Töten anderer Verkehrsteilnehmer als Bagatelldelikt

Die Zeit berichtet, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Autofahrer, der vor etwa einem Jahr den Fahrradaktivisten „Natenom“ auf einer Landstraße totgefahren hat einen Strafbefehl erlassen hat:

Für den 78 Jahre alten Autofahrer wurde eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen festgesetzt und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.

Für mich ist insbesondere der zweite Teil des Strafbefehls völlig unverständlich, wenn die Staatsanwaltschaft ihre eigene Darstellung des Tathergangs ernst nehmen sollte:

Der 78-Jährige habe den Radfahrer ungebremst mit einer Geschwindigkeit zwischen 80 und 90 Kilometern pro Stunde erfasst. Dabei sei die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, dass sich Mandalka im Vorfeld des Unfalls vorschriftsmäßig verhalten habe und insbesondere durch seine Warnweste sowie die eingeschaltete Fahrradbeleuchtung ausreichend für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar gewesen sei, hieß es zur Begründung.

Also nochmal zum mitschreiben: Da übersieht ein knapp 80-jähriger Autofahrer vollständig einen Fahrradfahrer mit Warnweste und Fahrradbeleuchtung, bremst vor dem Aufprall nicht mal ab und kommt trotzdem mit 2 Monaten Fahrverbot davon?

Vielleicht übersehe ich hier was und „2 Monate Fahrverbot“ triggert irgendwie automatisch so viele Punkte in Flensburg, dass der Lappen weg ist, aber dafür sehe ich aus der Berichterstattung und kurzer Recherche keine Hinweise.

Ja, 150 Tagessätze sind vermutlich eine Stange Geld, aber der Kern des Vorgangs, also ob der Autofahrer überhaupt die Fähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer besitzt, wird hier gerade zu als Bagatelle behandelt.

Ganz ehrlich: Wenn die Darstellung der Staatsanwaltschaft annähernd stimmt, dann sollte hier eigentlich eine amtsärztliche Untersuchung und anschließender „Idiotentest“ unabhängig von der Länge des Fahrverbots das Minimum sein. Und ich persönlich würde mich als Radfahrer erheblich sicherer fühlen, wenn in solchen Fällen der Führerschein auch grundsätzlich entzogen wird und nach Abschluss des Fahrverbots und der MPU neu beantragt werden muss.

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Einziges Trostpflaster: der Autofahrer scheint gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt zu haben, es gibt also die Chance auf eine Hauptverhandlung und damit vielleicht die Motivation der Staatsanwaltschaft, eine etwas sinnigere Strafe zu suchen.

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Für mich auch nur schwer nach zu vollziehen. Wenn er den Fahrradfahrer ohne triftige Erklärung übersehen hat, hat er meiner Meinung nach gegen $1 StVO verstoßen. Und ohne dieses Regelverstoß wäre der Unfall nicht passiert. Damit wären für mich die Vorraussetzungen für fahrlässige Tötung gegeben.

Trotzdem habe der 78-jährige Autofahrer den Radaktivisten aus Unachtsamkeit übersehen.

Aber es ist leider Standard, dass Autofahrer, die Passanten und Radfahrer überfahren, weil sie sie nicht gesehen haben mit sehr milden Strafen davonkommen.

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Strafe kann nichts wiedergutmachen. Aber der Führerschein hätte angesichts des Alters endgültig weg sein müssen.

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Aber möglicherweise andere abschrecken. Wenn aber suggeriert wird, dass das tot fahren anderer Menschen eine Lappalie ist wird das leider quasi niemand abschrecken oder motivieren rücksichtsvoller zu fahren.

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Ja, klar. Am besten eine Bewährungsstrafe.
Trotzdem wäre es wichtig, den Führerschein zu entziehen.

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Ist das nicht die gleiche Staatsanwaltschaft, bei der Natenom jahrelang vergeblich versucht hat sie dazu zu zwingen, rechtsverletzendes Verhalten von Autofahrern zu verfolgen? Dann wundert mich gar nichts, nach dem was man so über die Jahre in seinem Blog lesen konnte betrachten diese Staatsanwälte dort Radfahrer generell als rechtlos und nicht schutzwürdig.

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Wenn es sich um einen Fahrer der schlicht nicht mehr die Fähigkeiten zu fahren hatte handelt der das nicht einsehen wollte, dann schreckt man den nicht ab, weil er ist ja laut Selbstwahrnehmung voll fahrtauglich.

Ich bin insbesondere was fahren im Alter geht hier zwiegespalten. Tests mögen ein paar Leute aus dem Verkehr ziehen, da aber bei vielen ja der Zustand auch eine Momentaufnahme ist und sich einerseits schnell verschlechtern kann, andererseits oft sehr schwankend ist bin ich mir nicht sicher ob Aufwand und Nutzen im Verhältnis stehen.

Was ich sicher befürworte ist eine Prüfung der Eignung auch nach kleineren Unfällen z.B. an Parkplätzen, wenn das Alter oder andere Faktoren Hinweise drauf geben, dass diese Eignung vielleicht nicht mehr zu 100 % gegeben ist.

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Das!

Meine Oma hat im höheren Alter plötzlich angefangen, regelmäßig kleinere Auffahrunfälle, Blechschäden usw. zu verursachen. Sie war zum Glück einsichtig genug, das Autofahren daraufhin einzustellen. Aber bei manchen muss dann erstmal richtig krachen und offenbar gibt es Kandidaten (wie im vorliegenden Fall), denen selbst das noch nicht als Wink mit dem Zaunpfahl ausreicht.

Ich wäre trotzdem für regelmäßige Tests der Fahrfähigkeit (in jedem Alter aber mit steigender Kadenz in hohen Jahren), genauso wie für die Pflicht, bestimmte Aspekte der Fahrausbildung (besonders 1. Hilfe) regelmäßig aufzufrischen.

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Da der Zeitpunkt wann es zu einer Verschlechterung kommt aber extrem unterschiedlich sein kann müsste man ja schon ab 60 engmaschige Tests ansetzen.

Anlassbezogene Tests, z.B. wenn bestimmte Medikamente verschrieben oder Diagnosen gestellt werden könnte da weit effizienter sein.

Den größten Hebel haben aber in meinen Augen die Angehörigen.

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Kann das Problem da nicht erkennen. Piloten verursachen viel weniger Todesopfer und werden trotzdem viel engmaschiger kontrolliert. Wegen meiner könnte man schon viel früher regelmäßige Nachprüfungen mit schrumpfendem Intervall machen.

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Den größten Hebel hätte der Staat, der Führerscheine ab einem gewissen Alter einzieht und nur nach Tests wieder aushändigt. Kann schon sein, dass jemand genau zwischen den Tests soweit verfällt, aber mindestens die, bei denen man es schon jahrelang kommen sehen konnte, fischt man schon mal raus. Gute Sache, denn grade die sind ja völlig unbelehrbar, egal obs Angehörige oder sonstwer sagt.

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Piloten sind aber auch viel weniger. Wenn man solch ausführliche Tests engmaschig verlangt, dann muss man auch sicherstellen, dass es dafür Kapazitäten gibt ohne dass die Versorgung an anderer Stelle leidet.

Und dieser Test dann jedes Quartal?

Da Verschlechterungen oft schnell gehen halte ich selbst bei jährlichen Tests den Hebel den Angehörige haben als größer als die Wirkung der Tests.

Und was nützt es z.B… wenn der Fahrer im Test schön brav seine Brille trägt im Alltag diese dann aber regelmäßig liegen lässt.

Da sind einfach viele Faktoren dabei die Tests ein Stück weit wirksam machen, aber sicherlich nur einen Bruchteil der Fälle wirklich rausziehen würden.

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Der Strafbefehl wurde wegen fahrlässiger Tötung ausgestellt.

„Töten anderer Verkehrsteilnehmer als Bagatelldelikt“ ist irreführend. Der Richter hat einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung ausgestellt. Das ist kein Bagatelldelikt.

Das ist absolut notwendig, schon allein wegen einer möglichen Sehschwäche. Ab 40 sollte schon mal alle 5 Jahre Reaktion und Sehvermögen geprüft werden. Ich kenne genug die nur 18 ohne Brille durchkamen und jetzt bei weiten Dingen blind sind. Sicherheit geht vor und nach dem 18. Lebensjahr baut viel ab. Ich kann dieser Rücksichtnahme nichts abgewinnen und hat nur mit unserer leider vorherrschenden Gerontokratie zu tun.

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Ich habe nichts gegen einen Seh- und Reaktionstest alle 5 Jahre. Das sind Größenordnungen die logistisch leistbar sind.

Es ist aber eben so, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es innerhalb eines solchen Zeitraums zu massiver Verschlechterung kommt hoch ist und das deshalb der Einfluss von Angehörigen und ggf. Auch Ärzten weiter größer bleibt als der dieser Tests.

Auch das muss bei der Thematik eben gesehen werden.

Viel helfen könnte wenn bestimmte Diagnosen automatisch zu einem Test führen würden. Aber auch hier haben wir natürlich im Gegenzug das Risiko, dass Menschen nicht mehr zum Arzt gehen könnten aus Angst den Führerschein zu verlieren.

Aber die Strafe verschafft den Eindruck, dass es von der Strafverfolgungsbehörde als Bagatelle betrachtet wird. Und zwar sowohl aus der Perspektive der Abschreckung, als auch aus der Perspektive der Prävention.

Mir scheint das hier die Staatsanwaltschaft das „Recht auf Führerschein“ beim Autofahrer erheblich höher anlegt, als das „Recht auf Leben“ beim Fahrradfahrer und versucht hat, über eine recht hohe Zahl der Tagessätze den Eindruck von Strafe zu erwecken. Als Fahrradfahrer und Vater von fahrradfahrenden Kindern finde ich den Schwerpunkt hier aber völlig falsch gesetzt.

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Wir haben hier letztlich zwei unterschiedliche Diskussionen:

1) Sollte fahrlässige Tötung nur ein Vergehen sein?
Hier ist meine Antwort ganz klar: Ja!
Ich erinnere mich, wie wir mal bei einem Umzug eine Küchenplatte über die Fenster abseilen wollten, weil das Treppenhaus zu eng war, um sie da durch zu bekommen. Dumm, wie wir waren, haben wir nicht bedacht, dass dort, wo das Waschbecken war, ein struktureller Schwachpunkt liegt und was passierte? Das Teil brach in der Mitte ab und ist mehrere Stockwerke nach unter auf den Bürgersteig gebrettert. Wäre dort zufällig eine Person gewesen und getroffen worden, wäre das ziemlich sicher tödlich gewesen. Solche absolut dummen Dinge passieren - im Straßenverkehr häufiger als in anderen Situationen, aber sie passieren. Und wenn jemand einen Menschen auf so eine Art tötet, macht er sich den Rest seines Lebens Vorwürfe, von zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen der Angehörigen mal ganz abgesehen. Hier besteht einfach keine Notwendigkeit für höhere Strafen, sie können auch das Ziel nicht erreichen. Der 80-jährige hätte auch bei höheren Strafen den Radfahrer übersehen, er wäre auch wohl nicht noch langsamer gefahren.

2) Sollten wir höhere Ansprüche an das Führen von Kraftfahrzeugen setzen?
Das ist letztlich der eigene Knackpunkt, wenn im vorliegenden Fall zum Beispiel ein lebenslanges Fahrverbot für den Rentner gefordert wird, weil er offensichtlich nicht mehr die Wahrnehmungskraft hatte, den Radfahrer trotz guter Verhältnisse rechtzeitig zu erkennen. Aber hier haben wir eben ein gesellschaftliches Problem:
Ja, Autofahren ist verdammt gefährlich, ein Auto zu führen eine große Verantwortung.
Gleichzeitig ist es wirtschaftlich und Gesellschaftlich notwendig, die Schwelle für das Autofahren nicht zu hoch zu setzen. Wirtschaftlich, weil viele Berufe auf das Auto angewiesen sind und Menschen mit „nicht-optimaler kognitiver Befähigung“ das Führen von Kraftfahrzeugen zu verweigern erhebliche Auswirkungen hätte. Gesellschaftlich, weil es schwer ist, zu argumentieren, dass z.B. alte Menschen oder Menschen mit geringfügigeren Beeinträchtigungen nicht fahren dürfen, was gerade auf dem Land oft problematisch ist. Irgendwo müssen wir die Grenze ziehen, ab wann man ein KFZ hinreichend zuverlässig führen kann - aktuell wird diese Grenze sehr früh gezogen (dh. verhältnismäßig niedrige Anforderungen gestellt, die im Idealfall jeder erfüllen kann), sie höher zu setzen erhöht die Sicherheit des Straßenverkehrs, hat aber andere, nicht zu unterschätzende Preise.

Wenn es nur um die Sicherheit des Straßenverkehrs gehen würde, dürften vermutlich nur die Hälfe der Leute, die aktuell einen Führerschein besitzen, ein Kraftfahrzeug führen. Aber wirklich realistisch ist das wohl nicht, weshalb wir es als Gesellschaft leider akzeptieren, dass es zu (theoretisch vermeidbaren) tödlichen Unfällen kommt.

Das alles macht wieder deutlich, wie wichtig die Mobilitätswende ist. Wenn der ÖPNV auch auf dem Land eine zumutbare Alternative zum Auto wäre, könnte man die Anforderungen, ein KFZ führen zu dürfen, auch höher setzen.

Ein anderer Silberstreif am Horizont sind die immer stärkeren Unterstützungssysteme. Ein modernes Auto hätte den Tod von „Natenom“ vermutlich durch eine automatische Abbremsung verhindert. Auch hier wird sich in Zukunft die Frage stellen, inwiefern solche Systeme verpflichtend gemacht werden sollten, um etwaige Mängel auf Fahrerseits, die durch die niedrige Anforderungsschwelle entstehen, auszugleichen.

Ich persönlich denke, dass das die beiden Stellschrauben sind, die Tragödien wie die von Natenom in Zukunft verhindern können, Assistenzsysteme und mehr ÖPNV statt Individualverkehr. Zum jetzigen Zeitpunkt die Anforderungen für die Befähigung zum Führen von KFZ hochzusetzen (und folglich auch einen Führerschein schneller entziehen zu können) ist vermutlich gesellschafts- und wirtschaftspolitisch nicht durchsetzbar, so traurig man das auch finden mag, da es ja immerhin um Menschenleben geht.

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Danke für den Hinweis, eigentlich wollte ich mir auch nochmal die Urteilsbegründung suchen, deswegen hatte ich mir den Zeitungsartikel noch nicht richtig durchgelesen und bin aufgrund des gefühlt sehr milden Strafmaßes nicht davon ausgegangen, dass der Schuldspruch tatsächlich auf Fahrlässige Tötung lautete. Mein Fehler.

Insofern stimmt natürlich auch deine Einordnung, dass es sich formal juristisch nicht um eine Bagatelle handelt. Dennoch würde ich schon sagen, dass der Autofahrer noch sehr glimpflich davon gekommen ist. Und das er trotz des offenbar eindeutigen Übersehen eines Radfahrers weiter Autofahren darf, das kann eigentlich nicht sein.

Wie soll man Menschen gerade in ländlichen Regionen vom Fahrradfahren überzeugen und davon dass sie ihre Kinder nicht mit dem Auto zur Schule fahren brauchen, wenn wir solche Risikofahrer fahren lassen.

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