Ich finde nicht alle Punkte stichhaltig:
Niemand schließt die Bürger am politischen Prozess in Deutschland aus. Zunächst einmal beruht dieser Fehlschluss auf einer künstlichen Trennung von Bürger und Politiker, Du hast aber ein passives Wahlrecht, Du kannst Dich jederzeit in diesen Prozess einbringen bzw. für Deine Ideen werben und Dich zur Wahl stellen.
Und dann ist da die falsche Annahme, dass sich politische Prozesse auf das Handeln gewählter Vertreter beschränken. Wenn Du dich nicht wählen lassen möchtest, hast Du aber andere Möglichkeiten der politischen Teilhabe. Du kannst Deine Freunde im Gespräch versuchen zu überzeugen oder auch versuchen über andere Plattformen ein größeres Publikum anzusprechen. Fridays for Future zeigt ganz gut, dass man auch heute noch zum Beispiel mit Demonstrationen Einfluss nehmen kann. Darüber hinaus könntest Du versuchen, den Vertreter Deines Wahlkreises von Deinem Standpunkt zu überzeugen.
Dass Volksentscheide automatisch zu breiter Beteiligung, politischer Diskussion usw. führen ist auch einfach nicht wahr. Schau Dir mal an wie es in der Schweiz läuft. Wieviel öffentliche politische Diskussion es da gibt, kann ich nicht bemessen, aber mein Eindruck ist, dass die meisten Menschen sind genau so politisch uninteressiert wie die Menschen in Deutschland. Da ist zumindest kein derartig qualitativer Unterschied, dass man sagen könnte, direkte Demokratie führt automatisch zu mehr Politikinteresse.
Was man allerdings bemessen kann ist die Stimmbeteiligung und die liegt bei Volksentscheiden auf Bundeseben da meist bei 40-50%. Bei einer so geringen Beteiligung geht es aber nicht mehr notwendigerweise darum, einen echten Mehrheitsstandpunkt zu vergesetzlichen, sondern primär um Mobilisierung, durchaus auch mit dem Ziel zur Durchsetzung von Partikularinteressen (20% können reichen).
Ich finde auch problematisch, dass niemand Verantwortung für die so gemachten Gesetze übernehmen muss. Wenn bei uns ein „schlechtes Gesetz“ erlassen wird, müssen die Parteien sich dafür rechtfertigen. In einer direkten Demokratie war das Gesetz aber Volkes Wille. Da muss sich im Nachhinein niemand rechtfertigen, sogar im Gegenteil, das Gesetz besitzt diese endgültige Legitimation des Bürgervotums, obwohl diese aufgrund niedriger Stimmbeteiligung eine Scheinlegitimation ist.
Und auch wenn die Stimmbeteiligung hier höher war, das Resultat bzw. die Mechanismen dessen kannst Du Dir beim Brexit in allen Details anschauen. Die Entscheidung ist katastrophal, wurde mit Lug und Trug herbeigeführt, aber niemandem wird das ernsthaft vorgehalten. Die Tories regieren immer noch unangefochten. Auch der ganze Brexit Prozess war eine Farce, aber das ist kein Problem, denn Boris Johnson setzt ja Volkes Willen um.