Liebes Lage-Team,
könnt ihr vor der Wahl erörtern, in welchen Situationen taktisches Wählen nach der Wahlrechtsreform noch zielführend sein kann um die Demokratie zu stärken?
Ich weiß nicht genau was die Wahlrechtsreform damit zu tun hat.
Ich halte taktisches Wählen generell für etwas schlechtes in Demokratien, weil dann deine abgegebene Stimme nicht deiner Meinung entspricht. Somit stärkt man mit taktischem Wählen nie ein demokratisches System. Teilweise kann das System einen aber indirekt dazu zwingen.
Aber der Hauptfaktor für taktisches wählen bleibt auch nach der Reform denke ich die 5% Hürde. Im aktuellen Fall der Linken, FDP oder BSW zu helfen über die 5% Hürde zu kommen.
Der zweite Faktor wäre nach potentiellen Koalitionen zu wählen, das dürfte aber bei den aktuellen Umfragen eher weniger eine Rolle spielen. Es sei denn man ist gegen die CDU, will aber auch keine „GroKo“ oder Schwarz-Grün, dann sollte man keine der 3 Parteien wählen.
Im Falle der Linken gilt vor allem auch, in Wahlkreisen wo der Direktkandidat echte Chancen hat, diesem eine Leihstimme zu gönnen. Auch im Fall der Freien Wähler sehe ich die Möglichkeit, dass sie drei Direktmandate in Bayern holen könnten. Auch für die FDP sehe ich da eine kleine Chance, dass die Zweitstimmenkampagne der CSU dazu führen könnte, dass es hier Leihstimmen für die FDP geben könnte. Inwiefern die aber etwas bewirken, muss man sehen. Gerade als kleine Partei mit guten Direktkandidaten darf man diese Möglichkeit nicht aus den Augen verlieren.
Volt kann in der Liste auch noch ergänzt werden.
Meiner Meinung nach kommt man früher oder später zu einem amerikanischen System mit 2 Partein wenn das taktische Wählen Einzug gewinnt. Man sollte die Partei wählen, die einem am nächsten steht.
Ich glaub aus taktischer Perspektive macht es nicht viel Sinn Volt zu wählen, weil wir nicht wirklich wissen, wo sie in den Umfragen stehen.
Ich glaub hier liegt ein Missverständnis vor, was im amerikanischen System passiert. Dort gibt es ein winner takes it all Prinzip. Das heißt, wenn man für eine ideologisch ähnliche Partei stimmt, schadet man seiner Seite, da die andere Seite einen relativen Vorteil bekommt. Somit zwingt das System die Wähler zu einem taktischen Wählen. In Deutschland ist das nicht der Fall, da wir kein winner takes it all Prinzip haben und außerdem Koalitionen möglich sind. Daher besteht hier kein Risiko eines 2 Parteien Systems.
Auf der anderen Seite gibt es sowieso schon immer in Deutschland taktisches Wählen, da es die 5% Hürde gibt.
Was ich meinte ist, was wir ja auch schon in Brandenburg sehen. Wenn man anfängt „taktisch“ zu wählen, kommen unter Umständen weniger Partein in den Bundestag/Landtag etc.
Wie geht das dann weiter, nächste Wahlperiode sagt man dann lieber nicht die SPD wählen sondern die CDU um die AFD zu verhindern. Evtl. fällt ja das BSW noch weg dann hat man auf einmal nur noch 2 Partein.
Das mag jetzt vielleicht etwas überspitzt sein, aber ich habe schon das Gefühl, dass es auf keinen Fall unrealistisch ist.
Es ist schon ein wenig unrealistisch, denn wenn es sich z.B. auf drei Parteien verengt (AfD, CDU, SPD) wäre die Wahrscheinlichkeit, dass eine der beiden demokratischen Parteien an der 5%-Hürde scheitert, nahezu null. Kurzum: Der Wähler im demokratischen Lager kann immer noch frei zwischen diesen beiden „Alternativen zur Alternative“ entscheiden.
Das von dir beschriebene Szenario tritt regelmäßig nur bei Wahlen nach dem Mehrheitswahlrecht auf. Dort sind tatsächlich Szenarien denkbar, in denen der Linke plötzlich CDU wählen muss, um einen AfD-Bürgermeister oder Landrat zu verhindern…
Als Grünen Stammwähler überlege ich doch diesmal aus taktischen Gründen die Linken zu wählen, damit diese über die 5% kommen und nicht, falls das nicht klappen sollte, die „verlorenen“ 4,9% anteilsmäßig über alle anderen Parteien, insbesondere der rechten Seite, verteilt werden, auch wenn ich tatsächlich gerade mit der Ukraine/Russland Position der Linken nicht mitgehen würde. Irgendwelche Gegenmeinungen (oder Zustimmungen) dazu?
Für mich ist es fast genauso.
Nur mit der Einschränkung, dass die Grünen aus meiner Sicht zu sehr auf Merz zugehen und gegen ihre eigene Überzeugung bereits eine zu harte Asylpolitik betreiben (wobei ich einsehe, dass europäische Lösungen gefunden werden müssen).
Außerdem ist die Linke die einzige Stimme gegen die Vermögensungleichheit und mit einem finanziell ausgeglichenen Haushalt im Wahlprogramm. Diese Stimme würde sehr fehlen und dann sogar den extrem rechten zugutekommen, wenn sie nicht in den Bundestag kommen.
Das stimmt so nicht, die Grünen, Volt und die FDP haben auch Lösungen gegen die Vermögensungleichheit.
Wüsste nicht wo. Noch nicht mal die Grünen trauen sich da ran. Volt vielleicht, aber ich will erstmal die Linke im Parlament haben.
FDP? Soll das ein Witz sein?
Wenn die Linke wieder in den Bundestag kommt, wird Gysi Alterspräsident, und hat damit bei seiner ersten Rede kein Zeitlimit. Man sollte sich gut überlegen, ob man das den Abgeordneten wirklich zumuten will
Die Grünen sind doch für eine Reform der Erbschaftssteuer, was eine Lösung für die Vermögensungleichheit ist.
Die FDP möchte den Vermögensaufbau erleichtern.
FDP vertritt die Interessen der reichsten 1 %.
Wie soll überhaupt jemand, der Geringverdiener ist, Vermögen aufbauen. Was für ein Nonsens. Aber das ist hier im Thread auch nicht Thema.
Die Grünen sind sehr zaghaft, zaudern, zögern. Ist sicher auch nicht ihre Stammwählerschaft. Alles nicht überzeugend.
Die einzige Partei, die die Armen und Geringverdiener adäquat vertritt, ist die Linke. Können wir es uns leisten, auf diese Stimme im Parlament zu verzichten? Aus meiner Sicht: Nein. Deshalb spricht meine Wahltaktik-Überlegung dafür, sie in den Bundestag zu wählen.
Das Gegenteil ist im konkreten Fall korrekt. Hätten in einem bestimmten Wahlkreis nur wenige Tausend Menschen mit der Erststimme Grüne statt SPD gewählt, wären die Grünen in den Landtag eingezogen, die AfD hätte dort keine Sperrminorität und es hätte eine Regierungsmehrheit ohne AfD oder BSW gegeben. Und all das bei exakt demselben Wahlverhalten bei den Zweitstimmen.
Siehe Kann taktisches Wählen einen Impact haben? - #8 von Flixbus
Das Label „taktisch wählen“ ist aus meiner Sicht einfach gnadenlos überstrapaziert. Es gibt nur wenige Fälle, in denen taktisches Wahlverhalten wirklich eine Art Hebelwirkung bekommen kann, d. h. wo man mit relativ wenigen Stimmen ein Gesamtergebnis (etwa die Sitzverteilung) nennenswert beeinflussen kann. Diese wenigen Fälle sind in der Regel im Voraus bekannt, und in der Regel wählen nur die allerwenigsten Menschen in diesem Sinne taktisch.
Dass z. B. eine Partei, die in den Umfragen nie über 2 % kommt, bei der Wahl auf einmal die 5%-Hürde schafft, ist einfach nur extrem unwahrscheinlich - da ist es dann auch egal, ob sie bei 2,5 oder 2,8 Prozent landet. Natürlich ist es komplett legitim, diese Partei zu wählen, aber das hat eben nichts „Taktisches“
Es geht aber auch weniger um Parteien, die um 2% sondern eher um 5% an Stimmen erwarten dürfen und da finde ich es durchaus legitim über strategisches Wählen zu sprechen. Was mich halt besonders bewegt ist, dass bei der knappen Verfehlung der 5% Hürde diese nicht unbeträchtlichen Stimmen proportional auf alle in den Bundes-/Landtag eingezogenen Parteien verteilt werden.
Natürlich kann man davon sprechen, die Frage ist halt nur wie sinnvoll das ist. Wenn eine Partei in den Umfragen zwischen 4 und 5 Prozent steht, müssen mehr Leute als gedacht sie tatsächlich wählen, damit sie über die 5-Prozent-Hürde kommt und ins Parlament einzieht. So weit, so banal. Aber das an sich ist ja nichts Taktisches, geschweige denn etwas „Strategisches“. Es bleibt ja im Kern eine indivdiuelle Wahlentscheidung, bei der sich 4-5 Prozent für diese Partei und 95-96 Prozent der Wähler gegen sie entscheiden.
Damit wählen taktisch wird, muss es sich erstens um ein kollektives bzw. zumindest koordiniertes Vorgehen handels und zweitens braucht es ein taktisches Ziel. Taktisch wäre es zum Beispiel wenn jemand eine Partei wählt, damit sie auf mindestens 5 Prozent kommt, obwohl dieser Jemand die Partei eigentlich gar nicht wählen will. Beispielsweise eine Kampagne von Unionspolitikern, um der FDP zum Einzug in den nächsten Bundestag zu verhelfen. Aber ein solches taktisches Szenario sehe ich derzeit nicht - abgesehen vielleicht von der „Aktion Silberlocke“ der LINKEN, die aber nach heutigem Stand keinerlei Aussicht auf Erfolg hat…
Und ja, die Kritik an der starren 5-Prozent-Hürde finde ich absolut berechtigt, das wurde hier im Forum ja auch schon mehrmals rauf- und runterdiskutiert. Nur hat auch das erst mal nichts mit taktischem Wählen zu tun.
Ok, das kann man so sehen, aber ich bin persönlich der Meinung, dass eine individuelle Wahlentscheidung trotzdem taktisch sein kann und das nicht bedingt, dass es ein „größeren Plan“ gibt. Wenn ich die Wahlprogramme insgesamt betrachte, ohne auf die individuelle politische Situation aktuell einzugehen, würde ich sicher wieder grün wählen, da die mir am Nächsten sind. Die Situation bringt mich aber zu dem Punkt, dass ich überlege, ob es nicht besser wäre meine eine Stimme für die aus meiner Sicht „zweitbeste“ Wahl zu nutzen, damit linke Politik insgesamt gestärkt wird. Und das verstehe ich auch unter „taktisch“ oder „strategisch“ Wählen.
Wenn die Rede von „taktischem“ Wählen irgendeinen Sinn haben soll, braucht es dafür Kriterien, die über ein bloß subjektives „finde ich aber schon irgendwie taktisch“ hinausgehen. Ansonsten wird der Begriff völlig sinnentleert. Soweit sind wir uns ja offenbar einig.
Die Frage ist nun, ob es „taktisch“ oder „strategisch“ ist, wenn ich eine Partei wähle, die sicher ins Parlament einzieht, auch wenn ich eigentlich eine Partei präferieren würde, bei der das zumindest unsicher ist. Und ich finde: solange das eine individuelle Entscheidung bleibt, die ja noch nicht mal daruf abzielt, das zu erwartende Wahlergebnis in irgendeiner Weise taktisch oder strategisch zu nutzen bzw. zu verändern, sondern einfach nur die eigene Wahlentscheidung davon abhängig macht, fehlt mir da einfach der taktische bzw. strategische Aspekt.
Wie gesagt: Man kann das gerne so nennen, nur verliert der Begriff damit aus meiner Sicht unnötig an Schärfe. Man könnte auch einfach sagen: Ich wähle lieber eine Partei, die sicher im Parlament vertreten ist.
Ich weiß nicht, ob es an den Siberlocken liegt, aber keinerlei Aussicht auf Erfolg sieht für mich anders aus.
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