"Ukraine is fucked. And so is Europe, by the way."

Vorweg: ich teile vollkommen das Entsetzen über diese Entwicklungen und auch, dass Europa inkl. Deutschland viel zu wenig tut/getan hat.

Vielleicht sind meine folgenden Fragen wenig durchdacht, aber: Wenn die Ukraine dort womöglich nicht mal am Verhandlungstisch sitzt, wer zwingt sie dazu sich an das zu halten, was Trump und Putin ausklüngeln? Ich kann wirklich null einschätzen, welche Aussichten auf „Erfolg“ - gemeint als tatsächliche Umsetzung dessen was Trump und Putin dann ausmachen, nicht inhaltlich als Erfolg im Sinne der Ukraine - das ganze hat? Ist nicht damit zu rechnen, dass bspw. in durch die Ukraine abgetretenen gebieten massive Partisanenaktivität stattfindet?

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Die große übergeordnete Frage für die Zukunft ist für mich, was wir überhaupt verteidigen wollen, und unter welche Bündnissen.

D.h. Ist das Ziel die Landesverteidigung Deutschlands (im Ernstfall auch ohne NATO Unterstützung?
Oder der Bündnisfall bei einem Angriff auf NATO oder EU Staat?
Oder die Rolle als Weltpolizei, um Staaten aktiv zu unterstützen, wenn diese Völkerrechtswidrig angegriffen werden?

Meinetwegen sind hier auch andere Hilfsleistungen einberechnet. Und ja natürlich wäre die Ukraine ohne die USA am Ende, das bestreite ich nicht und hat man an Bachmut ja auch gesehen.
Mir ging es nur darum, dass die Aussage nicht stimmt, dass die USA mehr geben als die EU. Und die Unterscheidung Militärhilfe und Finanzhilfe wird schon dadurch schwammig, dass wenn man der Ukraine Finanzhilfen gibt, sie damit ihr Militärpersonal bezahlen oder selbst Waffen kaufen oder produzieren. Die Grenze ist schwer nachzuverfolgen.
Ich will nur sagen, es ist nicht so, als würde Europa nichts tun. Es ginge bei vielen Ländern mehr, das ist richtig. Und auch was die Entscheidungen und Strategie angeht ginge mehr Entschlossenheit und mehr Eigenverantwortlichkeit der EU. Alles richtig.

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Soweit ich das verstehe besteht auch innenpolitisch in der Ukraine mittlerweile ein großer Druck auf ein Ende des Krieges, auch wenn das Gebietsverluste bedeutet. Eine konkretes „Angebot“ könnte diesen Druck weiter erhöhen.

Das ist natürlich korrekt, am Ende des Tages kann die Ukraine als souveräner Staat tun und lassen was sie will. Das Problem ist aber, dass Trump die Möglichkeit hat, massiven Druck auf die Ukraine auszuüben, indem er weitere Hilfslieferungen verweigert.
Weil wir uns hier in Europa, aus welchen Gründen auch immer, nicht adäquat auf so einen Fall vorbereitet haben, besteht hier eine große Abhängigkeit von den USA.

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Ja, das sehe ich auf jeden Fall auch. Ist vielleicht eine totale Fehleinschätzung, aber ich bin mir nur irgendwie unsicher, ob diese Vorstöße tatsächlich dazu führen werden/könnten, dass die Ukraine zu von Trump ausgehandelten Bedingungen kapituliert. Trotz der von @thunfischtoast angesprochenen Kriegsmüdigkeit glaube ich, dass in der Ukraine trotzdem auch relativ große Klarsichtigkeit darüber besteht, dass ein jetziger fauler Friedensschluss oder ein Einfrieren des Konfliktes keine langfristige Sicherheit garantiert.

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Im Zweifelsfall das fehlende Geld und der politische Druck von außen.

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Zwingen kann sie selbstverständlich keiner, aber wenn das Geld und vor allem die Waffenproduktionskapazitäten der USA durch königliches ähhh präsidiales Dekret einfach wegfallen, dann kommen einfach nicht mehr genügend Waffen und Munition an. Insbesondere letzteres kriegt die EU auf gar keinen Fall hin, wir haben keine stehenden Industriekapazitäten für so was und bauen die auch nicht schnell genug auf. Aber ohne Nachschub ist halt kein Krieg möglich, nicht zuletzt weil die Soldaten auch irgendwann desertieren wenn sie das Gefühl haben ohne hinreichende Ausstattung verheizt zu werden.
Mit den Partisanenaktivitäten ist das ähnlich. Klar wird es da immer Bestrebungen geben Widerstand gegen die russiche Besatzung zu leisten, aber auch ein solcher WIderstand ist auf Mithilfe / Nachschub / Finanzierung aus dem Ausland angewiesen, um langfristig erfolgreich zu sein. Nicht zuletzt weil so ein Widerstand ja kein Selbstzweck ist, sondern immer eine Perspektive braucht, welche die Resistance in Frankreich bspw. dadurch hatte, dass man darauf hoffte, dass irgendwann Frankreich durch die Alliierten befreit wird. Wenn aber das ganze Ausland keine Bestrebungen zeigt, die Ukraine wiederherzustellen, dann werden sich deutlich weniger Leute finden, die gewillt sind ihr Leben für eine aussichtslose Sache zu riskieren. Nicht zuletzt hat die russiche Regierung hat in den letzten Jahren durchaus einige Erfahrung darin gesammelt neu erworbene Gebiete zu „befrieden“, sodass die Besatzer im Zweifel auch wissen, was sie tun müssen.

Trump wird’s sicher freuen, wenn die EU bei den USA Waffen kaufen. Wir brauchen die Kapazitäten nicht selbst. Aber wir hätten sie in 3 Jahren vorausschauend hochfahren können.

Die Ukraine muss offensichtlich die Konsequenzen tragen der seit den späten 90ern in Teilen Europas und speziell in Deutschland vorrangigen „Friedensdividende“.

Man ging nach Ende der Sowjetunion davon aus, das in Europa kein konventioneller Krieg mehr denkbar sei, und Russland dachte man wirtschaftlich einhegen zu können.

Europa hat drastisch abgerüstet, und die USA als großer starker Bruder sollte auf (größtenteils) seine Kosten unsere Sicherheit gewährleisten.
Dafür haben wir dann auch in Afghanistan und kleineren Konflikten Unterstützung geleistet. Aber alles in eher überschaubarem Rahmen.

Dazu ein Unwillen oder Unfähigkeit Strategisch zu denken.

Und nun: wollen wir in weiten Teilen eigentlich weiter machen, eigentlich nicht mehr Geld in Rüstung stecken und mehr auf unseren Bauchnabel gucken.

Warum sollten Russland oder die USA dann Europa noch als relevant betrachten? Die Botschaft ist doch, die Europäer wollen und (!) können nicht mitspielen, wenn es unangenehm wird.

Zum Thema Wehrhaftigkeit:

Krieg heißt auch töten. Krieg verändert Menschen. Es geht nicht darum, hehre moralische Grundsätze in einem Krieg hochzuhalten wie ein Banner, sondern darum, sich überhaupt einen Rest Moral zu bewahren. Lektion aus quasi allen Kriegen.
Bedeutet für eine (auch friedliebende) Gesellschaft: Verzicht. Leid. Verlust und Tod. Verletzung und Krankheit. Hunger und Not.
Positive Aspekte eines Krieges fallen mir grad nicht ein……den Menschen in der Ukraine wohl auch kaum noch.

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Ich denke die Ukraine dürfte militärisch in den nächsten sechs Monaten kollabieren, da ihnen zwar nicht das Geld oder Material ausgeht aber schlicht und einfach die Soldaten. Am Ende sind es die einfachen Infantriesoldaten, die den Grund & Boden halten und davon hat die Ukraine viel zu wenige über während Putin weiter eine Rekrutierungswelle nach der anderen aufbieten kann. Ja, es gibt da immer mal wieder den Aufschrei in der Bevölkerung und dann werden ein paar Soldatenmütter im Kreml empfangen aber das war es dann auch.

Hier hat Deutschland und insbesondere die SPD unter Olaf Scholz mit ihrer zögerlichen Haltung, meiner Meinung nach, massiv Blut an ihren Händen. Wenn man von Anfang an schnell und deutlich massiver geholfen hätte, hätte es evtl. eine Chance gegeben Russland zum Rückzug zu bewegen. Heute ist Russland so haushoch überlegen, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass Putin etwas anderes als massivste Gebietsabtretungen akzeptieren würde. Warum sollte er? Die Zeit spielt für ihn.

Ist wirklich ein Thema bei dem ich mich massiv schäme Deutscher zu sein.

Das ist so nicht ganz korrekt. Auf dem Papier hat die Ukraine noch jede Menge junge Männer, die sie in Uniformen stecken kann, das größere Problem ist die Logistik dahinter, bis der Ukraine die Soldaten „ausgehen“ wird es noch eine ganze Weile dauern können.
Außerdem unterschätzt du glaube ich, die Probleme die Russland bei der Rekrutierung hat, die Prämien, die Vertragssoldaten inzwischen gezahlt werden müssen sind in vielen Regionen schon weiter über die Millionen Rubel gestiegen, das hätte man nicht nötig, wenn man keine Personalprobleme hätte

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Ich glaube du sagst zwar das richtige, aber ich finde es dennoch etwsa irreführend. Das Problem der Ukraine ist, dass sie an zentralen Punkten (etwa Pokrowsk) nur noch 40-50% Mannstärke in den Verbänden hat. (So Oberst Reisner (der österreichische Erklärbär) letzte Woche im ZDF online Format). Da nützt es wenig darauf hinzuweisen, dass die Ukraine auf irgendwelchen Jahrgangslisten noch wehrfähige Männer stehen hat. Also de facto gehen der Ukraine die Soldaten tatsächlich schneller aus als den Russen, deren Verbände personell besser bestückt sind. (Und Russland hat einen höheren Soldatenpool, (wenig kampfkräftige, aber immerhin) Soldaten aus Nordkorea, Söldner, etc.)
Also die Einschätzung Reisners ging schon dahin, dass die Personalprobleme der Ukraine viel größer sind.
Bemerkenswerrt fand ich Reisners Aussage, dass die Ukraine gerade dabei ist den Krieg zu verlieren, also ganz real, weil die angeschlagenen ukrainischen Verbände in Pokrowsk in der Verteidigungslinie stehen und bei einem Durchbruch der russischen Streitkräfte keine Reserven da sind, um diesen aufzuhalten.

Schau mal ein paar Videos von MarknReicher auf YouTube, der sieht die sache durchaus anders.

Naja, es ist nur halt nicht nur Infanterie, sondern auch militärisches Gerät und da schauts wohl für die Russen ziemloch übel aus, wennnsie schon wieder Pferde und Esel einsetzen weil LKW Mangelware sind.

Zu dessen Glaubwürdigkeit kann ich leider nichts sagen, ich habe nur die Aussagen von Oberst Reisner gesehen, der über einiges an Renomee verfügt, und die waren ziemlich eindeutig:

https://youtu.be/B45lD6ufEKI?feature=shared&t=340 (Mit timestamp direkt zu seiner Antwort, ca. 2 Minuten lang)

Auch das stimmt selbstverständlich nicht ohne weiteren Kontext, Huftiere für unwegsames Gelände auch unabhängig von der Verfügbarkeit von Fahrzeige eine gute Wahl sein können. Außerdem ist die Ukraine so unfassbar groß, dass gute Mobilität ein wichtiger Faktor sein kann, und da ist dann am Ende auch erstmal egal wo die herkommt. Denn so lange dich keiner beschießt, brauchst du auch kein gepanzertes Fahrzeug und ein Pferd ist dann super nützlich. Wie gesagt kann ich von der Couch nicht entscheiden, es sollte nur der HInweis sein, dass der Einsatz von Pferden nicht zwingend ein Ausweis von militärischer Not ist - auch die Wehrmacht hat halb Europa unter dem massiven Einsatz von Pferden erobert. Ist alles immer situativ.
Unbestritten sind die Verluste an Material bei den Russen viel höher, aber sie produzieren (quantitativ) unterm Strich auch mehr nach als der Westen. Und sie haben die viel größeren personellen Reserven (deren breitere Mobilisierung selbstverständlich ein gewisses innenpolitisches Risiko birgt). Aber Reisner bringt das folgendermaßen auf den Punkt: Solange wir nicht öffentlichen Protest oder einen Coup in Russland sehen, ist das Wehrpotential weiterhin vorhanden und Russland kann seine Verluste weiter auffüllen.

Also ja die Russen haben auch Probleme, aber ich denke es steht außer Frage, dass die Ukraine die deutlich größeren Probleme hat. Sie hat ja auch schon wieder fast 2/3 des Vorstoßes im Raum Kursk verloren. Grund zu der Annahme, dass Russland gerade unter größerem Druck steht, sehe ich daher nicht.

Debatte über den Krieg in der Ukraine nicht an Populisten

Zu den deutschen und europäischen Interessen in einer möglichen Friedensvereinbarung zur Ukraine hat der Autor dieses Paper geschrieben. Er benennt 13 Punkte an denen sich die Deutschen und Europäer ihrer eigenen Interessen bewusst werden sollten und warum ein Frieden zwischen Trump und Putin für Europa so gefährlich sein wird.

Bisher scheinen uns die europäischen und Deutschen Interessen nicht ausreichend bewusst zu sein. Unsere EU, unser Wohlstand, und übertrieben gesagt unsere Zukunft hängen eng am Schicksal der Ukraine.

Könnt ihr dem zustimmen? Ich finde die Punkte nachvollziehbar, sehe aber leider keine Hinweise, dass Europa das in Gänze schaffen wird seine Interessen zu artikulieren und dann auch noch zu vertreten.

Solche Aussagen gibt es konstant seit dem Anfang des Krieges und alle haben gemeinsam, dass sie falsch lagen. Irgendwann wird mehr oder weniger zufällig einer richtig liegen. Was nützen uns diese Spekulationen?

Ich finde die Verhandlungsstrategie Trumps und seines Team sehr komisch, die machen ja schon lauter Eingeständnisse bevor die Verhandlungen wirklich begonnen haben.

Reisner analysiert das schon sehr faktenbasiert. Aber er sagt auch nicht, dass sie den Krieg morgen oder in 2 Wochen verliert. De facto weichen sie im Osten immer weiter zurück um die russische Logistik zu strapazieren. Und wenn der Prozess bei aktuellen Bedingungen so weiter geht, sieht er die Ukraine am verlieren. Er bezieht das auf aktuelle Unterstützung etc. Wenn sich da was ändert, ändert sich auch die Situation der Ukraine meint er. Es wäre also mal wieder Zeit für Entschlossenheit

Wenn wir Aussagen über die Zukunft treffen wollen, dann sind diese zwangsläufig spekulativ. Mit dieser Einstellung brauchen wir gar nicht mehr übers Morgen reden. Wir können uns nur auf die Aussagen von Experten verlassen, die den Erkenntnisprozess hinter ihren Annahmen offenlegen und die wir für plausibel halten. Dieses Vorgehen wird nicht dadurch entwertet, dass die Experten in der Vergangenheit falsch lagen - das darf kein Totschlagargument sein. Die Experten sollte aber selbstverständlich erklären können, warum sie ihre Einschätzungen jetzt ändern.
Aber der Kurswechsel der USA, die personellen Missstände der Ukraine (und aus meiner Sicht auch dass Selenski vor 15 Tagen schon wieder den Kommandanten für die front ausgetauscht hat) sind durchaus plausible Gründe, um anzunehmen, dass sich die Situation wirklich ändert.

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