Steuersenkungen und Beitragserhöhung der Sozialversicherungen

Gestern ist es wieder passiert, die Grundfreibeträge und die Kinderfreibeträge sind wieder erhöht worden und zeitgleich wurden auch die Kranken- und Pflegekassenbeiträge wieder erhöht. Die Rentenbeiträge folgen, dann in den nächsten Jahren.
Kalte Progression hin oder her, so werden wieder die Bestverdiener*innen am meisten entlastet und die unteren Einkommensschichten belastet. Wo bleibt hier der Aufschrei? Wieso tragen die SPD sowie die Grünen dies mit?

Das wäre doch mal eine Möglichkeit hier anzusetzen und der AFD einen Punkt wegzunehmen. Auch wenn die Ansicht falsch ist, aber die Menschen die AFD wählen versprechen sich davon, dass diese sich für die „kleinen Leute“ einsetzen.

Vielleicht gibt es ja auch Politiker*innen von der Union oder FDP die in der Lage mal erklären wieso sie dies das richtige Vorgehen sein soll.

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Warum sollen Oppositionspolitiker der Union eigentlich Entscheidungen der Ampel erklären? Ich glaube Entscheidungen sollten immer die Politiker erklären können, die sie treffen.

Naja. Ist die Definition „Besserverdiener“ alles oberhalb von Bürgergeld ?
Die Abgabenlast der Mittelschicht wird immer höher weil die Ausgaben immer weiter steigen. Das halte ich für keine gute Tendenz. Schliesslich wächst das Geld, was umverteilt wird nicht auf Bäumen.

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Ich glaube diese Darstellung ist etwas einseitig.
Der Grundfreibetrag stellt das Existenzminimum steuerfrei, dies ist verfassungsrechtlich geboten.
Außerdem werden für Besserverdienende die Beitagsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung im nächsten Jahr mit 6,5 % ungewöhnlich stark angehoben.
Damit zahlen die Betroffenen nicht nur die erwarteten Erhöhungen der Beitragssätze in Kranken- und Pflegeversicherung, sondern zahlen diese Sätze auch auf einen deutlich höheren Teil ihres Einkommens.
Nur damit ich nicht falsch verstanden werde, das ist gerecht (andere Arbeitnehmer zahlen nach Lohnsteigerungen auch mehr, aber eine Entlastung von Besserverdienern kann ich hier nicht erkennen.

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Die Grundaussage, die faktisch kaum bestritten werden kann, ist:

Wenn Sozialversicherungsbeiträge (die nicht progressiv ausgestaltet sind!) steigen, trifft das niedrige Einkommen vom ersten Euro an deutlich härter als hohe Einkommen (insbesondere solche, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen).

Steuersenkungen (auch die Sockel-Freibeträge!) führen hingegen dazu, dass der Grenzsteuersatz sinkt, da das zu versteuernde Einkommen sinkt. Anders ausgedrückt: Wer vorher nach Abzug der Freibeträge 80.000 Euro verdient hat, hat für die letzten 1000 Euro die meisten Steuern bezahlt, wer nach einer Erhöhung der Freibeträge nur noch 79.000 Euro versteuern muss, profitiert daher von dieser Anhebung der Freibeträge stärker (knapp 450 Euro), als derjenige, der nach Anhebung der Freibeträge nun 9.000 statt 10.000 Euro versteuern muss (um 200 Euro).

Deshalb sind jegliche Vorhaben, bei denen Sozialversicherungsbeiträge steigen, aber Steuerfreibeträge erhöht werden, immer zum Vorteil von Vielverdienern. Der Vielverdiener am Maximalsteuersatz profitiert in Höhe des Maximalsteuersatzes (also 45%), der Geringverdiener beim Mindeststeuersatz profitiert hingegen im extremsten Fall nur in Höhe des Eingangssteuersatzes (14%), während die Sozialversicherungsbeiträge dank Beitragsbemessungsgrenze den Geringverdiener härter treffen als den Großverdiener.

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Genau, das war meine Aussage. Danke Daniel fürs detaillierte erklären. Hatte da wohl meine Lage Brille auf und diese Grundlage weggelassen.

Für mich klang es in dem Artikel so als ob diese Anpassungen auch durch den Bundesrat mussten, da spricht die Union ja mit. Ob das so ist weiß ich nicht, aber vermutlich hätte die Union nicht viel anders gehandelt.

Das mit der Beitragsbemessungsgrenze ist mir bekannt, habe ich aber rausgelassen weil A, die Löhne auch „ungewöhnlich stark“ gestiegen sind und B von der Beitragsbemessungsgrenzen und Kinderfreibeträge ja auch Menschen profitieren die nicht in die Sozialversicherungen einzahlen von denen hier die Rede ist.

„Gerechtere“ Lösungen wie höheres Kindergeld oder die Kindergrundsicherung statt einen höheren Kinderfreibetrag oder Unterstützung der Sozialsysteme statt höherem Grundfreibetrag sind ja schon vielfältig Diskutiert worden in der Lage.

Das ist mathematisch völlig richtig, aber wieso vergleichst Du hierbei absolute Zahlen und nicht relative Verhältnisse? Das gesamte Abgabensystem baut auf Relationen auf. Es führt doch auch niemand ins Feld wie viel höher die Steuern von jemandem mit 80.000 zvE sind im Vergleich zu jemandem mit 10.000, weil der Vergleich in einem progressiven ESt-System natürlich angelegt ist.

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Man muss da gar nicht von diesen Parteien sein. Ich finde das Vorgehen grundsätzlich in Ordnung.

Wenn man sich mal die Abgaben anschaut ist man bei ca. 22% vom Lohn:

Krankenvers. 7.30%
Zusatzbeitrag 2.40%
Pflegevers. 1.70%
Arbeitslosenvers. 1.30%
Rentenvers. 9.30%

Kommt man dann auf eine moderate Steuerlast (nicht Grenzsteuersatz!) von 23%, das ist in etwa die Steuer-Last die eine Medianeinkommen zu zahlen hat, gibt man einfach mal die Hälfte des Einkommens ab. Und die Arbeitgeberbeiträge kommen da ja auch noch oben drauf.

Ich finde es daher total okay die Mittelschicht zu entlasten. Auch überproportional im Vergleich zum Bürgergeldempfänger.
Wie schon beim Thema Altersvorsorge bringt es meines Erachtens nichts jede Maßnahme die dem Normal- und Besserverdiener zu Gute kommt pauschal als Förderung der Reichen oder Politik für das Obere-1%% zu framen.

Von daher kann mich der Frage nur anschließen:

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Wäre schön. Aber erst mal ist alles bis 20% über Existenzminimum erst mal unter Existenzminimum, weil die SV-Beiträge vom Brutto berechnet werden und damit man unterm Strich unter Existenzminimum rauskommt, während der Besserverdienende bei der Steuer immer maximal aufs Existenzminimum heruntergerechnet wird.
Bei freiwillig versicherten Selbständigen schaut es noch böser aus, da sie den Arbeitgeberanteil auch noch tragen (es sei denn, sie sind in der Gründerphase).

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Ich finde es ja eher spannend, dass wir trotz anscheinend knapper Haushaltslage dank Schuldenbremse weiterhin Steuersenkungen bekommen.

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Anhebung der Grenzen bedeutet aber doch im Rahmen der Inflation keine Senkung, sondern lediglich eine Anpassung um einer realen Erhöhung der Steuer durch kalte Progression entgegenzuwirken. Die kaufkraftbereinigten Einnahmen würden konstant bleiben wenn die Lohnentwicklung der Inflation folgt.

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Ich würde ja in diesem Zusammenhang nicht von Steuersenkung sprechen. Ziel dieses Vorgehens (vor allem von der FDP gefordert) ist ja der Abbau der kalten Progression, welcher überfällig ist.
1965 begann der Spitzensteuersatz beim 15-fachen Durchschnittseinkommen, inzwischen greift er ab dem 1,3-fachen Durchschnittseinkommen. Leider ist die Quelle nicht ganz aktuell:

Das nun seit langem erstmals gegengesteuert wird, dass jede Gehaltserhöhung über einen höheren Steuersatz durch den progressiven Einkommenssteuertarif automatisch zu höherer Steuerbelastung führt, ist ein Gebot der Fairness.

Im Konkreten ist die Erhöhung der Grundfreibeträge keine Steuersenkung. Bei einer Anpassung des Bürgergelds entsprechend der Inflationsrate wurde das ja schon erklärt. Es geht darum, die Bemessungsgrundlagen der fortschreitenden Realität anzupassen. Eine Steuersenkung wäre eine Maßnahme, die über das Maß der Preissteigerung hinaus gehen würde.

Im Allgemeinen lässt sich aber feststellen, dass es in Deutschland quasi nie Steuersenkungen gab, weil das Gesamtsteueraufkommen quasi ständig steigt. Selbst die letzte Steuerreform unter Schröder 2000 hat nicht dazu geführt, dass weniger Steuern abgeführt wurden. Die Gesamtsteuern sinken immer nur in Zeiten wirtschaftlichen Rückgangs (GFC, Corona, Negativwachstum Anfang der 2000er).

Spitzensteuersatz wurde mal gesenkt, es gab mal eine Vermögenssteuer (die man, anstatt sie nach dem Urteil des BVerfG Urteil zu reformieren abgeschafft hat). Es gibt sicherlich noch mehr Steuern die man mal gesenkt hat, die mir gerade nicht einfallen.

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Natürlich gab es Änderungen an einzelnen Steuergesetzen. Mein Punkt war, dass die Körperschaften nie Steuersenkungen durchgesetzt haben, die zu einer Verringerung des Gesamtsteueraufkommens führten.

Als z.B. 1995 die Vermögenssteuer wegfiel, erhöhte die CDU einfach die Einkommenssteuer. Das Problem war nur, dass die Vermögenssteuer den Ländern zufiel, während der Bund die Einkommenssteuer vereinnahmte. Im Prinzip hat der Bund damals die Länder alt aussehen lassen. Für die Bürger hat sich aber unterm Strich nur etwas verschoben und nichts substantiell verändert.

Auch die Steuerreform 2000 von Schröder mit einer Senkung der Grenzsteuersätze hat nicht dazu geführt, dass weniger Steuern gezahlt wurden (das lag in erster Linie an der kurzen Rezession Anfang der 2000er), weil das Wirtschaftswachstum anzog (bis zur GFC). Außerdem haben CDU und SPD Mitte der 2000er die MwSt-Sätze um 3 Punkte angehoben. Das hat den gesamten senkenden Effekt der Reform von Schröder quasi kassiert und zu einer Umverteilung von niedrigen zu hohen Einkommen geführt (weil Geringverdienende relativ mehr konsumieren).

Ah, danke für die Erklärung, das kann schon so stimmen, wenn da jemand Fakten hat gerne hier in den Threat.

Das gehört hier zwar nur am Rande rein, aber stimmt nicht völlig, da sich Bund, Länder und Gemeinden die Einkommessteuer aufteilen (42,5%, 42,5%, 15%)

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Das ist natürlich fatal, weil das bedeutet, dass sie unten die Ersparnis von oben ausgeglichen haben.

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Bei diesem Beitrag habe ich mich etwas weit aus dem Fenster gelehnt und ziehe meine Aussagen erst mal zurück. Danke an die anderen Diskutanten für Korrekturen.

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Also ist es quasi gottgegeben, dass die Gesamtheit der Arbeitnehmer Jahr für Jahr einen höheren durchschnittlichen Steuersatz zahlen müssen wenn sie ihre Kaufkraft erhalten wollen?

Löhne müssen somit immer stärker steigen als die Inflation um netto konstante Kaufkraft zu erhalten.

Und der Staat erzielt somit inflationsbereinigt Jahr für Jahr höhere Steuereinnahmen?

Würde eine Firma so ein Geschäftsmodell aufbauen wäre schnell von Betrug die Rede.

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Durch den Wegfall der Vermögenssteuer und dem relativ niedrigen MWSt.-Satz belastet man in Deutschland Einkommen halt übermäßig stark mit Steuern und Sozialabgaben.

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/oecd-studie-nur-dieses-eine-land-hat-hoehere-steuern-und-sozialabgaben-als-deutschland/100033375.html

Leider traut sich keine Regierung seit Jahren an diese Problematik, die durch viel zu hohe (paritätisch finanzierte) Sozialversicherungsbeiträge der Wirtschaft schaden und mit dem zu steilen Anstieg der Belastung im Einkommenssteuertarif leistungsfeindlich wirken. (Wie stark ist meine Motivation einen zusätzlichen Euro zu verdienen, wenn ich davon gleich wieder die Hälfte abgebe?)
Statt dessen machte man gerade im Bereich der Sozialversicherung Wahlgeschenke (Ausbau der Pflegeversicherung zur Vollkaskoversicherung, Grundrente, Mütterrente, Rente ab 63), die sich zunehmend als unfinanzierbar erweisen.

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