Totale Fehlwarnehmung der wirtschaftlichen Lage

Die FAZ zitiert eine Umfrage:

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland halten nur noch zehn Prozent der Befragten für gut, so wenige wie seit 14 Jahren nicht mehr. 40 Prozent beurteilen sie als schlecht, für 49 Prozent ist sie teils gut und teils schlecht. 69 Prozent der Befragten rechnen damit, dass es mit der Wirtschaft zurzeit eher abwärts geht, lediglich zwei Prozent sehen eine positive Entwicklung.

Kurzer Blick in die tatsächlichen Statistiken:

Wir leben in einem der reichsten Länder der Menschheitsgeschichte und die Menschen haben das Gefühl, die Wirtschaft kollabiert. Für mich gibt es eine dramatische Kluft zwischen der gefühlten und realen wirtschaftlichen Entwicklung.

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Gleichzeitig wächst aber die Schere zwischen arm und reich deutlich: Armuts- und Wirtschaftsentwicklung bis 2021 | Statista
Die Armen werden ärmer und die Reichen werden reicher.
50% der Deutschen besitzen 1.3% des Vermögens.
Die reichsten 0.1% besitzen dafür 20.4% des Vermögens, und die reichsten 10% (die 0.1% von eben mit eingeschlossen) besitzen 67% des Vermögens in Deutschland (Quelle: funk/DIW vom 26.01.2024). Und weil das Vermögen schön fleißig für einen arbeitet, wird sich daran von selbst nichts ändern, und die wirtschaftliche Lage der unteren 50% (oder auch mehr) wird sich verschlechtern.

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Die subjektive Wahrnehmung der wirtschaftlichen Lage basiert ja nicht primär auf Fakten, sondern auf ein „Gefühl“, das meist auf (populistischen oder aufs negative fokussierte) Informationen aus Medien oder von Parteien beruht.

Hört man sich nur die aktuellen Aussagen führender Politiker an, müssten wir eigentlich das Unternehmen Deutschland direkt in die Insolvenz schicken, weil nix mehr zu retten ist.
Stimmt zwar nicht, wird aber so kommuniziert.
Über die Ungleichverteilung von Reichtum möchten in der Blase auch viele erst gar nicht reden. Ggf aus Eigeninteresse

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Wenn sich Dinge zum Besseren wenden, verändern Menschen ihre Maßstäbe und klagen erst recht. So lässt sich auch das Gefühl verstehen, dass gerade alles rapide bergab geht.

Text von 2018, ist aber aktueller denn je.

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Um sich einen Überblick der aktuellen wirtschaftlichen Lage zu verschaffen kann ich den Pulsmesser Wirtschaft (https://www.dashboard-deutschland.de/) des Statistischen Bundesamts empfehlen.

Hier drei Beispiele zu den Themen…

Energiepreisveränderung


Quelle

Preisveränderung (Inflationsrate)


Quelle

BIP


Quelle

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Ich weiß nicht ob solche Kennzahlen alleine ein ausreichend gutes Bild abgeben. Gerade eine Entwicklung von 2010 bis 2023 hat ja keinerlei Aussage über die Zukunft. Dass viele Probleme der Zukunft natürlich wenig mit der Politik der Ampel zu tun haben ist auch wahr, aber Fachkräftemangel, Nachfolgermangel, mangelhafte Vorbereitung auf Transformationen (da sind viele Unternehmen selbst schuld) etc. sind halt doch Faktoren, die für die Entwicklung der nächsten Jahre massiv bremsen können (nicht müssen).

Das scheint mir gleich auf mehreren Ebenen nicht sinnvoll zu sein. Angefangen mit der Umfrage selbst:

Bei der Fragestellung kann ja alles mögliche bei rum kommen. Wessen Lage denn? Der Unternehmer? Der Arbeitnehmer? Der Rentner? Wer sich mit dieser Frage jedenfalls an die Menschen in Deutschland richtet, und das hoffentlich entsprechend fein gemittelt usw, der legt ja nahe, dass es um die persönliche Situation eben jener Menschen gehen soll.

Und für die sind die genannten Punkte doch nur arg begrenzt aussagekräftig. Dass ein hohes BIP nicht für volle Mägen und warme Wohnungen sorgt, muss man hoffentlich niemandem erklären.

Und es sollte eigentlich jedem mit etwas Lebenserfahrung im Kapitalismus auch klar sein, dass Arbeit an sich kein Garant für irgendwas ist, ganz bestimmt nicht für ein gutes Leben oder sorgloses Dasein. Weswegen auch eine Beschäftigungsquote da kein Gegenargument ist. Da kommt es schon ganz entscheidend auf Inhalt und bottom Line dieser Beschäftigung an.

Bevor es jetzt kommt: Nein, auch der Grad der Beschäftigung innerhalb oder außerhalb vom Mindestlohn ist da kein gültiger Einwand. Denn selbstverständlich kann Entlohnung über dem Mindestlohn durchaus zu einem miserablen (wirtschaftlichen) Dasein führen.

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Klassiker. Du betrachtest einen langen Zeitraum, weil dir das Fazit passt. Genausogut könnte ich auf das BIP 2023 im Vergleich zum Vorjahr schauen. Da sehe ich dann eine BIP-Senkung um 0.3%.

Von daher würde ich sagen:

69 Prozent der Befragten rechnen damit, dass es mit der Wirtschaft zurzeit eher abwärts geht

Die 69% haben recht.

Genauso mit deinen anderen Kennzahlen:

Hm, jetzt gucken wir irgendwie nicht mehr auf 2010, sondern auf die letzten Jahre?
Während Gas in 2024 tatsächlich günstiger ist als in 2023 (Neuverträge), sind die dort ausgewiesenen 6.7 Cent/kWh immernoch über dem Preis vor dem Ukraine-Krieg.

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Nein, ich betrachte den Zeitraum seit 2010, weil sich die Umfrage auf „die letzten 14 Jahre“ bezogen hat, und die Statistik entsprechend gut gepasst hat.

Selbst wenn die recht haben ist es realitätsfern anzunehmen, dass wir gerade in der schlechtesten wirtschaftlichen Phase der letzten 14 Jahre sind. 2020 zum Beispiel ist das BIP um 3,8% gesunken.

Aber natürlich kannst du gerne die Meinung vertreten, dass die aktuelle extrem pessimistische Stimmung auch objektiv angebracht ist. Aus meiner Perspektive ist sie das nicht.

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Ich mache meine schlechte Stimmung nicht an irgendwelchen Zahlen fest, zudem sind diese auch noch zum Teil unrealistisch.

Allein der Bundeshaushalt macht ja schon 600 Milliarden aus, da kann das BiP nicht bei 1 Billion liegen. Statista nennt zum Beispiel 4,2 Billionen, das halte ich für weitaus realistischer.

Ich bin schlecht gestimmt, weil meine Frau und ich uns kein Haus leisten können, obwohl wir beide studiert haben und weit überdurchschnittlich verdienen.

Ich bin schlecht gestimmt, weil ich jeden Monat von Prügeleien an der zukünftigen Grundschule meiner Kinder höre.

Ich bin schlecht gestimmt, weil wir monatlich 750€ an unsere Kita überweisen, diese jede zweite Woche wegen Krankheiten die Betreungszeit kürzen, aber das Geld nicht erstatten. Zusätzlich gönnen die sich 6 Wochen bezahlte Schließtage im Kalenderjahr.

Ich bin schlecht gestimmt weil unsere Bundesstraße seit 2005 häppchenweise zu einer Autobahn ausgebaut wird und die Aktion noch bis mindestens 2032 dauert.

Ich bin schlecht gestimmt, weil meine Familie und ich unseren Lebensstandard trotz moderater Lohnerhöhungen seit 2018 nicht mehr steigern konnten.

Ich bin schlecht gestimmt, weil unsere Kreisstadt zusehends verelendet. Immer mehr Geschäfte stehen leer, immer mehr Bettler auf der Straße, immer mehr Müll der rumliegt.

Es mag ja sein, dass wirtschaftliche Kennzahlen gut sind, aber wenn es Kennzahlen für das oben genannte gäbe, müssten diese schlecht sein.

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Da könnte man fast glauben, dass mit steigendem Gehalt die Unzufriedenheit steigt.

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Das kann tatsächlich sein.

Als Student habe ich immer davon geträumt, dass es mir irgendwann besser gehen wird, dass ich mir als Ingenieur all die schönen Dinge werde leisten können auf die verzichte. Dass das Sparen irgendwann ein Ende haben wird.

Pustekuchen. Wenn Du nichts erbst, kannst Du Dir in Deutschland* auch kein Haus kaufen.

*in den Regionen mit Infrastruktur. In einem entlegenen Dorf ohne Mobilfunk, Schule und Geschäfte könnte ich mir locker eine alte Hütte mit Gasheizung kaufen.

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Ja den letzten Satz erlebe ich immer wenn Münchner mich in Niederbayern besuchen: schöne Häuser, aber am falschen Ort. Du wirst dir, wie die Münchner, dort aber ein schönes Haus für den Ruhestand leisten können und damit deinen Beitrag leisten, dass die Preise sich wenigstens ein bisschen Richtung München bewegen. Das bleibt dem Geringverdiener verwehrt, auf den du vielleicht als Student neidisch angeschaut hast. Es hat mich fassungslos gemacht, als die freien Wähler mit Plakaten „Erbschaftsteuer abschaffen“ vom Wahlkampfauftakt zur Landtagswahl kamen. Hab dann erst mal Aufklärungsarbeit geleistet. Auch die CSU wollte das zum Thema machen (Erbschaftsteuer Ländersache, da zu hoch). Das Thema hat keinen interessiert, die CSU hat dann mangels Alternativen gegen die Grünen gehetzt - und die freien Wähler hat eh jeder in Deutschland mitbekommen.
Unser Problem ist wirklich, dass die Leistungsgesellschaft sich auf Leistung fokussiert und das, was man aus dem eigenen Leben kennt. Die Reichen können sich immer mehr entkoppeln und aus der Gesellschaft verabschieden. Da das außerhalb jeder Vorstellungskraft liegt, beschäftigt sich der Bürger erst gar nicht damit. Das Gleiche, wenn Einzelne Gehälter im 7- oder 8-stelligen Bereich bekommen, das ist einfach jeder Angemessenheit enthoben. Oder Politiker bei Subventionen noch mal zwei Nullen dran hängen. Wie viele Unternehmen erreichen einen 10-stelligen Bilanzwert? Und der Staat packt das einfach mal so oben drauf, für ein Unternehmen.
Mich macht fassungslos, wie die Bürger dann immer wieder Parteien wählen (ja, das schließt die AFD mit ein), die alles nur schlimmer machen. Und Petitionen zu einer Ersatzstimme erreichen dreistellige Unterschriftszahlen - da kann man dann wirklich keinem mehr helfen. Der Wähler hat entschieden: lieber erst mal keine Veränderung - und dann jammern, dass wir abgehängt werden.

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Ich denke, so ein bisschen ist Unzufriedenheit auch ein wesentlicher Teil unseres marktwirtschaftlichen Leistungsprinzips.
Höher, weiter, schneller macht man ja nur, wenn man immer mehr will, also der Status Quo eigentlich immer zuwenig ist.
Zufriedenheit mit dem was man hat ist eher selten, wie hier ja schon beschrieben.
Ein eigenes Haus, der große Urlaub, ein noch besseres Auto.

Und sicher ist dieses Streben für diejenigen, die kein Fortkommen für sich selbst sehen, nicht mehr erstrebenswert. Da sie ggf das Gefühl haben, sich nur noch für den Wohlstand anderer krumm zu machen.
Das kann auch unzufrieden machen. Also sind beide Seiten irgendwie unzufrieden

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Würde ich so nicht allgemein teilen. Hier ein Einblick aus meinem Arbeitsalltag bei der Beratung sehr großer Mittelständler:
Die Kostensteigerung inkl. der Lohnkosten führt bei vielen Unternehmen zu wirtschaftlicher Unsicherheit. Es gibt Entlassungen oder es wird darüber nachgedacht und das wird wahrscheinlicher je länger sich die Situation nicht stabilisiert.
Das hat aber auch mit a) negativer Zukunftsaussicht und hohen Zinsen (führt jeweils zu weniger Investitionen) und b) Transformationen zu tun (AI, Aussterben klassischer Laden-Geschäfte etc.).

Passend dazu das ZDF Politibarometer

Die Wirtschaftslage ist …
… gut 10%
… teils teils 49%
… schlecht 40%

Mit der Wirtschaft geht es …
… aufwärts 2%
… keine Änderung 28%
… abwärts 69%

60% sagen, dass die Wirtschaft mehr unterstützt werden sollte, mit Geld aus anderen Bereichen (62%).

Zusätzliche Schulden (18%) und Steuererhöhung (13%) sind sehr unbeliebt.

Sehr sehr negative Werte.

Wenn ich das mit dem Kommentar von @Schorschie verbinde, dreht sich mir echt der Magen um. Die Menschen beobachten unbefriedigende öffentliche Dienstleistungen und Daseinsfürsorge und geringe reale Kaufkraftzuwächse in den unteren und mittleren Einkommensschichten. Sie schieben das auf eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung und fordern deswegen die Umschichtung staatlicher Gelder zur Wirtschaftsförderung, ohne dass diese durch höhere Steuern oder Schulden gegenfinanziert werden soll.

Woher soll das Geld dann kommen? Übrig bleibt nur die Gelder für öffentliche Dienstleistungen und Daseinsfürsorge zu kürzen. Was wiederum die Menschen wütender macht. Und so weiter.

Derweil lachen sich die vermögens- und einkommensstarken Schichten ins Fäustchen, während sie ihren immer größeren Anteil am Volksvermögen zur Bank fahren.

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Vielleicht müssten sich Unternehmen und Arbeitnehmende mehr zusammensetzen.

Von Arbeitnehmerseite evt zur Sicherung des Arbeitsplatzes nicht die ganz hohen Lohnforderungen (schon an der Inflation ausgerichtet), aber als Unternehmen nicht das letzte Prozent Investorendividende im Auge haben bzw das letzte Prozent Gewinnsteigerung zu Lasten der Arbeitnehmer.

Letzlich brauchen sich beide einander.

Ein Unternehmen kann sich zwar sagen, ich automatisier jetzt alles komplett, spare mir alle Lohnkosten, nur wer kauft (und verkauft vor Ort) dann die Produkte.

Und als Arbeitnehmer brauche ich halt jemanden, der mir Lohn zahlt.

Kenne Firmen, da funktioniert die Kommunikation, aber auch andere, da nicht.

Für die kunststoffverarbeitende Industrie Bayern kann ich sagen: 2022 und 2023 insgesamt 5,5% Lohnerhöhung (+Einmalzahlung), für 2024 je nach wirtschaftlicher Lage 2000€ bis 2600€ Inflationsprämie (+3% mehr Weihnachtsgeld). Die meisten Arbeitnehmer und Gewerkschaften haben durchaus ein Interesse daran, dass ihre Unternehmen auch in Zukunft existieren.

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Ich stimme in vielen Punkten der schlechten Stimmung zu.

Muss dieser Lebensstandard denn immer weiter steigen?
Denn eine Steigerung des Lebensstandards hat meistens zur Folge, dass der CO2-Fußabdruck steigt, was wir verhindern sollten.
Woran machst du eine Steigerung des Lebensstandards eigentlich fest? Oft bemerken wir auch gar nicht mehr das unser Lebensstandard steigt. Bsp.: vom Handy zum Smartphone. Alle diese Innovation hat den Lebensstandard massiv erhöht ohne das wir es wirklich war genommen haben.
Bsp.: Medizinische Versorgung. Unglaublich aber diese steigt auch stetig, was zu einer höheren Lebenserwartung führt und oft zu einem gesünderen Leben im hohen Alter.

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