Wie lässt sich Rechtsextremismus in der Gesellschaft besser bekämpfen?

Nicht nur vergangene und bevorstehende Wahlen zeigen, dass mehr oder minder offener Rechtsextremismus in erheblichen Teilen der deutschen Gesellschaft salonfähig ist. Daher stellt sich - v. a. im Sinne der Opfer (vom gesellschaftlichen Klima in den sozialen Medien über Alltagsrassismus bis hin zu Rechtsterrorismus (jüngst etwa „Patriotische Union“)) - dringlicher denn je die Frage, wie er zurückgedrängt werden kann. Was kann effektiv gegen rechtsextreme (Diskurs-)Hegemonien unternommen werden? Wie kann die Zivilgesellschaft nachhaltig aktiviert und Resignation (Zitat: „Man hat aufgegeben, so scheint es.“) entgegengewirkt werden?

Statt des üblichen Fingerpointings in Richtung Politik, Medien etc. wäre mir hier wichtig, was wir tun können.

Als kleinen Impuls empfehle ich noch den Austausch von vier ostdeutschen Zivilgesellschaftsvertreter:innen, der einige Spannungsfelder deutlich macht:

Das wichtigste zuerst: wie bei jedem „Kampf“ gegen eine Ideologie gilt: es geht darum eine Idee zu bekämpfen - nicht einen Menschen.
Und konkret sehe ich zwei unbedingt zusammenhängende Ansätze:

  1. Farbe bekennen
  2. Perspektiven aufzeigen

Zu 1: es hat sich ja relativ klar gezeigt, dass Demos für Vielfalt und Demokratie sehr eindrucksvoll zeigen können, wer in der Minderheit ist und wer in der Mehrheit. Das muss auch im Alltag gelten. Ich kann sehr gut verstehen, dass man sich das nicht immer zumuten möchte - z.B. im Job, in der Familie etc. Aber je weniger rechtsradikale Thesen unwidersprochen bleiben, desto klarer zeigt sich, dass dies eine Haltung ist, die von der Mehrheit nicht akzeptiert wird.

Zu2: wie entzieht man dem Rechtsradikalismus seine Existenzgrundlage? Indem man dafür sorgt, dass möglichst wenige Menschen rechtsradikal werden und möglichst wenige rechtsradikal bleiben. Wie jemand rechtsradikal geworden ist hat natürlich völlig individuelle Ursachen, aber nicht selten kommt jemand aus einer Familie, in der ein bestimmtes Gedankengut normal ist, und bewegt sich in einem Umfeld, wo das nicht anders ist. Da ist es dann nicht verwunderlich, dass die Person erstmal auch so wird. Und da jeder weiß, wie prägend so eine Jugend und wie bindend ein soziales Umfeld sein kann, kann es dann dauern, den Absprung zu schaffen - wenn es überhaupt klappt.
Daher ist es wichtig, dass ein Umfeld ein positives Gesellschaftsbild vorlebt und einer Person auf Abwegen klarmacht: wenn du hier rechtsradikale Thesen propagierst, setzen wir dich sofort vor die Tür. Aber du bist jederzeit willkommen, wenn du es dir anders überlegst.

Leider läuft es in der Realität häufig anders. Meist bleiben solche Thesen unwidersprochen stehen. Die Leute tuscheln vielleicht und meiden die Person, ohne sie jemals zu konfrontieren. Oder sie überhören es (bewusst?). Oder aber sie gehen auf Konfrontation und entladen einen persönlichen Hass auf die Person, der sie dann noch stärker in ihrem „wir gegen die“ Narrativ bestärkt und auch alle Brücken einreißt.
Für einen potentiellen Aussteiger gibt es wie immer pull- und Push Faktoren. Beides kann die Gesellschaft bereitstellen, indem sie kurz gesagt deutlich macht:
das was du denkst geht überhaupt nicht. Wir sind in der Mehrheit. Wir machen dir vor, wie es anders und besser geht. Und du bist jederzeit eingeladen mitzumachen.

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Indem man glaubwürdig den Menschen darlegt, dass der Staat (gewillt) handlungsfähig ist und Lösungen hat.

Und das in allen der 5 großen Themen:
Wirtschaft und Arbeitsplätze
Migration (und Sicherheit)
Häuser- und Wohnungsmarkt
Infrastruktur und Bahn
Reallöhne und Inflation.

Und auch wenn es viele hier nicht hören wollen: die Menge der kulturfremden, alleinreisenden, niedrig gebildeten Männer ist zunehmend ein Problem.
Solange der Staat, bzw. die EU, es nicht schafft, Asyleinwanderung und gezielte Migration in den Arbeitsmarkt zu trennen und zu regeln, wird es zunehmend schwerer, dass Rechtsextremsten Stimmen verlieren.

Die tragischen Ereignisse von Solingen werden sicherlich bei den Wahlen im Osten nicht helfen.

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Ehrlich gesagt, glaube ich das nicht. Am Ende sind das alle Egoisten, denen ihr bequemes Wohlstands-Leben wichtiger ist, als das anderer. Die anderen Bösen wollen an unseren Reichtum und das ist ohne Berücksichtigung von deren Interessen zu verhindern.
Nichtmal eine Partei der Mitte, die ihr „C“ erst nimmt, könnte diesen Menschen ein für sie zufriedenstellendes Angebot machen. Von einer progressiven Partei, die Themen wie Klimawandel ernst nimmt, erst recht nicht.
Sogesehen ist es eigentlich gut, dass diese Menschen einer Partei wie der AfD die Stimme geben. Da sehen wir mal wo wir gesellschaftlich wirklich stehen. Jetzt wo die Einschläge näher kommen, kommt da wohl einiges zum Vorschein, was der Wohlstand der vergangenen Jahrzehnte unter dem Deckel gehalten hat.

Ich habe nicht das Gefühl, dass die Menschen, die klar rechtsradikal sind, mit logischen Argumenten und Lösungen zu bekehren sind. Und die Protestwähler auch nicht, die wollen sich gegen die bestehenden Strukturen wenden.

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Wobei sie sich gegen ihr Bild von bestehenden Strukturen wenden. Das ist das größere Problem - bzw. ein klassischer Don Quijote. Vielfach werden ja von AfD Fan’s Probleme mit dem System benannt, die real gar nicht existieren. Ich sag mal nur Deep State etc.

Dass die jetzt schon tief in die rechtsradikale Welt abgedrifteten nur sehr sehr schwer den Weg in die Mitte schaffen werden ist klar, ich denke die meisten sind für immer verloren.

Aber es geht ja darum, dass die demokratischen Parteien es schaffen, dass Protestwähler und Unzufriedene nicht auch noch abrutschen.
Wenn das nicht gelingt, haben wir tatsächlich ein Problem.

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Oha. Ich finde es ziemlich krass, dass das Thema Migration, dessen einziger direkter Einfluss auf das Leben der Anblick von (vermuteten) Migranten auf der Straße ist, auf die gleiche Ebene gehoben wird wie die Fragen nach Arbeit, Wohnung, Mobilität und Wohlstand, die sich ja mit großen Einfluss im Zentrum der täglichen Lebensgestaltung abspielen.
Dass man das Thema (gefühlte) Sicherheit in die Reihe stellt, kommt mir noch halbwegs plausibel vor.
Aber die einengende Zuschreibung von Sicherheitsproblemen auf bestimmte Gesellschaftsgruppen erweckt bei mir dunkle Erinnerungen an den Geschichtsunterricht.
Die gedankliche Abkürzung, dass es gar nicht mehr primär um Sicherheit geht, sondern diese Gesellschaftsgruppen selbst das Problem sind, ist da schon der zweite Schritt in Richtung Dunkelheit.

Ich bin auch der Meinung, dass die Politik gut daran täte, die echten Probleme der Menschen in den Blick zu nehmen. Und das sind eben Fragen unter welchen Bedingungen wir Leben, Wohnen, Lernen, Arbeiten und Konsumieren können.
Ganz bestimmt aber nicht die Frage, in welchem Land die Personen geboren wurden, die sich im Land aufhalten.

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Ich finde aber schon, dass der Staat sich um Integration bemühen muss und Migranten, die sich nicht integrieren wollen abschieben muss.

Indem man den gesellschaftlichen Problemen, die die Ängste der Rechtsdrifter schüren, den Garaus macht.

Warum ist Rechtsextremismus so erstarkt? Weil sich bestimmte Themen heute viel stärker instrumentalisieren lassen als früher.

Und die ideologische Verbohrtheit der linken Bubble die weite Teile der etablierten Parteien und Medien inzwischen erfasst hat lässt leider ein Vakuum, dass die Rechten und Neurechten bestens zu füllen wissen.

Am Ende des Tages ist der Mensch ein soziales Tier und die Ideologie der „Vielfalt ohne Wenn und Aber“ wird krachend vor die Wand fahren.

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Ich finde dieses Interview mit Matthias Platzeck sehr sehr eindrücklich.

Im Prinzip geht immer um Kontrollverlust des Staates:
(Diese Aufzählungen ist überspitzt formuliert)

Klimapolitik: von Atom und Kohlekraftwerken hin zu kontrollierbaren Erneuerbaren.

Wohnungsmarkt: Immer mehr Häuser wurden an dubiose Investoren verkauft, und jetzt weiß man nicht mal mehr wer dahinter steht. Dazu Bauvorschriften die alles teurer machen und der Fakt, dass man sich in den Mehrfamilienhäusern sich nicht mehr kennt und kein Vertrauen mehr da ist.

Finanzkrise: Panik und Hilflosigkeit vor dem Finanzsystem

Migration: Das Paradebeispiel für Kontrollverlust.

Schulen und Kitas: zu wenige Kitaplätze, Lehrermangel, Unterrichtsausfälle, Sprachchaos, …

ÖPNV: zum Zustand der Bahn ist glaube ich alles gesagt

Öffentliche Sicherheit: Leider hier aktuell das Thema Messerangriffe, und damit Ängste im öffentlichen Raum.
….

„Der Staat“ versagt in Augen vieler aktuell in seinen elementaren Aufgaben.

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Sicherlich. Es ist nur nicht die gleiche Liga.
In die Schulnote des Staates geht mit großen positiven Gewicht ein, wenn ich:

  • eine schöne Wohnung habe in der ich gut leben kann
  • überall gut hinkommen kann
  • eine sinnstiftenden tätigkeit nachgehen kann für die ich anerkennung bekomme
  • mir und meinen lieben mal was gönnen kann.

Wie gut die Integration funktioniert betrifft primär die Migranten, die aber vermutlich nicht in gleichem Maße davon abgehalten werden müssen, die AFD zu wählen.
Klar, langfristig strahlt das auch auf die primären Probleme aus, weil Migration und Integration eine Lösung sein können.
Und ob, wann und wie eine Hand voll Menschen irgendwohin transportiert werden ist doch an alltäglicher Relevanz für den potentiellen Rechts-Wähler kaum zu unterbieten.

Wir sollten hier klar unterscheiden zwischen echten Problemen, die die Politik lösen kann und sollte und Hetzdiskursen, denen man mit einer klaren humanistischen Haltung im Sinne unserer Verfassung begegnen muss anstatt sie zu bedienen.

Dass es im Themenfeld Migration auch lösenswerte Probleme gibt, ist unbenommen. Aber das sollte eben unter der Flagge von Humanismus und Vernunft angegangen werden und nicht getrieben von rassistischen Hetzern.

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Genau das nicht meiner Meinung nach.

Die AfD ist ein Sammelbecken für rechtsextreme Ideologen geworden und genau von da geht die Gefahr aus. Ich bin aber überzeugt das ein ganz großer Teil der AfD Wähler eben nicht „da“, auf Standpunkten ebendieser Ideologen, steht, sondern die Partei aus Frust und mangelnder Weitsicht wählt weil sie ein Vakuum populistisch ausnutzt das die etablierten Parteien offen lassen. Wer Probleme bei der Asylpolitik sieht ihm/ihr zunehmend Angst bereitet kommt um die AfD nicht herum weil sich keine andere Partei ernsthaft darum kümmert.

Und ich finde solche Aussagen ziemlich krass und makaber, keine zwei Tage nachdem drei Menschen die Kehle aufgeschlitzt wurde und weitere um ihr Leben kämpfen weil sie in Solingen ein Festival der Vielfalt feiern wollten. Der mutmaßliche Täter sollte abgeschoben werden, ist aber untergetaucht und bekam dann (als Belohung?) subsidiären Schutz. Der völlig überforderten Innenministerin fällt nichts besseres ein, als ein Messerverbot zu propagieren - eine populistische Forderung, die nur weitere Wahlkampfhilfe für die AfD ist.

Wieso nimmt man sich nicht endlich ein Beispiel am sozialliberalen Dänemark? Dort sieht man gelingende Integration ohne Parallelgesellschaften. Kalifatische Organisationen wie DITIB, die offen gegen Juden und Schwule hetzen, müssen endlich verboten werden. Hasspredigern im Netz und auf den Straßen darf keine Bühne gegeben werden. Nur so kann man den Rechtsradikalen den Wind aus den Segeln nehmen.

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Das ist m.E. zumindest nicht völlig abwegig. Es gibt praktisch kein konservatives Konzept zum Thema Klimaschutz - außer: weg damit. Es gibt praktisch kein konservatives Konzept zum Thema Migration - außer: weg damit. Und natürlich sind linke Konzepte zu diesen Themen alles andere als perfekt. Gibt nur halt keine konservativen Gegenentwürfe, mithilfe derer man das Thema konstruktiv diskutieren könnte.
Allgemein:

Da sind wir wohl ziemlich eindeutig weg gekommen vom Einzelnen und wieder beim Staat gelandet.

Warum „gefühlte“?

Ich habe gerade mal in die PKS gesehen. Demnach ist die Wohnbevölkerung im Alter zw. 14 und 29 Jahren um 0,5% zurückgegangen von 2022 auf 23 (die rein männliche Alterskohorte gar um 0,65% übrigens). Die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen sind aber um 6,8% gestiegen.

Also sind wir irgendwie deutlich gewalttätiger geworden von einem auf das andere Jahr. Würde ich dann schon als Verschlechterung der Sicherheitslage interpretieren, oder?

Das liegt vermutlich daran, dass die meisten mit der Diagnose, dass der Staat einiges besser machen könnte und sollte, mit den Rechten übereinstimmt.
Nur die daraus abgeleiteten Maßnahmen sind halt recht gegensätzlich.
Bei den Konservativen+Rechten sehe ich da vor allem eine Mischung aus insgeheim „weiter so“ + Sündenbock-Debatten mit Symbol-Politik

[quote=„MarkusS“]
Es gibt praktisch kein konservatives Konzept zum Thema Migration - außer: weg damit. Und natürlich sind linke Konzepte zu diesen Themen alles andere als perfekt.[/quote]

Es gibt linke Konzepte zum Thema Migration? Kannst du mir da Nachhilfe geben?

Die Gefühlte Sicherheitslage ist nun mal das Kriterium für Wahlentscheidungen.

Das durchschnittliche individuelle Risiko Opfer von Gewaltverbrechen zu werden liegt bei ca 0,2%. Das heißt einmal in 500 Jahren.
Das ist aber nur der Schnitt. Wenn man selber kein Migrant ist, und/oder sozial benachteiligte Gegenden nachts meidet, ist das Risiko nochmal geringer.
Es ist also ein Thema mit dem man wahrscheinlich nie in Berührung kommt.
Da gibt es mehrere Risiken, die zahlenmäßig höher sind und schlimmere Auswirkungen haben.
Wer sich tatsächlich Sorgen um die körperliche Unversehrtheit der Gesellschaft macht, sollte sich für Tempolimit, 0 Promille am Steuer und vegetarische Ernährung einsetzen oder mehr besser ausgestattete Frauenhäuser.
Und wenn man tatsächlich etwas gegen Gewaltkriminalität tun wollte, sollte man bei den wissenschaftlich ermittelten Einflussfaktoren ansetzen. Hochjazzen und (rassistische) Scheinlösungen helfen allenfalls dem Gefühl, nicht aber der Sicherheit. Im Gegenteil: Viele fühlen sich dadurch erst unsicher.

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Und nochmal ein Punkt des staatlichen Kontrollverlusts. Wie kann es sein, dass es solche Gegenden, zu den inzwischen ja auch schon Innenstadtbereiche zählen, geben.