Bedenkliche Bundestagsresolution zum Antisemitismus

Dem liegt eine sehr einseitige Interpretation des Boykottaufrufs nach §7 AWV zu Grunde, die in der Praxis so keinen Bestand hat. „Menschen, die im Außenhandel tätig sind“ dürfen m.M.n. durchaus auf Demonstrationen einen Boykott fordern, vor allem, wenn sie nicht in führenden Positionen sind.

Das Boykottaufrufverbot richtet sich auf Boykotterklärungen im Außenhandel, das ist schlicht nicht gegeben, wenn der „einfache Mitarbeiter eines im Außenhandel tätigen Unternehmens“ auf einer Demonstration einen Boykott fordert. Es gibt m.W.n. auch keine Gerichtsurteile, die das Boykottverbot derart weit auslegen.

Der BGH hatte auch schon dahingehend geurteilt, dass Boykottaufrufe gerade dann umso zulässiger sind, wenn sie aus Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit getätigt werden und umso problematischer sind, wenn sie den eigenen wirtschaftlichen Interessen dienen.

Daher muss ich dir hier deutlich widersprechen:
Nein, es ist deine Auffassung, deine Interpretation der Gesetzeslage (die innerhalb der Rechtswissenschaften - wenn überhaupt - eine kleine Minderheit vertreten würde), aber ganz sicher nicht objektiv „die Gesetzeslage“.

Vor allem kann man eine Demonstration nicht mit dem Argument verbieten, dass dort Boykotte gefordert werden und sich Menschen an der Demonstration beteiligten könnten, die u.U. keine Boykottaufrufe tätigen dürfen. Das wäre, wie eine linke Demo gegen Nazis zu verbieten, weil sich vermummte Steinewerfer dort beteiligen könnten. Das ist ganz offensichtlich keine legitime Argumentation. Zum Verbot einer Demonstration - und das ist die Gesetzeslage - muss es konkrete Hinweise auf konkrete Straftaten geben, abstrakte Möglichkeiten reichen dazu gerade nicht aus, sonst könnte man ausnahmslos jede Demonstration verbieten.

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Klare Beweise dafür zu finden, dass etwas nicht passiert (etwa die Verfolgung antisemitischer Straftaten), ist natürlich immer schwierig. Doch es gibt aus meiner Sicht klare Indizien. Dazu gehört, dass die meisten antisemitischen Vorfälle, die etwa zivilgesellschaftliche Meldestellen registrieren, vielfach keine Straftaten sind (ebenso wie z. B. viele rassistische oder sexistische Sprüche) oder es praktisch keine Möglichkeit gibt, im Nachhinein Täter zu ermitteln (etwa bei Graffiti oder Aufklebern im öffentlichen Raum). Das ändert jedoch nichts am Antisemitismus, der darin zum Ausdruck kommt und auch nichts an dessen Wirkung auf die Betrofffenen. Antisemitismus begegnet ihnen alltäglich im eigenen Wohnumfeld, auf der Arbeit, in der Schule, im öffentlichen Raum, auf Social Media etc. pp. und schränkt sowohl das Sicherheitsempfinden als auch die gesellschaftliche Teilhabe insbesonderen von Juden in Deutschland signifikant ein [1]. Nennenswerte Reaktionen auf diese seit Jahren anhaltende und seit dem 7. Oktober dramatisch verschärfte Situation sind - abgesehen von Sonntagsreden - aus meiner Sicht sehr selten. Hinzu kommt, dass viele Betroffene antisemitischer Vorfälle diese gar nicht erst melden oder zur Anzeige bringen, entweder weil sie nicht erwarten, dass der Staat tatsächlich etwas unternimmt oder noch schlimmer, weil sie davon ausgehen, dass ihnen nicht geglaubt wird bzw. dass Meldestellen oder Polizei den Vorfall in Zweifel ziehen. Eine Umfrage der EU-Grundrechteagentur ergab, dass von den befragten Juden in Deutschlen nur 49% Gewalttaten melden, 28% Belästigungen/Bedrohungen, 26% Antisemitismus online und nur 11% antisemitische Diskrimierung. [2]
Und es gibt eindeutige Fälle antisemtisch motivierter Gewaltstraftaten, bei denen Stafverfolgungsbehörden den Antisemitismus einfach ignorieren oder ihn gar aktiv negieren. Das wohl berühmteste Beispiel ist ein Urteil eines Gerichts in Wuppertal, dass bei einem Brandanschlag auf eine Synagoge(!) keinen Antisemitismus erkennen wollte, sondern darin lediglich „Kritik an Israel“ sah. [3]

[1] https://report-antisemitism.de/documents/25-06-24_RIAS_Bund_Jahresbericht_2023.pdf
[2] https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/antisemitism_survey_2024_-_country_sheet_germany_0.pdf
[3] Kritik an einem Gerichtsurteil zum Anschlag auf Synagoge

Für die Diskussion fände ich es hilfreich, wenn sich trotz aller Meinungsverschiedenheiten auch in diesem Thread alle darum bemühen, ihre jeweilige Position nachvollziehbar zu begründen und nicht durch einfach nur durch Behauptungen, Auslassungen und Suggestivfragen irgendetwas zu insinuieren, was sich nicht belegen lässt.

Ich glaube niemand bestreitet, dass es Antisemitismus gibt und dass natürlich eine aufgeladene Situation in Nahost auch dazu führt, dass mehr antisemitische Straftaten begangen werden. Ebenso bestreitet niemand, dass es gerade bei der Erfassung politisch motivierter Kriminalität in allen Bereichen problematisch ist, dass Gerichte sich oft nicht trauen, die politische Motivation in ihr Urteil aufzunehmen. Hier muss man allerdings auch die Position der Richter sehen: Wenn es keine klaren Belege für antisemitische (oder rassistische, oder linksextreme) Motive bei einer Straftat gegen Ziele gibt, die üblicherweise Opfer einer bestimmten politischen Denkrichtung sind (dh. Anschläge auf Büros der Linken = Rechtsextrem, Anschläge auf Synagogen = Antisemitismus, Anschläge auf Moscheen = Rechtsextrem, Anschläge auf AfD-Büros = Linksextrem…), ist es für die Richter immer gefährlich, nur auf Grund der Zielauswahl diese Motive zu unterstellen. Denn das eröffnet dem Verurteilten möglicherweise realistische Chancen auf eine erfolgreiche Berufung oder Revision. Zugegeben, Ich denke auch, dass wer in Deutschland eine Synagoge angreift, um damit „Kritik an Israel“ auszudrücken, einen schweren Denkfehler begeht (dh. die Juden in Deutschland stehen für Israel), sodass ich es sehr gut nachvollziehen kann, alleine deshalb schon von Antisemitismus auszugehen, aber im Zweifel gilt auch hier, dass die Person vielleicht schlicht dumm ist bzw. dem „ehrlichen Irrglauben“ unterliegt, Synagogen in Deutschland seien direkt verbunden mit der israelischen Regierung. Und auch wenn Antisemitismus ein hinreichender Beleg für Dummheit ist, ist Dummheit kein hinreichender Beleg für Antisemitismus. Insofern kann man hier verstehen, dass die Richter bei mangelnder Nachweisbarkeit eines konkreten, antisemitischen Tatmotivs im Zweifel die antisemitische Motivation nicht feststellen, um es rechtlich „sicherer“ zu machen.

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Das lassen wir ( „wir“ im Sinne von die Gesellschaft aber insbesondere auch als tendenziell Linke) doch aber bei keinem anderen Thema jemandem so einfach durchgehen. Niemand würde beispielsweise glauben, dass Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte kein Rassismus sondern „Kritik an Asylpolitik“ sind, oder Angriffe auf Moscheen einfach nur „Kritik an Erdogan“. Wieso sollten wir hier plötzlich Rücksicht auf solche konstruierten Ausreden nehmen, wenn ganz klar antisemitische Straftaten dahinterstehen - deren Zahl in letzter Zeit auch deutlich angestiegen ist.

Darüber hinaus: Die „Dummheit“ davon auszugehen, der israelische Staat hätte direkten Einfluss auf weltweite Synagogen und würde darüber Macht ausüben, könnte man fast schon wieder als eigene Ausprägung von Antisemitismus sehen, Stichwort „jüdische Weltverschwörung“

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Genau das haben Gerichte durchaus schon getan, auch da aus dem gleichen Grund: Beweisschwierigkeiten. Und ja, darüber haben wir uns auch aufgeregt. Ich will nur darauf hinweisen, dass diese Problematik nicht nur im Hinblick auf antisemitische Straftaten besteht, sondern es sich um eine allgemeine Problematik handelt. Die strafverschärfende rassistische/antisemitische Motivation (gemäß §46 Abs. 2 StGB „die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische, geschlechtsspezifische, gegen die sexuelle Orientierung gerichtete oder sonstige menschenverachtende“) ist Teil der Strafzumessung und muss daher auch nachgewiesen werden, und dafür gelten im Strafprozess schärfere Anforderungen als in Diskussionen wie dieser hier.

Daher: Wir können das durchaus als weltfremde Rechtsprechung kritisieren, da bin ich auch voll bei dir, wir können auch sagen, dass sich Gerichte hier mehr trauen sollten (und damit das Risiko einer erfolgreichen Berufung/Revision eingehen sollten), aber da diese Problematik eben bei allen „Gesinnungsfragen“ auftaucht, ist die Nichtfeststellung einer „antisemitischen Gesinnung“ bei einem Angriff gegen eine Synagoge kein Beleg für Antisemitismus oder mangelnden Kampf des Staates spezifisch gegen Antisemitismus, weil das Problem eben alle Gesinnungsfragen im Strafrecht betrifft.

Das zentrale Problem ist, dass eine strafverschärfende Gesinnung nach § 46 StGB i.d.R. eben nur durch Indizien und nicht durch Beweise begründet werden kann, weil man den Leuten eben nicht in den Kopf schauen kann. Wenn also keine antisemitischen/ausländerfeindlichen/frauenfeindlichen Vorstrafen vorliegen oder die Person nachweisbar Gruppen nahe steht, die diese Einstellungen propagieren, werden die Gerichte eher auf Nummer Sicher gehen und diese Strafverschärfung nicht anwenden, weil ihnen die Begründung auf Grundlage von Indizien zu schwach erscheint. Wenn diese Entscheidung des Gerichts dann hier als Beleg für Antisemitismus oder mangelnden Kampf gegen Antisemitismus verwendet wird, sollte man das schon richtig stellen.

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Ich bin mir nicht sicher, wie üblich und wie hilfreich Kategorien wie „Dummheit“ oder „Denkfehler“ bei der Beurteilung von Straftaten - noch dazu bei der Einordnung politisch motivierter Straftaten sind. Der Kern der Argumentation sowohl der Täter als auch des Gerichts ist ja, wie du richtig sagst, die Verknpfung von in Deutschland lebdenen Juden mit Handlungen des Staates Israel - oder abstrakter formuliert eine Verschmischung der Kategorien Religionszugehörigkeit und Staatsangehörigkeit. Anders lässt sich aus meiner Sicht nicht begründen, weshalb ein in Deutschland befindliches religiöses Gemeindehaus ein nachvollziehbares Ziel für Proteste gegen die Handlungen eines anderen Staates sein soll. Genau dies ist aber nach allen gängigen Antisemitismusdefintionen eindeutig antisemitisch. Bei der IHRA heißt es etwa als Beispiel für Antisemitismus:

Das kollektive Verantwortlichmachen von Jüdinnen und Juden für Handlungen des Staates Israel. [1]

In der JDA heißt es noch unmissverständlicher:

Israel und Palästina: Beispiele, die als solche antisemitisch sind […]
7. Jüd:innen kollektiv für das Verhalten Israels verantwortlich zu machen oder sie, bloß weil sie jüdisch sind, als Agent:innen Israels zu behandeln. [2]

Das spricht aus meiner Sicht gegen dein Argument, dass es in diesem Fall „keinen hinreichenden Beleg“ für Antisemitismus gibt. Zudem hat das Gericht nach allem was ich weiß, diese Definitionen noch nicht einmal in seiner Begründung erwähnt, sondern ist stattdessen im Wesentlichen der Argumentation der Täter gefolgt. Gegen das Argument, dass es sich um Wohlwollen bzw. Vorsicht des Gerichts gehandelt haben könnte, spricht aus meiner Sicht, dass es bei politisch motivierten Straftaten nicht allein auf das Wissen und die Intention der Täter ankommt, sondern auch auf die Wirkung der Tat und ihre Symbolik, die in diesem Fall ebenfalls eindeutig ist. Daher sehe ich hier einen eindeutigen Fall von Antisemitismus, der nicht als solcher geahndet wurde - und danach wurde ja gefragt.
[1] Arbeitsdefinition von Antisemitismus - IHRA
[2] https://jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/2021/03/JDA-deutsch-final.ok_.pdf

Diese Definitionen sind für das deutsche Strafrecht aber eben nicht einschlägig. Wenn wir über Strafrecht reden sind die Anforderungen grundsätzlich strenger.

Wenn wir über eine Strafverschärfung nach § 46 StGB sprechen, kann es im Hinblick auf das Merkmal des „Antisemitismus“ nur auf die Beweggründe des Täters und keinesfalls auf die Wirkung der Tat und ihrer Symbolik ankommen, weil insofern die Wortlautgrenze des Strafrechts gilt. § 46 sagt eben ganz klar dass es im Hinblick auf „Antisemitismus“ um die „Beweggründe“ und die „Ziele“ geht, nicht um die Auswirkungen.

Du kannst hier gerne kritisieren, dass die Gesetzeslage so formuliert ist, aber die Richter müssen sich in diesem Fall daran halten, weil die Wortlautgrenze im Strafrecht absolut gilt.

Was du meinst, wenn du auf die Wirkungen der Tat und ihre Symbolik ansprichst, ist vermutlich eher die Begründung einer Straftat im Sinne von § 130 StGB (z.B. Volksverhetzung), nicht die Feststellung einer antisemitischen Motivation im Hinblick auf die Strafzumessung. Bei der Volksverhetzung gilt tatsächlich, dass die Wirkung der Tat und ihrer Symbole im Hinblick auf die Störung der öffentlichen Ordnung ausgesprochen relevant sind. Das ist aber noch mal eine ganz andere Diskussion.

Eine mögliche Antwort gibst du schon selber im letzten Teilsatz. Warum ist den die Anzahl solcher Straftaten in letzter Zeit deutlich gestiegen?

Wäre es reiner rassistischer Antisemitismus, dann wäre die Motivation dafür (also die Existenz der Jüdeninnen und Juden., die Synagogen usw.) doch schon vorher da gewesen.

Der Anstieg der (scheinbar) antisemitischen Straftaten muss also zwingend etwas mit den jüngsten Ereignissen im Nahost-Konflikt zutun haben.
Daher halte ich die Vermutung, dass die Motivation von einigen dieser Straftaten eine Reaktion auf das Verhalten Israels und dessen Militärs ist, für nicht völlig abwegig.

Und wenn ich @Daniel_K oben richtig verstanden habe, ist diese Motivation im deutschen Recht ausschlaggebend für die Einordnung als antisemitische Straftat.
Auch wenn z.B. ein Täter, der in Deutschland eine Synagoge (aus dem eben beschrieben Grund) angreift, natürlich damit quasi alle Jüdeninnen und Juden für Israels militärisches Vorgehen zu Unrecht zur Verantwortung zieht.

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Hier zeigt sich mal wieder wir wichtig die Unterscheidung zwischen Korellation und Kausalität ist. Die Korrellation zwischen Eskalationen des arabisch-israelischen Konflikts und der (weltweiten) Zunahme antisemitischer Vorfälle und Straftaten ist ohne Zweifel evident. Die Frage ist nur, was der kausale Zusammenhang ist. Eine These aus der Forschung lautet, dass die Empörung über das Vorgehen Israels den bei einigen Leuten ohnehin latent vorhandenen Antisemitismus triggert bzw. noch verstärkt und dass diese sich viel mehr im Recht fühlen, selbst bei Gewalttaten. Etwas Ähnliches wurde auch für rassistische Gewalttaten nachgewiesen. Hier wirken etwa aufgeheizte Debatten über Migration(-spolitik) auf Täter ermutigend und bestätigend - beispielsweise in den frühen 1990er Jahren in Deutschland.
Die Gegenthese, also dass die Empörung über Israel (oder gar die militätische Eskalation an sich) der Grund für mehr Antisemitismus ist, würde ja bedeuten, dass dieser verständlicher oder gar gerechtfertigter ist. Da aber eine Synagoge in Deutschland nichts mit der israelischen Armee zu tun hat, ist beispielsweise ein Brandanschlag auf eine Synagoge kein bisschen weniger schlimm und kein bisschen weniger antisemitisch, nur weil die Täter sich über irgendetwas ärgern, was Israel macht. Bei einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft würde ja außer Rassisten und Rechtsextremen auch niemand argumentieren, dass dieser weniger rassistisch ist, nur weil die Täter sich über die Migrationspolitik der Regierung empören.
Deshalb ist der Einwand von @sereksim angesichts einer solchen „eskalierten“ Situation aus meiner Sicht nicht weniger relevant, sondern in Gegenteil um so wichtiger.

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„Verständlich“ und „Gerechtfertigt“ sind sowohl rechtlich, als auch moralisch, zwei ganz unterschiedliche Dinge.

Den Mörder eines Familienangehörigen zu ermorden ist ohne Zweifel „verständlich“ in dem Sinne, dass man verstehen kann, warum die Person plötzlich das Interesse hat, einen Mord zu begehen, aber eben keinesfalls gerechtfertigt (weder moralisch noch rechtlich). Selbst der Mord an einem Flüchtling durch einen Nazi, der sich - psychologisch betrachtet krankhaft - vor „Überfremdung“ fürchtet, ist „verständlich“ in dem Sinne, dass man verstehen kann, wie der Auslöser zur Tat geführt hat - aber noch weniger gerechtfertigt als das Beispiel des Familienangehörigen.

Diese Problematik, dass wir „Ursache und Wirkung“ nicht diskutieren können, ohne, dass uns deshalb unterstellt wird, damit die Tat zu rechtfertigen, liegt genau an dieser problematischen, synonymen Verwendung von Verständnis und Rechtfertigung. Das wiederum liegt daran, dass „Verständnis“ in der deutschen Sprache leider ambig ist, da es als für „Ich verstehe die Zusammenhänge“ oder „Ich habe Verständnis für den Täter“ verwendet werden kann, wobei letzteres ein Rechtfertigungselement enthält.

Aber wie gesagt, in diesem Punkt werden wir uns nie einig werden. Für mich ist es sonnenklar, dass Antisemitismus ebenso wie Rassismus und jede andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit natürlich stärkere Verbreitung erfährt, desto mehr Konflikte es mit der jeweiligen Gruppen gibt (und desto stärker über diese Konflikte medial berichtet wird). Deswegen ist Antiziganismus in den USA auch kaum verbreitet, in Osteuropa hingegen ein massives Problem.

Natürlich muss man immer aufpassen, den Opfern damit nicht die Schuld für den Hass zu geben, der ihnen entgegen schlägt. Aber das bedeutet nicht, dass man deshalb jede Ursache-Wirkung-Beziehung deswegen bestreiten muss. Im Gegenteil, ich halte es auch deshalb so wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Politik der israelischen Regierung ein Bärendienst für Juden überall auf der Welt ist, eben weil diese Politik (vor allem die Siedlungspolitik, aber auch im Hinblick auf den Gaza-Streifen) zu mehr Antisemitismus führt und es deshalb wichtig ist, gegen diese Verhalten der israelischen Regierung einzutreten: Nicht, weil man Antisemit ist, sondern im Gegenteil, weil man damit Antisemitismus zurückdrängen will.

Und ja, ein Anschlag auf eine Synagoge als „Kritik an Israel“ ist wie schon gesagt in jedem Fall dumm und kontraproduktiv, aber ohne in den Kopf des Täters zu schauen, ohne zu wissen, was er wirklich gedacht hat, ist es schwer, diese Beweggründe juristisch auf das Merkmal „Antisemitismus“ zu verdichten. Ich habe nichts dagegen, solche Fälle in Diskussionen wie dieser hier pauschal als Antisemitisch zu bezeichnen (i.d.R. dürfte das wohl auch zutreffen), aber man muss die strafrechtliche Ebene davon getrennt halten.

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Jetzt wird es aber schon sehr konstruiert. Mit einer solchen Argumentation werden die Antisemiten selbstverständlich aus der Verantwortung genommen. Es ist und bleibt kein legitimer Grund auf Grund der Taten einer Regierung eine Volksgruppe in einem andern Land anzugreifen. Für mich ist diese Argumentation auf keiner Ebene tragbar oder zu rechtfertigen, denn sie nimmt den einzelnen aus der Verantwortung.

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Auf Ursache und Wirkung hinzuweisen ist kein „Angriff“.

Und die rechtsextreme israelische Regierung und ihre Siedlungspolitik sind nicht die Opfer. Die Opfer sind die Juden, die in Deutschland angegriffen werden. Auch hier gilt das gleiche: Ebenso, wie man die Juden in Deutschland nicht für die Taten der israelischen Regierung verantwortlich machen sollte, übernimmt die israelische Regierung nicht die Opferrolle der Juden in Deutschland.

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Ich stimme dir zu, dass diese Unterscheidung wichtig ist. Allerdings habe ich die beiden Begriffe nicht synonym verwendet, sondern sie mit einem „oder“ verknüpft, weil ich finde, dass in diesem Fall beides zurtifft. Du hast ebenfalls Recht, dass es beim Verstehen wichtig ist zwischen den Bedeutungsebenen a) nachvollziehen können, sich erklären können und b) Verständnis oder Empathie haben zu unterscheiden.

Allerdings lässt du eine aus meiner Sicht mindestens so zentrale Differenzierung außen vor, nämlich die erwähnte zwischen Korellation und Kausalität. Den Zusammenhang zwischen bestimmten Konflikten und dem Ausmaß bestimmter Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bezeichnest du als „Ursache und Wirkung“ bzw. an anderer Stelle als „natürlich“. Und du argumentierst du für die sogenannte Korrespondenzthese - also schlicht gesagt: Wo Gruppe X präsenter ist oder es mehr Konflikte mit Gruppe X gibt, kommt es auch zu mehr Feindschaft gegenüber Gruppe X.

Das klingt erst mal plausibel, ist aber aus mehreren Gründen problematisch. Das fängt schon beim Framing an, also bei der Frage, von welcher Gruppe überhaupt die Rede ist und wer ihr zugerechnet wird. Wenn ein Jugendlicher in Wuppertal einen Brandsatz gegen die Synagoge wirft, ist der Grund dafür ja nicht ein Konflikt mit der jüdischen Gemeinde in Wuppertal. Der Grund ist, dass er diese Gemeinde mit Israel in einen Topf wirft mit dem was die israelische Armee tut. Auf diesem Topf steht „jüdisch“ und dürfte auch so ziemlich das einzige sein, was dieses Gebäude in Wuppertal mit der israelischen Armee verbindet. Ebenso hatten beispielsweise die Neonazis, die 1999 Farid Guendou gejagt und in den Tod getrieben haben, ja keinen Konflikt mit Algeriern oder Asylbewerbern. Der Grund für ihre Gewalt war, dass sie ihr Opfer als Repräsentanten der Gruppe „Ausländer“ betrachtet haben. Will sagen: Dieses Framing, wer als Angehöriger oder Vertreter welcher Gruppe angesehen wird, ist oftmals Teil gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und damit an sich problematisch. Sie ist aber kein ihr äußerlicher neutraler Faktor, der diese erklären kann.
Grundlegend für fast alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind entsprechende Stereotype, bei denen sich die (vermeintliche) Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit der Zuschreibung bestimmter Eigenschaften verbindet - meistens, aber nicht immer handelt es sich um negative Zuschreibungen. Ein weiteres Merkmal ist, dass Menschen auf diese (vermentliche) Zugehörigkeit reduziert werden. Der Nachbar ist auf einmal nicht mehr der Nachbar, sondern Ausländer, der Lehrer ist nicht mehr Lehrer, sonder Türke etc. Die wichtigste Frage für ein Verstehen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist daher, wer diese Stereotype und Zuschreibungen wie und warum pflegt.
Es gibt unbestreitbar Kontexte, in denen reale Konflikte dazu führen können, solche Stereotype und Zuschreibungen zu verstärken, sowohl im Sinne einer stärkeren Verbreitung als auch einer höheren Intensität (bis hin zur Motivation von Gewalttaten). Aber es ist extrem wichtig, dass dies Trigger, also Auslöser oder Anlässe für die genannten Denkweisen sind, aber niemals deren Ursache.
Gerade Rassismus und Antisemitismus sind Beispiele für Arten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die eben auch funktionieren, gar keine oder nur sehr wenige Personen aus den betroffenen Gruppen präsent sind. Der „Antisemitismus ohne Juden“ in Europa nach dem Holocaust ist sogar ein eigenes Forschungsfeld. Und dass der gewalttätige Rassismus in den 1990er Jahren besonders hoch war in ostddeutschen Landkreisen, in denen kaum Nichtdeutsche lebten, widerspricht der Korrespondenzthese m. E. auch. Ganz abgesehen vom Antiziganismus, der auch in Deutschland erschreckend hoch ist und eine sehr stabile historische Kontinuität aufweist, ohne dass man behaupten könne, dass Konflikte mit Sinti oder Roma hierzulande auf der Tagesordnung stünden.
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Da stimme ich dir vollkommen zu. Deshalb würde ich aber auch dringend davor warnen, die Ursache für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Verhalten derjenigen zu suchen, gegen die sie sich richtet. Denn damit läuft man m. E. nicht nur Gefahr, sie auch dafür verantwortlich zu machen, sondern man versteht aus den oben genannten Gründen auch nichts über ihr Zustandekommen. Denn die genannten Stereotype sind ja immer nur Projektionen oder im „besten“ Fall Verallgemeinerungen von Einzelfälllen, sie sagen aber niemals etwas über die Mehrheit oder gar alle Menschen aus, die einer bestimmten Gruppe angehören. Genau diese Annahme, nämlich dass „die alle gleich sind“ ist aber der Kern gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Insofern ist auch die Konkretisierung dieses Gedankens aus meiner Sicht fatal. Wer etwas gegen Antisemitismus tun will, muss antisemitische Denkweisen verstehen, sie kritisieren und bekämpfen. Zu sagen, dass es weniger Antisemitismus geben würden, wenn Juden sich besser benehmen würden, heißt letztlich nichts anderes als erwähnten Zuschreibungen im Kern zu bestätigen. Nach derselben Argumentation müsste man dann ja auch konsequent die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland zurückfahren, um den Rassismus hierzulande zu bekämpfen oder das passive Wahlrecht von Frauen beschränken, damit es nicht zu mehr Misogynie kommt.
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Du übersiehst hier einen ganz zentralen Unterschied:
Der normale Migrant (der keine schweren Straftaten begeht) verhält sich nicht falsch.
Die Frau, die ihr Wahlrecht wahr nimmt, verhält sich auch nicht falsch.

Trotzdem kann man sagen, dass natürlich eine sehr hohe Migration dazu führen wird, dass Rassismus sich stärker ausbreitet (als Ursache-Wirkung-Erklärung, ohne Wertung!), aber daraus kann man nicht die Konsequenz ziehen, Migranten einen Vorwurf zu machen. Ebenso wie man sagen kann, dass die Frauenrechte (oder besseres Beispiel: In den USA das Ende der Segregation) dazu führen, dass viele erzkonservative Arschlöcher plötzlich „aktiv“ und sehr laut werden und problematische Parteien wählen. Aber again: Hier kann man zwar eine Ursache-Wirkung-Beziehung feststellen, aber es gibt keinerlei Basis für Schuldzuweisungen, weil in all diesen Bereichen diejenigen, die zwar ursächlich sind, nichts „falsches“ tun, sich nichts vorwerfen lassen können.

Im Fall der israelischen Nahost- und vor allem Siedlungspolitik und ihrer Eigenschaft als Ursache für vermehrten Antisemitismus gilt ebenso, dass man hier erst Mal in einem ersten Schritt diese Ursache-Wirkungs-Beziehung ohne Wertung feststellen kann (wie in den anderen Beispielen oben!), man aber zusätzlich auch noch einen (völker-)rechtlichen sowie moralischen Schuldvorwurf machen kann und sollte. Denn hier ist die Gruppe, die die Ursache setzt, eben nicht, wie in den anderen Fällen, völlig unschuldig.

Diese Diskussionen hatte ich als Sozialarbeiter in der Opfer- und Täterarbeit auch schon so oft. Ja, in der Opferarbeit geht es auch darum, Ursache-Wirkungs-Verhältnisse offen zu legen und zu schauen, ob man „typischen Opfern“ von Gewalt vielleicht helfen kann, nicht mehr von jedem aggressiven Arschloch als Opfer auserkoren zu werden. Das heißt nicht, dass man dem Opfer die Schuld daran gibt, es heißt nur, anzuerkennen, dass der typische Bully bestimmte objektiv feststellbare Kriterien für seine Opferwahl hat.

Bei dir habe ich leider immer den Eindruck, dass du diese Ursache-Wirkung-Verhältnisse aus ideologischen Gründen bestreitest, eben weil du sonst das Gefühl hättest, den Opfern eine Mitschuld zu geben. Das ist menschlich absolut verständlich, aber es geht meines Erachtens einfach völlig an der Realität vorbei. Wir müssen in der Tat verstehen, wie Antisemitismus funktioniert und sich verbreitet, aber dazu dürfen wir keine Scheuklappen tragen.

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Der Jude, der einer Gemeinde in NRW angehört, verhält sich auch nicht falsch. An dieser Stelle verstehe ich nicht, welchen Unterschied zu den anderen beiden Fällen es geben soll.

Und ich hab den Eindruck, dass du ein eindeutiges Ursache-Wirkung-Verhältnis unterstellst, ohne es ausreichend zu begründen und dass du auf die von mir beschriebenen diesbezüglichen Problematiken und Einwände nicht eingehst. Dass du mir darüber hinaus noch „ideologische“ Motive unterstellen musst - geschenkt. Mir wäre ja eine Diskussion in der Sache lieber. Aber da wir uns wohl auch an diesem Punkt nicht einig werden, let’s agree to disagree.

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Jetzt ziehst du die Dinge aus dem Kontext. Ich habe mit keinem Wort gesagt oder gerechtfertigt, dass „dem Juden in Deutschland“ ein Vorwurf zu machen ist. Es ging darum, die israelische Regierung zu kritisieren, ganz sicher nicht die Juden in Deutschland.

In keinem anderen Kontext würde man ein derartiges Ursache-Wirkung-Verhältnis bestreiten. Das traurige ist, dass ich ähnliche Diskussionen schon mit Professoren führen musste, als ich damals im Erststudium argumentiert habe, dass der Sieg der Bolschewiki in Russland vermutlich eine Mitursache dafür war, warum die Industriellen in Deutschland so stark gegen die Kommunisten und für die Nazis waren. Der kam dann auch mit „Wollen sie etwa nun die Schuld für das Erstarken der Nationalsozialisten den Bolschewiken geben?“, worauf meine Antwort auch nur war: „Nein, es ist eine Frage von Ursache und Wirkung - und wenn der deutsche Industrielle 1930 sich anschaut, was in der Oktoberrevolution passiert ist und wie es seinem Stand danach ging, ist es doch nachvollziehbar, dass der die andere Seite unterstützt?!?“.

Gerade in brisanten Themen haben wir immer wieder das Problem, dass eigentlich wirklich offensichtliche Ursache-Wirkungs-Verhältnisse nicht als solche benannt werden können, ohne unterstellt zu bekommen, das problematische Verhalten einer Seite rechtfertigen zu wollen. Daher das Beispiel aus der Sozialarbeit, wo die gleichen sinnlosen Vorwürfe ständig kommen. Eine solche Ursache-Wirkung-Beziehung kann daher auch kaum erforscht werden, weil schon die Forschung dazu von bestimmten Leuten als „antisemitisch“ geframed werden würde. Und das halte ich für ein riesiges Problem.

Sorry, aber bestreitest du wirklich, dass du eine klar und deutliche, sehr, sehr pro-israelische Position vertrittst? Ideologisch ist hier nicht mal negativ gemeint. Und ja, ich vertrete auch eine Ideologie, und zwar die der Neutralität (auch wenn du das vermutlich anders siehst). Meine Ideologie (im Sinne von Weltanschauung) im Hinblick auf den Nahost-Konflikt ist, dass die Extremisten beider Seiten der Feind sind - und ich würde mir wünschen, dass wir uns zumindest da einig sein könnten.

Auch wenn du das anders siehst, unsere Weltanschauungen (falls dir der Begriff besser passt als Ideologien) sind Teil der Sache, denn von denen hängt nun einmal ab, was wir hier wie diskutieren. Und ja, Agree to Disagree is hier wie immer im Nahost-Thema der einzige Ausweg, eben weil unsere Weltanschauungen so stark auseinander liegen, was dieses Thema betrifft.

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Nein. Du hast zwei meiner Beispiele paraphrasiert, das dritte aber - aus welchem Grund auch immer - nicht. Dieses habe ich ergänzt.

Nein, der Kontext war ein anderer. Bei dem, was ich geschrieben habe, ging es um den Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus im Allgemeinen sowie mit einem Brandanschlag auf eine Synagoge im Konkreten - und eben nicht darum, „die israelische Regierung zu kritisieren“. Ein Anschlag auf eine Synagoge in Deutschland hat mit „Israelkritik“ nichts zu tun.

Auch wenn du ein so eindeutiges Verhältnis immer wieder behauptest und wiederholt als „offensichtlich“ oder „natürlich“ darstellst, wird es dadurch nicht zur Tatsache, die andere „bestreiten“ - sondern es bleibt erst mal einfach eine Behauptung oder eine These, für die aus meiner Sicht eben keine überzeugenden Argumente nennst. Daher finde ich diese These aus den genannten Gründen nicht plausibel. Ein Großteil der Forschung zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (etwa zu Rassismus, Antiziganismus oder Misogynie) basiert - wie ich zumindest angerissen habe - ebenfalls nicht auf dieser These, sondern wählt einen ganz anderen Ansatzpunkt.

Es geht in diesem Thread überhaupt nicht um Israel, sondern um den Umgang mit Antisemitismus hier in Deutschland. Der Punkt ist auch ein ganz anderer: Anstaat auf meine konkreten Kritikpunkte an dener These einzugehen, wirfst du mir pauschal eine ideologische Haltung vor. Kann man machen, wirkt aber auf mich nicht gerade überzeugend.

Nochmal: Mit „der Sache“ meinte ich die von mir formulierten Einwände gegen deine These eines angeblich eindeutigen Ursache-Wirkung-Verhältnisses, auf die du mit keiner Silbe eingegangen bist - was ich tatsächlich schade finde. Denn über solche konkreten Punkte könnte man - m. E. im Gegensatz zu Weltanschauungen - tatsächlich in einem Forum sinnvoll diskutieren.

Ich persönlich finde ja eher Antisemitismus ein Problem als die Tatsache, dass sich Experten darum bemühen, ihn zu definieren und besser zu verstehen. Ich weiß auch nicht, wen du mit „bestimmte Leute“ meinst, aber wie in einem Post weiter oben ausgeführt, besteht in der Antisemitismusforschung absolute Einigkeit darüber, dass es antisemitisch ist, Juden irgendwo auf der Welt für das Handeln des israelischen Staates verantwortlich zu machen - und zwar unabhängig davon wie die entsprechenden Forscher zu Israel und zum Konflikt stehen. Auch hier nennst du aus meiner Sicht mal wieder keine Argumente, warum das „problematisch“ sein sollte.

Abgesehen davon, dass ich es immer etwas wohlfeil finde, sich selbst Neutralität, Bescheidenheit oder dergleichen zu attestieren: Wenn es um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht (zu der eben auch Antisemitismus zählt), bin ich tatsächlich bewusst nicht „neutral“, sondern entschieden dagegen.

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Schauen wir uns den Diskussionsverlauf doch mal an, ist doch schön, dass das alles noch da ist:

Diesen Abschnitt hast du zitiert und darauf geantwortet:

Darauf habe ich geantwortet:

Darauf hast du geantwortet:

Und da ist die Diskussion derailed worden, weil du mir plötzlich in den Mund gelegt hast, ich hätte es an irgend einer Stelle gerechtfertigt, in Deutschland lebende Juden für die Handlungen Israel verantwortlich zu machen. Das Gegenteil ist der Fall: Ich werfe der israelischen Regierung vor, dass sie mit ihrer Siedlungspolitik einen guten Nährboden für Antisemitismus erzeugt, unter dem die Juden in Deutschland dann leiden müssen. Nicht, weil die Juden in Deutschland objektiv für die Handlung der israelischen Regierung verantwortlich wären, sondern gerade weil Antisemiten diese Verknüpfung herstellen.

Wir können das ja gerne mal in der klassischen philosophischen Argumentation herleiten. Thesen, die zu einer Konklusion führen. Du kannst entweder den Wahrheitsgehalt einer These bestreiten oder bestreiten, dass diese Thesen zur Konklusion führen:

These 1: Es gibt Menschen, die Juden in Deutschland für das Handeln der israelischen Regierung verantwortlich machen (hier geht es um „Sein“, nicht um „Sollen“, also nicht darum, ob es diese Menschen geben sollte, sondern einzig, dass diese Menschen existieren)
These 2: Wenn die israelische Regierung völkerrechtswidrig palästinensisches Land besetzt, verschärft sie den Nahost-Konflikt damit. (Ich denke auch diese These ist kaum bestreitbar…)
These 3: Eine Verschärfung des Nahost-Konfliktes führt zu mehr antisemitischen Vorfällen weltweit. (Das hast du selbst in diesem Thread argumentiert und lässt sich auch gut mit Statistiken belegen, daher dürftest du das auch nicht bestreiten können)
Konklusion: Die israelische Siedlungspolitik wirkt sich negativ auf die Lebensumstände der in Deutschland lebenden Juden aus und ist deshalb zu kritisieren (und natürlich deshalb, weil sie schlicht völkerrechtswidrig ist)

Ob der Antisemitismus, der dazu führt, dass es weltweit nach einer Eskalation in Nahost zu mehr antisemitischen Vorfällen kommt, durch die völkerrechtswidrigen Handlungen Israels entsteht oder ob er zuvor bereits latent vorlag und durch die Eskalation des Konfliktes lediglich aktiviert wird, kann man natürlich diskutieren. Beides dürfte mMn der Fall sein, daher: Latent antisemitische Menschen werden offen antisemitisch, bisher nicht antisemitische Menschen entwickeln wegen des Unrechts der israelischen Siedlungspolitik eine Abneigung gegen Israel, die der ideale Nährboden für Antisemitismus ist. Kann man diese Ursache-Wirkung-Beziehung wirklich bestreiten?!?

Eine der zentralen Begründungen des „linken Antisemitismus“ ist doch genau das: aus der moralischen, linken Sicht ist die israelische Siedlungspolitik ein so eklatantes Unrecht, dass aus dieser Sichtweise schnell eine vollständige Ablehnung Israels und in einer nächsten Stufe eine vollständige Ablehnung allen, was mit Israel verbunden wird (und somit alle Juden) wird. Ist diese Ursache-Wirkung-Beschreibung wirklich so fernab der Realität für dich? Wie erklärst du dir sonst vor allem das Phänomen des „linken Antisemitismus“?

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Vor wenigen Tagen gab es dazu eine Stellungnahme von Jerzy Montag (Rechtsanwalt, Richter und ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen) in der Zeit:

Ich finde diese Kritik sehr pointiert und gut. Er kritisiert vor allem die zugrunde liegende IHRA-Definition als zu weitreichend und außerdem, dass die Interessen Israels in der Resolution zu stark berücksichtigt werden, wo es aber doch um den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland gehen soll.

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