Ukraine-Krieg: Gedanken über Frieden und Selbstbestimmung

Da waere ich nicht so sicher.

Die Katalonier waren nicht so friedlich. Die Spanier warfen ihnen auch einen Aufstand vor. Der Anfuehrer hat sich in Deutschland nicht auf das Asylrecht berufen. Deutschland haette es aber auch von sich aus gewaehren koennen. Denn es ging um Politik.

Aber natürlich sind das Doppelstandards. Dem Kosovo z.B. wurde damals zu Ungunsten Serbiens auch eine Abspaltung ermöglicht. Schlimmer noch: Damit die Nato den Schlag gegen Serbien ausführen konnte, wurde das Argument der humanitären Intervention herangezogen; und das trotz dessen, dass die Nato kein UN-Mandat für den Schlag hatte. Ich mein, in Anbetracht der durch die Serben verübten Kriegsverbrechen und Gräueltaten in Kroatien und in Bosnien & Herzegowina war die Annahme, dass in Kosovo Ähnliches oder Schlimmeres vorfallen könnte, durchaus eine realistische - ganz im Gegenteil zu den konstruierten Vorwänden von Russland. Und dennoch bleibt der Schlag der Nato gegen Serbien bis heute sehr dünnes Eis, welches der Großteil der internationalen Gemeinschaft nur zähneknirschend hingenommen hat.

Fakt aber ist: wir, der Westen, haben diese höchst problematischen Präzedenzen, die Putin heute ausnutzt, selbst geschaffen. Ich will hier nicht die Vorgehensweise Putins rechtfertigen; mitnichten! Aber wir müssen uns dessen gewahr sein, dass wir ihm diese „Steilvorlagen“ geliefert haben und er nun passende Vorwände konstruiert, damit er diese Präzedenzen zu seinen Gunsten missbrauchen kann.

Außerdem ist Putin nicht der einzige, der Vorwände konstruiert. Wir erinnern uns sicherlich an den zweiten Irak-Krieg, wo die Amis unter dem konstruierten Vorwand, der Irak habe Massenvernichtungswaffen, dort einmarschierten. Dem legendären Spruch des damaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer: „I am not convinced“, mit dem die damalige Bundesregierung die Gefolgschaft in den Irak-Krieg verweigerte, kann nicht genug Respekt gezollt werden.

Auch hier will ich nicht Putins Vorgehen rechtfertigen. Das soll hier kein Whataboutism sein. Dennoch können uns, dem Westen, mit Fug und Recht Doppelstandards vorgehalten werden.

Und dennoch: Fragen der Abspaltung sind nie (oder nur sehr selten) einfach. Die eine Seite ist natürlich die Selbstbestimmung einer ethischen Gruppe. So weit, so gut. Aber das kann auch niemals alles sein. Man muss vieles mehr betrachten. Ich mein, die ethische Gruppe der Türken und Türkischstämmigen mit ca 4% des Gesamtbevölkerungsanteils wird wohl keinen legitimen Grund zur Abspaltung eines Teils des deutschen Territoriums vorweisen können. Ich weiß, ist vielleicht ein blödes Beispiel, aber es veranschaulicht ganz gut, dass die Selbstbestimmung einer ethnischen Gruppe nicht die ganze Rechtfertigung sein kann. Genau deswegen räumen die meisten Demokratien westlicher Machart ihren Minderheiten besonderen Schutz und besondere Rechte ein.

Was uns zum Thema in der Ukraine zurück führt. Sich die Ukraine einverleiben kann Putin knicken. Mit 40 Mio. Einwohnern haben die Ukrainer jedes Anrecht auf eine eigene Nation und eine eigene Staatlichkeit. Was die einzelnen Volksrepubliken betrifft: Das Ziel ist nicht die Abspaltung zwecks Eigenständigkeit, das Ziel ist die Annexion durch Russland. Und diese Motivation sowie die Vorgehensweise der Aggression gegen einen anderen souveränen Staat korrumpieren diesen vermeintlichen Willen der dort sich Russland zugehörig fühlenden Menschen durch und durch.

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Voll auf den Punkt gebracht. Genau so ist es.

Mir scheinen die Destabilisierung und das Schaffen eingefrorener Konflikte eine zentrale Strategie Russlands gegen die Aufnahme angrenzender Saaten in die Nato zu sein.

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Das Problem hast Du vielleicht nicht ganz verstanden. Hier geht es nicht nur um das Problem der Eskalation – meinetwegen bis zum Atomkrieg, den die Russen ausgeschlossen haben. Eskalieren koennen die Russen wie sie wollen. Das ist der Krieg. Es geht auch darum, ob es nun ein Krieg im Sinne des Parlamentsvorbehaltes ist. So wurde das jedenfalls in den USA diskutiert, zum Beispiel von Tom Friedman in der NYT, nachdem einige Leute damit geprahlt hatten, ein Schlachtschiff und einige Generaele „bewirkt“ zu haben. Einen solchen Parlamentsvorbehalt gibt es auch dort. Es geht also auch um die Frage, was wir denn da ueberhaupt tun. Wie tief wir uns dort in einen fremden Krieg hineinziehen lassen.

Warum ist das denn nicht legitim? Weil Polizistenmord radical chic ist?

Lesen wir doch mal, was Kissinger in Davos gesagt hat. Und was George Soros zu diesem Krieg sagt. Der Klimawandel sei wichtiger. Er ist gegen Oelsanktionen und das Gas sollte besteuert werden. In der NZZ.

Kissinger sagt:

About eight years ago, when the idea of membership of Ukraine in NATO came up, I wrote an article in which I said that the ideal outcome would be if Ukraine could be constituted as a neutral kind of state, as a bridge between Russia and Europe. Rather than, it’s the front line of groupings within Europe. I think that opportunity is now- does not now exist in the same manner, but it could still be conceived as an ultimate objective.

Und sowieso:

Looked at from a long-term point of view, Russia has been, for 400 years, an essential part of Europe, and European policy over that period of time has been affected, fundamentally, by its European assessment of the role of Russia. Sometimes in an observing way, but on a number of occasions as the guarantor, or the instrument, by which the European balance could be re-established.

Primaerquelle:

Mit der Betonung auf eigentlich. Please. Das ist genau das, was ich meine, dass man nur in den USA frei denken kann. Ich habs einmal getan und Sandra Day O’Connor war begeistert. Die New Yorker Anwaelte sowieso. Zum Beispiel im Council on Foreign Relations, wo Thomas Graham machen darf, was er will. Und er sagt genau das gleiche wie ich. George H. W. Bush 1991 in Kiew ist nebensaechlich, aber meiner Meinung nach war es vollkommen richtig. Ploetzlich ist Carl Schmitt wieder in, wie was das moeglich?

Wenn es funktioniert, dann ist es doch prima. In love and war everything is fair. Schaun wir uns auch mal den beruehmten Krimkrieg an, auf den der sehr interessante Frieden von Paris folgte. Um die gegenwaertige Verzerrung der Verhaeltnisse zu ueberwinden. An dem haben die USA nicht teilgenommen, deshalb nennen wir ihn nicht den ersten Weltkrieg, der er aber war. Sewastopol blieb russisch. Das Schwarze Meer wurde neutralisiert.

Carl Schmitt ist vor allem fuer die Unterscheidung von Freund und Feind als dem Begriff des Politischen beruehmt oder beruechtigt. Das ist jetzt wieder politischer und medialer Alltag und geht bis hin zu russischen Dirigenten in Muenchen, die ja eher nicht kriegsentscheidend sind. Aber sie werden als Feind wahrgenommen und wir sollen uns von ihnen distanzieren. Muss ich dazu noch mehr sagen? Carl Schmitt ist ploetzlich wieder superhot.

Es gibt nichts neues unter der Sonne, Alfred.P. Rubin, der Voelkerrechtler der Flecher School of Law and Diplomacy. Habs fuer Dich hochgeladen, irgendwo an der Uni Frankfurt an der Oder gefunden, auch insgesamt ganz interessant: http://heikorecktenwald.de/c_schmitt_der-begriff-des-politischen.pdf

Der Krimkrieg fand, soweit mir bekannt, ausschließlich in einem sehr kleinen Teil Europas statt, zwischen ausschließlich europäischen Mächten (die zugegebenermaßen alle auch Besitzungen außerhalb Europas hatten). Wenn Du etwas als Nullten Weltkrieg betiteln möchtest, bietet sich der Siebenjährige Krieg mit den Schlachten um Manila und um Madras, den beiden Schlachten um Quebec, der Belagerung Havannas und der Besetzung des Senegal viel eher an. Das war der erste Krieg der Weltgeschichte, der tatsächlich auf (fast) allen Kontinenten ausgefochten wurde und in dem mit dem Mogulreich auch außereuropäische Mächte aktiv waren.

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Angucken ist ok, mal durchsehen. Ein Text an der Grenze von Staatsrecht und Politik. Er arbeitet den Begriff des Politischen heraus und sagt dann, dass die Unterscheidung von Freund und Feind wesentlich ist. Genauso macht es der Praesident der Ukraine. Insofern ist Schmitt ploetzlich wieder aktuell. Man koennte naemlich auch sagen, dass die Kooperation fuer das Politische wesentlich ist. Alles soll schoener werden und wir lieben uns. So ungefaehr die sonst herrschende heutige Sicht. Jedenfalls in Deutschland. Wie sich die Zeiten geaendert haben. Carl Schmitt gilt trotzdem als groesster deutscher Staatsrechtler aller Zeiten, weil er die Dinge so gut auf den Begriff gebracht hat. Er war aber nicht sehr originell. Er war nur sehr belesen.

Sie sind Kriegsgeschrei und das ist wichtig fuer die eigene Moral. So wie „Gott mit uns.“ Die Roemer hatten auch solche Techniken. Und dazu gehoert auch die Unterscheidung von Freund und Feind bis hin zu politischen Morden. Ein Verraeter, ein Feind, ein ukrainischer Unterhaendler in Homel, 200 Gewerkschaftler in Odessa, a pro-russian blogger was shot (liveuamap).

Es ist mir nur aufgefallen, weil die Photographien von Roger Fenton auf einem englischen webserver namens allworldwars.com lagen. Aber vielen Dank fuer den Hinweis. Am Krimkrieg war jedenfalls ganz Europa beteiligt einschliesslich des Osmanischen Reichs und es war der erste moderne Krieg im Sinne einer Materialschlacht. Es wurde auch in der Ostsee und im fernen Osten gekaempft. Russland zog sich aus der Tuerkei zurueck und konnte dafuer die Krim und so weiter behalten. Warum die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts so heissen? Da wurden zahlreiche Kriegserklaerungen abgegeben, aber vielleicht nur um deutsches Eigentum zu beschlagnahmen. Irland war jedenfalls neutral. Who knows.