Atomkraft ja bitte? Eine neues unheiliges Zusammenspiel aus Lobbygruppen, Medien und Politik oder sinnvoll für die Dekarbonisierung?

Wie bei der Einschätzung von Gefährunden, ist unser Gefühl bzw. unsere Einschätzung leider nicht sehr zuverlässig. Atomkraft ist statistisch gesehen eine sehr, sehr sichere Energieform. Sogar sicherer als Windkraft! Von den Fossilen muss man erst gar nicht reden.

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Auch hier gilt allerdings, dass es wichtig ist sich auch die Quellen der Statistik anzuschauen. Was die Zahlen angeht scheint es sich ausschließlich auf Europa zu beziehen. Zumindest der Atomenergieteil bezieht sich aus meiner Sucht hauptsächlich auf diesen Artikel aus 2007 im The Lancet (https://gwern.net/doc/technology/2007-markandya.pdf) welcher wiederum an der relevanten Stelle u.a. jenes Dokument aus 1995 referenziert (https://op.europa.eu/o/opportal-service/download-handler?identifier=d1cb3046-ac75-4442-ae8d-440f4fd380af&format=pdfa1b&language=en&productionSystem=cellar&part=).

Wieso ist das wichtig? Weil es aus meiner Sicht sehr gut sein kann, dass dort nicht alle relevanten Zahlen mit eingeflossen sind. Z.B. wird in dem EU Dokument anscheinend kein Bezug auf die Toten aus Tschernobyl gelegt. Es wird sehr viel mit Beispielen aus Frankreich gearbeitet und Russland, Belarus, Ukraine oder Sovejt Union kommen im Bezug zu Todeszahlen nicht vor (es scheint also, dass diese als zu dem Zeitpunkt relevanter Gau nicht mit eingeflossen sind). Klar sind die Zahlen da schwer zu beziffern, weil viel verschleiert wurde, aber bei der Bewertung der Aussage ist das wichtig zu wissen. Insgesamt werden dort im Kontext Chernobyl wohl nur Strahlenwerte aufgeführt.

Das zweite zitierte Dokument habe ich noch nicht weiter anschauen können. Es würde mich aber wundern, wenn die Zahlen andere sind, da im Artikel auf die Methode des ersten verwiesen wird.

Was nun also wegen der Zahlen wichtig ist: Ja, fossile sind da deutlich schlimmer und was Wahrnehmung und tatsächliche Werte abgeht ist es gerade dort oft so, dass die oft nicht direkt sichtbaren Todesfolgen unterschätzt werden. Aber hinsichtlich der erneuerbaren würde ich zumindest so weit gehen, dass sie da vermutlich doch so deutlich vor der Kernenergie liegen, dass das Sicherheitsargument nicht zieht. Vom Argument sicherer als Windkraft würde ich also absehen, zumal die Werte da auch bei den in der Studie angegebenen Werten statistisch keinen signifikanten Unterschied ergeben sollten.

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Zu den Standardausreden, um die notwendige Transformation hinauszuzögern, gibt es auch ein schönes Poster:

Zur Nebelkerze Technooptimismus und dem von dir ebenfalls erwähnten NIMBYism kommt noch die verbreitete Haltung hinzu, dass die Entfossilisierung gleichsam spurlos erfolgen solle. Alles soll so bleiben, wie es ist, aber die Energieerzeugung soll unmerklich dekarbonisiert werden, was natürlich nicht machbar ist.

Dass sich die Propagandist:innen der Klimaschutzverzögerung in ihren Abwehrreflexen ständig selbst widersprechen, scheint ihren Fans egal zu sein.

Z. B. Friedrich Merz (zit. n. Die Zeit u. Focus):

Wenn wir in den nächsten 10 Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem guten Weg.

[W]ir [dürfen] uns nicht anmaßen, heute politisch zu entscheiden, welche Technologien in 10, 15 oder 20 Jahren die richtigen Technologien sind, damit wir unseren Wohlstand erhalten und damit wir das Klima angemessen schützen.

Wir würden sofort alle stillgelegten Kernkraftwerke wieder ans Netz nehmen.

Mit Physik und Ökonomie hat all das nichts zu tun. Mit manipulativer Kommunikation und dem Ausnutzen psychologischer Schwachstellen hingegen sehr viel.

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Sorry aber das klingt alles etwas konspirativ. Die Zahlen zur Sicherheit sind absolut plausibel wenn man sich anschaut wie hoch dosisraten sein müssen um ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen zu haben (min 20mSv/d, eher mehr) und den Dosisraten die man beim super GAU (Fukushima) abbekommen kann.

Deiner finalen Aussage dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen der Sicherheit von Wind-, Sonnen- und Kernenergie gibt und alle mindestens 10x sicherer sind als Wasserkraft kann ich aber wieder zustimmen :+1:

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Das finde ich in dem Zusammenhang auch immer wieder interessant. Vor dem GAU eines Staudamm-Unfalls scheint es im Vergleich zum AKW GAU relativ wenig Angst zu geben.

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Das soll nicht konspirativ sein, sondern darauf aufmerksam machen, dass kein Abgleich mit den realen Folgen eines Gaus erfolgt ist. Haben sich also die theoretischen Werte in der Praxis bestätigt oder nicht? Für die fossilen und Biogas sind in der Quelle deiner Statistik Bandbreiten angegeben, nur bei Nuklear nicht, was mich etwas stutzig gemacht hat. Danach ist mir dann nur aufgefallen, dass zumindest die realen Folgen aus Tschernobyl nicht mal diskutiert wurden. Methodisch ist da soweit auch alles sauber.

Ich wollte vor allem darauf hinweisen, was nicht darin enthalten ist, un den Wert einschätzen zu können. Wer die Zahl ließt, geht vermutlich wie ich am Anfang davon aus, dass dort auch reale Unfälle auf der Welt mit eingeflossen sind und das ist nun mal nicht der Fall.

Ich fand das Podcast-Teil zu Atomenergie und das Interview auch eher dürftig. Vielleicht bin ich da als Lage-Hörer etwas verwöhnt, aber die das Interview richtete sich offenbar an ein eher uninformiertes Publikum, dem man offenbar auch zu viele Details ersparen wollte. Prof. Hurtado hat z.B. noch nicht mal einen Namen für den Reaktortyp genannt, den er da als „sicher“ angepriesen hat, geschweige denn, dass er die möglichen Nachteile erwähnte.

Bei dem erwähnten, „sicheren“ Reaktoren dürfte er wohl Thorium gemeint haben:

Ich kann aus technischer Sicht zwar nachvollziehen, warum Prof. Hurtado das grundlegende Reaktor-Prinzip als sicher bezeichnet, aber die Umsetzung ist bisher immer gescheitert, weil z.B. das, mehrere hundert Grad heiße, flüssige Salz die Reaktor-Wände angreift. Was nützt also ein theoretisch sicheres Konzept, wenn der Reaktor dann in der Praxis unmöglich zu bauen ist.

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Meinst du diese Statistik?

Da sind die großen Unfälle alle mit drin, steht direkt darunter.

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Und es gibt auch einen ganz konkreten schlechten politischen Grund. Durch die Schuldenbremse und die damit verbundene Haltung werden ineffizientere private Investitionen den möglichen effizienteren staatlichen Investitionen vorgezogen.
Das ist mal ein schönes konkretes Beispiel, wie die Schuldenbremse den Wohlstand mindert.

Mal zur Ausgangfrage Atomkraft, die ja tatsächlich hier im Forum schon lang und breit durchdekliniert wurde…

  1. es gab und gibt ja wohl eine primär politische Entscheidung, das Thema Atomkraft 2024 in Deutschland zu beenden.

  2. Faktisch (soweit ich da auf Stand bin) sind die letzten AKW in Deutschland abgeschaltet und teils zurück gebaut worden.

  3. Ein neues AKW, welcher Art auch immer, wird angesichts der Genehmigungsverfahren und auch der Bauzeit kurz- bis mittelfristig nichts zur aktuellen Energiesituation in Deutschland beitragen.

Soweit einverstanden?

Die aktuell favorisierte Lösung sind Erneuerbare Energien in Deutschland, auch begründet durch den Klimawandel.

Jetzt ist es offenbar kein völliger Konsens in Deutschland, das es einen menschengemachten Klimawandel gibt bzw das dieser gravierende Auswirkungen haben wird.

Daher werden ja auch immer wieder fossile Energieträger wie Gas ins Spiel gebracht (siehe das gestrige TV Duell bei Welt TV, bei dem sich Alice Weidel und Sahra Wagenknecht ziemlich einig waren).

Daher meine Frage:

Wo wollen wir eigentlich energietechnisch hin?
In eine klimafreundliche Zukunft?
Oder wollen wir möglichst billige Energien zur Mehrung des Wohlstandes?
Einen ausgewogenen Mix mit einem langfristigen Ziel (welches?)?

Das wäre für mich tatsächlich interessanter als viele technische Details und Statistiken…

Wie war das Zitat? „Nachdem wir das Ziel völlig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.“

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Ja und wenn du dann in die eigentliche Quelle schaust, dann ist es diese hier:Chart: Which power sources are most deadly? Hint — not… | Canary Media. die wiederum ourwoldindata referenziert: Death rates per unit of electricity production - Our World in Data

Wenn man dort nun genauer nachschaut sind bei Kernkraft zum einen die von mir angemerkten Zahlen benutzt worden (soweit ich es nachvollziehen kann). Das ist eben nicht, wie bei Statista angegeben weltweit und inklusive realen Unfällen.

Anmerkung dazu noch, dass z.B. auch in dieser Quelle auf nukleare Unfälle eingegangen wird: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0959652615009877 (nicht frei einsehbar). Dort werden auch drei nukleare Unfälle mit Todesfolgen verwendet und es werden, der Wert scheint aber nicht in der Statista/ourworldindata Grafik verwendet worden zu sein.

Die Fragen ist verfassungsrechtlich geklärt. Sogar durch das EUGH ist das gedeckt.
Fossile Träger sind ab 2050 nicht mehr erlaubt. Auch CCS wird dann nicht helfen.

Aber auch gesellschaftlich und politisch bezogen auf die Parteien in Deutschland?

Unter additional information about this data steht

We estimate deaths rates for nuclear energy based on the latest death toll figures from Chernobyl and Fukushima as described in our article here: What was the death toll from Chernobyl and Fukushima? - Our World in Data

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Das Thema Atomkraft ist hier im Forum in vielen Threads wirklich ausdiskutiert.
Ich würde die Diskussion gern beenden.
Deutschland hat sich für einen anderen Weg entschieden.

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Bei SMR Kraftwerken wäre auch eine kurzfristigere Realisierung denkbar. Und diese könnten theoretisch auch im Kontext von Erneuerbaren ein Baustein sein.

Sollte es also wirklich in den nächsten Jahren Mehrheiten für einen Wiedereinstieg geben und das Konzept SMR sich als Marktreif erweisen wäre das mein Tipp. Bei Großkraftwerken dagegen wäre die Frage ob nicht das Risiko, dass die Energiewende bis Bauende erfolgreich verlaufen ist ziemlich groß. Da müssten sich dann auch erstmal Investoren finden die das bauen.

Grundsätzlich ist das eine gute Idee. Allerdings wäre es auch einfach möglich, den Ertrag einer Solaranlage zu verdoppeln, wenn man das Dach des Nachbarn auch nutzt. Und so lange noch die allermeistn Dächer mit gewöhnlichen Ziegeln gedeckt sind, die 0% Wirkungsgrad haben, ist es wohl zielführender dort anzugreifen.

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Wäre schön, wenn das Sicherheit bedeuten würde, aber - siehe Klimaschutzgesetz oder auch Feinstaubrichtlinie - reicht die Verfassungstreue gelegentlich nur bis zur Bequemlichkeit einer kritischen Menge an Wähler:innen bzw. deren gewählter Vertreter:innen.

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Ja, nur bleibt da anhand der dort genannten Zahlen komplett unklar wie diese in den Wert der Abbildung eingeflossen sind. Bei den genannten wissenschaftliche Studien ist wenigstens die Methode klar. Aber belassen wir es dabei, ich glaube wir werden uns hier nicht einig werden.

Ich denke zunächst ist es wichtig, die drei wichtigsten Sorten der Nuklearenergie zu trennen.

1. Fusion
Die Fusion könnte, und wird wohl in 100 oder 200 Jahren eine extrem wichtige Energiequelle sein. (vielleicht) Aber für unsere aktuellen (Zeithorizont 5-30 Jahre) ist sie vollkommen irrelevant. Es würde an ein Wunder grenzen vor 2060 ein funktionierendes Fusionskraftwerk in Betrieb zu nehmen.

2. klassische Nukleartechnik
Das sind die Reaktoren wie sie heute gebaut werden. Wenn also heute in der Politik diskutiert wird, ob wir AKWs bauen, finanzieren, zulassen oder fördern sollen, dann wird es im Wesentlichen um die Reaktortypen gehen. Die Reaktortypen (Druckwasser) bergen Grundsätzlich immer noch dieselben Risiken wie Fukushima und Three Mile Island. (Tschernobyl war eine andere Kategorie von Risikoverleugnung.) Die sind heute zwar besser geregelt und besser überwacht. Die Sicherheitsprobleme sind aber im Kern unverändert.

Dazu kommt das Problem mit dem Abfall, das immer noch nicht ansatzweise gelöst ist. (Asse war auch mal eine „Lösung“. Und ich bin überzeugt, dass alle „Lösungen“ die heute angeblich funktionieren, nochmals überarbeitet werden müssen. )

Solche AKW’s zu bauen ist schlicht selbstzerstörerisch.

3. Alternative Nukleartechniken.
Ich denke, hier dürfte man durchaus mehr Offenheit zeigen. Hier gibt es Konzepte die angeblich inhärent sicher sind. Deren Sicherheit also nicht auf einer lückenlosen Überwachung eines unsicheren Zustandes beruht. Was bleibt sind die Probleme mit dem Abfall, die für alle diese Techniken individuell betrachtet werden müssen.

Aber auch hier sind die techniken noch nicht reif genug, dass solche Kraftwerke in den nächsten 5 bis 20 Jahren in Betrieb genommen werden könnten. (Ja, die chinesen bauen einen.) Und das ist auch OK, mal einen Testreaktor bauen. Erfahrungen sammeln mit der Art und der Menge der Abfälle. Aber, da reicht es auch einen Testreaktor pro Reaktionstyp zu bauen. Schliesslich ist jeder dieser Reaktoren spätestens nach dem ersten Testtag radioaktiver Abfall, der auf eine Art, die wir noch nicht kennen entsorgt werden muss.

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