Anmerkung LdN370: Lösungen zu fehlender Arbeitskraft in Deutschland

Liebes Lage Team,

vorab ein großes Lob und herzliches Dankeschön für Euren tollen und informativen Podcast, den ich vor allem aufgrund Eurer gut recherchierten Einordnungen und Hintergrundinformationen zu aktuellen Themen sehr schätze.

Zu einem zentralen Thema aus Folge 370 hätte ich eine wichtige Ergänzung:

Ihr diskutiert die Problematik der fehlenden Arbeitskräfte in Deutschland und besprecht als Lösung, den Arbeitszugang für Migrant*innen zu ermöglichen/ zu erleichtern und zu entbürokratisieren.

Dieser Punkt ist unbestreitbar richtig und wichtig! Zurecht besprecht Ihr dieses Thema regelmäßig in der Lage wenn immer Migration, in verschiedenem Kontext, thematisiert wird.

Wenn es nun aber als Ausgangspunkt der Debatte um fehlende Arbeitskräfte geht, finde ich die Fokussierung auf die Erleichterung des Arbeitszugangs für Migrant*innen unzureichend.

Sehr viel wertvolle Arbeitskraft (in sämtlichen Lohnsektoren) liegt in Deutschland brach, da ein großer Teil der Bevölkerung (unbezahlte) Fürsorgearbeit leistet und daher in Teilzeit oder gar nicht erwerbsarbeitet. Würde es bessere Betreuungssituationen, weniger steuerliche Begünstigung für das „Ein-Ernährer-Modell“ (bewusst an dieser Stelle nicht gegendert) oder einen Wandel weg von geschlechtsspezifischen Rollenbildern, die Frauen oft (und nicht immer freiwillig) in Fürsorgearbeit binden, geben, würde sehr viel mehr Arbeitskraft zur Verfügung stehen als bisher.

Diesen Aspekt habe ich bei der Diskussion vermisst – empfinde ihn aber im Rahmen einer Suche nach Lösungen auf das besprochene Problem zentral.

Ich freue mich auf viele weitere Podcast Folgen!
Katharina (Lage Hörerin und selbst Podcasterin bei Zweimal 2X)

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Sehe hier ganz wenige Punkte die zu mehr Arbeitskraft führen könnten:

  • Betreuungssituation: kann ein wenig helfen. Aber die zusätzlichen Betreuer sind auch Arbeitskraft.
  • Ein-Ernährer nicht gegendert: du willst Mütter also durch steuerliche Schlechterstellung in Erwerbsarbeit zwingen?
    Und dann nicht gegendert….was hat das jetzt für eine Bedeutung?
  • geschlechtspezifische Rollenbilder: gibts denn mehr Arbeitskräfte, wenn Männer Erzieher sin und Frauen LKW Fahrer?
    Also ja, ein bisschen mehr könnte rauskommen.
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Ich persönlich möchte niemanden zu irgendetwas zwingen.
Viele Elternteile sind jedoch leider gezwungen ihre Arbeitskraft nicht entsprechend auszuschöpfen, da Betreuungsarbeit geleistet wird. Ich denke eine Verbesserung der Betreuungssituation könnte hier mehr als nur ein wenig helfen. Auch, da Kinder in Kitas/ Kindergärten/ Ganztagsschulen ja nicht alleine oder nur mit den Geschwistern betreut werden sondern in ganz anderem Betreuungsschlüssel, der somit vielen vorher betreunden Elternteilen mehr Erwerbsarbeit ermöglicht.

Ein-Ernäher Modell habe ich nicht gegendert, da hiermit tatsächlich meist die Männer gemeint sind und im seltensten Fall die Frauen. Durch Schutzfristen in der Schwangerschaft und Elternzeiten (die zum Großteil immer noch von Frauen getragen werden) entstehen Karriere- und Gehaltsscheren, die leider oft sehr schwierig zu schließen oder aufzuholen sind (dem könnte entgegengewirkt werden, indem Elternzeiten z.B. gleichmäßiger aufgeteilt werden). Unser Steuersystem fördert dieses Ein-Ernäher Modell und damit einhergehende Abhängigkeiten, welches für das Elternteil welches nicht oder wenig erwerbsarbeitet auch negativ auf den Rentenbezug auswirkt.

Zu den geschlechtsspezifischen Rollenbildern (das genannte Beispiel zeigt diese schon sehr plastisch): hier meine ich vor allem die Aufteilung von Fürsorge- und Erwerbsarbeit, die leider keineswegs gleichberechtigt ist, sondern im allersmeisten Fall großteils von Frauen getragen wird (Folgen daraus: s.o).

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Wer mehr als ein Kind hat der wird mir beipflichten dass es alleine mit mehr Betreuungsmöglichkeiten nicht gemacht ist. Aus der Erfahrung mal ein paar Fakten:

  • Die Betreuungsmöglichkeiten Enden meistens ab der 5./6. Klasse.
  • „Ganztagesunterricht“ geht in diesem Alter bis maximal 14/15 Uhr (inklusive Mittagessen).
  • Wer bringt die Kinder zu Sportverein oder zu Freunden die nicht gerade in der direkten Nachbarschaft wohnen? Bestimmt macht das nicht der Kindergarten oder die Schulbetreuung.
  • Großeltern oft selbst Berufstätig / Wohnen zu weit weg / Körperlich nicht mehr in der Lage
  • Kinder sind auch mal krank
  • Ja irgendjemand muss die Kinder auch zu Kita bringen / abholen, morgens die Schulbrote schmieren.
  • Hausaufgaben helfen…usw…
  • Die (Grund-)schulen fordern, heutzutage sehr viel mehr „Mitarbeit“ durch die Eltern ein

Ich kenne keine Familie mit mehr als einem Kind, auch bei einer normalen Betreuung durch Kita/Schule die das mit zwei Vollzeit (ich spreche von einer normalen 40 Std. Woche) arbeitenden Personen schaffen. Es kann auch nicht jeder Homeoffice machen. Viele arbeiten Schicht.

Und zu guter Letzt: Lasst die Familien entscheiden wie sie ihr (Arbeits-)Leben gestalten. Keine Frau die Vollzeit arbeitet ist eine Rabenmutter, keine Frau die nur halbtags arbeitet oder erstmal drei Jahre über die „bezahlte“ Elternzeit hinaus zu Hause bleibt, wird dazu genötigt. Im Gegenteil viele machen das Bewusst.

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Zum Punkt Care-Arbeit:
Diese wird immer noch oft von Frauen in Deutschland geleistet. Jede Frau, aber auch jeder Mann, sollte wissen, Care-Arbeit lohnt sich nicht.
Weder privat, noch in der Pflege, noch im Kindergarten etc.
Frauen wurden in der Vergangenheit durch Care-Arbeit vom Arbeitsmarkt abgehalten, das ist auch ein machtpolitische Komponente.

Die Politik sitzt das Problem weiterhin aus.
Unternehmen scheinen es erkannt zu haben, in der Zeit gab es letzte Woche imho einen Artikel dazu.

Aber ganz ehrlich, wer will es denn unter den aktuellen Umstaenden machen?

Wer sich allerdings Kinder gönnt, muss damit rechnen, dass Kinder das Leben veraendern. Schon jetzt zahlen (ungewollte) kinderlose Menschen mehr bei der Pflege, sie arbeiten aber ggf auch mehr.

Und zum Schluss:
Aus meiner Sicht gibt es keine fehlenen Arbeitskraefte. Es gibt allerdings Unternehmen, die am liebsten keine Kompromisse eingehen wollen, nichts zahlen wollen, aber am besten den Maschine learning Ingenieur fuer lau haben wollen.

Ich habe in meinem Bekanntenkreis aktuell mehrere Leute, die sich in D bewerben. Background: MINT, Programmierkenntnisse, mind. 2 Sprachen, wenn nicht mehr, Doktortitel. Aus Deutschland bekommen sie die meisten Absagen, im Ausland sieht es schon besser aus mit der Anzahl der Interviews.

Wenn dt. Firmen Einhörner suchen wollen, bitte schoen. Wie es in der LdN gesagt wurde, so attraktiv ist D nicht mehr und Fachkraefte sind international mobil.

Hast du Frauen mal gefragt ob sie sich bewusst dafür entschieden haben oder ob sie „machtpolitisch“ „gezwungen“ / „genötigt“ wurden nicht (Vollzeit) zu arbeiten?

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Ich spreche niemandem seine/ ihre Lebensentscheidung ab. Diese werden aber definitiv nicht immer freiwillig und gleichberechtigt getroffen. Allein schon, dass hier nur die „Rabenmutter“ genannt wird, nicht aber Väter…

Tatsächlich habe ich zu diesem Thema schon mit sehr vielen Frauen gesprochen (und bin selbt auch Mutter - übrigens von mehr als einem Kind, wesshalb mir auch die oben genannte Care-Arbeits-Liste nicht ganz fremd ist, abgesehen davon dass dies meines Erachtens nichts mit der Anzahl der Kinder zu tun hat…).
Schade dass es für den Wunsch vieler Mütter nach einer gleichberechtigteren Aufteilung von Fürsorge- und Erwerbsarbeit nicht mehr Verständnis gibt, sondern vielmehr eher eine Art natürlicher Abwehrreaktion und die (zugegebenermaßen etwas absurde) Verteidigung einer scheinbaren Mehrheit an Frauen, die hier als kritisiert dargestellt werden (Stichwort „Triggerpunkte“, womit wir am Ausgangspunkt der Diskussion wären).

Zum Thema mal ein Punkt, der irgendwie immer etwas „ignoriert“ wird: die deutsche Sprache der Dichter und Denker, vielfältig und grammatikalisch komplex.

Wird tatsächlich von vielen Arbeitgebern als relevant betrachtet, und viele Länder, aus denen Flüchtlinge und Migranten kommen, haben Deutsch nicht als erste oder zweite Fremdsprache in der Schule.

Anekdote: ich was letztes Jahr auf einer Jobmesse eines JobCenters, auf der sich Arbeitgeber und vor allem Bildungsträger präsentierten und JobCenter- Kunden sich informieren sollten.

Die Jobcenter Mitarbeiter liefen quasi mit Blanko Bildungsgutscheinen herum. Viele fragten bei uns Bildungsträgern fast schon verzweifelt nach, ob wir BAMF-anerkannte Deutsch-Kurse anbieten.

Ich hatte einen jungen Mann aus der Ukraine im Gespräch, Informatiker, sprach fließend Englisch, aber nur wenige Brocken Deutsch. Bekam daher keinen Job.

Eine 55jährige Lehrerin aus der Ukraine, hat Mathe und Englisch in der Ukraine auf Gymnasialniveau unterrichtet. Sprach Ukrainisch und Englisch, etwas Französisch, aber kein Deutsch. Bekam keinen Job.

30jähriger Schiffsbauingenieur aus Georgien, 2 Kinder, bekam mangels Deutschkenntnisse und fehlender beruflicher Anerkennung in Deutschland keine Arbeit.

Wir haben mal geprüft wie die Voraussetzungen für anerkannte Deutschkurse sind. Hohe Messlatte, das Personal muss man erstmal finden und gegenfinanzieren können.

Und auch die Pflegehilfskraft, die Verkäuferin, der Maurer oder der Friseur muss solide Deutschkenntnisse mitbringen. Kein Betrieb stemmt das nebenbei noch mit (oder sehr wenige).

Ist also auch ein Punkt, in dem wir als deutsche Gesellschaft liefern müssen.

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Also eine Lehrerin sollte schon die Sprache des jeweiligen Landes wo es denn unterrichtet beherrschen. Wir können von Schülern nicht erwarten dass sie bspw. den Mathe Unterricht in Englisch machen.

Bei allen anderen stimme ich zu: ohne sichere deutsch Kenntnisse wird Bereich der hochqualifizierten hier in Deutschland niemand eingestellt. Das kann man auch nicht so einfach ändern.

Ok Asche auf mein Haupt: ja hier nur die Mütter zu erwähnen, war ein Fehler. Meine Grund Aussage bleibt aber gleich: egal wer in der Partnerschaft kürzer tritt, mit zwei Vollzeitjobs bei denen Flexibilität nicht oder nur schwer möglich ist, ist es schwierig mehr als ein Kind, ohne das eine Person beruflich kürzer tritt, zu betreuen. Wer das dann macht sollten die Familien entscheiden und niemand von außen Indoktrinieren.

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Was genau meinst du damit? Es lohnt sich inwiefern nicht und meinst dann sollte man es lieber lassen?

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Das ist alles richtig und kann ich so nur bestätigen.
Anderseits muss man auch erwähnen das entsprechend sinnvolle Betreuungsmöglichkeiten sehr wohl helfen können.
Wenn Ganztagsschulen und als Bildungseinrichtungen verstanden werden und weniger als Aufbewahrungseinheiten dann steckt hier viel Potential drin.
Der Nachmittagssport und anderes über Vereine etc. kann ja integriert werden. Hier kommt es auf gute Zusammenarbeit und ein vernünftiges Konzept an. Wir sind hier noch ganz am Anfang und es wird mit Sicherheit als Aufbewahrung beginnen. Meine Hoffnung ist, das wir lernen es entsprechend zu gestalten damit alle etwas davon haben.

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Ich kenne den genauen Fall nicht, aber gerade in der IT Branche kann ich mir „fehlende Deutschkenntnisse“ nicht als Hindernis vorstellen. Bei uns ist Englisch quasi Umgangssprache.

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Fachlich ja. Aber im Kundenkontakt?
Viele Arbeitgeber wollen die Leute schon sofort einsetzen, aber selten im stillen Kämmerlein.

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Das würdest du nicht sagen, wenn du in letzter Zeit eine halbwegs kompetente Integrations-Kraft für Schule oder Kita gesucht hättest. Hier sind Wartezeiten von 6 Monaten absolut normal, bis einem ein Maßnahmenträger irgendein Angebot machen kann. Ob diese Person dann die fachliche Eignung mitbringt, gut zum betreuten Kind passt usw. steht dann nochmal auf einem anderen Blatt.

Klar, kann man sagen dass das Gehalt nicht hoch genug ist. Aber das ist ja nicht der einzige Berufszweig: Pflegekräfte, Erzieher:innen, usw. sind definitiv zu wenige da, da braucht es entweder massive Zuwanderung oder eine größere Umschulung aus anderen Berufsgruppen – dann gibt es aber wiederum keine Bäckereiverkäufer:innen.

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Absolut. Mein Plädoyer hier soll auch niemanden kritisieren oder gar verurteilen, der oder die Fürsorgearbeit in welchem Umfang auch immer übernimmt.

Ich bin jedoch der Meinung, dass viele dieser Entscheidung (oft sicher auch unbewusst) nicht gleichberechtigt und freiwillig getroffen werden, sondern beeinflusst werden von beispielsweise gesellschaftlichen Rollenbildern oder finanziellen Abhängigkeiten (u.a gefördert durch unser Steuersystem und fehlende Anerkennung/ Wertschätzung von Fürsorgearbeit - z.B. in Bezug auf Rentenbezüge oder Wiedereinstiegsmöglichkeiten in den Beruf).
Ich finde es einfach wichtig, diesen Kontext bei der Entscheidung von Familien wer wieviel Fürsorge- und/oder Erwerbsarbeit trägt nicht außer acht zu lassen.

Mal zum Ärztemangel. Auch hier scheint die Sprache das Kernproblem zu sein

Ich fand die genannten Ursachen im Podcast recht monokausal. Im Wesentlichen wurden Rassismus und die Deutsche Sprache als Gründe genannt. Ich denke, eine international mobile Indische Fachkraft (beispielsweise), wird sicherlich auch die Sprache berücksichtigen, aber ein wesentliches Entscheidungskriterium wird sein, was am Ende des Tages auf dem Konto landet. Mit der enormen Steuern-, und Abgabenlast kann Deutschland leider nicht mit beliebten Expat-Hubs (Schweiz (auch deutschsprachig), USA, Singapur etc.) mithalten.

Hinzu kommt, dass dies auch immer mehr Deutsche dazu bewegt, ins Ausland zu gehen. Mehr als eine Viertelmillion in 2022 (mehrheitlich Akademiker, inklusive mir). Ich verstehe, dass im Podcast die politische Grundausrichtung eher Links ist (ich als eher liberaler, wenig staatsgläubiger Mensch höre ihn bewusst als Gegengewicht zu anderen Medien), aber diesen Punkt kann man nicht einfach unterschlagen. An anderer Stelle im Podcast wurde ja auch wieder eine höhere Belastung für Gutverdienende angeregt, was in diesem Kontext auch nicht förderlich wäre.

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Tja, wenn die Leute da nur auf die einfachen Vergleichszahlen („Umgerechnet wie viel Dollar bekomme ich“) schauen, sieht Deutschland natürlich schlecht aus.

Schaut man hingegen auf den Kaufkraftindex an, sieht es schon wieder ganz anders aus, siehe z.B. hier:

Da steht Deutschland mit 126% plötzlich nur noch minimal hinter der Schweiz mit 127% auf Platz 3 in der EU, deutlich vor z.B. den skandinavischen Ländern. Warum? Weil in Deutschland nahezu alles unglaublich günstig ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern.

Deutschland ist da mMn deutlich besser als sein Ruf.

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