Steuerverweigerung aus Gewissensgründen

In den USA und England gibt es Steuerverweigerer, die ihre Haltung mit Gewissensgründen in Bezug auf den Gaza-Krieg begründen. Da Teile der Steuereinnahmen die Fertigung und den Export Amerikanischer/ Britischer Waffen finanzieren, die vom IDF im Gazakrieg eingesetzt werden, sehen Gaza-Kriegsgegner diese Finanzierung durch Steuerzahlung als unvereinbar mit ihrem Gewissen an.
In den USA gibt es z.B. die Organisation Not My Tax Dollars:

In England gibt es die Kampagne:

Dem muss hinzugefügt werden, dass diese Organisationen Israel einen Genozid vorwerfen, dass jedoch der IGH in seinem Urteil zum Südafrika-Israel-Prozess einen Genozid vorerst als „plausibel“ eingeschätzt hat. (Also noch nicht das Begehen eines Genozids festgestellt hat, oder Israel von dem Vorwurf freigesprochen hat.)
(https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20240126-ord-01-00-en.pdf
siehe Punkt 54 auf S. 18 des Urteils)

Die Kriegsdienstverweigerung ist im Grundgesetz durch Artikel 4, Absatz 3 verankert. Artikel 4 besagt:

„(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Eine Steuerverweigerung aus Gewissensgründen ist rechtswidrig, wogegen Kritiker mit Artikel 4, Absatz 1 des Grundgesetzes argumentieren. (siehe:
Steuerverweigerung – Wikipedia)

Andererseits könnten Steuerverweigerungen auch dem Allgemeinwohl schaden, da ja auch andere Steuereinnahmen wegfallen würden.

Ich würde mich für eine ausführlichere juristische Einordnung und eine Diskussion dieses Themas interessieren.

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Ich sehe nicht, wie man Steuerverweigerung als legitimes Protestmittel beschreiben will. So funktioniert ein Staat nicht. Da haben ein paar Leute nicht aufgepasst im Sozialkundeunterricht.

Wenn ich nicht einverstanden bin, was mit meinem Steuergeldern passiert, muss ich eine andere Regierung wählen.

Ich kann nicht selbst entscheiden, dass mein eingezahltes Geld ab sofort nicht mehr für z.B. die Beamtengehälter von rothaarigen Finanzbeamten benutzt werden darf.

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Exakt, es gab diese Versuche schon immer, auch in Deutschland.

Zum Beispiel hatten in Deutschland Quäker (eine explizit pazifistische religiöse Gemeinschaft) bis zum Bundesverfassungsgericht geklagt mit dem Argument, es gehe gegen ihre Gewissensfreiheit, wenn ihre Steuergelder u.a. auch für Kriege verwendet würden. Ohne Erfolg.

Ein Staat würde einfach nicht funktionieren, wenn jeder Bürger das Recht hätte, bei Verstößen gegen sein Gewissen die Steuerzahlungen einzustellen. Ich als Atheist könnte dann auch sagen, dass es gegen meine negative Religionsfreiheit verstößt, dass meine Steuern auch zur Finanzierung der Kirchen verwendet werden. Jeder mit ein wenig Kreativität könnte hier Gründe finden, warum es gegen sein Gewissen verstößt, Steuern zu zahlen (z.B. könnte ich als Vegetarier auch sagen, dass eine Mitfinanzierung der Massentierhaltung über Fleisch-Subventionen nicht mit meinem Gewissen vereinbar ist)…

Mit dieser Argumentation bewegt man sich meiner Meinung nach einfach gefährlich nah in Reichsbürger-Territorium, nach dem Motto: „Weil mir das System (oder es Aspekt des Systems) nicht passt, weigere ich mich, Teil des Systems zu sein“. Das kann einfach nicht funktionieren. Wir müssen als Bürger eines Staates akzeptieren, dass wir nie mit jeder Aktion des Staates zufrieden sein werden - das ist wohl offensichtlich. Um aus Gewissensgründen die Mitwirkung am Staat auszusetzen müssten schon Gewissensgründe in der Größenordnung eines Genozids vorliegen…

Die Begründung des BVerfG war in der Sache tatsächlich wenig überzeugend, weil es versucht hat, es theoretisch zu begründen, weil realpolitische Begründungen (die wohl tatsächlich hinter der Entscheidung stecken) sich immer so schlecht verkaufen lassen…

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Es ist aber fragwürdig, ob die gewählte Partei Wahlversprechen einhält, oder ob eine Partei mit einem pazifistischen Grundsatzprogramm eine Mehrheit bildet.
Steuerzahlungen sind für einen funktionierenden Staat unerlässlich. Aber der Anteil des Steuergeldes, der das Sondervermögens mifinanziert, könnte stattdessen in Bildung, Infrastruktur und den Sozialstaat fließen.

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Und dafür kannst Du bei der nächsten Wahl die Regierungspartei(en) mit Deiner Stimmabgabe bestrafen. Und vor der nächsten Wahl gibt es zusätzlich mannigfaltige Protestmöglichkeiten, um Einfluss auf die Regierung bzw. auf die Wähler zu nehmen.

Aber Du kannst eben nicht beschließen, dass Du mit Deinem Steuergeld ab jetzt nur noch die Teilmenge staatlichen Handelns bezahlst, welche Dir persönlich gefällt. Das wäre Reichsbürger-Logik.

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Reichsbürger stützen sich nicht auf das Grundgesetz, sie sehen weder das Grundgesetz noch die Bundesrepublik als legitim an.

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ist gering da das Sondervermögen Schulden sind.
Das beste Argument keine Steuern zu zahlen, hätten rechte Gruppierungen, werden mit deren Steuergeldern doch Ausstiegsprogramme aus rechten Gruppierungen finanziert.

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Das wird aber scherlich als Gewissensentscheidung iSd Grundgesetzes durchgehen. Ich sehe da einen Unterschied. Auch wenn ich im Ergebnis bei Euch bin, dass so etwas aus guten Gründen nicht geht. Steuern sind idR nicht zweckgebunden.

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Legal ist das offensichtlich nicht. Je nach Standpunkt könnte man den Steuerstreik natürlich trotzdem für moralisch legitim halten, wenn man bereit ist, alle rechtlichen Konsequenzen zu tragen. Aber da Steuern, wie hier bereits gesagt, ja nicht spezifisch für Krieg erhoben werden, ist auch das etwas wackelig.

Mich würde aber auch interessieren, wie man das praktisch umsetzt? Die meisten Steuern werden ja einfach automatisch irgendwo einbehalten (bzw. Verkaufssteuern auf den Preis aufgeschlagen).

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Die Aktivisten werfen Israel einen Genozid vor. Und der IGH sieht das Begehen eines Genozids als plausibel an. Bis ein Genozid nachgewiesen oder ausgeschlossen werden konnte, vergehen meist Jahre. Es ist fragwürdig, ob Israel den Forderungen des IGH ausreichend nachgekommen ist, alle in seiner Macht liegenden Maßnahmen zu ergreifen, um einen potenziellen Genozid zu verhindern. siehe: Sofortige Genozid-Präventionsmaßnahmen Israels?

Jedes Gericht, dass einen Strafprozess führt, sieht es als plausibel an, dass die Straftat begangen wurde - sonst gäbe es keinen Prozess. Dennoch gilt der Grundsatz, dass Angeklagte bis zum Nachweis ihrer Schuld als unschuldig gelten. Deine Argumentation ignoriert diesen Rechtsgrundsatz vollkommen - leider kein Einzelfall bei diesem Thema.

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Hier gelten doch völlig andere Prinzipien als im Strafprozess. Es verteidigt sich nicht ein individueller Mensch gegen mögliche Verurteilung und Strafe - bis hin zu lebenslanger Haft - für eine vergangene Tat. Hier ist ein Staat angeklagt, der nicht Grundrechtsträger ist sondern Grundrechte zu beachten hat. Zudem hat er sich in Ausübung seiner Hoheitsrechte entschieden, die Genozid-Konvention anzuerkennen. Natürlich ist Vorverurteilung trotzdem zu vermeiden, aber die Vorzeichen sind umgekehrt. Es gibt auch keine den strafrechtlichen Sanktionen gleichkommenden Durchsetzungsinstrumente im Völkerrecht, denen der angeklagte Staat ausgeliefert ist.

Viel wichtiger ist aber doch, dass das Geschehen, das Gegenstand des Prozesses ist, immer noch andauert. Deswegen muss die Prävention bei der politischen und moralischen Bewertung viel mehr im Mittelpunkt stehen, solange das noch geht. Und hier kommt dann eine Folgenabwägung zum Tragen. Je schwerwiegender und plausibler der Vorwurf, desto dringender ist zu handeln (unabhängig von dieser konkreten Frage der Steuerverweigerung, die ja aus mehreren Gründen etwas abwegig als Mittel erscheint). Auf der anderen Seite muss man ausloten, welche Maßnahmen Israel unter Anerkennung seines Verteidigungsrechts zuzumuten sind. Israel interpretiert das soweit ersichtlich maximal eng und es scheint mir mindestens sehr zweifelhaft, dass es damit der Anordnung des IGH nachkommt. Dass im Hauptsacheverfahren ein anderes Ergebnis herauskommen könnte, ist jedenfalls allein keine ausreichende Begründung, um nicht fast alles zu unternehmen, um ein so großes Verbrechen wie einen Genozid zu verhüten oder zu beenden. Wenn nicht einmal die Anordnung von einstweiligen Maßnahmen durch den IGH uns als ganz deutliches Stopschild dienen soll, was bitte dann?

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Natürlich läuft das Verfahren im Detail anders als ein normaler Strafprozess, aber „umgekehrtes Vorzeichen“ würde ja bedeuten, dass es eine Schuldvermutung gibt - dass also ein vor dem IGH angeklagter Staat allein durch die Behandlung der Klage als schuldig anzusehen ist. Das würde ja Deiner Aussage widersprechen, dass eine Vorverurteilung zu vermeiden ist.
Auch was die Prävention angeht, ist das Argument nicht stichhaltig: Der IGH war ja offensichtlich nicht so überzeugt von der These, dass Israel tatsächlich einen Genozid begeht, sonst hätte es drastischere Maßnahmen angeordnet, etwa eine sofortige Beendigung des israelischen Militäreinsatzes.
Mein Punkt war ja auch gar nicht so sehr die rechtliche Einordnung, sondern der Widerpruch gegen das Argument, dass es legitim sei von einem Genozid Israels zu sprechen nur weil der IGH darüber verhandelt.

So meinte ich es natürlich nicht, war zugegeben schlecht formuliert. Ich kenne die genaue Ausprägung des Grundsatzes des fairen Verfahrens im Völkerrecht auch nicht.
Der ganze grundrechtliche, politische und moralische Rahmen ist aber umgekehrt, da es bei der Anklage um den Schutz von Menschen vor dem Staat geht. Was daraus im Einzelnen folgt, ist schwierig zu sagen. Ich würde gerade im Rahmen der Prävention aufgrund dieser Stoßrichtung der Grundidee mehr Spielraum für Maßnahmen sehen, die auf Verdacht oder Gefahr gestützt sind. Jedenfalls aber würde ich diesen Kontext nicht als bloßes Detail bezeichnen.

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Dass nicht jeder vorstellbare militärische Einsatz Israels in Gaza einen Genozid befürchten ließe, sollte klar sein. Und natürlich sind die Folgen der Anordnung auf beiden Seiten im Auge zu behalten. Mit einer so drastischen Maßnahme hätte er Israels Recht auf militärische Verteidigung de facto suspendiert. Beides ändert aber nichts daran, dass ein „real and imminent risk that irreparable prejudice will be caused to the rights“ (Rn. 74 des Urteils, gemeint ist das Recht der palästinensischen Bevölkerung in Gaza auf Schutz vor Genozid) durch Handlungen im Zuge dieses Einsatzes für plausibel gehalten wurde.
Ich geb Dir recht, dass in der Diskussion die infrage stehenden Handlungen genauer benannt werden sollten (das Urteil enthielt Anordnungen bzgl. öffentlichen Genozid-Aufrufen, Gewährleistung grundlegender Versorgung und Verhinderung von genozidalen Taten durch das Militär). „Genozid“ sollte man nicht leichtfertig in den Mund nehmen, noch weniger ggü. Israel. Es gibt aber diese Einschätzung des IGH und es ist mMn auch offenkundig, dass jede Verschärfung oder Ausdehnung militärischer Handlungen in dem Gebiet, besonders angesichts der den israelischen Verantwortungsträger:innen bekannten dramatischen Versorgungslage, vorläufig und grundsätzlich erstmal das Risiko erhöhen dürfte, dass dies als genozidaler Akt zu bewerten ist.

Mein Punkt war auch nicht die rechtliche Einordnung, sondern dass der zuständige und fähige IGH nach vorläufiger rechtlicher und tatsächlicher Einschätzung, die wir nicht besser beurteilen können, ein Risiko eines Genozids sieht. Er ordnet deshalb zur Prävention bestimmte Maßnahmen an. Israels Anstrengungen zur Umsetzung sind überschaubar, weshalb diese Gefahr nicht aus der Welt geräumt ist. Angesichts dieser Sachlage bei der Erwähnung der Genozid-Gefahr oder des Genozid-Vorwurfs in einer Argumentation so schnell eine Vorverurteilung zu wittern, sogar wenn der in Bezug genommene Vorposter ausdrücklich schreibt

find ich nicht treffend.

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Wer in Deutschland keine Steuern zahlen möchte, kann das Land bis 30.06. verlassen. Auch das unterscheidet Deutschland von den USA.

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Es geht nicht darum, keine Steuern zahlen zu wollen. Es geht darum, ob sich die Grundgesetzliche Gewissensfreiheit neben der direkten Kriegsbeteiligung (durch Kriegsdienst), auch auf indirekte Beteiligung an Kriegen (durch etwaige steuerliche Finanzierung) anwenden lassen würde.

Nach dieser Logik, wäre es hinfällig über (verfassungs)rechtliche Auslegung zu diskutieren.

Was machen sie mit dem Geld? Geben sie es Leuten, die armen Kindern helfen? Oder zahlen sie einfach keine Steuern?
Man kann grundsätzlich darüber diskutieren ob Steuergelder richtig verwendet werden. Nur meistens erschöpft sich das Thema schnell, weil man feststellt, dass es doch nicht so einfach ist.
Wenn die USA Israel nicht mehr unterstützen, ist es vermutlich bald von der Landkarte verschwunden.
Ein Großteil der Bevölkerung kennt nur den Kriegszustand. Dass die sich Frieden nicht vorstellen können, ist auch nicht überraschend. Erst wenn die islamischen Gruppen ihre Feindschaften beerdigt haben, wird es soweit sein, dass sie in der Lage sein werden, über Frieden in Israel sich Gedanken zu machen.
Nach dem Motto der Freund meines Feindes ist auch mein Feind hat die Hamas im letzten Oktober friedlich lebende Israelis getötet, vergewaltigt, entführt.
Israel reagiert gerade über, aber die Nachbarn sorgen auch dafür, dass dieses Land seit Jahrzehnten keinen Tag verbringt ohne sorgenvoll über die Grenzen zu blicken.

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Das finde ich eine sehr abenteuerliche Argumentation.In Artikel 12a des Grundgesetzes geht es ja explizit um den „Kriegsdienst an der Waffe“, also um die Frage, ob Grundrechtsträger zu diesem Dienst gezwungen werden dürfen. Schon das Leisten eines Ersatzdienstes (der im Falle eines Krieges ja durchaus auch wichtige Funktionen zu dessen Unterstützung umfassen könnte) sieht der Artikel Explizit vor. Vom Recht einer Verweigerung von Steuern aufgrund beliebiger Gewissensentscheidungen ist im Grundgesetzt einfach keine ede. Die Ableitung ist daher ungefähr so „logisch“ wie zu sagen, dass der Staat mir wegen meines Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit täglich kostenlos mein Lieblingsessen zubereiten und liefern muss.

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Das als eine beliebige Gewissensentscheidung abzutun, ist sehr kurzsichtig. Es gibt ein Risiko, dass tausende Zivilisten getötet oder versehrt werden. Es geht darum, ob Deutsche zu einer impliziten finanziellen Beteiligung daran gezwungen werden können, selbst wenn das gegen die Gewissensfreiheit verstößt.