Entweder Antisemitismus oder eine eigene Betroffenheit, die den Blick auf die Tatsachen verklärt. Manchmal auch beides.
Je stärker wir durch einen Konflikt selbst betroffen sind, desto eher sind wir geneigt, „übertriebene“ Positionen einzunehmen. Aus Sicht eines Palästinensers in Deutschland ist es daher ein Stück weit verständlich, wenn er direkt „Genozid“ schreit, wenn er davon hört, dass in Gaza bereits tausende Menschen gestorben sind. Sachlich ist das natürlich falsch, aber sowas kommt in solchen Fällen eben aus der emotionalen Ebene. Derartige übertriebene Darstellungen haben wir eigentlich bei allen relevanten Themen, wenn z.B. Demonstranten in Lützerath sich über „den Polizeistaat“ beschwerten oder - auf der anderen Seite des Spektrums - Corona-Leugner bei jedem kleinen Verbot im Rahmen der Pandemie direkt von einer Corona-Diktatur sprachen.
Mit der Unterstellung des Antisemitismus bin ich daher grundsätzlich eher vorsichtig, ich unterstelle Antisemitismus daher nur, wenn ich mir absolut sicher bin, dass es keine andere nachvollziehbare Erklärung gibt, einfach weil dieser Vorwurf so schwer wiegt (und auch schwer wiegen sollte!). Eine inflationäre Verwendung von Antisemitismus ist mMn auch kontraproduktiv.
Wer daher Israel Genozid vorwirft, dem würde ich erstmal erklären, was Genozid ist und warum das bei Israel nicht der Fall ist. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Er schreit weiter (das spricht dann stark für Antisemitismus) oder er sieht den Fehler ein und mäßigt sich ein Stück weit, zumindest von „Genozid“ runter auf „Kriegsverbrechen“ (über den Begriff kann man diskutieren, wenn man der Meinung ist, dass die Zahl der in Kauf genommenen zivilen Opfer unverhältnismäßig hoch gemessen am militärischen Ziel ist; da wird schon deutlich, wie relativ dieser Vorwurf im Vergleich zum Völkermord ist, da letzterer eben eine Intention zur Auslöschung voraussetzt, die einfach nicht begründet werden kann…)