Wahlrechtsreform der Ampel-Parteien verfassungskonform?

Obwohl ich mit Schickeria nichts am Hut habe, möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass schon wieder GroKo-mäßig gekungelt wird, derweil sich CDU/CSU angesichts der erlittenen Niederlage widerborstig zeigen:

Folgenden Artikel finde ich interessant.

Ist das BVerfG aktivistischer geworden? Ist das Handwerk schlechter bei der Ampel? Oder gab es früher auch vergleichbar viele Einschritte pro Legislatur?

Quintessenz?

Des Artikels? Ist ein Kommentar der die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht 3 mal eingreifen musste als schwierig ansieht - als schlechtes Zeugnis für die Ampel.

Es geht um dieses Urteil hier, das schnelle durchpeitschen (Versuch) des sog. Heizungsgesetzes (wurde ebenso gestoppt) und die Entscheidung zum Haushalt.

Und meine Frage lautet folglich, ob die Koalition wirklich schlechtes Handwerk an den Tage legt, das Gericht aktivistischer auftritt oder die Menge und Intensität an Eingriffen auch früher normal war - nur weniger medial beachtet wurde. Oder es andere Grunde gibt?

Hier wurde drei mal auf konkretes Regierungshandeln reagiert - nicht auf Jahrzehntealte Gesetze oder Praxis.

Naja, ich erinnere an Zeiten, als aus Reihen der Union regelmäßig moniert wurde, das BVerfG würde die politischen Spielräume zu sehr beschneiden und müsste seinerseits geschwächt werden. Also es ist keineswegs so, dass drei kassierte Gesetze in einer Legislaturperiode nun so gravierend wären. Alleine im Bereich Datenschutz wurden mehr Gesetzesvorhaben der GroKo (unter Federführung der Union) gestrichen als diese drei Fälle nun…

Konstantin von Notz hat auf seiner Seite z.B. damals noch darüber geschrieben, dass die Liste der verfassungswidrigen Gesetze der GroKo immer länger und länger würde. Das ist ein typisches Spiel von Regierung und Opposition - je mehr Gesetze eine Regierung erlässt, desto mehr davon werden auch verfassungswidrig sein, weil natürlich dabei auch Grenzen ausgetestet werden. Ich finde es schon falsch, das als Vorwurf zu verwenden - wollen wir etwa, dass unsere Parteien stets immer „auf Nummer Sicher“ gehen und Gesetze „overcomplient“ erlässt, also so, dass auf gar keinen Fall auch nur im Ansatz strittig ist, ob sie vor dem BVerfG bestehen würden? Das kann es auch nicht sein, weil das Resultat eine rückwärtsgewandte, extrem konservative Gesetzgebung wäre, die keine Impulse für einen Wertewandel geben könnten.

Es wird daher immer so sein, dass die Opposition jeden Erfolg vor dem BVerfG als „Versagen der Regierung“ deklariert, aber diesen stumpfen Populismus sollten wir eigentlich nicht mitspielen.

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Medienhype, würde ich sagen, gestützt auf Daten.

Die Liste der vom BVerfG für nichtig erklärten Gesetze (1990-2021) ist lang:

Zwischen 1949 und 2021 gab es schon einige Hochzeiten für verfassungswidrige Gesetze:

Ergänzt sei noch, dass man einen Maßstab bräuchte, um Legislaturperioden zu vergleichen. Die „Schlagzahl“ neuer Gesetze ist ja bei der Ampel-Regierung recht hoch, mutmaßlich höher als bei der GroKo. Eigentlich müsste man das also relationieren, z. B. Anteil verfassungswidriger Gesetze gemessen an allen verabschiedeten Gesetzen.

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Ich hätte zu dem Thema eine Idee die vielleicht zu einfach ist, so dass sie schon fast doof ist.

Wieso nicht nur noch eine Stimme für eine Partei abgeben und die Parteien schicken dann entsprechend ihrer Liste Abgeordnete nach Berlin.
Dabei schreibt man den Parteien vor, dass alle 16 Listenplätze jedes Bundesland (alternativ je nach stärke des Bundeslandes anders anteilig) und alle 299 Plätze jeder Wahlkreis einmal vertreten sein muss. Wenn dann ein Wahlkreis zwei gute Kandidaten hat kann ja einer für einen anderen Wahlkreis auf der Liste stehen, in wie fern das dann für die Partei taktisch klug ist einen Kandidaten aus NRW in Thüringen antreten zu lassen und damit Wählerstimmen zu riskieren kann ja jede Partei für sich entscheiden.
Wer dann noch glaubt mehr als 47,5% zu holen (299 Mandate auf 630 Sitze) fängt einfach wieder von vorne an.
In dem Zuge dann die 5% Hürde ganz abschaffen und Überhangs und Ausgleichsmandate werden rechnerisch überflüssig.
Das wäre dann für die CSU nicht ganz günstig aber so ist das nunmal als Kleinpartei. Ist ja auch irgendwie ungerecht anderen Kleinparteien gegenüber sich nur in einem Bundesland wählen zu lassen und zu erwarten, dass das Ergebnis skaliert wird.

Also den Gedanken hatte ich so ähnlich auch, aber da hängen im Detail natürlich viele Problematiken dran.
Aber jenseits dessen ist das denke ich einfach ein hinweis darauf, dass die jetzige wahlrechtsreform die direktmandate ja abschafft, aber die dafür vorgesehene erststimme beibehält. Aber was macht sie denn jetzt noch? Also für die Grundmandatsklausel hat sie ne Bedeutung, aber wenn die Parteien nicht zwingend daran gebunden sind (?) intern nach direktmandatsstimmen / -prozenten zu verteilen - sondern das über listen machen - ist die Erststimme dann noch sinnvoller Bestandteil des Wahlrechts?

Inwiefern werden Direktmandate abgeschafft?

Die Hälfte der Sitze des Bundestags wird immer noch über Direktmandate verteilt, aber eben im Rahmen der Verhältnisse der Zweitstimme, daher wird manchmal eben der Zweitplatzierte statt dem Erstplatzierten in den Bundestag einziehen. Für die CSU bedeutet das eben, dass wenn sie mehr Direktmandate erzielt, als sie mit Zweitstimmen decken kann, dass einige ihrer Direktkandidaten nicht in den Bundestag einziehen werden. Das hat das BVerfG ja auch akzeptiert.

Gekippt wurde ja einzig das Szenario, nach dem die CSU zwar etliche Direktmandate gewinnt, aber nur 4,9% der Zweitstimmen, und deshalb kein einziger CSU-Kandidat in den Bundestag kommen würde, weil durch das Scheitern an der 5%-Hürde kein Anspruch auf auch nur einen einzigen Sitz, daher auch auf kein einziges Direktmandat, bestanden hätte. Alles, was das Urteil des BVerfG nun konkret ändert, ist eigentlich, dass die 5%-Hürde für Parteien mit mehr als 3 Direktmandaten nicht gilt. Das begrüße Ich eigentlich sogar, weil das Parteien einen zweiten Weg gibt, sich in der politischen Landschaft festzusetzen: Statt zu versuchen, die 5%-Hürde zu knacken (und möglicheweise knapp daran zu scheitern) kann eine neue Partei auch versuchen, durch gute Kandidaten drei Direktmandate zu gewinnen, das wäre nach dem ursprünglichen Wahlrechtsreformvorschlag nicht mehr möglich gewesen.

Das Element der „personalisierten“ Wahl durch die Erststimme bleibt grundsätzlich erhalten, ist eben nur u.U. etwas geschwächt (was ich völlig okay finde, es ist ohnehin aus der Zeit gefallen…)

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Nein, weniger…? Die Zahl der Sitze wird von 598 auf 630 erhöht, aber die Zahl der Wahlkreise bleibt unverändert bei 299, und einige davon werden nicht ziehen weil sie nicht von der Zweitstimme gedeckt sind. Die CSU ist 2021 auf bundesweite 5,2% der Zweitstimmen gekommen, das entspräche im neuen Bundestag aufgerundet 33 Sitzen. Gleichzeitig hat sie 45 Wahlkreise gewonnen, davon gingen dann beim nächsten mal also 12 leer aus. (Da rückt auch nicht der Zweitplatzierte nach?)

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Okay, etwas weniger als die Hälfte.

Okay, was war genau die Regelung, die dann angewendet wird? Es war mal in der Diskussion, ob der Zweitplatzierte nachrücken soll, aber kann sein, dass ich da noch auf einem hoffnungslos alten Stand bin. Im letztlich durchgesetzten Entwurf war es ja glaube Ich tatsächlich möglich, dass ein Wahlkreis unbesetzt bleibt, also ja, da fallen dann vielleicht auch noch ein paar weg (vor allem von der CSU).

Anyways, im Kern bleibt es dennoch so, dass es weiterhin Direktmandate geben wird, nur eben wie gesagt das Prinzip der Direktmandate etwas geschwächt wird. In den Details mag diese Schwächung noch etwas stärker sein als ich dachte, aber von einer „Abschaffung“ der Direktmandate kann man wirklich nicht sprechen, oder siehst du das anders?

Die Erststimme bestimmt solange über die Abgeordneten einer Partei wie eine Zweitstimmendeckung in dem Land besteht und die Partei in dem jeweiligen Land Wahlkreise gewonnen hat. Erst dann kommen diejenigen ins Spiel, die nur auf der Landesliste stehen, aber nicht in einem Wahlkreis angetreten sind (§ 6 Abs. 4 BWahlG).
(Es besteht wohl theoretisch die Möglichkeit, dass eine Partei keine Wahlkreisbewerber:innen aufstellt oder nur sehr wenige im Verhältnis zu ihrem Zweitstimmenergebnis - dann wäre die Erststimme tatsächlich für diese Partei obsolet.)

Wenn die Partei hingegen mehr Wahlkreissieger:innen hat als sie in diesem Land Mandate über die Zweitstimme errungen hat, werden die Mandate nach den Stimmenanteilen der Wahlkreissieger:innen besetzt, bis keine Mandate mehr übrig sind und die folgenden Wahlkreissieger:innen leer ausgehen. Paradox ist insofern, dass ein:e Wahlkreissieger:in in einem stärker umkämpften Wahlkreis und/oder einem mit geringer Wahlbeteiligung mit deutlich weniger Stimmen ein Mandat erhalten kann als ein:e Zweit:e in einem anderen Wahlkreis - das ist aber nichts Neues. Auch bei der Verteilung des letzten „gedeckten“ Mandats zwischen zwei Ersten verschiedener Wahlkreise kann es außerdem dazu kommen, dass der:diejenige mit absolut weniger Stimmen nicht das Mandat erhält, da es insofern nur um den Erststimmenanteil geht (§ 6 Abs. 1 S. 2, 3 BWahlG).

Zu den Begrifflichkeiten: Mit dem Prinzip der Zweitstimmendeckung sind die Direktmandate - mit Ausnahme parteiunabhängiger Wahlkreissieger:innen, § 6 Abs. 2 und 20 Abs. 3 BWahlG - technisch betrachtet abgeschafft. Denn der Wahlkreissieg allein führt eben nicht direkt zum Mandat. Die 299 - in der Praxis wohl ein paar weniger - Wahlkreismandate werden über die Zweitstimme an die Parteien vergeben, dann vorrangig mit maximal 299 Wahlkreissieger:innen besetzt.

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Okay, diese Sichtweise kann ich nachvollziehen, würde sie aber nicht teilen.
Ich würde eben sagen: Was abgeschafft wurde sind lediglich Überhangmandate und die wenigen Direktmandate, die nicht über Zweitstimmen gedeckt sind. Der absolute Großteil der Direktmandate bleibt, wie er schon immer war.

Da grundsätzlich im deutschen Wahlrecht das Verhältniswahlrecht (also die Zweitstimme) der dominante Teil ist und das Mehrheitswahlrecht (also die Erststimme) eigentlich nur dazu dienen soll, ein personalisiertes Verhältniswahlrecht zu ermöglichen, sehe ich da wie gesagt keine große Änderung zum vorherigen Status. Das einzige, was sich ändert, ist, dass einen Wahlkreis zu gewinnen nicht mehr automatisch bedeutet, das Direktmandat auch zu bekommen.

Wie gesagt, ich verstehe, dass man den Charakter des „Direktmandates“ auch dadurch definieren kann, dass ein Direktmandat gerade keine Zweitstimmendeckung braucht, finde aber, dass das generell ein Fremdkörper in unserem personalisierten Verhältniswahlrecht ist. Überhang- und Ausgleichsmandate einzuführen war früher schon ein Fehler, aber da gerade die Überhangmandate vor allem den beiden Volksparteien gedient haben, ist klar, wie es dazu kam…

Die CSU hätte, wenn man das neue System zu Grunde legt, 2021 neun Plätze verloren (darunter den von Andreas Scheuer, was schon mal für die Reform spricht). Alle Regionen wären aber durch einen SPD- oder FDP-Abgeordneten vertreten gewesen.
Ohne Direktmandate wären es sogar nur sieben gewesen, weil sie vom Wegfall der Linken profitiert hätte.
Nicht mehr vertreten wären: Bruchsal-Schwetzingen, Leipzig-Land und Märkisch-Oderland-Barnim II.
Wobei die Zeit darauf hinweist, dass keine Wahl zweimal gleich verläuft und nach der Reform alles ganz anders kommen könnte.

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Also ist es jetzt tatsächlich möglich, dass Wahlkreise verwaisen, also ganz ohne eigenen Abgeordneten bleiben? Da muss ich sagen bin ich absolut kein Freund von, denn als Antwort dazu habe ich bis jetzt nur von möglichen Nachbarschaftsvertretungsregelungen gelesen. Das fand ich insofern nicht überzeugend, als ich nem Abgeordneten aus nem Nachbarwahlkreis als Wähler ja eben bspw. gerade nicht damit „drohen“ kann ihn nicht wieder zu wählen, wenn er meinen Wahlkreis nicht angemessen vertritt.
Besteht damit damit dann auch die Gefahr, dass einige ländliche Regionen ziemlich dauerhaft ohne eigenen Abgeordneten bleiben?

Obwohl du’s schon richtig erklärt hast, mache ich’s mal noch einfacher:

Im Wahlkreis ist grundsätzlich der Bewerber mit den meisten Erststimmen gewählt. Ein Einzelbewerber, der die relative Mehrheit erreicht, ist in jedem Fall gewählt. Im Wahlkreis führende Bewerber von Parteien erhalten dagegen möglicherweise keinen Sitz, wenn die Partei mehr Wahlkreise im Bundesland gewonnen hat, als ihr dort nach ihrem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen.

Es gibt grundsätzlich drei Fälle:

  1. Der Anteil der Wahlkreissieger einer Partei stimmt mit ihrem Anteil der ihr nach Zweitstimmenanteil zustehenden Sitze überein:
    Nichts passiert. Alle Wahlkreissieger ziehen ins Parlament ein.

  2. Der Anteil der Wahlkreissieger einer Partei ist kleiner als deren Anteil der ihr nach Zweitstimmenanteil zustehenden Sitze:
    Dann wird einfach von den entsprechenden Landeslisten soweit aufgefüllt, bis der jeweilige Zweitstimmenanteil nach Sitzen abgedeckt ist.

  3. Der Anteil der Wahlkreissieger einer Partei ist größer als deren Anteil der ihr nach Zweitstimmenanteil zustehenden Sitze:
    Dann bekommen nur jene Wahlkreissieger mit den besseren Ergebnissen Sitze (s. o.).

In zwei von drei Fällen (1 u. 3) kommen also ausschließlich jene Parteivertreter ins Parlament, die auch - mit relativer Mehrheit - Wahlkreissieger wurden.

In zwei von drei Fällen (1 u. 2) kommen alle Wahlkreissieger einer Partei ins Parlament.

Fall 2 ist der Regelfall für die meisten im Bundestag vertretenen Parteien.

Fall 3 ist der Sonderfall, der v. a. die CDU/CSU betrifft.

Nun ist es noch so, dass es mehr Sitze im Bundestag gibt als die doppelte Anzahl der 299 Wahlkreise, nämlich nicht 598, sondern 630. Dadurch soll gewährleistet werden, dass Wahlkreissieger weitestgehend ins Parlament kommen.

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Mal ganz ehrlich, wie oft hast du mit deinem Abgeordneten Kontakt gehabt oder auch den Kontakt gesucht und wie viele Bürger tun das insgesamt? Würdest du einen mit 25% gewählten AfD Vertreter als deinen Abgeordneten sehen?

Wir haben ein hybrides Modell, welches einfach keinen Sinn macht. Ich hoffe doch hier will niemand ein Mehrheitswahlrecht wie in Großbritannien oder den USA, welches noch undemokratischer als die unsinnige 5% Hürde ist. Ich plädiere für ein reines Verhältniswahlrecht ohne jede Sperrklausel, denn nur so werden tatsächlich die abgegebenen Stimmen repräsentiert und nicht wie jetzt einfach in den Müll geworfen, was zu extrem viel Verdruss und dem Gefühl der Statuswahrung führen kann.

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  1. Der Bundestag ist erst mal dem Gemeinwohl verpflichtet als Vertretung aller Bürgerinnen und Bürger. Abgeordnete sollen ja gerade nicht irgendwelche Partikularinteressen (z. B. eines bestimmten Wahlkreises) vertreten. Sie sind nur ihrem Gewissen verpflichtet, nicht jedoch ihrem Wahlkreis.

  2. Gerade in ländlichen Wahlkreisen gewinnen v. a. die Konservativen - meistens mit absoluter Mehrheit (> 50 %). Die Wahrscheinlichkeit, dass Wahlkreise umkämpfter sind, sodass es nur zu einer relativen Mehrheit reicht, ist in städtischen oder gemischten Wahlkreisen höher.

  3. Sofern in einem Wahlkreis keine absolute Mehrheit erreicht wird, vertritt die nach Erststimmen gewinnende Person ohnehin nicht die Mehrheit der Wählenden ihres Wahlkreises. Wenn jemand mit z. B. einem Drittel der Erststimmen Wahlkreissieger wird, dann ist dieser Mensch von zwei Dritteln der Wählenden eben nicht gewählt worden. Dieses Beispiel zeigt schon die Absurdität der Idee der Wahlkreisrepräsentanz.

  4. Hier greife ich noch zwei Argumente auf, die auch in der mündlichen Verhandlung dem BVerfG vorgetragen wurden, die aber meines Erachtens auch zutreffend sind: Die Erststimme wird von den Wählenden ganz überwiegend nach Parteipräferenz vergeben und eben nicht nach den zur Wahl stehenden Personen, ja, die Mehrheit weiß nicht mal, worin der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme besteht. Demzufolge gibt es auch kein Argument dafür, Wahlkreissieger zu privilegieren.

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Ich hatte schon fast erwartet, dass das Argument kommt, aber es geht in meinen Augen völlig fehl. Normativ ist das selbstverständlich so, dass Abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet sind und für die Interessen aller Bürger eintreten sollen. In der Praxis ist das aber - wenigstens mal nicht durchgehend - der Fall. Selbstverständlich versuchen die Abgeordneten speziell etwas für ihren Wahlkreis zu tun (oder auf Ministerebene sämtliche Mittel des Verkehrsministeriums nach Bayern umzuleiten…) und reagieren auf die Einsprüche / Anforderungen „ihrer“ Wahlkreiswähler derzeit auch sensibler. Die Wahlrechtsreform führt also potentiell in verwaisten Wahlkreisen zu einer ganz erheblichen Änderung der derzeitigen Praxis und dieses Problem löst sich mMn nicht durch Verweis auf die Norm in Wohlgefallen auf. Wahlkreise ohne Repräsentanten drohen also in der politischen Praxis erstmal Nachteile.

In der Lage wurde ja nun schon mehrfach drauf verwiesen, welches Hebel es darstellt, auf „seinen“ Abgeordneten Einfluss zu nehmen - wie oft das in Anspruch genommen wird, kenn ich keine Statistik zu. Und die Frage ist ja nicht so sehr, ob ich einen mit 25% gewählten AfD Vertreter als meinen Abgeordneten sehe, sondern ob der mich als seinen potentiellen Wähler sieht und daher meine Anliegen ernst nimmt. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass ich „meinem“ Bundestagsabgeordneten begreiflich machen kann, dass ich ihn nicht erneut wähle, wenn er die Rückholung der radioaktiven Katastrophe die man mir unter den Hintern gebaut hat nicht vorantreibt (#Asseschacht. Ja ich weiß, ist kompliziert mit Landes- und Bundeskompetenzen bezüglich der Rückholung von Atommüll aus Bergwerken, aber gerade weil sich da alle hinter einem Kompetenzdickicht verstecken, ist es ganz gut, da mal bei jemandem im Büro stehen zu können). Und ich bin mir nicht so sicher, dass wenn ich in meinem Wahlkreis keinen eigenen MdB mehr habe, ein nachbarschaftsvertretender Abgeordneter der nicht selbst auf ner Giftmülldeponie wohnt, nicht einfach seine eigenen Wahlkreisangelegenheiten priorisiert.

Ihr könnt das selbstverständlich alle auch gerne anders sehen, aber mir und meinem Empfinden wäre ein Lösung, die auch zukünftig garantiert, dass jeder Wahlkreis wenigstens einen Hansel / Hanselin garantiert nach Berlin schickt, deutlich lieber.

Das hieße also dann auch, weil es in der politischen Praxis Korruption gibt, lasst uns die Korruption legalisieren, ja?

Wenn du schon unterstellst, dass Abgeordnete benachbarter Wahlkreise sich nicht fürs Atommülllager in deinem Wahlkreis interessieren, dann werden es ganz sicher auch keine weiter entfernten Abgeordneten tun. Folglich ist dann von vornherein jedwede Advocacy für die Lösung des Atommüllproblems durch deinen Wahlkreisabgeordneten zum Scheitern verurteilt. Somit entziehst du deiner These, jeder Wahlkreis bräuchte eine parlamentarische Repräsentanz/Vertretung, vollends den Boden.

Soll Empfinden jetzt der Maßstab sein?

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