Kamala Harris wird derzeit der Hinterheristmanimmerschlauer-Vorwurf gemacht, dass ihr Wahlkampf in den letzten Wochen vor allem Anti-Trump war, aber zu wenig über eigene politische Inhalte sprach.
Trump und GOP dagegen haben sich während des Wahlkampfes vor allem an einem Zerrbild der Demokraten abgearbeitet und außer Ressentiments gegen alle möglichen realen oder erfundenen Feindbilder ebenfalls keine konkreten eigenen Inhalte präsentiert.
Hierzulande arbeiten sich AfD, CDU/CSU und FDP an den Grünen und den Linken ab, mit teilweise hanebüchenen Feindbildern über Sozialismuswirtschaft und Woke-Kultur, welche die Republik oder gleich das gesamte Abendland in den Abgrund treiben werden. Und die Stimmung ist in der Folge gegen linksgrüne Meinungen gekippt.
Demgegenüber funktioniert ein Anti-AfD Wahlkampf nicht. Wenn man im Wahlkampf korrekt darauf hinweist, dass diese Partei aus Vaterlandsverrätern menschenfeindliche Positionen zum Nachteil der eigenen Klientel vertritt, nickt die Klientel und sagt: Und genau deshalb wählen wir sie auch.
Gibt es Studien oder Forschung dazu, warum das so gut funktioniert?
Warum kann man unentschlossene Wähler mit rechten Ressentiments leicht überzeugen, aber mit linken Ressentiments nicht? Was genau machen die Rechten im Culture War besser als die Linken?
Meine kurze Antwort zur Eingangsfrage im Titel: Weil rechte und auch konservative Parteien zu einem signifikanten Teil aus Ablehnung und Protest gegenüber anderen Parteien gewählt werden.
Das würde ich aber so nicht unterschreiben. Trump hatte sogar einen Slogan, der explizit eine politische Forderung war: „Mass Deportation Now!“ Ist natürlich eine furchtbare Forderung, aber immerhin ein politisches Ziel.
Und das ist ja nicht das einzige; Trump verspricht bei jeder Gelegenheit das Blaue vom Himmel. Hohe Zölle waren auch ein beliebtes Thema bei ihm, oder dass er den Krieg in der Ukraine beenden wird. Das ist zwar alles ziemlicher Unsinn, aber es drückt eben doch etwas aus, das er tun will.
Ich schrieb es schon einmal in dem Thread zum Thema US Wahl, wobei ich mich da vielleicht zu radikal ausgedrückt habe.
Man gewinnt Wahlen nur, wenn man dem Wahlvlk verspricht, was es hören will.
Vernunft, Wissenschaft und Fakten sind dabei sekundär.
Mit Forderungen nach Steuererhöhungen, Umverteilung und dem Umbau der Industrie sind Wahlen schwerer zu gewinnen als mit Forderungen nach einem weiterer so und dem Versprechen es wird schon alles gut werden.
Das eine sind eher linke progressive, das andere eher rechte konservative Themen.
Hmm, das wird teilweise in den USA tatsächlich ganz anders gesehen. Da wird gerade die Kritik am Harris-Wahlkampf laut und es wird argumentiert, dass Harris’ Wahlkampf eben zu „abstrakt“ gewesen sei, während Trumps Wahlkampf im Gegensatz dazu sehr konkret war. Und das wird häufig als Ursache dafür gesehen, dass progressive Parteien vor allem bei Akademikern, aber weniger beim „einfachen Volk“ punkten können. Bei Akademikern kommen Themen wie „Frauenrechte“, „Minderheitenrechte“ und „Menschenrechte“ gut an, das einfache Volk erreicht man leider damit aber kaum. Das einfache Volk wählt nach Befindlichkeiten und der Frage, wie viel Dollar am Ende des Monats auf dem Konto sind (bzw. wie viele Tage vor Monatsende das Konto leer ist…). Gerade diese Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss und einfachen Tätigkeiten erreichen die Demokraten - wie auch die progressiven Parteien in Deutschland - nur schwer, weshalb diese Leute an die Rechtsaußen-Parteien (Trumps Republikaner, AfD und co.) fallen. Das ist letztlich ja auch, was Wagenknecht mit ihrer Ablehnung der „Lifestyle-Linken“ meint - und leider(!) scheint ihr der Erfolg Recht zu geben. Ich wünschte, es wäre anders!
(Ich betone das „leider(!)“, weil ich persönlich diese progressiven politischen Ansätze wie feministische Außenpolitik, Genderfragen und co. im Gegensatz zu Wagenknecht für sehr wichtig halte, ich will daher keinesfalls auch nur andeuten, dass diese Themen nicht wichtig seien. Ich fürchte nur, wir müssen realisieren, dass man mit diesen Themen aktuell keine Wahlen gewinnen kann, weshalb es vielleicht in der Tat klüger ist, sich für den Wahlkampf wieder auf „bürgernähere“, konkretere Themen zu fokussieren und die progressiven Themen einfach still und leise umsetzt, wenn sich die Chance bietet…)
Zur ursprünglichen Frage:
Ein aggressiver Wahlkampf mit reinen Attacken zielt auf ein klassisches Klientel der rechten Parteien ab. Das funktioniert nur in Verbindung mit Themen, die diesem aggressiven Klientel auch zusprechen. Die progressiveren Parteien setzten dem einen rationalen Wahlkampf entgegen, da dieser ihrem klassischen Klientel entspricht (Akademiker usw.). Es ist fraglich, ob ein aggressiverer Wahlkampf von progressiven Parteien gegen rechte Parteien hier einen positiven Effekt haben würde, die progressiven Parteien würden ihre eigene Wählerbasis abschrecken und die Wähler, die aggressiven Wahlkampf honorieren, würden sie vermutlich wegen inhaltlicher Fragen dennoch nicht wählen. Also ich glaube nicht, dass das eine Lösung wäre.
Was ich mich frage ist, warum hatten wir (unabhängig vom Land) diese Probleme vor 20 oder 30 Jahren noch nicht? War das Wahlvolk vernünftiger, weil sie z.B. die NS Zeit noch persönlich miterlebt haben (jetzt auf Deutschland/Europa bezogen) oder war das Agreement der führenden Parteien da (vielleicht auch unausgesprochen), sich inhaltlich aber nicht oder nur einigermaßen gemäßigt (z.B. F.-J. Strauß) populistisch aneinander zu reiben? Social Media nützt sicher den Populisten, aber das Phänomen lässt sich nicht nur damit erklären.
Ich denke man muss z.B. der AFD schon eine gewisse Innovation bei der Mediennutzung zugestehen. Wie keine andere Partei haben sie auf SM gesetzt bei gleichzeitiger Symbiose von Hetze zu den Algorithmen.
Nur mal als These: Ungleichheit ist weiter gestiegen. Kapital unterstützt eher Konservatismus. Kapital hat in letzter Zeit mehr Medien einfach gekauft, siehe Twitter, Washington Post (Gefühl).
Ja, genau deshalb müssten doch eigentlich linke Ressentiments noch funktionieren. Tun sie aber nicht mehr.
In den USA hat unter dem Applaus der Wähler der reichste Mann der Welt mit schamlos korrupten Methoden einen Mann ins Weiße Haus gehievt, der zu Hause in goldene Toiletten pinkelt. Nachdem die beiden im Wahlkampf kichernd Politik zum Nachteil der Arbeiter angekündigt haben.
Die Ausgebeuteten sind nicht mehr wütend auf die Ausbeuter, sondern wütend auf andere, die vermeintlich gesellschaftlich unter ihnen stehen.
Dazu gibt es eine gute Analyse auf CNN einer Campaignerin aus dem demokratischen Lager, wo es um Sprache und Ansprache geht. Die Lehren sind auch hier 1:1 zu übertragen, denke ich.
Ich glaube, dass liegt viel daran, dass man sehr emotional besetzte Themen mit dem von dir als Attacken-Wahlkampf bezeichneten Vorgehen besetzt/thematisiert.
Z.B. Gendern (wollen dir deine Sprache vorschreiben), Selbstbestimmungsgesetz (Männer in der Frauensauna) Migration (Ausländerkriminalität) … und selbst deine Heizung will dir der Habeck wegnehmen.
So hat die AfD in Sachsen im Wissen um die breite Ablehnung von den beiden ersten oben genannten Punkten einfach „Deutschland - aber normal“ plakatiert.
Menschen ähnlich emotional in „Gegenrichtung“ anzusprechen gelingt offenbar nicht.
Und da sind wir in Deutschland noch nicht auf dem Niveau von „Haustiere essen“ angelangt.
Meine zwei cent: Ich glaube, nicht-populistische Parteien haben aktuell das gigantische Problem, dass sie keine einfachen, schmerzlosen Lösungen für unser aller Probleme versprechen können, ohne die Wähler anzulügen.
Womit wollen sie also einen catchy Wahlkampf machen?
Die Probleme sind komplex, und plausible Lösungen sind nicht sexy.
Die Wählerschaft will in der Mehrheit aber offensichtlich hören, dass alles wieder gut wird, ohne dass sich für sie irgendwas zum schlechteren verändert oder teurer wird. Also wählen sie die Lüge, die ihnen das verspricht.
Da hast du sicher einen Punkt. Aber wäre es nicht die Aufgabe einer (zumindestens ehemaligen) Arbeiterpartei wie der SPD auch wie die Zielgruppe Arbeiter zu sprechen um diese eben auch anzusprechen? Sich vorrangig um deren Sorgen und Nöte zu kümmern?
Und Wagenknecht zeigt, dass eine klassische linke Sozialpolitik durchaus Wähler findet. (Für mich ist bloß ihr Standpunkt zum Ukrainekrieg ein no go)
Das wird immer gerne gesagt, nur entspricht das auch der Komplexität der Realität? CNN hat als Analyse der Wahlniederlage von Harris interessante Aspekte ausgemacht: Harris hat Abtreibung und Human Rights als Wahlkampfthema gepusht, während die Mehrheit Economy und Migration als Thema hatte. 67% der Wähler sagten, dass es ihnen in den letzten 4 Jahren schlechter ginge. Wie eine Kommentatorin sagte, dass sei kein Thema von „race“ , sondern „class“.
(ab Minute 4:20 beginnt die Analyse, die ich meine)
Solche schonungslosen Analysen wie auch im ersten Video oben sind doch plausibler als nur zu sagen „populistische Parteien versprechen Dinge“. Die Frage ist - warum fühlen sich Menschen von den nicht-populistischen Parteien nicht oder immer weniger repräsentiert?
Das war immer schon einfacher. Das Ausmaß, in dem das bei einer sehr breiten, sehr großen Gruppe von Wähler:innen verfängt, hat sich mMn aber in relativ kurzer Zeit extrem vergrößert, oder? Plus die Bereitschaft, rechts der Mitte alle Regeln von Anstand, Normen und Werten über Bord zu werfen oder zur Verhandlungsmasse zu machen: Hätte ein George Bush vor knapp 20 Jahren einen Bruchteil (vielleicht nur eine) der Verurteilungen gehabt wie Trump, wäre seine Kandidatur völlig aussichtslos gewesen. Einfach ein Non-Starter.
Den Arbeiter von früher gibt es nicht mehr. Die meisten die in diesem Bereich klassischerweise arbeiten sind weder gehaltstechnisch, noch von den Arbeitsbedingungen auch nur nahe dem unteren Rand.
Wenn man die Arbeiter in der Industrie für sich gewinnen kann, dann wohl am ehesten indem man eine Politik macht die eben den Industrien auch in Deutschland eine Zukunft gibt.
Der Verweis auf die Industrie reicht mir nicht, denn auch und gerade Servicejobs haben ein Defizit an Arbeiterrechten und gerechter Bezahlung.
Es gibt diverse linke und grüne Feindbilder, die als Argument im Wahlkampf nicht mehr greifen. Der ausbeuterische Chef, der Gewerkschaften ablehnt. Der Autoboss, der im Vorjahr eine fette Dividende auszahlen ließ und jetzt Fabriken schließt. Der Ölboss, der den Planeten für den eigenen Profit verbrennt. Der Milliardär, der offen seine bevorzugten Kandidaten in den von ihm aufgekauften Medien bewerben lässt. Der religiös argumentierende Heuchler, der Frauen- und Mädchenrechte zurückfahren will.
Wir haben hierzulande exponierte Leute im Politikbetrieb, auf die diese Ressentiments zutreffen. Trotzdem werden sie nicht damit im Wahlkampf attackiert - und wenn, wirkt es nicht mehr.
In den USA wurde mit Trump jemand gewählt, den man früher als Karikatur dieser Feindbilder übertrieben gefunden hätte. Der Mann war eine Punchline in Zurück in die Zukunft 2 über eine dystopische Timeline…
Aber wenn heute einer „die Ausländer“, „die Transen“, „die Grünen“ ruft, wirkt es großartig zur Mobilisierung der Wähler.
Ich habe auf Reddit eine interessante Perspektive dazu gelesen (Hervorhebungen von mir). Ich würde da nicht bei allem mitgehen, aber es ist doch eine bedenkenswerte Sichtweise:
[…] This election has been a brutal reminder of just how out of touch we, the so-called “liberal elite,” are with the rest of America. And that’s on us.
America was built on individual freedom, the right to make your own way. But baked into that ideal is a harsh reality: it’s a self-serving mindset. This “land of opportunity” has always rewarded those who look out for themselves first. And when people feel like they’re sinking—when working-class Americans are drowning in debt, scrambling to pay rent, and watching the cost of everything from groceries to gas skyrocket—they aren’t looking for complex social policies. They’re looking for a lifeline, even if that lifeline is someone like Trump, who exploits that desperation. For years, we Democrats have pushed policies that sound like solutions to us but don’t resonate with people who are trying to survive. We talk about social justice and climate change, and yes, those things are crucial. But to someone in the heartland who’s feeling trapped in a system that doesn’t care about them, that message sounds disconnected. It sounds like privilege. It sounds like people like me saying, “Look how virtuous I am,” while their lives stay the same—or get worse.
And here’s the truth I’m facing: as a high-income liberal, I benefit from the very structures we criticize. My income, my career security, my options to work from home—I am protected from many of the struggles that drive people to vote against the establishment. I can afford to advocate for changes that may not affect me negatively, but that’s not the reality for the majority of Americans. To them, we sound elitist because we are. Our ideals are lofty, and our solutions are intellectual, but we’ve failed to meet them where they are.
The DNC’s failure in this election reflects this disconnect. […]
People want someone they can relate to, someone who understands their pain without coming off as condescending. Bernie was that voice for many, but the DNC didn’t make room for him, and now we’re seeing the consequences. The Democratic Party has an empathy gap, but more than that, it has a credibility gap. We say we care, but our policies and leaders don’t reflect the urgency that struggling Americans feel every day.
If the DNC doesn’t take this as a wake-up call, if they don’t make room for new voices that actually connect with working people, we’re going to lose again. And as much as I want America to progress, I’m starting to realize that maybe we—the privileged liberals, safely removed from the realities most people face—are part of the problem.
Auch wenn ich wie gesagt nicht in allen Punkten zustimmen würde, ist da glaube ich ein sehr wichtiger Punkt dabei: In der Wahrnehmung vieler sind die Demokraten die Partei des Establishments, sie stehen für die Institutionen, die als dysfunktional und elitär wahrgenommen werden. Sanders wäre davon eine Ausnahme gewesen, aber ist wahrscheinlich genau deswegen am DNC gescheitert. Interessanterweise zeigt das auch, dass linke und progressive Positionen wie die von Sanders und kommuniziert in einer Art wie der von Sanders in der Bevölkerung erfolgreich sein könnten, nicht aber, wenn sie vom Parteiestablishment kommen und entsprechend kommuniziert werden.
Trump hat es paradoxerweise geschafft, sich als anti-Establishment zu verkaufen und ist für viele scheinbar glaubwürdiger darin, fundamentale Veränderungen herbeizuführen.
Würdest du denn zustimmen, dass die progressive Linke eher unter den wirtschaftlichen Gewinnern zu finden ist? (Das Wort „liberal“ interpretiere ich hier im amerikanischen Sinne, nämlich eher links)
Das ist ja die Kernthese des Textes.
Wenn man diese Frage auf Deutschland beziehen würde, dann definitiv ja.
Die progressivsten Parteien sind Grüne und FDP, und beide Kernwählergruppe bestehen aus gut gebildeten, einkommensstarken Personen.
Und auch auf den linken Lifestyle bezogen ist dies wahr:
Biolebensmittel, fair produzierte Kleidung, den Einkauf bei einem Bäcker oder Metzger muss man sich leisten können.
Das E Auto muss man erstmal finanzieren können, Solar auf dem eigenen Dach benötigt erstmal ein eigenes Haus plus das Investment. Selbes gilt für die Wärmepumpe.
Der Satz „Klimaschutz muss man sich leisten können“ ist im aktuell System einfach noch wahr.
Dann wird seit Jahren vom Klimageld gesprochen, dass unbedingt kommen soll. Kam es nicht. Bedeutet die Erfahrung für viele ist, dass alles einfach nur teurer wird, und das das ,Grüne Leben, ein unbezahlbares Wunschdenken bleibt.