Aiwanger: Skandal um antisemitisches Flugblatt - Unschuldvermutung

Das ist der Punkt, der im Zentrum des öffentlichen Interesses steht.
Ich kann mich sehr wohl auch namentlich an Klassenkameraden erinnern, die zu meiner Schulzeit
vermeintlich witzige Hitler-Imitatoren gaben und es waren auch Hitlergrüße dabei, keiner bekleidet heute ein Amt, wo er medial in Erscheinung getreten ist, deswegen hat es gut 30 jahre später keine Relevanz.

Bei Aiwanger ist eben genau das Gegenteil der Fall und er ist eben nicht für eine versöhnliche Art bekannt. Ich halte ihn für eine verbalen Brandstifter, der allerdings ganz genau weiß (zumindest in der Gegenwart), wo die Grenze zum strafbaren liegt. Auch wenn er in seinem Auftreten den etwa lauten einfältigen mimt, geh ich davon aus das ist Kalkül um eben entsprechende Wählergruppen anzusprechen. Man sollte ihn keinesfalls für dumm halten.

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Deshalb genügt mir auch nicht zu sagen „damals waren solche Witze eben üblich“ oder „Jugendsünde“. Es gibt Dinge, die sind seitdem inzwischen verpönt und manche Witze aus jener Zeit würde man aus gutem Grund so heute nicht mehr reißen. Die Gesellschaft ändert sich und man kann Aussagen in ihrem zeitlichen Kontext bewerten und entschuldigen.

Aber auch zu meiner Schulzeit konnte man in den 80ern schon kein ironischer Nazi mehr sein.

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Ich glaube die Sichtweisen der einzelnen Diskussionsteilnehmer hier sind klar geworden.

Aus echtem Interesse eine Frage an diejenigen, die sich hier klar Contra Aiwanger, bzw. Pro-SZ geäußert haben: habt ihr kein Störgefühl dabei, Geschichten von vor 35 Jahren auszugraben, noch dazu aus der Schulzeit?

Vielleicht sollten wir als Gesellschaft ein paar informelle regeln aufstellen, wie man mit sowas umgehen sollte. Bei der heutigen Omnipräsenz von Handys und Social Media wird ja im Prinzip deutlich mehr und hochwertiger dokumentiert, also werden solche Fälle in Zukunft vermutlich öfter auftreten.

Die Fragen die sich aus meiner Sicht stellen, sind folgende [meine persönliche Einschätzung in eckigen klammern]:

  • gibt es eine politische „Verjährung“ und falls ja, wie lange ist sie und ist sie gestaffelt nach Schwere der „Verfehlung“?
    [alles was älter ist als ~10 Jahre interessiert mich intuitiv wenig]

  • inwieweit sollte es eine Rolle spielen, ob jemand zu der Zeit der „Verfehlung“ minderjährig war?
    [hier würde ich eine harte Grenze ziehen - keine öffentliche Berichterstattung über die Verfehlungen minderjähriger]

  • muss ein direkter Zusammenhang zwischen der „Verfehlung“ und konkretem Handeln oder Äußerungen in der näheren, aktiven Vergangenheit des Politikers geben?
    [das ist für mich zentral]

  • sollten andere Politiker diese Beschuldigungen aufnehmen (und ggf. Konsequenzen ziehen) oder sollte es rein auf der Ebene Journalismus → Wahlentscheidung verbleiben?
    [hier neige ich zu letzterem, ersteres sollte aber nicht ausgeschlossen, aber extremen Fällen vorbehalten sein]

Ich denke anhand dieser Dimensionen kann man auch die einzelnen Teilnehmer dieser Diskussion ganz gut einordnen. Je nachdem wo man bei der Beantwortung dieser Fragen steht, wird man auch den Fall Aiwanger unterschiedlich einschätzen.

Was meint ihr, brauchen wir einen Knigge für den Umgang mit lange vergangenen „Verfehlungen“?

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Nein, der Verfasser der Schülerarbeit hat das Flugblatt von einem Lehrer bekommen.

Das allerdings ist schon was anderes. Darüber hatte die SZ m.W. nicht berichtet.
Allerdings müsste da den Kontext wissen, um dieses irritierende Verhalten wirklich einordnen zu können.

Ich glaube, es weniger um Verjährung als darum, nach 30 Jahren einem Menschen aus seinem Verhalten als 16-jähriger einen Strick zu drehen. Ich kann mich an so manches erinnern, was ich als 16jähriger aus Naivität, Unbedachtheit, Spontanität oder „Beweisen gegenüber der Peergroup“ gemacht habe, dass ich meinem Sohn heute nicht anempfehlen würde.

Wer vor 20 Jahren als gefestigter Erwachsener eine zweifelhafte Haltung demonstriert hat, muss sich schon fragen lassen, wie er heute dazu steht.

Ich glaube zudem immer noch auf die 2. Chance, die man Menschen geben muss.

Aiwanger, den ich für einen üblen Populisten (aber nicht für einen Antisemit und auch nicht für einen Rechtsextremen halte), würde ich diese 2. Chance in Bezug auf Populismus und auch in Bezug auf Rechtsextremismus nicht mehr zubilligen. Aber in Bezug auf Antisemitismus gibt es nach meiner Faktenlage keinen Beleg (dass er in der Coronazeit Verschwörungserzählungen geschwurbelt hat ist kein solcher Beleg!)

Das kann er doch nur, wenn er der Täter ist. Das wissen wir alle nicht!

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Wer trotz falscher Entscheidungen in der Jugend seine Reputation bewahren möchte mit der Argumentation, dass diese Entscheidung heute als falsch betrachtet wird, sollte das offen und ehrlich aufarbeiten und nicht versuchen, sich mit widersprüchlichen Aussagen (ergo Lügen) zu vertuschen.
Sonst leidet zumindest die Reputation der Aufrichtigkeit.

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Genau das ist bei Aiwanger absolut gegeben und der Grund wieso das Thema relevant ist.

Nein brauchen wir nicht da es gerade hier bei diesem sehr üblen Thema kein Problem gibt.

Es ist erst durch Aiwangers deutliches Rechtsdrall mit dieser demokratiefeindlichen Rede relevant geworden, ansonsten wäre es wohl nie aufgepoppt wie @AlexS sehr richtig zeigt.

Es geht hier um Volksvertreter und da sind üble Verfehlungen immer relevant, insbesondere wenn das heutige Verhalten auf eine nicht veränderte Weltsicht schließen lassen kann. Es war auch richtig, dass der fragwürdige Annäherungsversuch von Kubicki an die viel jüngere Silvana Koch-Mehrin publik wurde, damit jeder weiß welches Frauenbild Vize der FDP hat.

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Unterliegst Du hier nicht dem irrigen Reflex „Antisemit = Nazi/Rechtsextremer“?
Es sind durchaus Antisemiten denkbar, die keine Diktatur oder auch eine linke Diktatur anstreben.

Willst Du einmal den sachlichen Zusammenhang zwischen Aiwangers unsäglicher populistischer Agitation und einem (mutmaßlichen!) Antisemitismus verdeutlichen?

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Söder hat gestern in der PK gesagt, dass nichts mehr dazukommen darf. Das ist mit den Informationen des Mitschülers heute geschehen.
Wenn Söder zu seinen Worten stehen will, muss er ihn entlassen.

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Jeder, der sich mit etwas mit Antisemitismus beschäftigt, weiß, dass es auch linken Antisemitismus gibt.
Das spielt in diesem Fall aber keine Rolle.

Aiwanger steht eindeutig mit einer antisemitischen Nazi-Hetzschrift in Zusammenhang. Da ist es kein „irriger Reflex“ seine heutigen Aussagen in dem Zusammenhang einzuordnen.

Er ist ja nicht dadurch aufgefallen, das er in einem DKP-Heftchen die Zerschlagung des internationalen Finanzjudemtums gefordert hat.

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Steht doch im Artikel, dass das Flugblatt zirkuliert ist:

Er schrieb: „Als Negativbeispiel, wie sich andere Jugendliche derselben Altersstufe mit dem 3. Reich beschäftigen, sei nicht verschwiegen ein Flugblatt, das in Schulklos zirkulierte und von der Schulleitung rechtzeitig kassiert wurde.“

Doch hat sie. Bereits in der Ausgangsrecherche wird berichtet, dass Hubert Aiwanger als Imitator von Hitler-Reden bekannt war. Lesen wir unterschiedliche Süddeutsche Zeitungen?

Es ist denke ich auch relevant, dass die Kritik an Aiwangers aktuellem Verhalten (!) innerhalb der jüdischen Gemeinden besonders stark ist. Hier nur ein Beispiel stellvertretend für viele:

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Aber das ist doch der Punkt: das heutige Verhalten legt in keinster Weise nahe, dass seine Weltsicht dem des Flugblattes entspricht. Auf die Idee kann man nur kommen, wenn man alles rechts der CDU in einen großen, undifferenzierten „Nazi-Topf“ wirft.

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Nein. Wie bereits dargestellt, sein Verhalten kann nicht als Jugendsünde oder „früher war das halt so üblich, man muss das aus der damaligen Sicht bewerten“ entschuldigt werden.

Er hat seitdem keine für mich erkennbare Wandlung zu einem gemacht, der sein früheres Verhalten in Frage stellt, sich dafür entschuldigt oder sich klar öffentlich gegen rechtsextreme Haltungen stellt.

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Ich will mich hier jetzt gar nicht auf irgend eine Seite direkt stellen, aber vielleicht mal meine Ansicht zu der Frage. Zunächst mal, jeder verdient eine zweite Chance. Das heißt nur, weil man irgendwann mal einen Fehler begangen hat heißt das nicht, dass man sich nicht doch noch ändern kann.
Dann zur Frage, sollte man überhaupt solche alten Sachen ausgraben. Ich find das hängt von der Situation ab. Sagen wir mal ein Teenager denkt er sei witzig und macht den Hitlergruß, wird dabei fotografiert und Jahre später taucht dieses Foto auf. Dann würde ich sagen, darauf muss man nicht rum reiten, Teenager begehen halt Dummheiten. Bei einem antisemitisch Flugblatt ist das denke ich etwas leicht anderes. Nicht jeder Teenager verbreitet mal eben so Flugblätter (oder war das vor 35 Jahren gerade der heiße Scheiß?) Da muss dann schon etwas mehr Gedanken reingeflossen sein, als man macht mal spontan einen Witz. Dann kommt es auf das Ereignis im Kontext der Person an. Beispiel Olaf Scholz schien in seiner Juso Zeit ziemlich weit links gewesen zu sein und heute ist er eher konservativ. Wenn jetzt jemand kommen würde und Olaf Scholz aufgrund eines 30 Jahre alten Textes als kommunist bezeichnen würde, wäre das eher absurd. Auf der anderen Seite, nehmen wir an, wir haben einen neu aufkommenden AFD Politiker, dessen einziger öffentlicher, politisch relevanter Eintrag den man finden kann ist, dass er vor 20 Jahren Mitglied einer Nazivereinigung war, dann ist es denke ich durchaus legitim oder sogar notwendig, rauszufinden, ob er dieses Gedankengut immer noch pflegt oder in den letzten 20 Jahren abgelegt hat.
Also…: Ich halte es für falsch zu sagen, er sei unwählbar, weil er dieses Flugblatt vor zig Jahren verfasst hat (wenn er es denn verfasst hat) Auf der anderen Seite, falls es Hinweise darauf gäbe, dass Aiwanger derzeit noch ein Antisemit ist, würde ich dieses Flugblatt als ein kleines Puzzlestück sehen. Oder dieses Flugblatt könnte Anlass sein, nochmal genauer nachzuverfolgen, ob Aiwanger wirklich mittlerweile seine Einstellung geändert hat. 35 Jahre sind nämlich auch keine Garantie dafür, dass jemand seine Meinung ändert.

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Komm mal raus aus deiner Opferecke! Der Zusammenhang ist das hier:

Buh-Desaster für Söder: So radikal Querdenken war Erding - Volksverpetzer

Ich glaube sogar, Söder wäre es im Nachhinein lieber, dort nicht aufgetreten zu sein.

Aber Aiwanger dreht komplett frei und hetzt dort den Mob auf. Von seinem Demokratieverständnis ganz zu schweigen. Mir ist es eiskalt den Rücken runtergelaufen.

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Reden imitieren ist nicht das Selbe wie beim Betreten des Klassenzimmers den Arm hochzustrecken. Daher ist das doch was neues.

Wer legt das denn nahe? Ich habe hier noch nirgends gelesen, dass die SZ oder ein Forumsteilnehmer verkündet, Aiwanger sei offensichtlich ein Hardcore-Antisemit.

Eine ebenso ehrlich gemeinte Gegenfrage: Was ist denn das grundsätzliche Problem daran, dass Medien Vorgänge recherchieren und publikmachen, die schon längere Zeit zurückliegen?

So wie ich es verstehe, ist das Flugblatt in der Argumentation der SZ (und anderer) nur ein Indiz dafür, dass Hubert Aiwanger als Jugendlicher offen rechtsextreme und antisemitische, bis hin zu neonazistischen Haltungen hatte und diese auch zum Ausdruck brachte. Dafür sprechen auch die von @less_ink hier zusammengetragenen Quellen. Bei der Einordnung hilt m. E. auch dieses Interview mit dem Rechtsextremismus-Experten Gideon Botsch.
Angesichts von Aiwangers aktueller antidemokratischer Haltung (Stichwort Erdinger Rede), die starke Übereinstimmungen mit rhetorischen und ideologischen Mustern der neuen Rechten aufweist, stellt sich doch die Frage, inwieweit Aiwanger jemals mit seinen damaligen Haltungen gebrochen hat bzw. inwieweit er seine damalige rechtsextremes Gesinnung lediglich an den Zeitgeist angepasst hat (ähnlich wie es z. B. für diverse Politiker der österreichischen FPÖ nachgewiesen wurde). Da es um einen stellvertretenden Ministerpräsidenten geht, ist das m. E. eine nicht ganz irrelevante Frage. - 1/2

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Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang Aiwangers Reaktion auf die Vorwürfe. Zwar hat er sich formal vom Inhalt des Flugblatts distanziert, aber er hat sich in keinem Punkt kritisch über sein eigene damalige Haltung geäußert. Stattdessen behauptet er, sich nicht zu erinnern, gibt ein überspezifisches Dementi ab, gibt nur zu, was ihm bereits nachgewiesen wurde (auch wenn er genau das vorher bestritten hat) - sprich er laviert in schlimmster Politiker-Manier. Aber vor allem wittert er eine „Kampagne“ gegen sich und macht Stimmung gegen jene, die angeblich dahinterstecken. Damit sagt er de facto: Die Kritik an rechtsextremen Einstellungen ist eigentlich ein größeres Problem als diese Einstellungen selbst. Und das kommt natürlich in bestimmten Bevölkerungskreisen gut an. Daher ist durchaus die Frage, ob es strategisch klug war, dieses Thema vor den Wahlen so aufzumachen. Aber dass es grundsätzlich legitim und wichtig ist, finde ich offensichtlich.

Natürlich geht es hier um die Person Aiwanger, aber auch sie steht letztlich nur für die Kontinuität eines rechtsextremen Mileus, das sich eben im Osten in den 1990ern in Form der sogenannten Baseballschlägerjahre äußerte und in Bayern (und anderswo in der BRD) in den späten 1980ern in „Witzen“ über die Schoah. Beiden gemein ist, dass Konservative (also „normale“ Rechte) davon in der Regel nichts wissen wollten, nicht drüber redeten und es oft auch aktiv deck(el)ten- so offensichtlich auch im Fall des Flugblatts, wo Schulleitung und CSU-Bürgermeister die Sache unter den Teppich kehren wollten (Quelle).

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Passend dazu sein erster Tweet seit 5 Tagen:

#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger

https://twitter.com/HubertAiwanger/status/1696790163119075373

Das unterstreicht einfach @Veche Aussage

Es wird echt sehr interessant was Söder und die CSU jetzt machen. Die Koalitionsoptionen haben sie sich in Bayern selbst weggenommen („ich möchte eine bürgerliche Koalition in Bayern eindeutig behalten. Und ich möchte keine Grünen in der bayerischen Staatsregierung.“ Quelle). Wenn das so weitergeht und Aiwanger Chef der Freien Wähler bleibt, dann ist eine erneute Koalition fast nicht vermittelbar.

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Wenn sie derart krass mit den moralisch-ethischen Fundamenten unserer Gesellschaft brechen? Nein, im Gegenteil. Menschenfeindlichkeit verjährt nicht. Tätige Reue und glaubhafte Distanzierung (und zwar nicht erst nach Aufdecken, sondern schon im Zeitverlauf) haben mildernde Auswirkung.

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Nicht ganze, er hat ja in der Rede nach dem Koalitionsausschuss explizit betont, dass eine Koalition nicht von einer Person abhängig ist.
Söder ist darin geschickt, sich selbst Türen zu öffnen, auch wenn es heißt das Aiwanger die Freien Wähler ist, werden die wohl auch ohne Aiwanger mit der CSU koalieren.