Der Begriff Aufrüstung ist uns ja momentan vertrauter denn je. Mir geht es aber so, dass ich eigentlich sehr wenig wir über die Prozesse weiß, die hinter Aufrüstung stehen.
Wie läuft Aufrüstung denn überhaupt ab?
Wer entscheidet, was von wem angeschafft wird - und wie viel?
Schreibt das Verteidigungsministerium oder die Bundeswehr einen Auftrag für die Lieferung von x Panzern oder Raketenabwehrsystemen aus? Wenn ja, welche Firmen bewerben sich auf diese Aufträge? Gibt es hier Beschränkungen - dürfen z.B. auch chinesische Rüstungsunternehmen die EU beliefern?
Wer sind die wichtigsten Unternehmen, die Rüstungsgüter liefern, und wo sitzen die?
Welche Verbände und Lobbyorganisationen sind hier aktiv?
Wenn Deutschland Waffen an die Ukraine liefert, passiert das auf Kredit? Oder spenden wir diese Waffen?
Ich verstehe, dass es Handlungsbedarf gibt. Wenn aber Milliardenkredite aufgenommen werden, die zum Großteil an einen Sektor gehen, finde ich es schon wichtig, dass man zumindest ansatzweise versteht, wie das Geld investiert wird.
Aus diesem leitet dann das Bundesministerium für Verteidigung den Umfang und den Bedarf der Streitkräfte ab. Und dieser Bedarf wird gegenüber den Möglichkeiten abgeglichen. So war es zumindest in der Vergangenheit.
Und anschließend, wenn der Bedarf genehmigt ist, wird er wie oben genannt über den Beschaffungsprozess (bei Material) oder durch Personalmaßnahmen (beim Umfang der Personalstärke) realisiert.
Was wir jetzt allerdings aufgrund der Geschwindigkeit nicht machen, ist in Ruhe diesen Prozess durchlaufen. Jetzt kaufen wir erstmal ein was sich die Bundeswehr schon immer gewünscht hat. Hochmoderne Waffensysteme, die leider auch sehr viel kosten.
Wenn wir uns vorstellen, dass hier jedes kraftwerk und jede Infrastruktur wie z.b Staudämme schützen wollen, benötigen wir eigentlich Masse. Masse bedeutet aber im Grunde genommen billigeres Gerät, dieses könnte man ja dann auch mit KI verknüpfen. Aber wenn wir an jeder Infrastruktur die wir schützen wollen einen Skyranger von Rheinmetall stellen wird es relativ teuer. Außerdem kaufen wir diesen vorerst nicht in ausreichender Stückzahl.
Was bisher beim Thema Aufrüstung/Beschaffung bei der Bundeswehr immer schwierig war:
Die Verantwortlichen bei der Bundeswehr haben sich ihr Wunschgerät zusammengestellt. Meist sehr speziell und mit vielen Sonderwünschen.
Die Industrie gibt dann Angebote ab, meist mit hohen Preisen, weil es Spezialanfertigungen in vergleichsweise kleinen Stückzahlen sind.
Während des Prozesses sind der Bundeswehr noch weitere Wünsche eingefallen, oder man hat festgestellt das man sich im Pflichtenheft unklar ausgedrückt hat. Dazu noch die Einhaltung der Vorgaben aus Arbeitsschutz, Emissionsbestimmungen, Straßenverkehrsordnung, etc.
Plötzlich sind die Dinger noch teurer und komplexer.
Dazu das riesige Beschaffungsamt, wo jede Schraube hinterfragt wird, weil es eben die entsprechende Verwaltungsstelle zum Hinterfragen von Schrauben gibt.
Dann ist das Rüstungsgut in der Truppe zum Testen, und man stellt fest, das einiges auf dem Papier besser funktioniert hat wie im Gelände bei Wind und Wetter. Also wieder Anpassungen, kostet meist extra.
Und dauert. Wenn das Teil dann in der Truppe ist, kann man sich schon konkrete Gedanken um den Nachfolger machen.
Soll heißen: wenn wir dieses Prinzip so beibehalten, und die erhöhte Nachfrage die Preise hochtreibt, wird so ein Sondervermögen nicht soviel bringen wie erhofft.
Aktuell wird glaube von der SPD eine Harmonisierung der Rüstungsindustrie vorgeschlagen.
Das wäre mal ein Schritt.
Es müssen ja nicht alle den gleichen Panzer bauen, aber Gleichteile wie Panzerketten, Munition, Ersatzteile usw. Senken die Kosten.
Einheitliche Sturmgewehre und Maschinengewehre sind auch im Gefecht von Vorteil, und vereinheitlicht die Ausbildung.
Mit solchen Schritten kann man ja anfangen, bevor es sowas wie FCAS oder so gibt.
Weiß ich jetzt nicht, ob wir einen Haufen Flugabwehr-Geschütze mit einer KI verbinden sollten
Der Skyranger soll ja v.a. die Flugabwehr für Militäreinheiten sicherstellen, deswegen ist er ja auch ein sehr mobiles gepanzertes Fahrzeug und nicht nur stationär einsetzbar…
Hier liegt der Fokus v.a. bei der Abwehr von Drohnen oder zur Not noch Marschflugkörper.
Für die Verteidigung von Kraftwerken, Staudämmen oder generell Städten brauchen wir viel mehr raketenbasierte Flugabwehr:
Patriot (wohl das effektivste System, aber natürlich sehr kniffelig wenn man sich die Beziehungen zu den USA ansieht)
IRIS-T (deutsche Produktion, aber mit weniger Reichweite)
Arrow (israelisch-amerikanisch und definitiv erprobt )
Ich glaube wir müssen hier zurück zum Anfang. Was ist die Bedrohungslage für ein Kraftwerk oder andere Infrastruktur? Marschflugkörper, Drohnen, Drohnenschwärme, oder was genau?
Wie ich es sehe, sind es billige Kamikazedrohnen. Diese Art der Angriffe nimmt zu. Diese mit Raketen zu bekämpfen ist Wahnsinn und nicht zu bezahlen.
Das bedeutet nicht, das Flugabwehrraketen Fehl am Platze sind. Nur ausreichend sind die nicht.
Und das bringt mich zum Ausgang zurück?
Wie viel wovon?
Beispiel: Panzer von 300 auf 800 - wer fährt diese, er repariert diese? Iv der Ukraine sind unsere Hightech-Geräte wahrscheinlich auch fehl am Platze, da sie nicht einfach instandsetzbar sind.
Flugzeuge von 200 auf 600
usw.
Das Personal haben wir gar nicht.
Meine Meinung:
Wir brauchen mehr Neues von Alten - Marder und Gepard bei designt, aber genauso einfach gebaut.
Grundsätzlich ist der Gedanke ja gut, Waffensysteme leicht bedienbar, wartungsfreundlich und sehr kompatibel zu halten.
Für den Marder (den ich von 1A1 bis 1A6 selbst fahren, schiessen und kommandieren durfte) wären aber Updates nötig, wie eine stabilisierte Waffenanlage und ein stärkerer Motor.
Ich finde die aktuelle Aufrüstungs-Dynamik schwierig, auch wenn ich keine abschließende Meinung zu dem Thema habe. Was ich problematisch finde, ist die Torschlusspanik, die sich breit zu machen scheint. Ich traue der Rüstungsindustrie nicht. Zu viel Gewinnabsicht ist im Spiel, zu viel Lobbyismus oder sogar Korruption, weltweit betrachtet.
Europa hat viel mehr Potenzial, als es anscheinend selbst glaubt. Vermutlich mehr als Russland. Aus meiner Sicht nur bei den Atomwaffen nicht.
Ich möchte hier mal einmal für ruhigeres Nachdenken und vor allem für eine europäische Lösung - ggf. nicht EU sondern als Koalition der Willigen - plädieren.
Es geht auch darum, sinnvolle Methoden der Verteidigung zu finden und in sie zu investieren. Schutz vor Hackerangriffen, Desinformation etc. Aufrüstung auf „Wir kaufen Waffen“ zu begrenzen ist schwierig. Bisher wurden auch schon erhebliche Summen ausgegeben und kein guter Zustand der Bundeswehr erreicht, geschweige denn eine echte Koordinierung in Europa. Im 21. Jahrhundert wird das zu nichts Gutem führen. Insofern denke ich: Aufrüstung funktioniert nicht einfach mit Panzer- oder Drohnenkauf. Verteidigung ist auch eine strategische Frage.
Entsprechende Gedanken findet ihr auch hier:
Zitat: „Um die Demokratie zu schützen, opfern wir sie.“
Das denke ich auch. Wenn wir Hals über Kopf irre und dazu noch unbegrenzte Summen in Rüstung investieren, wird das Geld an anderer Stelle fehlen und die AfD weiter Zulauf bekommen.
Obwohl mir spontan noch andere Industriezweige einfallen, die man problemlos statt „Rüstungsindustrie“ einsetzen könnte, und die Aussage bleibt gültig.
Siehe dazu auch den Podcast „Dissens“ #297, Interview mit dem Autor der Studie, Alexander Lurz. Darin wird Rüstung nicht per se in Frage gestellt, aber der aktuelle Diskurs dazu im Sinne von „viel hilft viel“ kritisch hinterfragt. Das würde ich mir auch in der Lage wünschen.
Ok, danke für den Hinweis. In der Lage selbst wurde die Studie aber nicht besprochen, oder irre ich mich? Die Themenvorschläge habe ich nach „greenpeace“ durchsucht, aber wurde nicht fündig.
Nun, die Studie wurde in einer Rückmeldung zur LdN erwähnt, und die Hosts rezipieren die Rückmeldungen hier, wie du weißt. Wenn sie die Studie bisher (noch) nicht kommentiert haben, dann wohl nicht, weil diese ihnen unbekannt ist. Aber vielleicht kommt ja noch eine Einordnung.
Ich bin auch absolut für eine europäische Lösung, aber realistisch ist das leider trotz des wachsenden Drucks aus Russland und den USA nicht. Dazu ist die EU leider noch zu weit von „den vereinigten Staaten von Europa“ entfernt. So lange wir in der Denkweise der Nationalstaaten verharren wird kaum eine Nation bereit sein, sein Militär voll in eine (wesentlich effizientere) europäische Armee zu integrieren. Mit dieser Realität müssen wir arbeiten
Und deshalb warne ich davor, zu viel Zeit für „ruhiges Nachdenken“ zu verwenden - denn das Problem ist, dass Russland auf Kriegswirtschaft umgestellt hat und alle Experten sagen, dass sich die russischen Arsenale aktuell füllen. Wenn ein Aggressor derart aufrüstet ist das potenzielle Opfer (hier: die EU in Form der baltischen Staaten) unter Zugzwang, ebenfalls schnell die Weichen zu stellen. Wir wollen unsere Wirtschaft aus guten Gründen nicht auf Kriegswirtschaft umstellen, aber wir müssen zumindest aus diesem langsam-behäbigen, über-alles-ewig-nachdenkenden Modus rauskommen, der dazu führt, dass sich trotz des mittlerweile über 3 Jahre andauernden Angriffskriegs Russlands noch fast nichts substanzielles getan hat…
TL:DR Version ist, dass die Greenpeace Studie die ganze Fragestellung sehr unterkomplex angeht und sich mittlerweile auf veraltete diplomatische Beziehungen beruft.
Hast du denn man selbst in die Studie geguckt oder sie nur verlinkt?
Die Studie stellt NATO und Russland gegenüber, aber in der aktuellen Verteidigungsdiskussion geht es ja explizit darum, welche Potentiale Deutschland bzw. Europa aufbauen muss, weil es nicht mehr auf die US-Amerikaner uneingeschränkt vertrauen kann. Da nützt es wenig ne Studie in den Raum zu werfen, die guckt, was die NATO inklusive der Amerikaner könnte. Allein die Punkte „militärische Einsatzfähigkeit“ und „nukleare Triade“ (beide S. 5) fallen komplett auseinander ohne die Amerikaner. Ich meine es nützt ja nichts, wenn die NATO dank Amerikaner insgesamt einsatzfähig ist, aber wir wissen, dass Deutschland genau wie die Britten es kaum schaffen eine Brigade am laufen zu halten.
Mal ganz ab davon, sollte man ohnehin nicht aus den Augen verlieren sollte, dass es hier um keine unabhängig finanzierte Sicherheitsstudie geht, die eine wissenschatliche Erkenntnis generiert hätte, die von der öffentlichen Debatte (oder hier im podcast) ignoriert wird. Das ist ein Debattenbeitrag friedensbewegter Menschen, welche die aufgehitzte Debatte mit anderen Zahlen kontrastieren wollen. Und das ist auch völlig in Ordnung. Man muss sich aber bewusst sein, dass die hier vorgenommene Betrachtung eine sehr starke Perspektive hat (und einen Zweck verfolgt) und nicht das Studienergebnies einer vollkommen ergebnisoffenen Fragestellungen ist.
Gleich in der Zusammenfassung (erster Punkt) zu finden: die NATO gibt selbst ohne USA mehr Geld für Rüstung aus als Russland. Außerdem kann ich den erwähnten Podcast dazu empfehlen.
Ich bin ehrlich gesagt froh, dass es Studien und Organisationen wie Greenpeace gibt, die politische Diskussionen aus einem anderen Blickwinkel betrachten und kritische Fragen stellen - auch wenn damit ggf. keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse erzeugt wurden. Wenn Greenpeace diesen „Zweck“ verfolgt finde ich das wertvoller, als wissenschaftliche Studien, deren Finanzierungen auch nicht immer kritisch hinterfragt werden. Jedenfalls ist hinter einer Greenpeace-Studie kein Lobbyismus für Rheinmetall zu vermuten.