Seit Monaten verfolge ich die Berichterstattung in den Medien über das Comeback der Atomkraft.
Gerade in konservativen Medien, vor allem in der Springer-Presse, vergeht kaum eine Woche, in der nicht die tollen neuen Atomkraftwerke gepriesen werden und Deutschland als Geisterfahrer in Europa dargestellt wird, weil wir ja auf Atomkraft verzichten und alle Länder um uns herum neue AKWs planen (siehe die letzten beiden Ausgaben der Welt am Sonntag).
Gestern erst wieder wurde im FAZ-Podcast für Deutschland der Dresdner Professor für Kernenergie, Antonio Hurtado, interviewt (https://podcasts.apple.com/de/podcast/f-a-z-podcast-für-deutschland/id1494882653?i=1000672064848).
Kleiner Fun-Fact am Rande: In Minute 31:30 Bezeichnet er sich als neutralen Professor;) Das erinnert sehr an Professor Koch, der als Professor für Maschinenbau und als Spezialist für Kolbentechnik in Verbrennungsmotoren gegen die Elektromobilität lobbyiert (Verbrennerverbot in der EU - „Wir sind dabei, die Weltmarktführerschaft abzugeben“ | Cicero Online).
Herr Hurtado betont zwar, dass die Erneuerbaren Vorrang haben, preist aber die neue Technik der „Smal-Modular-Reactors“. Diese seien unverzichtbar für eine Industrienation. Bei Minute 31:55 räumt er zwar ein, dass diese Technik trotz serieller Vorfertigung wahrscheinlich nicht günstiger sein wird als die Erneuerbaren und er teilt die Bedenken hinsichtlich der alten Reaktoren, trotzdem wird meines Erachtens suggeriert, der deutsche Weg sei ein Sonderweg und führe zu hohen Strompreisen und in Folge dessen zu Verlagerungen von Arbeitsplätzen in Länder mit Atomkraft.
Folgende Fragestellungen ergeben sich hier momentan für mich, die ich gerne ausführlich als Themenkomplex von der Lage aufgegriffen sehen würde:
Die Rolle der (konservativen) Medien:
Im Beispiel des FAZ-Podcasts wird wenig bis gar nicht kritisch nachgefragt. Die Fragen nach neuen Rohstoffabhängigkeiten und Entsorgungsproblemen werden nicht gestellt und auch wird Professor Hurtado nicht mit der Tatsache konfrontiert, dass durch Atomenergie weltweit derzeit nur zwei Prozent des Primärenergiebedarfs gedeckt wird (Ulf und Philipp fallen wahrscheinlich noch tausend bessere Fragen ein, die man stellen könnte).
Für mich ergibt sich hier die Frage, ob die Journalisten durch Lobbygruppen beeinflusst werden? Christian Stöcker hat das bei der fossilen Lobby ja sehr schön in „Männer die die Welt verbrennen“ herausgearbeitet.
Stehen hier also wirtschafliche Interessen der Atom-Lobby an erster Stelle oder liegt der Fall ähnlich wie bei H2-ready-Heizungen, dass diese Lobbygruppe als trojanisches Pferd dafür sorgen soll, möglichst lange Zeug zu verbrennen?
Sind die Lobbygruppen und deren Berater eigentlich die gleichen wie bei der fossilen Lobby, bzw. wo gibt es Schnittmengen?
Warum nutzen Journalist:innen die Narrative dieser Lobbygruppen? Weil sie direkt beeinflusst werden oder als nützliche Idioten, die sich dadurch mehr verkaufte Zeitungen versprechen?
Kritisches Nachfragen scheint ja in Talksendungen, Podcasts und Printmedien generell aus der Mode gekommen sein. Liegt das daran, dass die Jounalist:innen nicht können oder hat man Angst, dass wenn man zu kritisch ist keine Interviewgäste mehr zu bekommen?
Die Frage der Technik:
Wie ist der Stand in der Forschung? Taugen die neuen Reaktorkonzepte wirklich dazu, Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft zu produzieren? Können sie eine sinnvolle Ergänzung zu Wind und Sonne sein oder behindern sie deren Ausbau? Sind sie sogar besser für Industrieprozesse geeignet, als die derzeit geplanten Gaskraftwerke, die später auf Wasserstoff umgestellt werden sollen (was ja aufgund der Physik und den Umwandlungsverlusten höchst unwirtschaftlich ist)?
Ist die Technik sicher und produziert sie wirklich viel ungefährlicheren Müll? Können die Reaktoren CO2-neutral gebaut und entsorgt werden? Woher kommt der Brennstoff?
Und nicht zuletzt, wie lange wird es dauern, um diese Fragen zu beantworten und wann ist mit ersten Kraftwerken im Betrieb zu rechnen?