Verfolge grad mit Betroffenheit die Dinge in Israel.
Dabei kam mir hinsichtlich der globalen Entwicklung ein etwas gewagter Gedanke.
Putin ist ja ein durchaus erfahrener Geheimdienstler, die zuweilen ja subtil vorgehen.
Das mit der schnellen Eroberung der Ukraine hat jetzt nicht geklappt, aber man lernt dazu.
Putin will ja laut eigener Aussage eine neue multipolare Weltordnung, bei der die USA ihre Vormachtstellung verlieren sollen.
Jetzt sind die USA in Europa stark gebunden.
Nun hat Russland gute Beziehungen zum Iran. Diese zur Hamas. Jetzt kommt es zu einem koordinierten Grossangriff der Hamas auf Israel. Die USA sind auch nun Israel verpflichtet, müssen ggf nun ihr Augenmerk etwas von der Ukraine abdrücken.
Wenn nun Nordkorea etwas mehr Druck an seiner südlichen Grenze ausübt, und China dann seiner abtrünnigen Insel im Süden ebenfalls auf die Pelle rückt, haben die USA vier offene Baustellen. Davon läge die Ukraine eher auf Rang 4.
Wenn dann die US Unterstützung da nachlässt… Gut für Russland.
Zumindest gibt es schon Einschätzungen, dass amerikanische Waffenlieferungen an Ukraine und Israel konkurrieren könnten, sollte es im nahen Osten eskalieren. So könnte es z.B. laut Handelsblatt mit Bezug auf New York Times zu einer Knappheit an Artillerie Munition kommen.
Jedenfalls im Konflikt um Bergkarabach hat sich Russland eher als schwach erwiesen: Es war nicht gewillt, aufseiten Armeniens in den Konflikt einzugreifen, da es beide Seiten als Verbündete sieht (und wohl auch für Energieexporte auf Aserbaidschan angewiesen ist). In seiner Position als Garantiemacht für das nach 2020 geschlossene Abkommen scheint Russland blamabel versagt zu haben. Damit scheint besiegelt, dass sich das zugegeben kleine Armenien noch weiter Richtung Westen orientieren wird, solange Paschinjan sich im Amt hält.
Die Aggressionen gegen Armenien verärgern/bedrohen zudem auch Iran, der als Russlands Verbündeter gilt (wohl eher ein opportunistisches Geschäftemachen unter Kleptokraten und Tyrannen als eine feste Allianz, aber nun ja).
Jedenfalls in diesem Konflikt scheint mir die jüngste Gewalt daher nicht zum Vorteil Russlands gewesen zu sein.
Mit Blick auf Serbien/Kosovo bin ich nicht gut im Bilde, da scheint mir plausibel, was Du sagst.
Die Gesamtlage ist für mich eine Mahnung, dass die Befürchtung eines regional entgrenzten Krieges oder sogar Weltkrieges nicht so weit hergeholt ist, wie es viele zuletzt gern immer wieder bekräftigt haben. Damit will ich ausdrücklich nicht die häufig daran anschließenden Vorbehalte gegenüber der Unterstützung der Ukraine befürworten.
Wir müssen aber höchst behutsam agieren.
Ja, auf der logischen Sachebene scheint das logisch.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob Putins Interesse und Ziel nicht ähnlich ist wie das der radikalen Republikaner: Chaos und Verunsicherung erzeugen. In diesem Fall: Um Fokus und Ressourcen der westlichen Staaten vom Ukraine-Krieg abzulenken. Um die Bevölkerung im Westen noch weiter zu verunsichern und damit in die Arme der radikalen populistischen oder rechtsradikalen Parteien zu treiben. Und in der Hoffnung, dass aus der Asche des Chaos etwas Neues entsteht, das seinen Interessen eher entspricht als die aktuelle Welt“ordnung“. Letztlich sind ihm die Interessen vom Iran, geschweige denn von Armenien, vermutlich völlig egal.
Kann ich aber nicht belegen. Ist nur so ein Bauchgefühl als Denkanstoß. Vielleicht auch völlig falsch.
Nicht gewillt zu sein, muss ja nicht unbedingt ein Zeichen von Schwäche sein. Wenn die Empörung über die unterbliebene Hilfe aus Russland dazu führt, dass Paschinjan gestürzt (und die Demkoratisieurung des Landes rückgängig gemacht) wird, hat Russland aus der Sicht des Kreml sogar gewonnen.
Nicht zu vergessen, dass der NATO-Partner Türkei ebenfalls am Wochenende (mal wieder) die kurdischen Gebiete in Nordsyrien massiv bombardieren ließ.
Das ist nicht weit hergeholt und zum Teil benennt Putin dies sogar explizit als sein Ziel. Auf dem jährlich stattfindenen Valdai-Forum sagte er am 5.10: „Wir stehen im Wesentlichen vor der Aufgabe, eine neue Welt zu errichten“ (nachzulesen bei offiziellen accounts des Kreml, die ich hier extra nicht verlinke). Und von der Schaffung einer „multipolaren“ Weltordnung redet Putin schon seit Jahren. Und wie sollte das Gelingen, wenn nicht durch eine Schwächung der Vormachtstellung der USA (und anderer westlicher Staaten)? Dazu ist die Stabilisierung „von innen“ für dem Kreml das Mittel der Wahl.
Armenien ist ihm sowieso egal. Iran ist aber durchaus wichtig als Verbündeter, sodass er zumindest Rücksicht auf die Agenda des Mullah-Regimes nehmen muss. Und es gibt ja genügend Interessen, die sich überschneiden, etwa in Syrien.
Es gibt auch für mich glaubwürdig klingende Einschätzungen, wonach die Angriffe der Hamas militärisch die Handschrift von Wagner und anderen Söldnerarmeen (PMC) tragen - und der Iran hat die entsprechenden Waffen geliefert. Das gemeinsame strategische Interesse wäre hier, eine sich anbahnende Allianz zwischen Israel und Saudi-Arabien (auch gegen den Iran) zu torpedieren.
Stimmt natürlich. Ist zwar eher ungewiss, aber würde zur von Dir beschriebenen Strategie Putins gut passen. Die Einschätzungen, die ich bisher von Experten gehört habe, gingen tendenziell in die andere Richtung, sind aber sicher auch mit Ungewissheit belegt.
Wäre wohl nicht verwunderlich, eher verwunderlich, wenn sich die Unterstützung darauf beschränkte.
Edit/Nachtrag zu Nagorny-Karabach: lesenswerter Kommentar (leider paywalled und Geschenk-Links funktionieren heute nicht) in der New York Times, der auch eine Einordnung mit Blick auf Russland durchführt: We Just Saw What the World Is About to Become https://www.nytimes.com/2023/10/09/opinion/nagorno-karabakh-russia-turkey.html
Grob zusammengefasst: Die jüngste Eskalation ist bereits ein Symptom der „multipolaren“ Weltordnung (in anderen Worten Chaos), in der aber gerade Russland seinen Einfluss nicht behalten dürfte. Zitat: „In 1988, it was the dreamer Gorbachev stumbling over Nagorno-Karabakh that unwittingly shattered the world order. Today, Mr. Putin could become the second, much darker incarnation of the Kremlin aggrandizer going awry on all fronts. The consequences — from emboldening international aggression to reanimating the West under the banner of NATO — will be profound. As events in Nagorno-Karabakh show, the fragile post-Cold War order is giving way to something else entirely.“
Mit dieser Evidenz möchte ich nochmal bekräftigen: Die Frage „Was noch?“ des OP ist höchst berechtigt. Wir dürfen die Dynamik und Unübersichtlichkeit der Lage nicht unterschätzen.
Da wird Putins Einfluss wohl überschätzt.
Das Bemerkenswerteste an dem Angriff war ja, dass er Israel völlig unerwartet getroffen hat. Man kann also von einem extrem kleinen Kreis Wissender ausgehen. Eine internationale Aktion hätte mit Sicherheit irgendeine undichte Stelle gehabt, erst recht bei Russland.
Aserbaidschan nutzt gerade die Gunst der Stunde. Russlands Truppen sind gebunden, teilweise zieht er sogar Truppen aus anderen Ländern ab, um sie in der Ukraine einzusetzen. Armenien ist ohne Schutzmacht Aserbaidschan ausgeliefert.
Wenn jemand von dem ganzen profitiert, ist es die Türkei, die gerade ihren Einfluss in der Region ausbaut - und natürlich China.
Noch abseitiger, aber so seltsam beschäftigt mich eine nichtsnutzige Theorie, dass ich sie hier mal dalasse:
Vor ein paar Wochen habe ich einen Vortrag von Prof. Josef Reicholf gehört, in dem er an sich über die Hundwerdung des Wolfes referierte. Im Lauf des weltgeschichtlichen Abrisses kam er zur rätselhaften Auslöschung der Neanderthaler. Tatsache scheint, dass mit dem Vordringen des „modernen“ Menschen von Afrika her allmählich die Grosstiere (Mammut, Wisent, Grossbären, grosse Löwen) ausgerottet wurden. Sie scheinen wahllos und übermässig gejagt zu haben, sobald sie dazu Gelegenheit hatten. Ohne dass Reicholf Weiteres dazu gesagt hätte, kam mir unmittelbar die Vorstellung von Macht- und Blutrausch, wie er sich in den bösen Männern der Weltgeschichte und gerade jetzt wieder (Anknüpfungspunkt zum Thema) zeigt.
Vielleicht waren die Neanderthaler die besseren Menschen gewesen, sie hatten offensichtlich nur so viel gejagt wie sie brauchten. Kulturell und technisch waren sie ungefähr auf gleicher Höhe mit den modernen Menschen wie Funde zeigen. Aber vielleicht waren sie zu friedllich und genügsam und sind deshalb untergegangen. Die 4% Neanderthal-Gen-Anteile bis zu uns herauf wären dann zu wenig gewesen …
Ihr braucht das hier nicht zu zerreissen. Ich weiss, das ist eine skurrile, wie gesagt nichtsnutzige Idee, aber ich wollte das mal schreiben.
Damit das nicht so alleine steht, etwas Konstruktives, schon oft Gesagtes: Masslosigkeit, Gier, Grausamkeit könnte vermindert werden wenn in allen Schulen dieser Welt Konfliktlösungsübungen ganz oben auf dem Lehrplan stehen würden. Boshaftigkeit ist oft ein Nachfolgeprodukt von Dummheit (im Sinne von nicht Nachdenken, bei jedem Konflikt und jeder Bedrohung nichts Besseres finden als sich in Feindbilder hineinzusteigern, und kurzfristigem, intuitivem Vorteilsdenken).
Ich finde diese These nicht sehr plausibel. Wie kommst du dazu? Warum sollte gerade Russland ein Interesse daran haben, seine strategischen Interessen in dieser Angelegenheit offen in die Welt hinauszuposaunen? Die Beteiligung der Türkei und des Irans ist zumindest in Form von Waffenlieferungen längst belegt. Die Hamas ist zwar radikal menschenverachtend, aber nicht bescheuert. Sie würde niemals eine solche Aktion starten, ohne sich vorher das OK dieser beiden Länder einzuholen. Hinzu kommt wie schon erwähnt, die Handschrift der PMC, für mich ein weiteres Indiz dafür, dass es zumidest Konktakte nach Russland gab.
Wie kommst du zu so einer Interpretation?
Der israelische Geheimdienst ist berühmt für sein internationales Spionagenetzwerk. Du kannst davon ausgehen, dass nur wenig in Russland (oder auch in Deutschland) passiert ohne dass es der Mossad erfährt. Würde mich auch nicht wundern, wenn Pegasus über eine Backdoor verfügt.
Die Hamas hat das übrigens mittlerweile bestätigt. Das muss allerdings kein Beleg sein.
Ich bezog mich auf die Rede von einer „internationalen Aktion“.
Die Effektivität israelischer Geheimdienste sollte allen Beteiligten bewusst sein. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht mehr handeln, sondern dass sie das entsprechend einkalkulieren und sich daran anpassen. Dass die Informationslage in Israel bezüglich des Angriffs von letzter Woch gelinde gesagt lückenhaft war, ist ja inzwischen offensichtlich.
Würde mich zumindest nicht wundern, wenn da Moskau seine Finger im Spiel hat. Ein Krieg des Westens gegen die arabische Welt wäre ganz im Sinne Putins. Kann mir nicht vorstellen, dass da alle arabischen Staaten ruhig bleiben, wenn Netanyahu mit brutaler Härte gegen Gaza vorgeht.