Wenn ich mit Personen in meinem Umfeld spreche, dann sind die meisten davon überzeugt, dass Banken nur das Geld als Kredit geben können, was andere Kunden auf ihren Konten sparen. Das Banken durch Kreditvergabe neues Geld schöpfen, glauben sie mir in der Regel nicht. Erst, wenn ich sie darauf hinweise, dass die Banken für Ihre Kredite ja Zinsen haben wollen und Sie frage, woher denn dieses „zusätzliche Geld“ kommen soll, geraten Sie ins Grübeln. Meistens ist das Gespräch dann aber auch vorbei, mit dem Verweis, dass man sich damit später nochmal in ruhe beschäftigen müsste, was in der Regel verständlicherweise nicht passiert.
Genau das gleiche passiert mir, wenn es um Staaten und den Bundeshaushalt geht. Die meisten gehen selbstverständlich davon aus, dass der Staat nur das ausgeben kann, was er durch Steuern eingenommen hat. Erst durch den Verweis auf die stetig wachsende Geldmenge und die Zielinflation von 2% der EZB geraten sie wieder ins Grübeln, aber das gleiche Ergebnis.
Nun lese ich in der Tagesschau zur Wahl in den USA, ein Grund für Trumps Sieg seien die komplexen Antworten von Harris auf Wirtschaftspolitische Fragen:
Harris hatte das klassische Problem der Demokraten. Sie hat versucht, mit Fakten Klartext zu schaffen in einer Situation, in der die Amerikaner fast nur noch Bilder, Emotionen und Kurztext wollten. Was sie in ihren 93 Seiten Wirtschaftsprogramm aufgeschrieben hat, brachte eine im Sinne der Demokratischen Partei klassische Komplexität mit sich. Die lässt sich nicht mit einfachen Botschaften erklären. Und wenn Harris gefragt wurde, was ihre Botschaft sei und was sie anders als Joe Biden machen würde, setzte sie zu langen Erklärungen an. Die waren offenbar für viele Wähler schon zu viel - das sehen wir zumindest jetzt am Ergebnis. (Tagesschau)
Nun wird viel mit dem Finger in die USA gezeigt, sich gewundert, wie so viele Trump wählen können und ich frage mich, ob uns hier nicht etwas ähnliches bevorsteht.
Daher die Frage: Wie steht es um das aktuelle Verständnis von Wirtschafts- und Finanzsystem in Deutschland? Werden Volkswirtschaftliche Themen in der Schule behandelt? Mein Eindruck ist, dass Mikroökonomie rauf und runter diskutiert und gelehrt wird, wir in Sachen Makroökonomie aber eigentlich einiges aufzuholen hätten.
Dazu auch passend die „Mit Geld und Verstand“-Initiative der FDP (Finanzministerium und BMBF) zusammen mit „Planspiel Staatshaushalt“ für den Unterricht. Meines Erachtens ist der Grundtenor: Geld ist knapp und nun diskutiert mal, wer am meisten für sein Ministerium des fiktiven Staats Fontanien rausholen kann. Wäre es nicht interessanter zunächst zu klären, was Geld überhaupt ist, woher es kommt, wer es schöpfen kann und was die Staatsschulden damit zu tun haben? Oder wie ist euer Eindruck? Es gibt sogar ein kleines PubQuiz (.pptx, 2MB)
Aber zurück zum eigentlichen Thema. Wenn man den Unterschied zwischen Betriebs- und Volkswirtschaftslehre nicht kennt, darf man sich m.E. auch nicht wundern, dass Unternehmer wie Trump oder bald Merz in Deutschland Regierungschefs werden. Und was Lindner von der Rolle des Staates hält, wird in diesem Post im anderen Thread deutlich:
„Nachdem ich im staatsgläubigen Deutschland lebe und arbeite, bin ich gerne in die freisinnige Schweiz gekommen. […]"
Also ich persönlich glaube (noch immer) an den Staat. Was passiert, wenn der Staat abgebaut wird, können wir in Argentinien und nun auch den USA live miterleben.
Gut möglich, dass ich in einigen Punkten falsch liege, was ironischerweise die Dringlichkeit meiner Frage unterstreichen würde. Ich freue mich auf eure Einschätzungen.