"Ukraine is fucked. And so is Europe, by the way."

so der heftige, aber wohl zutreffene Kommentar eines ukrainischen „officials“ [1] über das Telefonat, das Trump gestern mit Putin führte.

Das Worst-Case-Szenario, das Experten seit Monaten, wenn nicht Jahren gezeichnet haben, scheint nun Wirklichkeit zu werden - aber Deutschland ist (mal wieder) mit sich selbst beschäftigt und auch hier im Forum scheint das Thema noch eine nennenswerte Rolle zu spielen. Daher eine kurze Zusammenfassung:

  • Trump hat ohne jegliche Vorbedingungen (etwa ein Waffenstillstand oder gar ein Rückzug von Truppen) direkte Verhandlungen mit Putin angekündigt
    Bei diesen Verhandlungen werden weder die Ukraine noch irgendwelche andere europäische Staaten eine nennenswerte Rolle spielen.
  • Trump hat noch vor Beginn jeglicher Verhandlungen öffentlich eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ausgeschlossen, ebenso einen Einsatz von US-Soldaten zur Absicherung eines Waffenstillstands
  • Trump hat noch vor Beginn jeglicher Verhandlungen öffentlich gesagt, dass eine Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine „unrealistsich“ sei und damit indirekt festgesetzt, dass die Ukraine Gebietsabtretungen wird zustimmen müssen.
  • Die militärische Absicherung eines Waffenstillstands soll allein in den Händen europäischer Staaten liegen. Die sind aber derzeit nicht mal ansatzweise in der Lage, eine Schutzmacht aufzustellen, die sich Russland im Zweifelsfallsfall ernsthaft entgegenstellen könnte (ganz abgesehen davon, ob es überhaupt die Bereitschaft dazu gäbe). Und jede Regierung die versucht, die notwendigen immensen Ressourcen dafür zu mobilisieren, kann sich sicher sein, dass sie auf erbitterten Widerstand innerhalb der Gesellschaft treffen wird - die Ukraine-Debatten der letzten 3 Jahre dürften da nur ein Vorgeschmack sein. Also eine absehbare Polarisierung und Destabilisierung europäischer Gesellschaften als weiterer „Bonus“ für Putin und Trump.

Damit hat der Kreml noch vor dem ersten „Verhandlungstag“ zwei seiner wesentlichen Kriegsziele erreicht:

  1. zu verhindern, dass die Ukraine ausreichend gegen zukünftige Angriffe geschützt ist und
  2. eine De-facto-Anerkenung und damit Legitimation der bisherigen Angriffe gegen die Ukraine.

Zudem kann Putin sich den Russen als Führer einer Weltmacht präsentieren, der auf Augenhöhe mit dem Präsidenten der USA redet - über die Köpfe der Ukrainer hinweg. Das ist zumindest auf der Ebene der Propaganda ein glatter Sieg für ihn. Sprich: Großer könnte der Erfolg aus Sicht des Kremls kaum sein.

Für Europa bedeutet das eine Katastrophe. Nicht nur bekommt man die eigene Macht- und Bedeutungslosigkeit noch mal unter die Nase gerieben. Die Bundesregierung beispielsweise kann nicht mal das schwammige Scholz’sche Minimalziel „Die Ukraine darf nicht verlieren“ halten - damit wird die „Zeitenwende“ endgültig zur Farce.
Welch hohen Preis das Ganze für Europa haben wird, ist noch gar nicht richtig absehbar. Das einzige was jetzt schon klar ist: Weltpolitisch dürfte dieser Kontinent erst mal keine Rolle mehr spielen.

Für Länder in einer ähnlichen Lage wie die Ukraine ist die Botschaft klar: Verlasst euch bloß nicht auf irgendwelche Absprachen oder Bündnisse und erst recht nicht auf irgendwelche Lippenbekenntnisse über „Solidarität“: Sorgt dafür, dass man Euch möglichst wenig kann, mit einer entsprechend großen Armee und am besten mit Massenvernichtungswaffen.

Wie gesagt alles nicht überraschend, sondern eher absehbar, aber gerade deswegen so extrem bitter.
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[1] Donald Trump starts “immediate” talks with Vladimir Putin on Ukraine

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Ergänzung: John Bolton, früherer Berater von Trump, kommentierte das Ganze bei CNN mit den Worten:
„Trump hat praktisch vor Putin kapituliert […] Putin könnte nicht glücklicher sein. Ich sage Ihnen, heute Abend trinken sie im Kreml Wodka direkt aus der Flasche. Es war ein großer Tag für Moskau.“
[Quelle]

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Aber das hat man sich doch komplett selbst zuzuschreiben. Große Sonntagsreden schwingen, immer auf die Moral und das Völkerrecht verweisen, aber wenn es dann ernst wird, wenn man mit Waffen verteidigen muss, dann die Amis anbetteln um Bitte Bitte zu helfen.
Ich kann Amerika durchaus verstehen, weil nicht Europa, sondern die USA haben mit großen Abstand die meisten Militärhilfen gezahlt hat, und dass, obwohl die Ukraine nichtmal in der NATO ist.

Völkerrecht funktioniert eben nur, wenn sich alle daran halten. Ist leider so.

Und wenn die EU und deren Mitgliedsländer wollen, dass die besetzten Gebiete befreit werden, dann muss man das mit der Ukraine eben selbst managen.

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Was mich dabei am meisten frustriert ist, wie absehbar das ganze war. Ich bin schon seit mindestens 2 Jahren völlig fassungslos darüber, dass wir hier in Europa nicht zu begreifen scheinen, dass das in erster Linie ein Europäischer Krieg ist und wir uns nicht einfach auf die USA verlassen können, dass die das schon irgendwie für uns regeln werden. Könnte mich Paragraphenweise über all die verpassten Chancen beschweren.

Es kann doch echt nicht wahr sein, dass Europa als der zweitstärkste Wirtschaftsraum der Welt seine eigene Verteidigung nicht gebacken bekommt.

Natürlich praktisch, dass die Verantwortlichen das alles jetzt schön Trump in die Schuhe schieben können, aber sich selbst sollte man dabei vielleicht auch mal an die Nase fassen. Vor allem wenn, gott bewahre, es in 4-8 Jahren beim nächsten Krieg heißt, dass das doch niemand hätte kommen sehen können.

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Hätte man beim Überfall der Krim schon hart reagiert, hätte es diesen Krieg ev. gar nicht gegeben. Hätte man ( Europa und vor allem die BRD) nach einigen Moanten reagiert und gehandelt, wäre der Krieg ev. schon lange vorbei. Aber vor allem die BRD hatte grundsätzlich immer zu spät eine Antwort oder gar nicht.

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Und was sagt das BSW dazu: „Drei Jahre lang haben Politiker von Union, SPD, FDP & Grüne gesagt: Mit Putin kann man gar nicht reden. Jetzt hat ausgerechnet ein Anruf von Trump dieses Lügengebäude zum Einsturz gebracht. Wir hätten längst Verhandlungen haben können, wenn der Westen es wirklich gewollt hätte.“
Oder wie es ein kundiger Historiker nannte: „Die Ukraine wird verraten und […] Kremlfreunde aus der 1. Reihe jubeln.“

Natürlich ist gerade Deutschland zu einem sehr großen Teil für diese Katastrophe verantwortlich, gerade weil es so absehbar war. Ich habe ja auch nichts Gegenteiliges behauptet. Eine Katastrophe bleibt es trotzdem.

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Alles gut, sehe es mehr als verstärkenden Kommentar.

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Wahrscheinlich hat David Precht recht:

Denn tatsächlich ist eine echte Kriegstüchtigkeit, dieses unglückliche Wort von Pistorius, werden wir unter gar keinen Umständen erlangen können. Dafür hat sich unsere Gesellschaft viel zu weit in eine ganz andere Richtung entwickelt. Und ehrlich gesagt, fanden wir das ja auch gut, dass sie sich in diese Richtung entwickelt hat.
Wir wollen eine sensible Gesellschaft sein. Wir wollen eine emotionale Gesellschaft sein. Wir wollen eine weitgehend friedliche Gesellschaft sein und so weiter.
Das sind ja alles ganz positive Ziele, die wir über Jahrzehnte verfolgt haben. Da können wir nicht von einem Tag auf den anderen sagen, so jetzt müssen wir alle mal wieder harte Männer und im Zweifel zwei harte Frauen sein, die bereit sind, sich im Schützengraben umbringen zu lassen.

Also wir sind eine seelisch entmilitarisierte Gesellschaft. Und die kann man nicht durch die Erhöhung von Verteidigungsausgaben wieder in so eine Situation bringen. Das ist ja richtig was Krassdeff sagt.

Wenn du viele Soldaten haben willst, brauchst du viel Not und Elend. Die wichtigste Voraussetzung ist eine Gesellschaft zu haben, in der Menschen schon von Kindesbeinen einen Survival of the fittest ausgeprägt haben. Wenn es für ganz viele Leute kaum eine Lebens-

oder Überlebensperspektive gibt. Solche Menschen kannst du wunderbar zu Militär ziehen. Die kriegen im Zweifelsfall eine warme Mahlzeit, eine feste Struktur und vieles andere auch.

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Zu sagen, das habe man in Deutschland so nicht kommen sehen….wäre peinlich.

Kann es sein, das dieser Trend, unangenehme Entscheidungen auszusitzen oder ellenlang auszudiskutieren, aktuell ein grundsätzliches Problem deutscher (und teils europäischer) Politik ist? Zu hoffen das es irgendwer regelt oder es sich von selbst erledigt?

So ein bisschen kann man Politikverdrossenheit verstehen.

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Wenn es nur das wäre. Es ist auch eine unerträglich große Distanz zwischen dem, was in Sonntagsreden erzählt wird („wir stehen fest an der Seite der Ukraine…“) und einer Mischung aus Unwillen und Unfähigkeit, das Versprochene dann auch tatsächlich umzusetzen. Und es ist auch nicht einfach nur ein Aussitzen, sondern ein Augenverschließen - ganz im Stil eines dreijährigen Kindes, das meint, die Welt wäre nicht mehr da, wenn es sich die Hände vors Gesicht hält.

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Aber zum Glück halten wir die Schuldenbremse ein! /s

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Hm. Ich mag über das Thema auch kaum noch diskutieren oder nachdenken. Die relevanten Entscheidungen sind seit Jahren falsch getroffen worden und nun kommen die Ergebnisse. Eine nennenswerte Kurskorrektur, die der Ukraine signifikant helfen könnte, werden wir unabhängig vom Ausgang der Wahl nicht sehen, obwohl sie mMn mit politischem Willen weiterhin möglich bliebe. Wenn nicht eine gewaltige Überraschung passiert, sehen wir aber nicht mal die notwendigen Schritte, um uns selbst kurzfristig der russischen und mittelfristig auch der Bedrohung durch eine US-Autokratie erwehren zu können. Das einzige, was da zu diskutieren bliebe, ist wie tief das Elend gehen wird.
2026 ein Serie vermeidbarer politischer Großschadensereignisse, auf die die restlichen 10 Monate noch zahlreiche folgen werden. Keine glaubwürdigen, positiven Aussichten nirgends.

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Sorry, da kann ich nicht mitgehen. Precht sagt oft kluge Sachen, aber warum sollte nicht auch eine friedfertige, prosperierende Gesellschaft wehrhaft sein? Es geht ja nicht nur um die Zahl der Soldat:innen, und selbst die kann man beeinflussen. Sieht für mich nach einem sehr schematischen Gedanken und einem Scheinwiderspruch aus.

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Das Wahnsinnige am Ukraine Krieg ist ja, dass man in der Deutschland und Nato seit Jahrzehnten davon ausgegangen ist, dass es einen Krieg im Stile des 20. Jahrhundert mit Bodentruppen, Panzern, Artillerie so nicht mehr geben wird.
Russland hat gezeigt, doch gibt es weiterhin.

Und dann hat Precht Recht. Dann ginge is in der Tat wieder um eine klassische Militärische Ausbildung der Bevölkerung und der Verteidigung im Schützengraben oder Häuserkampf.

Menschen aus anderen Weltregionen würden vermutlich ohnehin über diesen Gedanken lachen.
Krieg hat sich technisch trotzdem verändert.

Aber darum ging es mir gar nicht, diesem Punkt will ich gar nicht widersprechen - ich glaube nur nicht, dass der Stellenwert von Emotionalität, Sensibilität oder friedlicher Konfliktbeilegung in einer Gesellschaft im Widerspruch zur militärischen Wehrhaftigkeit dieser Gesellschaft stehen muss. Überspitzt: Soldat:innen müssen keine verrohten Tötungsmaschinen sein. Und der Rest der Gesellschaft schon gar nicht. Das suggeriert das Zitat aber.

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Ich habe monatelang fast täglich die neuesten Videos zur Situation an den Frontlinien gesehen. Und doch, am Ende geht es genau darum. Das töten des Gegners und der Zerstörung von Waffen. Jeden Tag. Genau das ist Krieg.

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Das ist Trumps Erzählung, die m.M.n nicht stimmt ifw kiel
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Die Ukraine ist auch nicht in der EU und Russland definiert die USA als Hauptfeind. Also das Argument, die USA müssten nicht unterstützen, weil die Ukraine nicht in der NATO ist, kann ich auch nicht nachvollziehen. Klar ist es auf unserem Kontinent und wir haben ein großes Interesse an einer Beendigung des Konflikts, aber das Argument NATO verstehe ich nicht. Die USA haben ebenfalls ein Interesse an guten Beziehungen zu uns und Frieden auf unserem Kontinent, eigentlich. Ist also nicht ganz uneigennützig.

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Ich bestreite nicht, dass Krieg Menschen verroht (bzw. posttraumatisches Belastungssyndrom usw hervorruft). Mir geht es um die Gesellschaft vor dem Krieg. Auch im Krieg kämpfen zudem die meisten Menschen in einem Land nicht. Viele flüchten, therapieren, bauen, ernten, kochen, produzieren, koordinieren. Die meisten haben Familien. Sensibilität, Emotionalität und friedliche Konfliktlösung sollen bei vielem davon hilfreich sein.

Ansonsten: Vielleicht unterschiedliche Weltbilder, das ist i.O. - lass uns das beiseite legen, um nicht diesen einen Aspekt hier im Thread überhand nehmen zu lassen.

Soweit ich weiß, erfasst das ifw in seinem „Ukraine Support Tracker“ jegliche Form der Unterstützung für die Ukraine - also militärische, finanzielle und humanitäre Hilfen. Wenn man nur auf die Militärhilfen schaut, ergbit sich m. E. ein ganz anderes Bild. Hier sieht die Ukraine ohne die Unterstützung einfach alt aus.

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Also ich halte es für Unsinn was Precht sagt. Also zunächst mal sagt ja gar keiner, dass wir jetzt alle harte Männer und Frauen sein müssen (was auch immer das heißt). Und der Rest ist literally die akademisierte Version des Internetmemes: „Bad times create strong men, Strong men create good times, good times create weak men and weak men create bad times.“ Die Eloge auf schlechte Zustände am Schluss liest sich ja fast schon gruselig.
Das Hauptproblem für die Rekrutierung ist auch nicht, dass wir eine seelisch entmilitarisierte (was soll das sein?) Gesellschaft sind, sondern eine friedensbewegte, die spätestens mit dem Einzug der Grünen ins Parlament der Bundeswehr erschwert hat ihre Probleme zu beheben. Da waren die Werbespots zu patriotisch oder zu abenteuerlustig. Das kann man ja persönlich für gut oder schlecht halten, dass wir jungen Menschen Krieg nicht als cooles Abenteuer verkauft haben, aber Fakt ist mal, dass die Politik der Bundeswehr große Einschränkungen auferlegt hat (und damit auch aktiv daran gearbeitet hat, dass die BW kein gutes gesellschaftliches Standing hat). Auch die Abschaffung der Wehrpflicht war eine politische Entscheidung, die auf die Wehrfähigkeit und das Rekrutierungsverhalten durchgeschlagen hat.
Das prechtsche Geschwafel über sozialdarwinistische Gründe tut ja gerade so als sei der Wandel in den Individuen selbst passiert, weil wir hier zu viel „Lebens- oder Überlebensperspektive“ bieten. Mit den familienunfreundlichen Arbeitsbedingungen, den ständigen politischen Richtungswechsel, dem enormen Reformbedarf- und Stau, etc. bei der Bundeswehr hat das selbstverständlich alles nichts zu tun! Das liegt daran, dass hier alles keine Spartaner sind und wir die Bundesjugendspiele abgeschafft haben! Wir haben uns einfach seelisch zu weit vom Leistungsgedanken entfremdet, weil es uns zu gut geht! (Die letzten zwei Sätze sind Polemik, aber wo hab ich das doch neulich in ganz ähnlicher Intonation gehört!?)
Also das Menschenbild was da wieder zwischen den Zeilen steht macht Precht wirklich zum Hofnarren der deutschen Kulturlandschaft.

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