Als ich am Wochenende wieder mal in der alten Heimat unterwegs war, habe ich im Radio diese Sendung von Paula Lochte gehört.
Ganz kurz der Hintergrund: Die feministische Initiative „Geschlecht zählt“ meint, da Tessa Ganserer rechtlich und physisch ein Mann ist, habe sie einer Frau, der eigentlich der grüne Listenplatz zugestanden hätte, den Sitz im Bundestag weggenommen. Daher geht die Initiative auch juristisch dagegen vor.
Beim ersten Hören fand ich das absolut absurd. Nachdem ich die ganze Sendung gehört habe, sehe ich den Fall differenzierter, aber meine Meinung zu diesem Vorgehen der Initiative ist immer noch die gleiche: Das ist absurd. Ich finde zwar eigentlich nicht, dass dieser Vorgang viel Aufmerksamkeit verdient hat, aber ich glaube, es gibt ein paar Punkte darin, die die Gesellschaft diskutieren sollte.
Ich versuche mal, die Argumentation von „Geschlecht zählt“ nachzuvollziehen: Da Ganserer ja von niemandem bescheinigt ist, dass sie eine Frau ist, kommt es nur auf ihre Selbstidentifikation mit dem Geschlecht an. Man hat sie also auf den Listenplatz einer Frau gesetzt, nur weil sie selbst von sich behauptet hat, eine Frau zu sein. Nach der selben Logik könnten männliche DAX-Vorstände oder alle anderen Männer in Positionen, die einer Frauenquote unterliegen, die Quote unterlaufen, indem sie sich einfach mal selbst zur Frau erklären. Deshalb müsste dagegen vorgegangen werden.
Ich denke aber, dass schon die Grundannahme falsch ist: Ganserer hätte ihren Listenplatz überhaupt nicht erhalten, wenn nicht andere sie ebenfalls als Frau sehen würden. Und als Frau gesehen zu werden ist ja genau das, was über patriarchale Denkmuster Frauen in Deutschland das Leben schwerer macht als Personen, die als Männer angesehen werden. D.h. eine Quote ist eben genau für solche Personen sinnvoll, die Benachteiligung erfahren werden durch ihre Außenwahrnehmung. Im Grunde ist die Selbstwahrnehmung dafür völlig egal.
Mal als Beispiel aus einem anderen Kontext: Ein schwarzer Deutscher, der sich als Deutscher fühlt, wird im alltäglichen Leben nicht besser behandelt als ein schwarzer Deutscher, der sich als Kameruner fühlt, oder (wenn man mal Behördenkontakte außen vor lässt), als ein schwarzer Kameruner, der sich als Deutscher fühlt. Hier wird es vielleicht noch ein bisschen deutlicher, dass die Außenwahrnehmung das entscheidende Kriterium für eine Förderung durch eine entsprechende Quote sein muss.
Dazu kommt natürlich noch die geradezu hirnrissige Idee einer Angehörigen einer verfemten Minderheit aus einer Partei, die sich wie kaum eine andere sowohl für Frauenrechte als auch für Minderheitenschutz einsetzt, den Platz im Bundestag streitig zu machen auf der Basis der Frauenrechte. Ich glaube, da gäbe es lohnendere Ziele!
Grundsätzlich finde ich es schade, dass es überhaupt nötig ist, sich über das Geschlecht einer Bundestagsabgeordneten Gedanken zu machen. Aber das wird halt so lange noch nötig sein, solange es nicht grundsätzlich egal ist, welches Geschlecht irgendjemand hat, ob es das Kollegy im Büro, das Verkäufy an der Käsetheke, das Polizist an der Demo oder das Bundesausenministy ist. Ich fürchte, das wird noch dauern.