Bildung, PISA und Deutschland - auf dem absteigenden Ast?

Was bisher in diesem Thread völlig fehlt ist die Auseinandersetzung mit dem Argument, ob die Ergebnisse der PISA-Studie wirklich die Realität wiedergeben. Das liegt vermutlich daran, dass das Bildungssystem stets in der Kritik steht und es ja auch mehr als genug berechtigte Gründe gibt, es zu kritisieren.

Dennoch gibt es erhebliche Kritik an der Methodik der PISA-Studien, was daran liegt, dass die Schulsysteme einfach sehr verschieden sind. Der Haupt-Kritikpunkt dabei ist der Erfassungsgrad der Schüler. Während in Deutschland 99,3% der Schüler im entsprechenden Alter erfasst werden, während in anderen Ländern die Erfassungsgrade teilweise unter 80% liegen. Und da braucht man nicht viel Fantasie, um zu erahnen, welche Bevölkerungsschicht eher nicht erfasst wird.

Der andere Faktor ist eben, wie viel Druck wir auf Schüler ausüben. Natürlich kann man bewundernd auf Singapur zeigen, aber der Erfolg hat hier eben auch einen Preis, wenn die Kinder teilweise 12 Stunden am Tag dafür lernen müssen.

Alles in allem muss angemerkt werden, dass Deutschland immer noch in allen Teilbereichen klar über dem OECD-Durchschnitt liegt, also über dem Durchschnitt aller Industriestaaten. Ja, die Ergebnisse waren mal besser und ja, unser Abstand zum OECD-Durchschnitt schmilzt ein wenig, korrekter als zu sagen „Deutsche Schüler sind sooo schlecht!“ wäre aber dennoch, zu sagen: „Deutsche Schüler sind nicht mehr so viel besser als Schüler aus anderen Industriestaaten“.

Bitte nicht falsch verstehen: Wir haben erhebliche Probleme im Bildungssektor, aber wir sind noch weit, weit davon entfernt, hier international ein Sorgenkind zu sein. Das heißt nicht, dass man die Missstände (vor allem die Unterfinanzierung) nicht beheben sollte, aber der Grad an Panik, der mit jeder PISA-Studie verbreitet wird, ist mMn arg übertrieben.

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Wenn man diesen Maßstab anlegt, wird man allerdings nur etwas zwischen den Zielen und dem Status Quo erreichen, was nicht viel besser sein kann als der Status quo.
Nahezu utopische Vorstellungen dienen besser als Zieldefinitionen. Nur dann könnten „erreichbare“ Ziele tatsächlich erreicht werden.

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Wir reden aber gerade von Deutschland und da nutzen wir unterschiedliche Begriffe. Ich habe bei Ihnen zudem das Gefühl, dass Sie nur auf einen Teil der Argumente eingehen.
Meine Frage des Mehrwerts einer GanztagesPFLICHT, gegenüber einer Pflicht am Vormittag und eines Angebots am Nachmittag wird komplett ignoriert.

Eltern die das Glück haben in Berufen zu arbeiten in denen man sich Nachmittag Zeit für Kinder nehmen kann und Abend nochmal an den Rechner gehen können müssen in meinen Augen nicht dazu verpflichtet werden, vor allem nicht in einer Zeit in der ein riesiger Mangel an Personal das Hauptproblem darstellt.

Im Kindergarten meines Kindes ist bereits die dritte Woche in Folge der Vorschulunterricht sowie die Projektgruppen ausgefallen. Wir kriegen nicht mal die grundlegendste Förderung hin, wollen aber dann die Kinder in Ganztagesbetreuung stecken. Ganz nach dem Motto Quantität vor Qualität. Für die sozial Abgehängten mag eine Betreuung im Kindergarten auf Teufel komm raus über den Ganzen Tag ein Fortschritt sein, aber für die Mehrheit wäre es ein Schritt zurück und würde wohl die Ungleichheit noch mehr Fördern, weil wer kann sein Kind in private Einrichtungen stecken würde bei denen eine echte Förderung gewährleistet wäre.

Am Ende der Schulzeit gibt es ja eine Abschlussprüfung mit Noten (an der Uni genauso).
Ohne diese Noten können Arbeitgeber die Eignung ihrer Bewerber schlecht einordnen.
Irgendwann müssen die jungen Menschen ja mal mit Noten konfrontiert werden.

Welcher Arbeitgeber verlässt dich bitte noch (ausschließlich) auf Noten? Sie sind in ihrer jetzigen Form schlicht nicht hilfreich und sagen wenig aus. Da hängen zu viele individuelle Einflüsse dran.

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Ich denke, man könnte mit einer Kindergartenpflicht viele Probleme beheben. Ganztagspflicht … weiß ich nicht. Aber ich glaube, es würde tatsächlich für mehr Gleichberechtigung auf mehreren Ebenen sorgen

Aber da es sowieso nicht genug Erzieher und Kitaplätze gibt, muss man darüber nicht streiten.

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Gerne ab höheren Klassen.
Bei Kindern und jüngerrn Jugendlichen überwiegen die negativen Einflüsse von Noten.

Das sind aber schon sehr exklusive Sportarten, die auch nur sehr sporadisch bzw. Lokal auftreten.

Jein, hier kommt es darauf an wie groß der Einzugskreis der Schule (nach neuem System) ist.

Bsp.: Will mein Kind heute Basketball spielen und es gibt in meinem Ort kein Angebot (Verein) für Basketball, schaue ich wie weit das nächste Angebot entfernt ist und ob bereit bin überhaupt so weit zu fahren. Dadurch ist defacto heute schon das Angebot an Sportdisziplinen beschränkt. Das würde sich mit einer Integration in die Schule nicht wirklich ändern. Wenn eine Schule Basketball nicht anbietet wird das Kind nicht spielen.
Ich wollte auch damals gerne Basketball spielen, aber der nächste Verein war 25 km entfernt. Da haben meine Eltern nein gesagt, du darfst zwischen Handball, Fußball, Leichtathletik, Turnen, Volleyball, Tennis oder Schwimmen wählen.

Das Herumgefahren-Werden der Kinder zu ihren verschiedenen Aktivitäten sorgt zudem für eine ungünstige „Verinselung“.

Und Theater.
Extrem wertvoll.
Es gäbe so viel, was man den Kindern anbieten könnte…

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Sitzenbleiben hilft nicht.
https://www.spektrum.de/frage/ist-sitzenbleiben-sinnvoll/2163999#:~:text=Studien%20zeichnen%20ein%20klares%20Bild,wenn%20sie%20nicht%20wiederholt%20h%C3%A4tten.

Aber warum sollte es nicht möglich sein, ein Kind eine Klasse wiederholen zu lassen, wenn Eltern, Lehrer und Kind übereinstimmend denken, dass es für das Kind die richtige Lösung wäre…

Ganz ehrlich. Noten sagen kaum etwas über das tatsächliche Leistungsvermögen aus. Ein Schüler der enorm viel Zeit und Hilfe für eine 2 hatte wird im Job nicht besser sein als ein Schüler der sich mal eben locker eine 3 oder gar 4 aus dem Ärmel geschüttelt hat. Und in Fächern mit auswendig lernen ist alles über 3 Detailwissen welches nach 2 Wochen eh verloren gegangen ist. Fähigkeiten die im Job tatsächlich wichtig sind werden dagegen größtenteils gar nicht bewertet.

Also so exklusiv sind z.B. Schwimmen, aber auch Eishockey oder Skifahren nicht, bei letzteren zumindest wenn man es nicht bundesweit sieht, sondern lokal bis regional.

Heute läuft das Kind früh in die Schule und wird nachmittags von den Eltern zu Sport gefahren. Gerade außerhalb von Großstädten hapert es aber schon daran, dass es kein ausreichendes Angebot des ÖPNV gibt um dann dorthin zu fahren wo die Sportart angeboten wird.
Aber auch das ist natürlich ein Problem an dem sowieso gearbeitet werden soll.

Was bleibt ist, dass man gerade anfangs nur 2-3 mal unter der Woche zum Training fährt (Breitensport), aber 5 mal in die Schule. Die Wege würden daher insgesamt häufiger.

Trotzdem finde ich die Idee, dass sich Schüler dann die Schule aussuchen, an der auch ihre Sportart angeboten wird durchaus reizvoll.

Man bewirbt sich ja mit seinem Zeugnis, also der Berufseinsteiger.
Ich weiß ja nicht ob ich jetzt dein romantisches Weltbild zerstören, aber in unserer IHK Nordwestfalen werden Bewerber ohne Abi und ohne gute Noten in MINT gar nicht erst zum Gespräch für die höherwertigen IT-Berufe eingeladen.

Auf der anderen Seite ist meine Frau Lehrerin an einer Brennpunktrealschule. Also eigentlich Hauptschule. Da gibt es viele Arbeitgeber, die gute Noten oder eine Quali für die Fachoberschule verlangen.

Natürlich gilt das nicht ausschließlich, aber wenn die übrigen Jugendlichen sich nicht sehr gut verkaufen können, bleiben die Mindestlohnberufe.

Mit einem Schwurbelzeugnis, in Prosa geschrieben, auch sehr subjektiv übrigens, kann man doch noch weniger anfangen.

Fast jeder Arbeitgeber nimmt bei Berufseinsteigern Noten als einen wichtigen Faktor. Mindestens jedoch zur ersten Qualifizierung. Wer die für berufserfahrene noch stark berücksichtigt, leidet noch nicht genügend unter Fachkräftemangel (also sprich hat es noch nicht verstanden).

Noten korrelieren stark mit Intelligenz, welche mit beruflichen Erfolg korreliert. Zumindest in Wissensarbeit. In jedem Fall dienen Noten und Abschlüsse aber als Zeichen dafür, dass man Durchhaltevermögen hat.

In manchen Studiengängen oder bei manchen Jobs sind sogar Noten gewisser Fächer entscheidend.

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Die Frage ist, warum man sitzen bleibt. Ich war einfach faul in Deutsch und Englisch und hatte auch zwei Lehrerinnen, die mich null motiviert haben. Darum habe ich mit einem Notenschnitt von 2,6 die 7 Klasse wiederholt. Hat nicht geschadet, weil erstens dadurch die Lehrerinnen weg waren und die Noten sofort auf 3 stiegen, zweitens mir Lernstoff aus höheren Klassen für andere Fächer wie Mathe als Hausaufgabe mitgegeben wurde und drittens mich die Lehrer ermutigt haben, denn schwächeren Schülern zu helfen im Unterricht, was mir ein schönes erfüllendes Gefühl gegeben hat.

Und wenn die das gar nicht wollen?

Seit ihr noch die Gleichen, die in anderen Diskussionsbeitrag sich möglichst wenig vorschreiben zu lassen? Nicht gegen dich persönlich @mr.mucki :stuck_out_tongue_winking_eye:

Aber Kinder in solch eine "Anstalt"geben müssen?

Ich vertraue Eltern erst einmal. Vielleicht sollten wir Eltern besser stellen (höheres Bürgergeld, Teilhabemöglichkeiten, Sprache, Grundeinkommen,…) anstatt ihnen mitzugeben, der Staat könne sich besser um die Kinder kümmern.

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Vielleicht wäre es schon genug, Kindergarten und Schulen „vollständig“ mit Personal und Infrastruktur zu versorgen. Ggf. den Betreuungsschlüssel etwas großzügiger festlegen, weniger Kinder pro Betreuer/Lehrkraft. Und wenn das geschafft ist, schauen wir uns das in Ruhe an.
Nicht jedes Mal alles auf den Kopf stellen, schließlich sind wir damit ja nicht schlecht gefahren.

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Aber das ist doch lediglich ein Weg einer Vorauswahl der Bewerber der zwar bequem ist, bei dem dem Arbeitgeber aber viele interessante Bewerber durchs Raster fallen weil sie trotz Talent ausgesiebt werden.
Dafür bekommt man dann weiterhin auch Bewerber, die zwar gute Noten haben, aber das vorwiegend durch Auswendiglernen ganzer Aufgabentypen erreicht haben.

Ich kenne Leute mit passablem Matheabi, die an einfacher Prozentrechnung im Alltag scheitern ebenso wie Leute die trotz schlechtem Matheabi sehr gut im Maschinenbaustudium waren.

Eine Note kann auch schlecht sein, weil man einfach mit einem Lehrer nicht gut zurecht kommt, selbst wenn es kein schlechter Lehrer ist. Es kann sein, weil man gerade in einer schwierigen Phase ist. Es kann gesundheitliche Gründe haben. Oder weil man nebenher ambitioniert Sport oder Musik betrieben hat. Ohne Kontext sagt die Note in meinen Augen wenig.

Wenn ich mir ansehe wie wenig Allgemeinbildung viele Leute die stets gut in der Schule waren tatsächlich behalten haben und wie viel manche die sich mit vielen Vierern von Jahr zu Jahr gehangelt haben, dann fehlt mir einfach der Glaube an Noten als hinreichendes Kriterium für den Stand einer Person nach dieser Zeit. Noten sind eine reine Momentaufnahme und selbst da je nach Gestaltung der Prüfung oft wenig aussagekräftig.
Ein Teamkollege von mir war englischer Muttersprachler (Eltern Professoren an der Uni, also kein Slang) und hatte in der Unterstufe häufig Noten von 3 und 4 weil er die „falschen“ Vokabeln verwendet hat. Sein Englisch war natürlich dennoch um Welten besser als das der Mitschüler mit einer 1.

Wichtiger als Noten wäre doch eine Bewertung ob erlerntes nachhaltig sitzt. Das Thema verstehen wird bei uns doch quasi gar nicht geprüft.
Was rauskommt sieht man Jahr für Jahr beim Matheabi. Jedes Jahr eine neue Petition, dass es zu schwer war, weil selbst simple Textaufgaben zu viel des Guten sind, weil der Großteil der Schüler nicht in der Lage ist gelerntes auf neue Fragestellungen anzuwenden.

Mir ist ein System bei dem eine solche Kompetenz sichergestellt ist lieber als die aktuellen Noten, bei denen dann die Einäugigen unter den Blinden gekürt werden.

Sorry ich verstehe dieses Argument nicht. Die Soziale Herkunft ist entscheidend. Soviel Bürgergeld, Grundeinkommen usw. kann man gar nicht zahlen. Wir vererben defacto Bildungsabschlüsse. Es besteht keine Durchlässigkeit im Bildungssystem defacto.

Das bekommen wir nur durch Frühkindliche Bildung gelöst. Nicht durch mehr Bürgergeld, nicht durch Grundeinkommen usw.

Nochmal im Bereich Bildung haben wir kein Erkenntnis Problem, wir haben ein Umsetzungsproblem.

Ich glaube auch nicht, das mehr Geld mit der Giesskanne Probleme löst. Ein Plan vorab wäre nicht schlecht.
Probleme offen analysieren, tragfähige Lösungen entwickeln, dann Preisschild dran