europawahl in diesem Jahr Menschen mit hoher Bildung nur halb so oft AfD, was einem Unterschied von 100 % entspricht.
Eine Auswertung der letzten Bundestagswahl ergab ferner, dass unter den Berufstätigen fast ein Fünftel mehr AfD gewählt wurde als im Durchschnitt (vgl. „Stimmabgabe nach Beruf und Konfession (Zweitstimme)“).
Bei der Europawahl wurde überdurchschnittlich in der Altersspanne zwischen 25 und 59 Jahre AfD gewählt:
Also im Erwerbsalter.
Jene ca. 27 % der Wahlberechtigten, die schon 65 Jahre oder älter sind und somit in den allermeisten Fällen schon aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, finden in der Erwerbspersonenbefragung ebenfalls keine Berücksichtigung.
Das Wählerpotenzial wird also durch diese Erwerbspersonenbefragung in mehrfacher Hinsicht verzerrt, einmal durch den Ausschluss höher gebildeter junger Menschen - die Studienanfängerquote als Anteil der Studienanfänger an der Bevölkerung des entsprechenden Geburtsjahres lag 2022 bei 56,4 % - und zum anderen durch den Ausschluss von Menschen im Rentenalter, die ebenfalls deutlich unterdurchschnittlich autoritär gewählt haben. Obwohl der Anteil der jungen Menschen, die noch zur Schule gehen oder studieren, demografiebedingt nicht so groß ist, kommt man zusammen mit den aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen sicher auf ungefähr 30 %, die bei der Erwerbspersonenbefragung außen vor bleiben. Das ist dann angesichts der abweichenden Wahlpräferenzen schon erheblich.
Lange Rede, kurzer Sinn: Vom BSW-Wählerpotenzial der WSI-Befragung muss man wohl - bezogen auf die Gesamtbevölkerung - gewaltig abschichten. Und danach hat man immer noch das verbleibende Problem der Überlappung.
Dies nur, um deinem Pessimismus etwas entgegenzuwirken.
Die Wahlen in den drei neuen Bundesländern werden zeigen, ob meine Hypothesen Wert haben
Daraus würde ich nicht allzu viel ableiten, zumal diese Bundesländer nicht sonderlich repräsentativ für Deutschland sind. Vom kumulierten AfD-BSW-Ergebnis von 22,1 % wichen diese Bundesländer bei der Europawahl in Prozentpunkten wie folgt ab:
Sachsen: + 22,1
Thüringen: + 23,6
Brandenburg: + 19,2
Im Schnitt also betrug die Abweichung ca. 100 %.
Zusammengenommen stellen diese drei Bundesländer ungefähr 11,4 % der Wahlberechtigten.
Hier zudem noch die Gegenüberstellung für die AfD-Ergebnisse in den drei Bundesländern der jeweils letzten Landtagswahlen von 2019 zum derzeitigen Erhebungsstand (n. Dawum):
Sachsen:
27,6 % → 31 % (+ 3,4)
Thüringen:
23,4 % → 28,6 % (+ 5,2)
Brandenburg:
23,5 % → 23,6 % (+ 0,1)
Sooo groß sind die Unterschiede überwiegend gar nicht. In Brandenburg kann man sogar von einem Stagnieren sprechen.