Der NDR hat E-Mails veröffentlicht wonach das BMBF rechtliche Schritte und Kürzung von Fördermitteln gegen Professoren prüfen wollte, die sich offen gegen die Räumung ausgesprochen hatten:
Aus dem Mailtext:
Gegen diesen offenen Brief hat sich unsere Leitung positioniert.
XXX (Mitglied der Leitung des Ministeriums)* hat nun gebeten,
1)Um eine juristische Prüfung einer etwaigen strafrechtlichen
Relevanz der Aussagen in den offenen Brief.
2)Um eine förderrechtliche Bewertung, inwieweit vonseiten des BMBF
ggf. förderrechtliche Konsequenzen (Widerruf der Förderung etc.)
möglich sind.
Vielleicht gibt es ja im Forum Leute, die sich etwas besser mit BMBF-Förderung auskennen, aber aus meiner Zeit als WiMi kann ich mich spontan nicht an besondere Vorgaben, die über das normale BGB/StGB hinausgehen, erinnern.
Insofern kommt einem das alles wie ein politisch gewollter Maulkorb vor, der Uni-Professoren mit unbequemer Meinung hinsichtlich Nahost-Konflikt mundtot machen soll. Insbesondere für die Ministerin einer Partei, die das Wort Freiheit im Namen führt, ist das ein ziemlich trauriger Vorgang.
Offenbar muss jetzt eine Staatssekretärin dafür den Hut nehmen:
Plötzlich heißt es auch zu dem offenen Brief:
Nichtsdestotrotz wurde der Eindruck erweckt, dass die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen auf der Basis eines von der Meinungsfreiheit gedeckten offenen Briefes im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erwogen werde.
Nach den ganzen früheren Äußerungen von Frau Stark-Watzinger zu den Protesten kommt einem das jetzt wie ein Bauernopfer vor.
Moment, was passiert hier grad. Innerhalb des Ministeriums wurde ein Prüfauftrag erteilt. D.h. auf Fachebene sollte jemand eine Stellungnahme schreiben - Ergebnis offen. Das führt jetzt zu einer Entlassung. M.E. ist nicht die Prüfung der Skandal, sondern der Fakt, dass hier Frau Stark-Watzinger eine ihr offenbar unliebsame Person über die Öffentlichkeit entsorgt. Die Skandalisierung ist lächerlich.
Mir kommt es in der Diskussion auch zu kurz, dass es um interne Überlegungen ging, nicht um ein öffentliches Auftreten oder gar tatsächliche Konsequenzen. Dazu Folgendes: Wer glaubt, dass bei der Forschungsfinanzierung ausschließlich wissenschaftliche Kriterien eine Rolle spielen, lebt aus meiner Sicht hinter dem Mond. Zu dem Offenen Brief ist zu sagen, dass er eben nicht nur für Meinungsfreiheit aussprach, sondern angesichts von seit Monaten andauernden und zum Teil antisemitischen Protesten, bei denen u. a. offen ein Ende Israels gefordert wurde, aufgrund derer viele jüdische Studierende sich nicht mehr in der Lage waren, ihr Studium fortzusetzen und aus deren Umfeld es auch körperliche Angriffe auf Juden gab explizit ein Ende strafrechtlicher Verfolgung forderte. Außerdem gibt es beim BMBF, wie so ziemlich bei jedem öffentlichen Geldgeber, bestimmte Zuwendungsrichtlinien. Angesichts dieser Lage würde ich nicht davon ausgehen, dass allein die Idee, deren Einhaltung überprüfen zu lassen, schon ein Skandalon ist. Zudem gab es in diesem Fall ja unmittelbar eindeutige Kritik direkt aus dem Ministerium. Nur im Missverständnissen vorzubeugen: ich halte die Ministerin für komplett inkompetent und denke auch, dass es in dieser Sache einiges an ihrem Vorgehen zu kritisieren gibt, aber a) so zu tun, als würde es solche „Prüfaufträge“ sonst nicht geben und als seien sie b) dasselbe wie die Umsetzung dessen was erst noch geprüft werden soll und als gäbe es hier c) gar keinen Anlass für eine Prüfung ist aus meiner Sicht überzogen.
Nur um Missverständnissen vorzubeugen, wie stehst du zu einem Prüfauftrag, der wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen der Israelis Fördermittel für Projekte mit israelischen Hochschulen hinterfragt?
Ja das stimmt. Aktivisten können so etwas auch fordern. Genauso wie sie gutes Wetter für alle, Freibier und ewiges Leben fordern können. Niemandem ist verboten dumme Dinge zu sagen oder zu fordern, wovon definitiv beide Seiten einigen Gebrauch machen.
Das ist aber etwas anderes als eine staatliche Institution.
Über die Mittelvergabe für Forschungsvorhaben haben Gremien aus Fachwissenschaftlern zu entscheiden, nicht eine Staatssekretäre im Eifer nach juristischer Prüfung. Sonst verkommt Wissenschaft ganz schnell zum Erfüllungsgehilfen, denn man will es sich nicht verscherzen.
Wenn ich aber nicht nur demonstriere, sondern durch besetzen der Hochschule Druck ausübe, sieht die Sache schon anders aus.
In Irland ist eine Universität bereits eingeknickt und hat den Forderungen nachgegeben, weil der wirtschaftliche Schaden durch die Demonstranten zu groß wurde.
Das sehe ich anders. Wie oben vom BMBF selbst eingeräumt, ist der Brief von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wäre das nicht so, dann läge die Sache anders. Aber das hat, nach meinem Verständnis, nicht das BMBF zu prüfen, sondern andere Stellen. Und ich finde erst wenn es juristisch sicher belegt ist, dass so ein offener Brief antisemitische Inhalte enthielte, dann könne das BMBF weitere Schritte prüfen. Das wäre mMn ein sauberer Weg gewesen. Aber dafür ist der politische Druck auf Deutschland, speziell aus den USA wohl zu groß, gerade bei der FDP.
Welche „anderen Stellen“ wären denn deiner Meinung nach besser geeignet zu prüfen, ob Leute, die Fördergelder vom BMBF erhalten haben, eventuell gegen Förderrichtlinien des BMBF verstoßen haben? Nicht alles was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, steht deswegen auch automatisch im Einklang mit diesen Richtlinien. Natürlich hat es ein „Geschmäckle“, wenn solch eine Prüfung so eng verzahnt ist mit einer so eindeutigen politischen Positionierung einer Ministerin. Das sollte auf jeden Fall aufgeklärt und auch kritisiert werden. Aber daraus generell abzuleiten, dass ein Ministerium nicht prüfen sollte, was die Leute machen, die es finanziert, finde ich wie schon gesagt völlig überzogen.
Dem würde ich zustimmen. Ein weiteres Beispiel wäre die Vorfälle auf der letzten Documenta. Dabei war ein klar antisemitisches Bild von einem stilisierten Juden mit blutunterlaufenen Augen, Reißzähnen und SS-Runen am Hut und neben Monstern in Kassels Innenstadt aufgehängt worden. Das war von der Kunstfreiheit gedeckt, zumindest gab es keine strafrechtlichen Konsequenzen, aber der Staat sollte so eine Geschmacklosigkeit nicht mit Fördergeldern unterstützen.
Passt dieser Vergleich wirklich? Die Förderung auf der Documenta steht im Zusammenhang mit dem antisemitischen Werk. Im Falle der Professoren wurde aber ein offener Brief kritisiert, der im Normalfall nicht mit deren Forschung in Zusammenhang steht.
Deswegen wurde die Interne Anfrage an die Rechtsabteilung ja auch negativ entschieden. Das ist eher ein Zeichen dafür, dass die Behördlichen Abläufe in Deutschland gut funktionieren und die Wissenschaftsfreiheit an erster Stelle steht. Politischer Druck führt im Gegenteil dazu, dass eine Staatssekretärin entlassen wird und die Ministerin Rücktrittsforderungen erhält.
Der Vergleich hinkt mE aus anderen Gründen. Denn anders als das angesprochene Kunstwerk enthält der Brief selbst keinen Antisemitismus. Der Brief selbst nimmt eine sehr „weiche“ Position ein, indem er zu den Forderungen der Protestierenden weitgehend gerade keine Stellung nimmt, sondern übergeordnet den Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit anspricht. Eine sehr formal-liberale Position.
Dass Parteinahme für die Forderungen der Protestierenden durchscheinen mag oder die von @Flixbus genannten Vorkommnisse sträflich ausgeblendet werden mögen (ich bin nicht im Detail unterrichtet über die Vorkommnisse und die zeitlichen Abläufe), kann man vielleicht bemängeln. Aber das rechtfertigt doch nicht, diesen Brief so in die Nähe der offen judenfeindlichen Darstellungen auf dem documenta-Kunstwerk zu rücken.
Ich habe dabei von der strafrechtlichen Bewertung gesprochen, von der in den Mails ja auch explizit die Rede ist:
Diese juristische Bewertung obliegt aber Staatsanwaltschaften, Polizei usw. Und da es sich z.B. bei Volksverhetzung mWn um ein Offizialdelikt handelt, muss die Staatsanwaltschaft dort auch selbstständig tätig werden, sobald sie davon erfährt.
Das das BMBF hier also nochmal gesondert die auf den öffentlichen Brief verweist und eine strafrechtliche Prüfung anregt, ist daher mMn völlig überzogen und unnötig. Das BMBF sollte eher froh sein, dass das BMI das nicht als Eingriff in ihre Zuständigkeiten sieht.
Das halte ich für einen mehr als schwierigen Gedankengang, den du da formulierst. Das Beispiel mit der Documenta, das @Timotheus gebracht hat, ist ja Recht gut. Dort gab es eben dieses eine strittige Gemälde und das wurde dann entfernt. Hier ist also auf Inhalte der Künstler reagiert worden.
Förderrichtlinien sind mWn in erster Linie dazu da, zu beurteilen ob die Forschung einer Wissenschaftler*in geeignet ist (hinsichtlich Innovationsgehalt, wirtschaftlicher Relevanz usw.), um vom BMBF gefördert zu werden. Aber dabei sollte es eben nicht um die politische Ansichten der Forschenden gehen, solange es nicht in den strafrechtlichen Bereich geht.
Allerdings kritisiert der offene Brief nun genau dieses Vorgehen, nämlich die Räumung der Hochschule.
Tatsächlich zeigt der Brief sehr gut das Problem von offenen Briefen in Zeiten von Social Media: war ein offener Brief früher eine Stellungnahme an den Adressaten und aufmerksame Zeitungsleser fügt er sich heute nahtlos in die Aufregökonomie ein und wird damit zu einem direkten Angriff auf den Adressaten.
Wäre ein offener Brief früher als Diskussionsaufforderung verstanden worden, würgt er diese heute ab. Damit will ich das Vorgehen des Bildungsministeriums aber nicht rechtfertigen.
Grundsätzlich finde ich die Einschätzung, dass Ministerien keine eigenen (straf-)rechtliche Prüfungen vornehmen dürfen (oder sollen) etwas merkwürdig und ehrlich gesagt auch weltfremd. Nahezu jede kleine NGO hat inzwischen einen Jusitiar und jedes Ministerium hat eine eigene Rechtsabteilung - was glaubst du denn, wozu die da sind?
Warum genau ist das „schwierig“? Beide Regelungen (grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit und Förderrichtlinien) haben unterschiedliche Zwecke. Nur weil ich etwas sagen darf, heißt das ja nicht, dass mich ein Geldgeber auch fördern muss, wenn ich das sage bzw. dass er nicht die Unterlassung bestimmter Äußerungen zur Bedingung für die Geldvergabe machen darf. Es ist zum Beispiel von der Meinungsfreiheit gedeckt, zu sagen „Das BMBF ist ein Saftladen“. Dennoch darf ein das BMBF selbstverständlich einem Fördermittelempfänger verbieten, diese Aussage in einer geförderten Publikation zu treffen.
Bei „in erster Linie“ würde ich zustimmen, aber das heißt eben nicht ausschließlich. Förderrichtlinien enthalten oft z. B. auch bestimmte ethische Grundsätze, an die sich Geförderte halten müssen.
Da du noch nicht darauf eingegangen bist, würde ich dich auch nochmal bitten, zu konkretisieren, was du mit Deiner Äußerung zu angeblichem „Druck aus den USA“ auf Deutschland meinst. Klingt für mich zu vage. (Edit Mod.)
Förderung zu streichen ist auch eine Art von Sanktionierung und Ausübung von Druck. Natürlich kann freie Meinungsäußerung dadurch eingeschränkt werden.
Ziemlich autoritär, das Ganze, und so gar nicht liberal.