"Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen" am 20. Okt. (unsichtbare Behinderungen, Neurodiversität u.ä.)

Hallo liebes Lage Team,

ich wollte mal dazu anregen, ob ihr in einer der nächsten Folgen im Oktober darauf hinweisen könntet, dass am 20. Oktober der “Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen” ist, und in dem Zusammenhang insbesondere das Konzept der Neurodiversität bekannt macht, sodass dieser Begriff zumindest mal Bekanntheit erfährt in der Bevölkerung. Traumhaft wäre, wenn sogar die Möglichkeit bestünde, dass ihr ein kurzes Interview führen könntet mit einer/m Expertin/Experten, die in diesem Bereich aktiv ist (ich könnte in meiner Neurodivers-Community, und zwar “Wohnzimmer Neurodivers e.V.” sicherlich eine(n) InterviewpartnerIn ausfindig machen.)

Aber falls organisatorisch kein solches Interview für euch machbar ist im Oktober, wären wir schon unglaublich dankbar, wenn ihr vielleicht in einer Oktoberfolge einfach nur 2 Sätze fallen lassen könnet, um diesen “Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen” zu benennen und darauf hinzuweisen, dass in dem Zusammenhang auch die Bekanntheit des Konzepts der Neurodiversität von großer Bedeutung ist.

Ich denke, dass die meisten Menschen das Wort Neurodiversität noch nie gehört haben, und denke zudem, dass viele derjenigen, die das Wort schonmal gehört haben, als erste Reaktion die Augen verdrehen so in die Richtung “Oh Gott, schon wieder ein neuer Fachbegriff, und dann auch noch ein Wort, wo schon wieder “Diversität” drinsteckt”. Diese Erfahrung hab ich auch schon gemacht.

Wenn man aber bedenkt, dass - je nach Definition und subjektiver Selbsteinordnung - doch so an die 20-25% der Bevölkerung als “neurodivergent” bezeichnet werden könnten, und - wie ich es selbst mitbekomme - dieser gar nicht so kleine Bevölkerungsanteil ungemein dankbar und erleichtert ist, dass es endlich einen dringend benötigten “Namen”, ein offizielles Label gibt, für deren (i.d.R. angeborene) neurologische/gehirnphysiologische Andersartigkeit, mit der sie in Wahrheit aber doch nicht so allein sind, sondern sich bisher immer nur sehr allein damit “fühlten”, weil vieles davon noch gesellschaftlich/politisch/wirtschaftlich tabuisiert, totgeschwiegen, unter Verschluss gehalten wird, bin ich froh, dass aktuell eine Bewegung ins Rollen kommt, die verdeutlicht: Neurodiversität ist definitiv der Rede Wert!

Die Community wächst zum Glück, und ein erfreuliches Beispiel für diese positive Entwicklung ist, dass deutschlandweit schon in sämtlichen Städten ein regelmäßiger sogenannter “Spaziergang Neurodivers” angeboten wird, der wachsende Bekanntheit und Beliebtheit erfährt. Ich selbst bin mitbeteiligt am Münchner “Spaziergang Neurodivers”.

Ich werde jetzt an der Stelle nicht anfangen, Neurodiversität zu definieren (da findet man viel im Internet), aber klassische Beispiele für neurodivergente Menschen sind ADHSler, Hochsensible, Hochbegabte und Autisten (da wissen viele Leute beispielsweise nicht, dass es auch viele Autisten gibt, denen man es von außen überhaupt nicht anmerken würde. Man hat da immer nur dieses klassische klischeemäßige Bild eines unterkühlten roboterartigen Autisten vor sich).

Unsere Community möchte nicht nur auf die soziale Bedeutung hinweisen, sondern auch die politischen und wirtschaftlichen Dimensionen der ganzen Thematik verdeutlichen (Umgang mit Neurodivergenten in Firmen, in der Arbeitswelt allgemein, in Schulen, uvm.)

[ Weil ich gerade merke, dass mein ursprünglicher Text zu lang geworden ist, kopiere ich die zweite Hälfte in einen separaten Post rein. Der Rest folgt also gleich in einem anderen Post]

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[Hier noch der Teil 2, der Rest meines Beitrags zum Thema “Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen” / Neurodiversität / Unsichtbare Behinderungen. ]

… Weil das für die meisten, die sich mit dem Thema Neurodiversität und Unsichtbare Behinderungen noch nie befasst haben, sicher noch sehr abstrakt ist, hier ein reales Beispiel von mir selbst: Ich hab 5 Jahre als Mathelehrerin und Schulpsychologin gearbeitet. Wegen meiner eigenen Neurodivergenz und der Tatsache, dass die meisten Institutionen (in dem Fall speziell die Institution Schule) mit sowas wie Neurodivergenz zu der Zeit noch nichts am Hut hatte und dementsprechend auch nicht auf sowas Rücksicht genommen hat, bin ich aus dem Lehrdienst ausgestiegen, obwohl ich den “Job” an sich gut gemacht hab, gute Noten in den Beurteilungen erhalten habe usw., nur dass aber keiner von außen geahnt hat, wieviel zusätzlicher Kraftaufwand und gesundheitliche Opfer meinerseits nötig waren, um diesen Job ordentlich ausführen zu können, eben wegen anderer Voraussetzungen aufgrund meiner Neurodivergenz. Dann wegen meiner Mathe-und Statistik-Affinität ein Jahr lang Weiterbildung gemacht als Data Analyst, hochmotiviert Python gelernt, nach Abschluss der Weiterbildung eine Stelle als Data Analystin bekommen in einer großen Firma. Aber weil in dieser, wenn auch großen, innovativen, modernen Firma, wo ich dann begann, in der Zeit einfach noch keinerlei Wissen und kaum Offenheit und insgesamt kein förderlicher Umgang mit Neurodiversität und unsichtbaren Beeinträchtigungen vorhanden waren, kam ein Verbleiben für mich in dieser Firma auch nicht mehr in Frage. Sodass ich mir letztendlich auf Dauer nur noch eine selbstständige Berufstätigkeit vorstellen kann, was ich inzwischen auch mache und was mich erfüllt. Und weil wir Neurodivergenten oftmals auch besondere “Idealisten” sind, sehr werteorientiert leben und agieren, und unter optimalen Bedingungen extrem aufblühen und dann in einen sogenannten Hyperfokus kommen, ist es nicht selten, dass gerade die Neurodivergenten sich sehr viel auch ehrenamtlich und gemeinnützig engagieren, Dinge einfach so aus Überzeugung tun, so wie ich, die dann eben mal eine ganze Weile für Demokratie-Aufklärung und - Förderung aktiv war in den Monaten nach der letzten Bundestagswahl und euch dieses 100-seitige PDF/Powerpoint zugeschickt hatte (:smiling_face: ich war die, die euch von meiner Whatsapp-Status-Demokratie-Förder-Aktion erzählt hatte, und euch meine ganzen Demokratie-Überlegungen zeigen wollte in Form des 100seitigen PDFs.)

Das Traurige daran ist aber dennoch, dass es zahlreiche echt schlaue, hochmotivierte, extrem kreative und unkonventionelle Köpfe im Lande gibt, die ebenso aufgrund ihrer Neurodivergenz nicht ohne Weiteres in einem Angestelltenverhältnis arbeiten könnten, weil die Arbeitswelt noch viel zu wenig sensibilisiert ist für Neurodivergenz, und viele von denen könnten nicht so einfach wie ich als Selbstständige arbeiten, und sind folglich jahrelang auf der Suche nach passender Arbeit, obwohl ihr Können fürs Land eine echt wertvolle “Ressource” wäre. Und, idealistisch und werteorientiert wie sie sind, machen viele dann ehrenamtlich/gemeinnützig ganz viel, … weil ja im Grunde total viel in ihnen drin brodelt, sie engagiert und motiviert sind, sie Energie haben, viel Tolles können, und sie was beitragen wollen zur Gesellschaft, …aber finanziell “belohnt” werden sie dafür nicht, und ebenso wenig erhalten sie die soziale Anerkennung, die sie eigentlich verdient hätten (stattdessen oft noch dieses allgemeine Denken: “… der komische Nerd da!…. so ein Weirdo! … der/die da ist einfach komisch …. der/die da ist immer viel zu sensibel und empfindlich …). Also wenn, dann immer eher Abwertung.

Deshalb, um zum Abschluss zu kommen: Nach meiner “Hommage an die Lage der Nation” vor paar Monaten, und meiner Hommage an die Demokratie und an das Differenzierte Denken (siehe damalige Email an euch), hier nun meine “Hommage an die Neurodiversität / an neurodivergente Menschen” :sweat_smile: und die Anregung/Vorschlag, dass ihr im Oktober den Tag der Nicht sichtbaren Beeinträchtigungen und das Konzept “Neurodiversität” bekannt macht in einer Folge … sei es nur in wenigen Sätzen. Wir alle Neurodivergenten, vor allem all jene von denen, die in ihrem Alltag mit nicht sichtbaren Beeinträchtigungen zu kämpfen haben, bis hin zu unsichtbaren Behinderungen, wären mega dankbar! :pink_heart: Denn mit eurem Podcast erreicht ihr ja echt viele ZuhörerInnen im Lande.

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Neurodiversität sichtbar machen. Bitte greift dieses Thema auf.

Ich möchte diesen Themenvorschlag nachdrücklich unterstützen und euch sehr ans Herz legen, ihn in einer kommenden Folge aufzugreifen. Neurodiversität betrifft einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Schätzungen sprechen von 20 Prozent. Trotzdem sind die Bilder in den Köpfen erschreckend veraltet und verzerrt.

Wenn heute über Autismus gesprochen wird, haben viele sofort Rain Man oder Sheldon Cooper vor Augen: männlich, schrullig, genial, sozial unbeholfen. Dieses Klischee macht unzählige Betroffene unsichtbar, vor allem Frauen, Menschen mit AuDHS und queere neurodivergente Menschen. Sie werden übersehen, weil sie gelernt haben zu maskieren. Sie passen sich mühsam an, imitieren neurotypisches Verhalten und leisten Höchstanpassung, um akzeptiert zu werden. Nach außen wirkt alles normal. Innen kostet es enorme Energie und führt häufig zu Erschöpfung, Depression und Zusammenbruch. Viele haben zusätzlich lebensprägende Erfahrungen von Ausgrenzung, Mobbing und Trauma hinter sich, weil sie früh als anders, irgendwie komisch und falsch wahrgenommen und nicht verstanden wurden. Gerade queere neurodivergente Menschen erleben dabei eine doppelte Unsichtbarkeit: Sie kämpfen mit gesellschaftlichen Vorurteilen gegenüber ihrer Identität und gleichzeitig mit dem Unwissen über Neurodiversität. Diese Unwissenheit führt zu Isolation, Diskriminierung und unsagbarem Leid.

Diese Unkenntnis ist nicht harmlos. Sie sorgt dafür, dass hochqualifizierte, kreative und kompetente Menschen scheitern, obwohl sie fachlich exzellent sind. Sie zwingt viele in die Soloselbstständigkeit oder in den totalen Rückzug, weil die Arbeitswelt nicht vorbereitet ist. Sie lässt sie jahrelang auf der Suche nach einem passenden Platz in der (Arbeits-) Welt verharren, während ihr Potenzial für unsere Gesellschaft verloren geht. Immerhin gibt es erste vorsichtige Bewegungen in der Arbeitswelt: Angesichts des Fachkräftemangels beginnen Unternehmen, sich für neurodivergente Talente zu interessieren. Firmen wie auticon zeigen mit erfolgreichen Kooperationen, dass dieses Potenzial enorm ist, wenn Strukturen angepasst und Barrieren abgebaut werden.

Wenn ein reichweitenstarkes Format wie euer Podcast dieses Thema aufgreift, könnt ihr helfen, genau diese falschen Narrative zu durchbrechen. Ihr könnt zeigen, dass Autismus nicht gleichbedeutend ist mit Genialität, geringer Intelligenz oder sozialer Kälte, dass weiblicher Autismus oft anders aussieht, dass AuDHS existiert und dass Maskierung ein Überlebensmechanismus ist. Ihr könnt sichtbar machen, dass queere neurodivergente Menschen existieren und besonders verletzlich sind, weil sie mehrfach unsichtbar gemacht werden. Ihr könnt aufklären, dass hinter maskiertem Verhalten enorme Kraftanstrengung steckt und dass Verständnis und flexible Strukturen den Unterschied zwischen Scheitern und Aufblühen bedeuten können.

Neurodiversität ist gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich von großer Bedeutung. Es geht um Sichtbarkeit, um faire Chancen und darum, enorme Fähigkeiten nicht länger ungenutzt zu lassen. Gerade ihr erreicht mit eurem Podcast Menschen, die Meinungen prägen, Diskussionen anstoßen und Einfluss haben. Nutzt diese Reichweite, um falsche Bilder zu korrigieren und einen dringend nötigen Perspektivwechsel anzustoßen.

Vielen Dank

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An dieser Stelle darf ich auf meinen früheren Vorschlag zu diesem Thema hinweisen. Das Thema hat m.M.n. durch die “Gesundheitspolitik” von RFK jr und dem Kulturkampf gegen Autismus, gegen Impfungen und gegen Paracetamol an Brisanz gewonnen.

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Danke für deine Auflistung mit den Spiegelstrichen @SPP , ich finde du zählst da so mega wichtige Punkte auf.

Ich möchte an der Stelle noch ergänzend aus meiner Sicht als (zwar nicht Autistin, aber) ADHSlerin und als Hochsensible (angeborene “Hochsensibilität” nach dem Modell von Elaine Aron aus den 90ern) zusammen mit komplexem Trauma sowie zusätzlich mehreren chronischen Erkrankungen noch sagen, dass sämtliche deiner Auflistungspunkte ebenso für ADHS und weitere Neurodivergenzen zutreffen.

Dies zeigt noch einmal mehr, wie viele(!) Leute von dieser Thematik im Grunde betroffen sind. Nur dass es immer noch so unter den Tisch gekehrt wird, und viele von uns sind ständig im Dilemma: Lieber Klappe halten und Höchstanpassung an die statistische Norm leisten (unter unsagbaren Kraftanstrengungen und Opfern) oder sich trauen, mehr und mehr seine Normabweichung zu benennen und spezielle Bedürfnisse zu äußern, jedesmal in der Hoffnung für Verständnis und Wertschätzung für die Offenheit, um sich danach doch wieder wie der nervige Wichtigmacher oder seltsame dramatisierende Spinner fühlen zu müssen. Es wäre so toll, wenn in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz, in Schulen, uvm viel mehr dazu ermutigt und ermuntert wird, seine eigene Neurodivergenz offen zu kommunizieren (sofern man möchte natürlich, also freiwillig) und damit verbundene Bedürfnisse zu benennen mit der expliziten Betonung, dass das was Willkommenes ist.

Ein anschauliches Beispiel ist mein Post bzgl Zurückspulbutton und meinem kurzen Austausch mit @TilRq . Ich denke, bisher würden die wenigsten verstehen, was da mein Problem war, was ich mich denn so “anstelle”. Das ist so sinnbildlich für tausende solcher Situationen. Die meisten neurotypischen Menschen können sich logischerweise nicht vorstellen wie es ist mit einem neurodivergenten Gehirn zu leben in unserer Gesellschaft. Abhilfe schaffen, also zumindest mehr Verständnis bringen würde Austausch, Aufklärung, mehr Neugierde, mehr Interesse, weniger Tabuisieren und Totschweigen. Dann würde mehr und mehr verstanden werden, dass Neurodivergenz kein Fehler des Hirns ist, dass die Wahrnehmung und geistige Informationsverarbeitung von Neurodivergenten nicht “falsch” ist, sondern einfach “anders”, oft verzweigter, komplexer, vielschichtiger. Und ebenso “gewinnbringend” für unsere Gesellschaft wie die von Neuro-Typischen. Sofern da mal mehr Entgegenkommen von der Allgemeinbevölkerung käme und wir mehr Chancen und mehr Ermutigung und Bestärkung erhalten würden uns zu öffnen und zu entfalten. Und das wiederum setzt Aufklärung und Austausch und Offenheit in der Gesellschaft voraus. Wenn die Leute “nicht wissen”, können sie sich auch nicht förderlicher verhalten.

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Hallo Jasmin,

du hast auf meinen Beitrag zur Inklusion geantwortet und gefragt, ob wir - die FASD-Community - etwas am 20. Okt. zum Tag der unsichtbaren Behinderung machen. Von mir aus laufen ein paar Anfragen, ähnlich der bei talk.LdN, weil wir als recht frischer Bundesverband noch mal neu die Fahnen für mehr Aufmerksamkeit schwenken. Als Verband werden wir natürlich dazu was auf unseren sites und anderen sm Kanälen veröffentlichen. Wir zählen uns ja dazu, also den Menschen mit einer unsichtbaren Behinderung, denn nur 25% der Menschen mir einem Fetalen Alkoholsyndrom sehen auch so aus. Die Bilder, die man im Internet zuhauf findet, sind zwar alle richtig, aber wie gesagt, sie repräsentieren bei weitem nicht das ganze Spektrum.

Neurodiversität ist natürlich auch wesentlicher Teil der Problematiken bei FASD. Ich persönlich gehe soweit, dass man Neurodiversität viel weiter fassen muss. Es würde den Stress mit den Anpassungsleistungen an eine angebl. normale Alltagsrealität besser erklären, den viel mehr angebl. normale Menschen haben, als es scheint oder offiziell besprochen wird. Hinter vielen Beschwerden, Berufsunfähigkeiten, psychischen Erkrankungen - aber das weißt du ja selbst nur zu gut - steckt eine nicht erkannte Neurodiversität.

Die einzelnen Gruppen hinter diesem Thema haben sich noch nicht gefunden…du kanntest FASD ja auch noch nicht so genau. Das ist Zukunft, aber per Gesetz fällt es alles unter Inklusion.

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Danke @Udo25 für Deine Rückmeldung! Habe diese Woche einen Banner für den Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen übermorgen drucken lassen, und habe direkt auch FASD als ein Beispiel mit aufgeführt (schicke Dir gerne noch ein Foto vom Banner). Habe gelesen, dass FASD zur häufigsten angeborenen Erkrankung zählt. Und ich kannte die Abkürzung nicht mal, trotz beruflichen Psychologie-Backgrounds.

Ich stimme Dir voll und ganz darin zu, wie Du die wahre Relevanz von Neurodiversität in der Lebenswelt beschreibst und wie unverhältnismäßig der öffentliche Umgang mit diesem Konzept ist: Wenn man ehrlich ist, ist die Berücksichtigung der naturgegebenen Neurodiversität einer Bevölkerungsgruppe in eigentlich so gut wie jedem Lebensbereich relevant und nötig: Das geht noch weit über die Bereiche “Schule” und “Arbeitswelt” hinaus. Das Wissen über Neurodiversität ist ja quasi “überall” wichtig:

- In sämtlichen Streitigkeiten oder Konflikten würde Neurodiversität oft einen Teil des Problems erklären. Auf die Idee kommen meiner Beobachtung nach aber wenige. Bei allem rund ums Thema Leistung und wie jemand zu funktionieren hat, geht es um Neurodiversität. Darüber spricht aber keiner. Stattdessen ist es immer leicht zu sagen “xy ist einfach nur faul oder stellt sich doof an” und das allerbeste: “Guck mal, die anderen schaffen`s doch auch, streng dich halt mal gescheit an!”.

-Wenn über gewisse Arbeitslose hergezogen wird, die sich vermeintlich ungerechtfertigterweise auf dem Geld der Beitragszahler ausruhen … ich wette, kaum einer, der sich typischerweise über sowas beschwert, hat sich bisher mit der Thematik Neurodiversität befasst und ist sich darüber bewusst, dass man es auch so betrachten könnte: Die einen zahlen Beiträge finanziell … die anderen “zahlen” auch etwas, wenn nicht sogar mehr, nur in anderer Form, aber bisher weitgehend unterschätzt.

- Spannend wäre: Berücksichtigung von Neurodiversität im Strafrecht(?)

-Bei der Art, im Tonfall usw., wie Menschen im Allgemeinen zurechtgewiesen oder gemaßregelt werden, wenn sie irgendwas falsch gemacht haben oder irgendwas nicht so optimal umsetzen können - das beobachte ich so oft auf den Straßen: immer so, als gäbe es Neurodiversität überhaupt nicht. So als könne jeder grundsätzlich immer was dafür, wenn er was nicht “gut” oder nicht “richtig” oder nicht “wünschenswert” oder nicht “normtypisch” macht und tut. Mein Eindruck ist, die meisten Menschen finden´s irgenwie einfach geil, auf eine Person von oben herabzublicken oder sie “zur Sau zu machen”, wenn diese etwas nicht so “gut” kann oder nicht “normtypisch-optimal” macht, völlig ungedachtet dessen, dass die Person in Wahrheit möglicherweise rein gar nichts dafür kann, weil ihre neuro-biologischen Voraussetzungen dies nicht “besser” zulassen.
Das kann man echt regelmäßig beobachten. Beispielsweise wenn irgendwo ein Kunde/Kundin in einem Laden Verständnisschwierigkeiten hat und beim/bei der Mitarbeitenden 5 Mal hintereinander irgendwie nachfragt oder so (sei es akustisch wegen Hörschädigung oder kognitiv bedingt, oder wegen Fremdsprache, oder was auch immer) … ich hab unzählige Male miterlebt, wie Kunde/Kundin in so einem Fall abfällig angekeift wird.

Ich hab im Studium mal von irgendeiner Studie gehört (muss die mal raussuchen wieder), die nahelegte, dass Menschen bei Fehlverhalten einer Person viel eher die alleinige Schuld bei der Person selbst suchen als bei externen Umständen, die außerhalb seiner eigenen Kontrolle lagen.

(Fortsetzung: )

Ich gehe soweit zu sagen, dass ich glaube, die allgemeine Kommunikation in der Gesellschaft könnte wieder respektvoller und weniger rauh werden in ein paar Jahren, sobald alle Menschen die zentrale Bedeutung von Neurodiversität kennen.

Und dass es zudem weniger psychische Erkrankungen gäbe, weil ich denke, dass ein gar nicht so kleiner Prozentsatz an psychisch Kranken eben geradezu wegen des schädlichen Umgangs der Gesellschaft mit einer unerkannten, bei diesen Personen vorliegenden, angeborenen(!) Neurodivergenz psychisch erkrankt ist. Man denke an Mobbing beispielsweise. In ein paar Jahren/Jahrzehnten müsste doch (theoretisch?) auch Mobbing ein bisschen weniger werden, wenn Schulkinder frühzeitig über Neurodiversität auf ganz wissenschaftlicher Basis aufgeklärt werden und dafür sensibilisiert werden.

Wenn man jetzt mal zur Neuro-Diversität auch Bio-Diversität dazunehmen würde (der Übergang ist ja eh fließend), dann könnte ja auch das ganze Thema LGBTQ, Genderdiversität bestimmt nochmal aus einem erweiterten Blickwinkel betrachtet werden und noch mehr Akzeptanz finden. Betrifft im Grunde ja auch die ganz natürliche/naturgegebene Vielfalt an neuro-biologischen Ausprägungen.

Und dafür, wie wichtig und zentral der Umstand der Neurodiversität in allen möglichen Lebensbereichen ist, ist es eigentlich skurril, dass im Vergleich zur ganzen Gender Diversity Thematik die Neurodiversität noch weit davon entfernt ist, in aller Munde zu sein. Viele kennen den Begriff noch gar nicht. Vielen kam es noch nie so wirklich bewusst in den Sinn, dass es das Prinzip Neurodiversität “überhaupt gibt” (ganz unabhängig davon, ob man das Wort schon mal gehört hat). Und unter denen, die sich zumindest schon im Klaren darüber sind “ok, das menschliche Gehirn und Nervensystem ist bei jedem verschieden, manche sind eher in der Norm, andere eher weiter weg von dir Norm” gibt es, denke ich, immer noch zu viele, die das Normabweichende per se für schlechter/falscher/korrigierenswert halten.
Aber gut, irgendwo muss der Anfang gemacht werden, und die Gender Diversity Bewegung hat vorgemacht und Mut gemacht, dass was ins Rollen gebracht werden kann durch mehr Aufklärung, mehr “Sichtbarmachung”, mehr Offenheit, Neugier und Darüber-Sprechen usw.

An der Stelle gerne nochmal die Erinnerung: es werden deutschlandweit inzwischen vielerorts sogenannte “Neurodivers Spaziergänge” zur Vernetzung angeboten. Ich organisiere den in München. (Der nächste in München findet morgen Sonntag 19. Oktober statt.) :slightly_smiling_face:

Und übermorgen 20.Oktober ist “Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen” :pink_heart:

Bezugnehmend auf den Themenvorschlag von @Lisa25 (Thema “Diversität im Lage-Forum) würde ich sagen, dass mein Eindruck ist, dass die in der Bevölkerung gar nicht so kleine Gruppe der Neurodivergenten und unabhängig davon auch die Gruppe von unsichtbar Beeinträchtigten/unsichtbar Behinderten hier im Forum nicht so präsent/aktiv ist.

Ich finde es erschreckend und beunruhigend, dass erstaunlich wenige sich meinem Themenvorschlag (“Neurodiversität und Unsichtbare Behinderungen”) angeschlossen und sich für diesen ausgesprochen haben. Dass es den meisten neurotypischen, also den normalen BürgerInnen, nicht sonderlich wichtig ist, was ich oben geschildert habe, überrascht mich wenig. Aber wenn man bedenkt, dass es sich in der Bevölkerung bei bis zu 20% , also bis zu jedem/r fünften Person, um neurodivergente Menschen handelt (und dann gibts ja auch noch die Gruppe von Unsichtbar Beeinträchtigten, wie z.B. mit Multiple Sklerose, Krebs, psychisch Erkrankten, Traumatisierten uvm.), macht es mich doch echt traurig, dass das Thema bzw. diese massiv benachteiligte, aber “unsichtbare” Gesellschaftsgruppe hier so unter den Tisch gekehrt wird und nicht unterstützt wird.

Meine Traumvorstellung und Hoffnung: Dass es in einigen Jahren in allen größeren Firmen und an allen Schulen Neurodiversitäts- bzw. Neurodivergenzbeauftragte gibt (oder sogar weiter gefasst: Beauftragte für Neurodivergenz und/oder Unsichtbare Beeinträchtigungen.)

Ich habe nicht einmal Deinen ersten Post zu Ende gelesen, weil ich ihn wie alle folgenden sehr lang fand und wenig auf den Punkt, so dass er mir wenig „Lust“ gemacht hat, mich da einzuarbeiten.

Es fällt dann schon schwer in einen Austausch einzusteigen, vor allem wenn es ein Thema ist bei dem man auch noch schnell in den Fettnapf treten kann.

Tut mir leid fürs Langweilen. Auch das Nicht-Kurzfassen-Können ist ein großes Leidthema in meinem Leben (ähnlich Loggorhoe. Mit ADHS und autistischen Züge.) Gehirntechnisch fällt es mir extrem schwer kurz zu schreiben, von den Gedankengängen her. Ist ganz schwer dagegen anzugehen. Wird auch therapiert.)

Danke für die ehrliche Rückmeldung, die mich natürlich ent-mutigt, hier weiter im Forum aktiv zu sein und mich im Bereich Aufklärung für hirntechnisch anders funktionierende Leute einzusetzen. Einen Versuch wars mir aber wert.

(… zudem wars glaub ich ein Missverständnis. Mir gings gar nicht zwingend um “Austausch”, sondern um Solidaritätsbekundungen von Gleichgesinnten, in Form von Bekräftigung meines Wunsches, dass in einer Podcastfolge dieses Thema mal aufgegriffen wird..

Da dies aber relativ wenig kam, entstand bei mir eben der Eindruck, dass diese besagte Gruppe hier im Forum nicht so sehr vertreten ist. Bezugnehmend auf @Lisa25 s “Umfrage” ):smiling_face:

Erstmal vielen Dank für Deinen Beitrag.
Ich glaube schon das einige das aufmerksam gelesen haben und wie ich auch ein paar Denkanstöße mitgenommen haben.
Hat man aber selbst privat oder beruflich keinen Bezug zum Thema oder ist nicht selbst betroffen, fällt es schwer da tief in die Diskussion einzusteigen.

Aber Respekt und Zustimmung für dein Engagement. :+1:

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