Quellen zu Ost-West-Unterschieden im Wahlverhalten

Liebes Lage-Team,

da im Podcast ja um Studien gebeten wurde, die das unterschiedliche Wahlverhalten zwischen Osten und Westen erklären, sei zunächst auf methodisch ordentliche empirische Studien, die insb. das bessere Abschneiden der rechtsextremen AfD im Osten erklären können, verwiesen.

Zu nennen sind hier zuvorderst die Mitte-, z. T. später dann Autoritarismus-Studien des IKG der Universität Bielefeld und des EFBI der Universität Leipzig.

Langfristig zeigt sich eine immer schon höhere Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen seit Anfang der 2000erjahre.

Es ist also zunächst die Langfristigkeit des Phänomens festzuhalten.

Dass man das Sonderproblem größerer Verbreitung (Stichwort: Baseballschlägerjahre) lange nicht anging (Biedenkopfs wiederholte Rede von der sächsischen Immunität ggb. Rechtsextremismus Anfang der 2000er und dann noch mal 2018 im Zeit-Interview), mag sicher auch nicht zum Abbau desselben beigetragen haben. Lt. der sozialpsychologischen Kontakt-Hypothese von Allport verringert Kontakt (zumindest unter bestimmten Bedingungen) tendenziell Vorurteile. Solchen Kontakt gab es zu DDR-Zeiten kaum zu Menschen anderer ethnischer Herkunft, die Vertragsarbeiter waren häufig kaserniert. Das würde dann auch zumindest einen Teilbefund der letzten Mitte-Studie (Zick et al. 2023) erklären:

„Gegenüber den Vorjahren bleibt der generelle Unterschied zwischen Befragten aus Ost- und Westdeutschland unverändert. Dabei geht die Angabe, überwiegend im Osten aufgewachsen zu sein, durchgehend mit häufigerer Zustimmung zum kulturellen (41 zu 28 %) wie auch klassischen Rassismus (19 zu 7 %), zum Antisemitismus (15 zu 8 %), zum Hetero-/Sexismus (15 zu 11 %) und Klassismus (23 zu 16 %) einher.“

Bemerkenswert ist hier, dass der Ort des Aufwachsens den Unterschied macht, nicht der aktuelle Wohnort.

Teile des Problems liegen womöglich noch länger zurück:

„Der Historiker Davide Cantoni hat Wahlergebnisse in 11.000 Gemeinden untersucht. Sein Ergebnis: Es gibt eine Kontinuität in der Vorliebe für extrem rechte Parteien.“

Diese Kontinuitätshypothese wird auch anderweitig gestützt:

„Auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigen wir, dass aktuelle AnhängerInnen der AfD – die also dieser längerfristig zuneigen – vorher in substantiellem Maße frühere Parteien der extremen Rechten, wie NPD, DVU oder Republikaner, unterstützt haben oder in Elternhäusern mit solchen Parteiidentifikationen aufgewachsen sind. Wir konstatieren somit eine intraindividuelle und intergenerationale Kontinuität in der Anhängerschaft von Parteien der extremen Rechten in Deutschland […].“

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Sozial kleinräumliche Faktoren spielen jedenfalls wohl auch eine Rolle:

„Ostdeutsche Regionen, in denen moderne Lebensformen nicht toleriert werden und ein geringes Vertrauen gegenüber Medien oder politischen Institutionen (Stichworte: „Lügenpresse“, „Volksverräter“) besteht, weisen systematisch höhere AfD-Stimmanteile auf. In Westdeutschland gehen dagegen eher konservative Werte […] sowie ein stärkeres Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit […] mit höheren AfD-Stimmanteilen einher. Keine Rolle spielen in beiden Landesteilen dagegen die Stärke sozialer Netze vor Ort, das Vertrauen in Mitmenschen, gesellschaftliche Teilhabe oder auch das materielle Gerechtigkeits- und Solidaritätsempfinden. Die AfD-Ergebnisse in Ostdeutschland sind also weniger Ergebnis eines gefühlten sozialen oder wirtschaftlichen „Abgehängt-Seins“ als vielmehr Ausdruck einer niedrigeren Toleranz gegenüber modernen Lebensformen und einer höheren Skepsis gegenüber Politikern.“

Und neben hegemonialer Xenophobie wohl auch eine Neigung zum Autoritarismus. Über die letzte Studie von Decker et al. 2023 heißt es zusammenfassend beim EFBI:

„Die Studie ergab außerdem eine hohe Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen in den ostdeutschen Bundesländern. Chauvinistische und ausländerfeindliche Aussagen würden nur von einer Minderheit der Befragten abgelehnt, betonten die Projektleiter. […] Ausgeprägt sei die Zustimmung in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Hier ist damit das Potential für extrem-rechte und neonazistische Parteien, Wähler zu finden, besonders hoch. Jeder zweite wünscht sich eine ‘starke Partei‘, die die ‚Volksgemeinschaft‘ insgesamt verkörpert. Statt pluralistischer Interessensvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht“, erläuterte Brähler. Decker fügt hinzu: „Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit.““

Autoritarismus, das weiß man im Grunde schon seit den ersten, methodisch noch nicht sonderlich ausgereiften Studien von Adorno et al. hat auch eine Persönlicchkeitskomponente (insb. niedrige Werte bei Offenheit (für neue Erfahrungen) im OCEAN-Modell). Den Forschungsstand hat die Psychologin Stenner in folgendem Essay (auch mit Blick auf Europa) ganz gut zusammengefasst:

Das weit überproportionale Wählen der rechtsextremen AfD im Osten der Republik ist sicher nicht monokausal zu erklären, aber einige Puzzlestücke greifen ineinander.

Da im Podcast auch die Ländlichkeit angesprochen wurde, sei noch auf folgende Datenlage verwiesen:

„Bei den politischen Einstellungen in Europa werden die Unterschiede laut einer neuen Studie immer größer. Und: das hat offenbar viel damit zu tun, wo man lebt. Die Forschenden hinter der Studie haben die sozialen und politischen Ansichten von Menschen aus 30 europäischen Ländern untersucht, zwischen 2002 und 2018. Dabei kam heraus: In den Großstädten sind die Menschen eher linksliberal eingestellt, das nimmt aber ab, je weiter man sich von urbanen Gebieten entfernt. Von den Großstädten über die Vororte, Kleinstädte und Dörfer bis aufs platte Land werden die politischen Ansichten tendenziell immer konservativer und das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und etablierte Parteien sinkt.“

Auch diese Diskrepanz lässt sich differentialpsychologisch anhand des Persönlichkeitsmerkmals Offenheit erklären. Menschen, die offener für neue Erfahrungen sind, suchen sich tendenziell Lebensumgebungen, die diesbezüglich viele Anregungen bieten. Sie ziehen also vom Lande häufiger in größere Städte, da sie dort ein vielfältigeres Input bekommen. In Zeiten verstärkter Mobilität führt das dann langfristig zu einem größeren Stadt-Land-Unterschied, den man rund um den Globus beobachten kann.

Hoffe, zur Klärung etwas beigetragen zu haben.

LG
Bent

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Zu den DDR-Vertragsarbeitern ist noch Folgendes anmerkenswert:

„Die Arbeitsmigrantinnen lebten meist auf sehr engem Raum in gesonderten Wohnheimen und waren somit von dem Rest der Gesellschaft abgegrenzt. Die DDR-Regierung wollte den Kontakt zwischen den eigenen Bürgerinnen und den Arbeitsmigrant*innen verhindern und hielten somit jede Information über sie zurück. Die Aufenthalte der „Vertragsarbeiter“ wurde strikt auf eine Zeit von zwei bis fünf Jahren beschränkt, der Nachzug von Familienangehörigen war generell verboten. Bis 1988 drohten Frauen bei Schwangerschaften eine direkte Abschiebung. Die einzige Alternative zur Abschiebung war eine Abtreibung. Bei fortgeschrittener Schwangerschaft wurden die Frauen aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit zur Abschiebung verpflichtet. Der Staat ergänzte den Grundsatz „DDR-Bürger und Ausländer genießen die gleichen Rechte“ mit einer Verordnung, die besagte, dass Genehmigungen ohne Begründung entzogen, begrenzt und genehmigt werden können. Eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft war somit für viele der ausländischen Arbeitskräfte nicht möglich. Rassismus war so auch in dem sozialistischen Staat ein großes Thema im Alltag.“

Das widerspricht sozusagen ein gutes Stück den Bedingungen aus Allports Kontakt-Hypothese:

Hier eine Lektüreempfehlung:

Es geht zwar nicht spezifisch um ostdeutsches Wahlverhalten, kann aber helfen zu verstehen, warum es weiterhin eine Ost-West-Trennung in allen gesellschaftlichen Bereichen gibt.

Dass Oschmanns Polemik dazu führt, dass Fortschritte gemacht werden, wage ich zu bezweifeln. Sicher ist es wichtig, unterschwellige oder weniger unterschwellige Diskriminierung von Neufünfländern abzubauen. Jammer-Attitüden oder eben auch das durch nichts entschuldbare Wahlverhalten eines erheblichen Teils der Bevölkerung mit DDR-Migrationshintergrund tragen allerdings nach meinem Dafürhalten auch nicht gerade dazu bei, bei Westdeutschen Wohlwollen zu erzeugen.

Mir tun v. a. diejenigen leid, die sich im Osten zivilgesellschaftlich und gegen Rechts engagieren, denen aber immer wieder durch allerlei Kontraproduktives in die Hacken getreten wird.

Oschmann verschweigt zum Beispiel, dass die DDR-Bürger zu dieser Entmündigung zumindest indirekt beigetragen haben. Während sich der Kern der friedlichen Revolutionäre eine gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der beiden deutschen Staaten gewünscht hätte, wollte die Mehrheit möglichst schnell den Westen.
Ist Ostdeutschland eine westdeutsche Erfindung?

Das ist der Jammer. Die Revolutionäre sind immer willkommen, wenn ein Umsturz vorangetrieben soll. Die Neuordnung machen dann aber die anderen - meist die, die davor schon in Führungspositionen waren. Denn sie haben die Bildung, den Einblick und die Netzwerke.

Zur sog. Selektiven Migrationshypothese gibt es eine wohl recht robuste Studie mit Daten aus der Ukraine, die belegt, dass Offenheit zu vermehrter Migration vom Land in die Großstadt führt: