Bildung, PISA und Deutschland - auf dem absteigenden Ast?

In einem deiner Beiträge sprichst du von Misstrauen gegenüber den Eltern. Da pflegst du aus meiner Sicht deine Vorurteile, dass sozial schwache Eltern nicht in der Lage sind, ihren Kindern die besten Startchancen mitzugeben.
Dem widerspreche ich in dem Sinn, dass ich kein Misstrauen gegenüber diesen Eltern habe sondern in gewisser Weise nachvollziehen kann warum es so kommt.

Ich habe auch nichts gegen frühkindliche Bildung, sondern sehe sie ebenso als sinnvoll an.

Aber ich helfe sozialschwachen Familien nicht damit, indem ich ihnen misstraue und sie verpflichte, ihre Kinder tagsüber in eine „staatliche Obhut“ zu gehen.

Neben der Bildung, sind Kinder aus sozial schwachen Familien auch mit einem sozialen Verhalten ihrer „Klasse“ geprägt. Eine Pflicht führt aus meiner Sicht zu einer weiteren Stigmatisierung. Sinnvoller als ausschließlich die Kinder in den Blick zu nehmen ist es denn Familienverbund zu stärken, um auch Zuhause ein besseres Umfeld zu ermöglichen.

Und wir sollten über den Elefanten im Raum sprechen: Geld :money_with_wings::moneybag:

Es fehlt: Erzieher und Grundschullehrer erhalten zu wenig in Vergleich zu höheren Schulen, Stellen für Personal gibt es zu wenig, Infrastruktur, etc.

Und ein paar Zitate aus deinen Quellen macht deutlich, frühkindliche Bildung ist nicht alles:

„In Armut lebende und von Armut gefährdete Kinder und Jugendliche entbehren teils essenzielle Dinge: ausreichende und angemessene Ernährung, gute Gesundheitsvorsorge, angemessene Wohnverhältnisse, passende Kleidung oder die Möglichkeit zur Teilhabe an Kultur- und Freizeitaktivitäten",

Von der Geburt an haben Kinder aus ärmeren Familien schlechte Chancen, gesund aufzuwachsen. Etwa 30 Prozent ihrer Mütter rauchen während der Schwangerschaft – bei Müttern mit hohem sozioökonomischem Status sind es laut des Sozialberichts nur zwei Prozent.

Statt für eine Kindergartenpflicht plädieren die Forscher für stärkere Anreize, vor allem für Familien aus sozial schwachen und bildungsfernen Gruppen.

Bitte nicht falsch verstehen, ich ärger mich über dein pauschales Misstrauen gegenüber den Eltern, nicht gegen dein Argument der frühkindlichen Bildung. Aber den Fokus nur darauf zu legen, ist zu wenig.

Es ist also kein entweder oder sondern ein sowohl als auch.

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Letztlich gibt es Probleme in der Familie nicht nur bei Familien aus dem unteren Einkommensbereich sondern aus allen Bereichen.
Es gibt auch immer wieder Fälle wo Kinder deren Eltern gut verdienen aber auch viel arbeiten letztlich kaum Förderung erhalten.
Der Anteil ist natürlich deutlich geringer, aber ich wäre deshalb für einen Mittelweg für alle.

Dazu braucht es natürlich auch mehr Personal. Kindergartenplätze müssten ausgebaut werden, wobei Erzieher sicher das entscheidende Thema sind.
Dann eine Pflicht für den Vormittag und gerne zusätzlich täglich eine verpflichtende Stunde Sprache für Kinder mit DaZ.

So ist genug Zeit vorhanden um alle zu fördern und Unterschiede anzugleichen, man gibt Familien aber weiterhin Freiräume für gemeinsame Aktivitäten und Förderung daheim.
Und wo ein erhöhter Förderbedarf erkannt wird kann dieser ja zusätzlich umgesetzt werden.

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Meinst du mit Klasse die Schulklasse oder die Gesellschaftliche Klasse? Wenn es sich um die Schulklasse handelt, ist es doch noch notwendiger alle Kinder verpflichtet in die Frühkindliche Bildung zu schicken, damit alle gesellschaftlichen Gruppen, die gleichen Bildungschancen haben.

Natürlich müssen wir massiv in Bildung investieren, aber das ist unabhängig vom Schulsystem.
Es ist lächerlich wie wenig Deutschland in die Bildung gibt.

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Gesellschaftliche Klasse

Ich würde Sport grundsätzlich an Anfang des Tages legen, damit die kinder und jugendlichen ausgelastet und konzentriert dem Unterricht folgen können. Es ist ein großer unterschied, ob der Kreislauf zu beginn des Tages schon mal richtig in Schwung war. Die Aufnahmefähigkeit ist nach einer Einheit sport besser.

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Da sollten wir uns vielleicht besser an wissenschaftliche Evidenz halten. Demnach ist es keine Chance sondern ein problematisches Relikt.

Schon aus reinem Menschenverstand ist das Wiederholen einer nicht wirksamen Maßnahme nicht besonders zielführend.

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Klar das ist genau eines der wenigen Beispiele, bei denen ein Wiederholen helfen kann. Du hast aber selbst schon die enorm wichtigen weiteren Aspekte erwähnt, die das bei dir zu einem Erfolg gemacht haben. Individuelle Unterstützung, Förderung bei deinen Stärken, Unterstützung bei deinen Schwächen und dazu noch ein Wechsel bei der Lehrperson…

Daher weise ich zurück auf meine Antwort weiter oben… Sitzenbleiben beibehalten aber nur auf Antrag und unter Nutzung der Schulischen Angebote wie Lernberatung und Schullaufbahnberatung.

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In den Niederlanden fängt Schule an mit 4 und das läuft alles generell prima. Da ist aber vieles besser geregelt als hier.

Generell ist das das größte Problem. Bei uns in der Schule gibt es dauerhaft nicht genug Erzieher und jetzt auch nicht genug Lehrer mehr. Der Topf mit Geld für Ersatz ist anscheinend leer (!) also sitzen meine Kinder den ganzen Tag in der Schule zu malen, weil Schulpflicht.

Eine der Probleme hier wie in der ganzen Verwaltung in Berlin anscheinend sind alle Dauerkranken die auf dem Personalstand drücken. Die sollte man möglichst schnell auslagern und ersetzen mit Leuten die arbeiten wollen. Es ist absurd dass 30-50% der Leute in bestimmten Bereichen die ganze Zeit krank sind.

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Mal eine kleine Frage bzgl PISA und da hier ja auch auf diverse Nachbarländer als Vorbild geschaut wird: Mir ist bei Reddit diese Karte (Reddit - Dive into anything) als PISA Vergleich in Europa untergekommen und ich kann das irgendwie nicht so ganz mit der PISA Hysterie hierzulande in Einklang bringen. Wird das Problem als größer gemacht als es ist oder ist es eigentlich überall in Europa so miserabel, dass wir nur im Vergleich mit den anderen noch ganz ok da stehen?

Wie ich oben schon schrieb:

Der Punkt ist, dass wir mal „weiter über dem OECD-Durchschnitt“ waren und der Abstand quasi mit jeder weiteren PISA-Studie ein Stück weit dahinschmilzt. Das halte ich aber in der modernen Welt, in der Wissen keine nationalen Grenzen mehr kennt, auch für völlig normal.

Insofern finde ich es in der Tat wichtig, die PISA-Ergebnisse auch mal als Karte darzustellen, damit die Leute einen realistischen Eindruck von der Situation bekommen. Es ist in der Tat immer ein Stück weit Hysterie, weil viele Medien (und Oppositionspolitiker) es gerne so aussehen lassen, als wären wir international irgendwo im unteren Bereich der Tabelle, was wir definitiv nicht sind.

(Zur Sicherheit: Das heißt nicht, dass wir keine Missstände im Bildungssystem hätten, das heißt nicht, dass wir nicht viel besser dar stehen könnten, wenn wir bereit wären, mehr Geld in die Bildung zu investieren und einige Probleme in der Bildung abzustellen, insbesondere die sozialen Unterschiede. Ich bin absolut für eine kritische Bewertung des Bildungssystems und höhere Bildungsausgaben…)

Wenn wir gerade feststellen, dass unser Schulsystem schlechter wird, sollten wir etwas dagegen tun. Insbesondere da Änderungen im Schulsystem langwierig sind sollten wir meines Erachtens nicht warten, bis unseres das schlechteste in Europa ist.

Die mangelnde soziale Durchlässigkeit unseres Bildungssystems ist ja auch keine neue Erkenntnis. Es ist einfach ein weiterer Schuss, den Bildungspolitiker hören können oder eben nicht. Nötig wäre es schon lange.

Da wird immer gesagt, Bildung ist unsere einzige Ressource und wir leisten uns seit Jahrzehnten aus ideologischen Gründen so viel davon ungenutzt zu lassen.

Ich hab mir mal die Zahlen für Sachsen angesehen. Seit 2014 sind die Ausgaben im Bildungsbereich von 2,9 Mrd. auf 4,9 Mrd. 2023 gestiegen. Drin ist eine Steigerung der Personalausgaben von 600 Mio. enthalten. Hab mir jetzt nicht die Mühe gemacht, das für alle Bundesländer auszurechnen. Ich gehe aber davon aus, dass das überall ähnlich ist. Irgendwie fällt es mir schwer, die Überschrift „Hilfe, die Bildung ist kaputtgespart“ weiter zu tragen. Vielleicht eher „Hilfe, wir geben das Geld in der Bildung falsch aus“?

Der Fairness halber muss man dazu anmerken, dass die Angleichung der Löhne von Grundschullehrer auf Sekundarstufelehrer (also auf A13) in Sachsen 2019 erfolgte (und vermutlich die von Sek1 auf Sek2-Lehrer ebenfalls, das konnte ich auf die Schnelle nicht finden). Dazu kamen natürlich immense Kostensteigerungen durch die diversen Krisen (zuzüglich zur normalen Inflation), die zwischen 2014 und 2023 schon 18% ausmacht, also steigt schon die Basis von 2,9 Mrd auf 3,4 Mrd.

Ein weiterer Aspekt mag sein, dass - je nachdem, in welchem Jahr die Ausgabenerhöhungen stattgefunden haben - diese schlicht noch nicht wirken konnten. Wenn wir über die PISA-Studie reden, reden wir über die Bildung 15-jähriger, also die Bildung von Leuten, die bereits seit 9 Jahren in dem Schulsystem sind. Hier ist also mit erheblicher zeitlicher Verzögerung zwischen „Ausgabenerhöhung“ und „Ergebnisverbesserung“ zu rechnen.

Deine Aussage ist zwar schon etwas her, aber ich wollte sie doch noch mal in den richtigen Kontext setzen. Auf der Seite der OECD kann sich jeder die detailergebnisse auch für sein eigenes Land angucken. Und eines wird dabei deutlich. Der Migrationshintergrund führt zu einem schlechteren Ergebniss bei Kindern mit Migrationshintergrund, nachlesbar sind das ca 59 Punkte Differenz.

Blendet man alle anderen einflussfaktoren aus und betrachtet nur den sozialen Hintergrund der Schüler, beträgt der Unterschied zwischen den „wohlhabenderen“ 25% im Vergleich zu den unteren 25% insgesamt 111 Punkte.

Rechnet man bei den Kindern mit Migrationshintergrund den sozialen Effekt heraus, beträgt die Differenz statt 59 nur noch 32 Punkte.

Es ist sehr deutlich sichtbar, die soziale Herkunft bestimmt die Ergebnisse.

Und weil an dieser Stelle Singapur häufig erwähnt wird und deren gute Ergebnisse, in Singapur gehören über 50% der getesteten Schülern zu den „top international quintial sozio economic scale“. Der Score dieser Gruppe in Mathematik beträgt 613, in Deutschland beträgt der Score dieser Gruppe 593 (OECD Durchschnitt 480).

Mein Fazit dazu:
Kümmern wir uns um die Beseitigung der Armut, und wenn wir das nicht schaffen, kümmern wir uns wenigstens um die Kinder, die es schwierig haben, mit allem was uns möglich ist.

Ergänzung:
https://www.oecd.org/publication/pisa-2022-results/country-notes/

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Ist die Diskussion nicht total falsch? Müssten wir nicht über die einzelnen Bundesländer sprechen und nicht Deutschland ganz ganzes?

Ich frage mich warum wie über Deutschland als ganzes betrachten. Sind nicht die Länder für die Bildung verantwortlich? Ergo ist der Deutsche Durchschnitt in der Bewertung nicht total nutzlos? Wir müssten doch viel mehr darüber reden wo die einzelnen Bundesländer stehen? Wir reden doch auch immer vom Bildungswettbewerb. Wo stehen denn nun die Länder? Was ist das Ergebnis des Wettbewerbs? Und warum wird in Deutschland immer gefordert, dass die Bildungs vom Bund betrieben werden soll? Estland schafft es doch auch eine Top Bildung auf die Beine zu stellen, dann müsste es doch jedem Bundesland auch gelingen?

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In Estland wie teilweise beim deutschen Spitzenreiter Sachsen gibt es langes gemeinsames Lernen in Gemeinschaftsschulen.
Entscheidend ist die Zielrichtung: Möchte ich jedes Kind bestmöglich fördern oder möchte ich die sozioökonomischen Schichten schön getrennt halten. Und gemessen an dem zweiten Ziel haben wir großen Erfolg. Man kann halt nicht alles haben.

Wichtig ist auch immer zu betonen, dass die bestmögliche Ausbildung nicht nur für die Schüler:innen selbst wichtig ist, sondern für uns alle.
Diese Schultern werden später große Lasten tragen müssen, z.B. die Renten.
Es ist absolut fatal, so unsystematisch und inkonsequent an Verbesserungen zu arbeiten. Es braucht den großen Wurf. Im Interesse aller.
Siehe auch hier Soziologe Stefan Schulz + Hans Jessen und Tilo Jung

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Wir sind nur unwesentlich schlechter als Singapur. Diese Schlagzeile hätte man auch nehmen können.

Aus diesem Grund finde ich die Diskussion etwas undifferenziert geführt.

Warum ist das so?
In der mathematischen Kenntnissen schneidet unser gut situiertes Schülerklientel mit 593 Punkten nahezu auf dem Niveau von Singapur ab.

Der schlechte deutsche Durschnittswert entsteht dadurch, dass es in Singapur über 50% gutsituierte Schüler sind, in Deutschland nur 20%.

Unser Schulsystem (und unsere Gesellschaft) ist darauf ausgelegt zu separieren, die Guten von den schlechten zu trennen und die Schlechten auch schlecht zu lassen. Und dabei erfolgt (bewusst oder unbewusst) die Trennung der Wohlhabenden von den Armen.

Weiterhin ist es sprachlich kein Problem in Singapur zurecht zu kommen. Nahezu alle Einwohner sprechen Englisch und ihre Muttersprache. Unterrichtssprache ist Englisch. Ein Migrant nach Singapur kann mit hoher Wahrscheinlichkeit Englisch, kann sich also gut in das Schulsystem integrieren.
Trotzdem ist die Differenz auch in Singapur zwischen dem wohlhabenden und armen Schüler mit 112 Punkten höher als der Durchschnitt der OECD. Alsoauch kein Vorbild, wenn man das Ziel hätte, ärmere Schüler an die SPitze heranzuführen.
Ich will die deutschen Ergebnisse gar nicht schön schreiben, ich will auf die Mechanismen hinweisen, die es wohlhabenderen Kindern ermöglichen außergewöhnlich gute Ergebnisse zu erzielen - dies aber unabhängig von der Aert des Bildungssystems.

Diesen Hot-Take möchte ich gerne erwidern:
In unserer Gesellschaft (insbesondere im Schulsystem) sollen die sozioökonomischen Schichten Generationen überdauernd getrennt werden (im Hinblick auf Zugang zu Macht und Ressourcen).
Der Ansatz, Menschen in gute und schlechte einzusortieren ist ein aus der Zeit gefallener Rechtfertigungsversuch, um diese Realität im Bildungssystem notdürftig zu verschleiern.

Teilzeitquote bei Lehrern auf Zehnjahreshoch | tagesschau.de

Die Zahlen sind wirklich erschreckend. Die Teilzeitquote ist viel zu hoch und aus Hamburger Sicht kann ich jeden Vorschlag unterstützen, der eine maximal Teilzeitquote von 30% fordert.
Für die Schüler*innen ist es kaum noch zu tolerieren, weil mit der Teilzeitquote auch noch die Lehrerwechselquote hoch ist.
Das die Abschlussquote auf den Unis ebenfalls sinkt und die Rentenwelle noch kommt macht mir wirklich große Sorgen.

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